Bechtheim in Rheinhessen

Katholische Pfarrkirche St. Lambert

Fotostrecke zu St. Lambert in Bechtheim[Bild: Harald Strube]

Seit dem 8. Jahrhundert befand sich die Bechtheimer Kirche im Besitz des Hochstifts Lüttich, dessen Augustinerchorherrenstift St. Ägidius seit 1128 das Kirchenpatronat innehatte. Die Augustiner errichten auch die Kirche und ließen die Pfarrei durch Geistliche ihres Ordens versehen. Dies erklärt nicht nur die Namensgebung des alten Ägidiusbrunnens südlich der Kirche; die enge Verbindung zu den Niederlanden ist auch für den Namen der Kirche selbst verantwortlich: der Kirchenpatron St. Lambertus war einst Bischof von Maastricht.
Die Kirche ist im Verhältnis zu dem sie umgebenden Dorf außergewöhnlich groß. Dies deutet auf eine Wallfahrtsfunktion im Mittelalter hin. Tatsächlich liegt Bechtheim an einem "Pilgerpfad" (so auch der Name eines Weinbergs), der vielleicht von Ungarn, auf jeden Fall aber von Speyer und Worms in Richtung Bingener Rochusberg verlief. Unter der Osthälfte des Chores befindet sich eine Stollenkrypta, auf deren Bühne einmal ein Reliquienschrein gestanden haben muss.
Romanische, gotische wie auch barocke Baustile sind in der Basilika vereint. Ausgrabungen im Jahr 1953 haben vier Bauperioden zwischen dem 11. und dem 12. Jahrhundert nachgewiesen: Die ältestenTeile (v. a. am nördlichen Seitenschiff) stammen aus ottonischer Zeit (erstes Viertel des 11. Jahrhunderts), damals als dreischiffige Basilika ohne Turm erbaut. Mit dem Bau eines Turms wurde im ersten oder zweiten Viertel des 12 Jahrhunderts begonnen, auch schon damals mit vier Geschossen. Das Langhaus wurde zwischen 1145-64 auf Anweisung des Bischofs Heinrich von Lüttich neu aufgebaut, der Hochchor und das südliche Seitenschiff in einer kurzen Bauphase 1170/80 angefügt.
Der ursprünglich frei stehende Westturm ist der älteste Bauteil der Kirche. Die unteren beiden Geschosse geben sich klar als noch romanisch zu erkennen, während die beiden oberen Geschosse nach einem Brand 1558 durch den Steinmetz Hans Gutmann (Inschriftentafel an der Südseite des Turmes) neu aufgesetzt wurden.
Interessanterweise gibt Gutmann auf der Inschriftentafel das Jahr der Restaurierung mit 5544 nach Entstehung der Welt an, ein deutlicher Hinweis auf das im Mittelalter geläufige Geschichtsbild der Aetates- oder Weltäralehre. Anhand von Bibelstellen wurde im Mittelalter oft eine Gliederung der Heilsgeschichte in zumeist sechs bis sieben Weltalter analog zur Schöpfungswoche durchgeführt. Nach der geläufigsten Rechenweise (nach Augustinus) fiel das Jahr 5544 in die sechste Aetas, an deren Ende im Jahr 6000 Christus auf die Erde zurückkehrt.
Eine weitere, durch Vermessungsarbeiten zu Tage getretene interessante Besonderheit sind die abgeknickten Bauachsen der Kirche: sie zeigen nicht nur nach Osten in Richtung des Paradieses, sondern auch (nach julianischem Kalender) auf den Tag des Frühlingsanfangs. Am Türsturz des inneren Turmportals befindet sich die Hand Gottes, ein Relief noch aus der Zeit um 1000 n. Chr. Reste von Wandmalereien (um 1400) sind im Ostjoch des nördlichen Seitenschiffs und im Durchgang unter dem Chor erhalten.
Nach der Glaubensspaltung wurden Ort und St. Lambertkirche lutherisch, doch blieben einige Katholiken im Ort wohnen. Wie zahlreiche andere Kirchen in Rheinhessen wurde auch die Basilika in Bechtheim seit 1700 Simultankirche. Das heißt, sie wurde von beiden Konfessionen benutzt. Die Katholiken feierten im Hochchor Gottesdienst. Ein großes Eisengitter trennte den lutherischen Kirchenteil ab. Katholiken und Lutheraner feierten niemals zur gleichen Zeit Gottesdienst. Das Gitter befindet sich seit Abschaffung des Simultaneums 1908 (Baubeginn der heutigen evangelischen Kirche) am Eingangstor der Basilika.
Nach etlichen Reparaturen, vor allem 1771/1772, die mit Veränderungen und Vereinfachungen einhergingen, wurden die z.T. an Verfall grenzenden Schäden in den Jahren 1972-1979 beseitigt und das Innere der Kirche gründlich renoviert.

NAchweise

Verfasser: Harald Strube

Redaktionelle Bearbeitung: Stefan Grathoff, Ann-Kathrin Zehender

Verwendete Literatur:

  • Huth, Hans: Die romanische Basilika zu Bechtheim bei Worms. Worms am Rhein 1960.
  • Steitz, Heinrich: Die rheinhessischen Dorfkirchen in Dittelsheim, Bechtheim, Bechtolsheim. Darmstadt 1980.


Aktualisiert am: 07.05.2014