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0.4. Fazit und Ausblick

„Wieso-weshalb-warum?“ kam es zur rheinland-pfälzischen Auswanderung im 19. Jahrhundert? Um eine strukturierte Antwort auf diese Frage zu finden, wurden aus vier unterschiedlichen Forschungsperspektiven Push- und Pull-Faktoren der Auswanderung in einer neuartigen Übersicht zusammengestellt und mit einem Quellenkonvolut von insgesamt 13 Briefen von sechs pfälzischen Auswanderern[Anm. 1] im 19. Jahrhundert auf Zitate-Ebene in einer Statistik abgeglichen.[Anm. 2]

Das Fazit ist: Das bei dieser Analyse festgestellte heterogene Bild von vielen verschiedenen in den Briefen genannten Push- und Pull-Faktoren, die zu einer Auswanderungsentscheidung geführt haben, bzw. den Verbleib im Einwanderungsland untermauern,[Anm. 3] wird durch die Forschung bestätigt. Multikausalität und Multifaktoralität ist die Norm bei Auswanderungsentscheidungen.[Anm. 4] Da weitere Briefe der ausgewählten Auswanderer nicht verfügbar sind, in denen u.U. auch noch andere Push- und Pull-Faktoren hätten erwähnt sein können, kann diese Untersuchung nur exemplarischen Charakter haben.

Einen Ausblick bieten die folgenden Überlegungen: Bei vertiefende Untersuchungen mit größeren erhaltenen Quellenbeständen könnten sich die gleichen Schwerpunkte z.B. beim Vergleich der drei der meistgenannten Auswanderungsfaktoren[Anm. 5] bestätigen oder andere Priorisierungen zeigen. Interessant wäre als Folgeuntersuchung auch die Klärung, ob die Push- und Pull-Faktoren, die die Entscheidung zur Auswanderung anfangs begründet haben, auch im späteren Verlauf bei einem längerfristigen Verbleib im Einwanderungsland weiterhin gelten, ob sie in den Hintergrund treten oder ganz neue Faktoren die Fortführung der Auswanderung begründen.[Anm. 6]

Der Blick auf die neuere Migrationsforschung[Anm. 7] ermöglicht die Verbindung und Einordnung der rheinland-pfälzischen Auswanderung im 19. Jahrhundert in einen größeren Kontext.[Anm. 8] Damit könnten beispielsweise auch Vergleiche mit konkreten Migrationssituationen in der heutigen Zeit angestellt werden. Die Auswanderer aus Rheinland-Pfalz hatten im 19. Jahrhundert vermutlich genauso komplexe und schwierige Entscheidungen zur Auswanderung zu treffen, wie es heutige Migranten haben. Die rheinland-pfälzischen Auswanderer aus dem 19. Jahrhundert waren zwar beispielsweise nicht direkt von Kriegs- oder Bürgerkriegssituationen betroffen, hatten aber dennoch mit Hungersnöten oder politischer Verfolgung zu kämpfen, die auch Auslöser für eine Auswanderungsentscheidung sein konnten. Gleichwohl gab es auch im 19. Jahrhundert Auswanderer, die – wie heutzutage sicherlich auch – einfach neue Chancen oder ihr Glück in einem anderen Land suchten oder ihren ausgewanderten Verwandten folgten, ohne objektiv zwingende gesellschaftlich-strukturelle Gründe für die Auswanderung zu haben.

Ein weiterer möglicher Erkenntnisgewinn kann die Anwendung der in dieser Arbeit neu erstellten Übersichten bzw. statistischen Vergleiche bieten. Beim Lesen von Auswandererbriefen wäre es beispielsweise interessant, die Übersicht der Push- und Pull-Faktoren aus der Forschung[Anm. 9] als Liste sozusagen „mitlaufen“ zu lassen und zu sehen, ob einzelne Faktoren im Laufe der Zeit zum Beispiel relevanter oder weniger relevant werden, oder ob im Laufe der Zeit neue Faktoren hinzu kommen.

Eine solche Analyse wäre nicht nur bezogen auf die Auswanderung im 19. Jahrhundert interessant, sondern könnte sich auch auf aktuelle Migrationsbewegungen beziehen und eine Basis für weitere differenzierte Erkenntnisse von Migrationsgründen bieten.[Anm. 10]

NACHWEISE

Verfasserin Text: Marion Nöldeke

Erstellt am: 25.07.2020

Anmerkungen:

  1. Von jeweils drei Auswanderern nach Brasilien und drei Auswanderern nach Nordamerika. Siehe Kapitel 3.1, Tab. 2: „Übersicht Auswandererbriefe“. Zurück
  2. Siehe Kapitel 3.4, Tab. 3 „Übersicht Anzahl Zitate Push- und Pull-Faktoren der Auswanderung“. Zurück
  3. Siehe Kapitel 3.4, Tab. 3 „Übersicht Anzahl Zitate Push- und Pull-Faktoren der Auswanderung“  Zurück
  4. Siehe Kapitel 3.4, die Begriffe „Multikausalität und Multifaktoralität“ sind angelehnt an Petrus Han: Begriff der Migration und Grundbegriffe der Migrationssoziologie, S. 12. Zurück
  5. Siehe Kapitel 3.3. Zurück
  6. Einsichten auf diese Frage könnte die Untersuchung eines nachweisbar kompletten Konvoluts eines Auswanderers, der über mehrere Jahre Briefe geschrieben hat, ergeben. Hierbei müssten die ursprünglichen Motive zur Auswanderung, sowie aktuelle Motive zum Verbleib im neuen Heimatland miteinander verglichen werden. Zurück
  7. Hier: Petrus Han und Jochen Oltmer. Zurück
  8. Hierbei kann sogar von einer Einordnung in einen globalen Kontext gesprochen werden, da Han und Oltmar ihre Untersuchungen nicht auf ein bestimmtes Land beziehen. Zurück
  9. Siehe Kapitel 2.4, Tab. 1: „Übersicht Push- und Pull-Faktoren der Auswanderung“. Zurück
  10. In den heutigen Medien und in der Öffentlichkeit wird häufig plakativ nur von wirtschaftlichen Gründen für eine Migrationsentscheidung gesprochen. Dieses Bild könnte durch einen Blick auf die Multikausalität und Multifaktoralität von Auswanderungsentscheidungen – auch schon in früheren Jahrhunderten – an Kontur und Differenziertheit gewinnen. Zurück