Sankt Goar am Mittelrhein

Beschreibung der Pfarrkirche nach Dehio

Spätgotische dreischiffige Emporenhalle mit größtenteils eingebautem, zinnenbekröntem Westturm; im Osten über einer romanischen Krypta ein spätromanischer Chor zwischen zwei niedrigen, ungleich hohen Flankentürmen. Drei Bauperioden sind zu unterscheiden:

1. Bauepoche

Aus dem späten 11. Jahrhundert stammt die weiträumige dreischiffige Krypta, die schönste am Rhein zwischen Köln (St. Maria im Kapitol) und Speyer. Vier Joche, von denen die beiden östlichen auf den halbkreisförmigen, außen pilastergegliederten Schluß entfallen. Kreuzgratgewölbe zwischen teils runden, teils angespitzten Gurtbögen im Mittelschiff bis auf das verkürzte Ostjoch quadratisch, in den Seitenschiffen rechteckig. Die Säulen mit hohen attischen Basen und niedrigen Würfelkapitellen, von den Schäften vier aus Marmor, zwei aus Granit, die übrigen (der Wandsäulen) aus Sandstein. Der alte Zugang aus dem Mittelschiff verschüttet, neues Portal an der Südwestseite.

Aus derselben Zeit wie die Krypta der Triumphbogen und die Seitenwände des Chores sowie wahrscheinlich die Grundmauern der Chorflankentürme.

2. Bauepoche

Gegen Mitte des 13. Jahrhunderts Neubau eines Chores mit 5/10-Apsis auf den Umfassungsmauern der Krypta und Errichtung der beiden rechteckigen Chorflankentürme. Die Apsis außen mit Ecklisenen und Spitzbogenblenden, innen mit Bündeln aus gewirtelten Diensten. Wölbung mit Birnstabrippen. Lanzettfenster, das mittlere mit (vielleicht später eingesetztem) Maßwerk. Der nördliche Turm mit Satteldach und barockem Dachreiter, der Südturm endet am Dachansatz des Chores; sein Untergeschoss (heute Taufkapelle) innen mit Tonnen- und Kreuzrippengewölbe, das Obergeschoß mit gekuppelten Spitzbogenfenstern.

3. Bauepoche

Völliger Neubau des Langhauses als Residenzkirche für die Niedergrafschaft Katzenelnbogen, 1444 begonnen, 1469 wahrscheinlich vollendet.

Prachtvolle, lichte Halle von fünf netzgewölbten Jochen mit Achteckpfeilern; 19 m breit, 24 m lang und 16 m hoch. Die Seitenschiffe in ganzer Länge durch Emporen, die im Westen, d.h. im Turm herumgeführt sind, in zwei gleichhohe Geschosse geteilt. Die weitgespannten Arkadenbögen teils als schmale Rippen gebildet und in das feingliedrige Netzgewölbe einbezogen; gute figurale und ornamentale Gewölbeschlußsteine. Am zweiten und dritten Joch der beiden Seitenschiffe gleichzeitige Kapellenanbauten.

Das Vorbild für die Achteckpfeiler mit Diensten, die durch die Emporen durchlaufen, war vielleicht der Umbau der Heidelberger Heilig-Geist-Kirche von 1440. Als Hallenkirche mit Emporen steht St. Goar in einer mittelrheinischen Tradition in der sie einen besonderen Höhepunkt bildet. Sowohl System wie Einzelformen (schwalbenschwanzförmige Rippenendungen im südlichen Seitenschiff, die wahrscheinlich auch vorbildlich für die Büdinger und Hanauer Marienkirchen von Siegfried Ribsche waren) haben unmittelbar auf die Pfarrkirche in Kiedrich/Rheingau gewirkt.

Wandmalereien

Zwischen 1469 (Ende der Bauarbeiten) und etwa 1489 (Stifterfigur des 1489 zuletzt genannten Johann von Waldeck im südlichen Seitenschiff) wurde das Innere des Langhauses vollständig ausgemalt; die 1906/07 freigelegten, zuletzt 1962 restaurierten Malereien sind trotz einiger Verluste (Jüngstes Gericht an der Ostwand, einige der Apostelfiguren) das umfangreichste aus dem späten Mittelalter am Rhein erhaltene Denkmal dieser Kunstgattung. Arkaden, Dienste und Gewölberippen in kräftigem Rot mit weißen Fugen, um die Schlusssteine Strahlen in Blau und Rot; auf den Gewölbekappen der Seitenschiffe, auf den Wandzwickeln unter den Emporen und in den Kapellen zahlreiche Heilige in Einzelfiguren und kleinen Gruppen. In der Taufkapelle südlich am Chor ein älteres Wandbild, hl. Johannes, Anfang 14. Jahrhundert.

Ausstattung

Bemerkenswerte Steinkanzel mit Christus und fünf Sitzfiguren (die vier Evangelisten und der hl. Goar) in Kielbogennischen, um 1460, wie die Konsolen der Gewölbe höchstwahrscheinlich aus derselben Werkstatt stammend, in der die Kanzeln in Mertloch und Koblenz-Moselweiß (diese dem in Koblenz ansässigen Hermann Sanders zugeschrieben) entstanden. Neugotisches Gestühl. Orgel, Anfang 18. Jahrhundert

In der einen der beiden nördlichen Seitenkapellen drei mit Heiligenfiguren bemalte Glasscheiben, um 1450. In der zweiten zwei bedeutende Grabmäler der frühen Barockzeit aus Marmor mit Bildnisstatuen in reicher Nischenarchitektur: Landgraf Philipp II. von Hessen (gest. 1583) und seine Gemahlin Anna Elisabeth geb. Pfalzgräfin von Simmern (gest. 1609, 1599 in zweiter Ehe mit Pfalzgraf Johann August von Veldenz verheiratet, das Grabmal daher vor 1599 aufgestellt); das erste urkundlich gesichert für Wilhelm Vernuiken aus Kalkar, den Meister der Kölner Rathausvorhalle; das zweite, im architektonischen Aufbau besonders vorzügliche Denkmal vielleicht ebenfalls von ihm. Schmiedeeisernes Torgitter in Renaissanceformen von Gottfried Strobel Mainz, 1899/1900.

Im südlichen Seitenschiff zwei Grabsteine, der eine mit Bildnis eines Abtes, um 1320; der andere für Adelheid von Katzenelnbogen-Waldeck (gest. 1329); ferner manieristisches Epitaph Nordeck (gest. 1597). Weitere Grabplatten in der Krypta: um 1480, 1519, 1521.