Martinstein im Naheland

Konfessionelle Konflikte

Bei der Herrschaftsübernahme Martinsteins durch die Freiherren von Schönborn in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Ort noch protestantisch. Die neuen katholischen Ortsherren ließen in regelmäßigen Abständen einen Karmeliterpater aus Kreuznach nach Martinstein kommen, der auf dem Schloss private Messen abhielt. Schon bald aber versuchten sie, auch im Dorf einen katholischen Pfarrer einzusetzen.

Da jedoch der lutherische Pfarrer über das traditionelle Kirchenvermögen in Martinstein verfügte, war die Einrichtung einer zusätzlichen Pfarrstelle nur durch eine neue Kirchenstiftung des Ortsherren möglich, welche den Lebensunterhalt des katholischen Geistlichen sicherte. Der Stifter behielt sich das Pfarrbesetzungsrecht vor sowie die Befugnis, einen Pfarrer abzusetzen, falls er seine Pflichten vernachlässige oder dem katholischen Glauben untreu würde.

Die neue Pfarrei wurde dem Glaner Landkapitel zugeteilt, das mit der Neuordnung der Kirchenverwaltung nach der Reformationszeit entstanden war. Als Gotteshaus für die neue Pfarrei wählte man die Kapelle vor dem Dorf, die sich damals in einem baufälligen Zustand befand und daher renoviert werden musste. Nachdem aus der Kapelle ein Messkelch gestohlen worden war, erlaubte man den Katholiken, die sicherere Bergkirche im Dorf mitzubenutzen. Damit begann ein über 100 Jahre dauernder Streit um die Nutzungsrechte in diesem Gotteshaus.

Die Streitigkeiten begannen damit, dass die katholischen Ortsherren dem evangelischen Pfarrer einen Teil der Pfarrbesoldung vorenthielten. Sie behaupteten, die in Frage kommenden Güter seien Herrschaftsbesitz, über den sie nach Belieben verfügen könnten. Hinzu kam, dass die protestantische Gemeinde seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert keinen eigenen ortsansässigen Pfarrer mehr besaß, vielmehr von dem Geistlichen aus Weiler mitbetreut wurde. Nach massiven Protesten wurde schließlich das Pfarrgut wieder zurückgegeben, allerdings nur vorübergehend. Im Jahre 1699 lieferte eine Kompetenzüberschreitung des evangelischen Pfarrers den willkommenen Anlass, die Kirchengüter endgültig aus seinen Händen zu ziehen.

Hinzu kamen schließlich Behinderungen der Religionsausübung in der Bergkirche. Die Katholiken beanspruchten den Altar für sich und schlossen den Chorraum mit einem Gitter ab. Die Lutheraner mussten für ihre Abendmahlsfeiern, die ohnehin nur viermal im Jahr abgehalten werden durften, einen Tisch mitbringen. Sie beschwerten sich zwar bei der Herrschaft, aber ohne jeglichen Erfolg.

Auch der Herrschaftswechsel an die Markgrafschaft von Baden im Jahre 1716 brachte keine Verbesserung. Ganz im Gegenteil: In den Jahren 1728/29 erreichte die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt. Die Katholiken beabsichtigten das Kirchengebäude zu erweitern, ohne ihre andersgläubigen Mitchristen davon in Kenntnis zu setzen.

Die Lutheraner legten gegen den nach ihrer Ansicht unnötigen Umbau Protest ein, wurden aber abgewiesen. Darüber waren sie so erbost, dass sie den Bauleuten das Handwerksgerät wegnahmen und in einem Wirtshause verwahrten. Die Beamten der Herrschaft mussten die Herausgabe der Werkzeuge mit Gewalt erzwingen und forderten beide Seiten zur Mäßigung auf. Doch die Lutheraner ließen sich nicht einschüchtern. Sie begaben sich nachts zur Baustelle und schütteten die inzwischen ausgehobenen Fundamente wieder zu. Doch wiederum zogen sie den Kürzeren. Die badischen Beamten berechneten die entstandenen Mehrkosten und ließen diese, da sie nicht freiwillig erstattet wurden, mit Zwang requirieren.

Abb. 26: Erwiderungsschrift von 1731 [Bild: Pfarrarchiv]

Das ging der evangelischen Gemeinde zu weit. Sie wandte sich Hilfe suchend an das für konfessionelle Beschwerden zuständige „Corpus Evangelicorum“ in Regensburg, welches die Martinsteiner Streitsache dem Reichstag vortrug. Dieser übersandte die Vorwürfe in einer gedruckten Broschüre an das Fürstenhaus von Baden-Baden. Der Martinsteiner Ortsherr antwortete in einer 65-seitigen Erwiderung, ebenfalls in gedruckter Form.

Der Schlagabtausch zog sich über ein ganzes Jahrzehnt hin und endete fast mit einem Kompromiss, nach dem das Kirchengut auf beiden Seiten verteilt werden sollte. Die evangelische Gemeinde bestand jedoch auf der vollständigen Rückerstattung des früheren Eigentums, sodass die Einigung platzte. Nun ruhte die Angelegenheit bis zu Beginn der 1770er Jahre.

Die Evangelischen unternahmen erneut einen Vorstoß bei dem Markgrafen von Baden, der auch bereit war, die lästige Angelegenheit durch einen Vergleich endlich aus der Welt zu schaffen. Es konnte jedoch - trotz vielfacher Bemühungen - kein Einvernehmen erzielt werden, das beide Seiten befriedigte.

Den entscheidenden Durchbruch zu einer möglichen Lösung erreichte schließlich der evangelische Pfarrer Simon von Weiler im Jahre 1789, als er das katholische Generalvikariat in Mainz von der Notwendigkeit einer endgültigen Bereinigung der Martinsteiner Kirchenstreitigkeiten überzeugen konnte. Im Jahre 1792 war endlich eine Kompromissformel erarbeitet, welche die Badische Regierung, das Mainzer Generalvikariat, die evangelische Gemeinde von Martinstein und der katholische Pfarrer Fischer akzeptierten.

Lediglich die Laienvertreter des katholischen Kirchenspiels bestanden weiter auf einer gerichtlichen Klärung. Doch dieser Widerstand wäre sicher bald aufgegeben worden, da die Mainzer Bistumsleitung sich weigerte, die Prozesskosten zu übernehmen. Mit der Eroberung des linksrheinischen Gebietes durch die französischen Revolutionstruppen wurde jedoch die schon in greifbare Nähe gerückte Einigung wiederum vereitelt, da mit der politischen Neuordnung auch die alten kirchlichen Ordnungsstrukturen beseitigt und alle Verwaltungseinheiten neu organisiert wurden. [Anm. 1]

 

NACHWEISE

Verfasser (Text): Gottfried Kneib

Redaktionelle Bearbeitung: Marion Nöldeke

Verwendete Literatur:

  • Fabricius, Wilhelm: Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz, Bd. 5: Die beiden Karten der kirchlichen Organisation, 1450 und 1610, 2. Hälfte: Die Trierer und Mainzer Kirchenprovinz (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 12). Bonn 1913.
  • Gräff (Pfr.): Aus der Bedrückungszeit der evangelischen Gemeinde Martinstein. In: Verhandlungen der Kreissynode Sobernheim auf ihrer Tagung zu Hennweiler am 2. und 3. Juni 1929. Sobernheim 1929.
  • Kneib, Gottfried: Martinstein - seit 1340/42. Die Geschichte der Burg, der Gemeinde und der katholischen Pfarrei; in: Bad Kreuznacher Heimatblätter 2003, Heft 1-3.

Erstellt am: 01.07.2022

Anmerkungen:

  1. Fabricius 1913, 392f. / Kneib 2003, S. 6f.  Zurück