Gymnasium am kurfürstlichen Schloss Mainz

Die Front ist grauenvoll...

Liebe Familie ,

die Front ist grauenvoll. Ich bin in Verdun stationiert. Mir ist kalt, meine Kleidung ist durchgehend feucht, der Hunger ist unerträglich, und wenn wir nicht aufpassen, fressen uns die Ratten unsere letzen Vorräte auf. Wir ruhen immer kurze Zeit in unseren unterirdischen Unterständen, nur um uns beim nächsten Angriff wieder in die matschigen Schützengräben werfen zu können und erneut unser Leben zu gefährden.

Jeden Tag aufs Neue sehe ich Menschen sterben, wie die Kugel ihre Körper durchbohrt, ihre Augen erstarren und sie einen mit schmerzverzehrtem Blick ein letztes Mal anschauen bis sie leblos zusammensinken und sie von dieser Hölle befreit werden. Wir haben keine Zeit, sie menschenwürdig zu beerdigen. Ihre leblosen Körper verwesen auf dem offenen Schlachtfeld. Jeden Tag müssen wir dem Tod ins Auge sehen. Hier ist jeder gleich. Es wird nicht auf Gefühle oder Wünsche geachtet, nein, wir sind nur die Schachfiguren der Politiker. Wegen der ständigen Angst, der Unterernährung und dem Lärm des Krieges werden viele verrückt. Wir können keine Erfolge feiern, denn unsere Truppen haben sich hier festgebissen. Es geht nicht vor und nicht zurück. Angriff und Gegenangriff folgen unmittelbar aufeinander. Jeder ist sich bewusst, dass er sein Leben hier auf dem Schlachtfeld für sein Vaterland verlieren wird. Es ist ein pures Abschlachten. Jeder der sich hierhin freiwillig meldet, erlebt die Hölle. Wenn er hier das Glück haben sollte, den Krieg zu überleben wird er sich wünschen, ebenfalls gefallen zu sein. Warnt alle in unserer Familie und aus unserem Bekanntenkreis, sich auf keinen Fall hierher freiwillig zu melden. 

In Liebe euer Sohn

(Jacqueline Dolinar)