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Die Rekonstruktion römischer Architektenzeichnungen für die Grundrisse des Oceanus Mosaiks und der Peristyl Villa in Bad Kreuznach

Der Victorinus Code®, Teil 6

von Walther Krumme

0.1.Zusammenfassung

Aus dem Oceanus Mosaik Bad Kreuznach kann das methodische Vorgehen eines römischen Architekten beim Aufriss der Grundrisszeichnung sowohl für das Mosaik als auch für die Peristyl Villa mit Zirkel und Lineal erschlossen werden. Es lässt sich nachweisen, dass

a.       sich der Grundriss des Oceanus Mosaiks einfach und logisch aus der geometrischen Figur seines zentralen Brunnen-Hexagons konstruieren lässt,

b.       sich aus dieser geometrischen Figur in Verbindung mit dem Grundriss des Mosaiks auch der Grundriss der Peristyl Villa erschließen lässt,

c.       eine halbierte Sehne S6 des konstitutiven Brunnen-Hexagons als ein immer wiederkehrendes Maß der Grundrissgestaltung der Villa erscheint,

d.       die Grundrisse des Mosaiks und der Villa interdependent sind sowohl durch die Abfolge der methodischen geometrischen Konzeption als auch durch die Strukturierung der Bildfläche des Mosaiks durch „Längengrade“, die sich im Mittelpunkt des Peristyls schneiden.

e.       Deshalb ist es möglich, das planerische Vorgehen eines römischen Architekten Schritt für Schritt nachzuvollziehen und die Rekonstruktion der römischen Architektenzeichnungen für den Grundriss des Mosaiks und der Peristyl Villa als Riss mit Reißzirkel und Lineal auf einem gewachsten Reißbrett vorzulegen.

f.        Auch das methodische Vorgehen bei der Komposition des Bildprogramms des Mosaiks kann rekonstruiert werden.

g.       Der Schlusspunkt der Künstlersignatur VICTORINUS.TESS.FEC. verbindet Selbstporträt und Namen des Künstlers geometrisch definiert mit der Hypotenuse eines gleichseitigen, bildgestaltenden Dreiecks; der Kippwinkel der Signatur zur Hypotenuse dagegen wird durch den Grundriss der Peristyl Villa bestimmt: VICTORINUS verortet sich damit sowohl in den Grundriss des Mosaiks als auch in den Grundriss der Villa.

h.       Die rekonstruierte Grundrisszeichnung der Principia des Kastells Aalen bestätigt das Planungsprinzip römischer Architekten: Der Grundriss wurde über das Zirkel konstruierte Hexagon konzipiert, der Durchmesser der Apsis-Rotunde = S6:2 = Maßkonstante.

0.2.1. Einleitung

Das Oceanus Mosaik in der Römerhalle Bad Kreuznach ermöglicht durch seine präzise Verlege-Technik nicht nur die Rekonstruktion der Musterblätter seiner Großschiffe, sondern auch die Rekonstruktion der Architekturzeichnung seines Grundrisses, aus dem wiederum der Grundriss der Peristyl Villa entfaltet werden kann. Es ist deshalb nicht abwegig, dieses Mosaik mit einem analogen Speichermedium zu vergleichen, das sowohl spezielle Informationen wie z.B. zu Seitenrissen römischer Schiffe, ihrer Besegelung, Bauweise und technischen Eigenschaften, als auch Informationen zur Frage überliefert, mit welcher methodischen Vorgehensweise ein römischer Architekt den Grundriss dieser Peristyl Villa mit Reißzirkel und Lineal auf ein Reißbrett entwarf. 

Bereits in der Untersuchung Der Victorinus Code® wurde der Zusammenhang der Grundrisse von Oceanus Mosaik und Peristyl Villa mit einer Zeichnung auf Papyrus demonstriert.[Anm. 1] Die dort fehlende Dokumentation der einzelnen Kompositionsschritte wird hier nachgeholt, um die vorgelegte Analyse nachvollziehbar und überprüfbar zu machen.

0.3.2. These, Methode, Werkzeuge und Materialien

0.3.1.2.1. Thesen und Ziel

Als Thesen werden angenommen,

a.       dass der Grundriss des Mosaiks einfach und logisch über die geometrische Figur des Hexagons mit Zirkel, Lineal und Reißstift komponiert worden ist,

b.       dass sich der Grundriss der Peristyl Villa ebenfalls einfach und logisch aus dem Grundriss des Mosaiks entfalten lässt,

c.       dass sich die Formatierung des Bildprogramms des Mosaiks (z.B. der Kippwinkel bestimmter Säulen, Schiffe und der Künstlersignatur) durch „Längengrade“ messtechnisch beweisbar nur in Bezug auf die Architektur der fertiggestellten Villa (Mittelpunkt des Peristyls 57) erklären lässt.

Die vorliegende Untersuchung studiert die Kompositionstechnik des römischen Mosaizisten VICTORINUS mit dem Ziel,

a.       eine wissenschaftliche Grundlage zur Rekonstruktion der heute ausgebrochenen Fehlstellen im Oceanus Mosaik erarbeiten zu können,

b.       um damit die originale Bildfläche wiederherstellen zu können,

c.       das Bildprogramm des Mosaiks entlang der sichtbar gemachten geometrischen Grundlinien gemäß der Intention des Künstlers noch sachgerechter interpretieren zu können,

d.       die Interdependenz des Grundrisses des Mosaiks mit der Grundrisszeichnung der Villa plausibel zu machen, um das Ensemble von Villa und Mosaik in der Rekonstruktion der römischen Architekturzeichnungen als geometrisches Gesamtkonzept ansprechen zu können.

0.3.2.2.2. Methode

Grundlage ist eine durch Frau Dr. M. WITTEYER (GDKE Mainz, Direktion Archäologie) freundlicherweise zur Verfügung gestellte Bilddatei, die das Mosaik vollständig wiedergibt [Abb. 1] sowie der Grundriss der Peristyl Villa Bad Kreuznach, gezeichnet über die Architekturbefunde der Ausgrabungen vor und nach 1975.[Anm. 2]

Ausgehend von diesen Grundlagen wurde folgendes methodische Vorgehen entwickelt:

  1. Über den vergrößerten Ausdruck der vollständigen fotografischen Wiedergabe des Mosaiks wurde zunächst das Hexagon mit dem Wasserspeier als „Umbilicus“ (zentraler Messpunkt) eingemessen und mit dem Einsatzzirkel nachschaffend konstruiert, so wie hier in den Punkten 1 - 31 der Konstruktionsanalyse beschrieben.
  2. Die Analyse wurde Schritt für Schritt auf ein separates Blatt übertragen.
  3. Der Grundriss der Villa [Abb. 3] wurde aus der Handzeichnung des Mosaiks 1 - 31 entfaltet. Dabei wurde angenommen: die Südseite der Villa entspricht dem südlichen Bildrand des Mosaiks. Der Weg zur spontan intuitiven Entdeckung der Zeichnung der Apsis Rotunde 35 kann in methodischer Analytik nicht wiedergegeben werden. Die Ergebnisse wurden protokolliert.
  4. Die Prüfung der Übereinstimmung erfolgte durch Übereinanderlegen der maßstabgleich abgestimmten experimentellen Handzeichnung auf den Grundriss der Villa, wie durch die Bauaufnahme durch die GDKE dokumentiert.
  5. Zur Gegenprobe wurde der Grundriss des Stabsgebäudes (Principia) des Limeskastells Aalen über das festgestellte Architekturprinzip rekonstruiert:  Abb. 4.
  6. Das Protokoll wurde im Format von Textaufgaben zu geometrischen Zirkelkonstruktionen aufgearbeitet und unter Abschnitt 3 durch fortlaufende Nummerierung gegliedert, dann mit modernen Hilfsmitteln auf einen Zeichenkarton übertragen. Dabei geben die typgerecht geschriebenen Ziffern die Nummern der Konstruktionsanalyse, die kursiv geschriebenen dagegen die Nummern der Bauaufnahme der GDKE an. Folgende Werkzeuge und Materialien kamen zum Einsatz:

0.3.3.2.3. Werkzeuge und Materialien

  • Ein Riesenteilzirkel der Firma Faber - Castell für Kreise bis 340 mm Durchmesser
  • Ein Bogenzirkel für das Baugewerbe mit Reißnadel für Kreise zwischen 15 und 480 mm Durchmesser, die anschraubbare Reißnadel wurde durch einen Fineliner 0,4 mm ersetzt
  • Ein Bleistift HB Strichstärke der Mine 0,5 mm
  • Ein Lineal 30 cm
  • Ein Geodreieck
  • Ein Zeichenkarton 61 x 56 cm. Auf Kartonage kann der Zirkelfuß fest eingesetzt werden.

Die Diskussion, welche Materialien und Instrumente in römischer Zeit wahrscheinlich verwendet wurden, wird unter Punkt 6 geführt.

0.4.3. Protokoll der Konstruktionsanalysen

0.4.1.3.1. Die Rekonstruktion der Grundrisszeichnung des Oceanus Mosaiks

Vorüberlegungen

Diese Untersuchung geht von der Beobachtung aus, dass der Bildrand 26a der Apsis Rotunde nach Osten deutlich erkennbar nicht im rechten Winkel auf die rechteckige Bildfläche um das Brunnenhexagon aufgesetzt ist, sondern regelrecht nach außen „ausknickt“. VICTORINUS hebt diesen „Fehler“ auch noch provozierend hervor, indem er mosaizistisch kunstvoll gearbeitet, den Punkt des „Ausknickens“ des Bildrandes der Apsis wie „gestaucht“ erscheinen lässt und diese „Stauchung“ auch noch parallel verschoben im Außenrand wiederholt. (Roter Pfeil in Abb. 1, gut zu erkennen auch auf der Umschlagfotografie von Hornung, Luxus auf dem Lande).[Anm. 3]  

Abb. 1: Das Oceanus Mosaik Bad Kreuznach. Der rote Pfeil und die linke Klaue des Hypokampen zeigen auf die Stauchung des Bildrandes. Ab diesem Punkt knickt der Bildrand erkennbar nach außen aus. Hervorgehoben durch rote Linien wird auch die Spiegelachse Ost-West (= Breitengrad drei), von links nach rechts die Längengrade eins, die Mittagslinie 3 und der Längengrad vier (Position der Künstlersignatur), die sich im Mittelpunkt 57 des Peristyls schneiden. [Bild: GDKE Mainz, bearbeitet durch Carolin Krumme.]

Mit diesem, hier als „Victorinus Paradox“ bezeichneten Stilmittel, deutet der Künstler mit einem absichtlich imperfekt gestalteten sichtbaren Detail (hier der gestauchte Bildrand) auf die unsichtbare perfekte geometrische Linienführung der Kompositionsgrundlage seines Mosaiks. Die Stauchung wiederholt sich parallel versetzt im äußeren Bildrand und kann deshalb nicht mit einer konservatorischen Retusche nach verkanteter Wiedereinbettung der Mosaikscholle begründet werden. Auch durch einen „Wink“ mit der linken Klaue eines Hypokampen soll wohl provozierend unterstrichen werden, dass die wie nachgesteuert wirkende, quasi „auf geweitete“ Öffnung der Apsis-Rotunde genau dem mit dem Zirkel konstruierten Durchmesser des Brunnenhexagons entsprechen soll. Sollte VICTORINUS damit vielleicht auf einen Zusammenhang zwischen dem Kreisbogen, über den die Apsis-Rotunde konstruiert wurde, und der Kreisfläche, in die das Brunnen Hexagon komponiert wurde, hinweisen wollen? Gibt es eine geometrische Figur, die einfach und logisch diesen vermuteten Zusammenhang erklären könnte und schon in der Antike bekannt gewesen ist?

Behauptet wird, dass der vermutete Zusammenhang durch das mit dem Zirkel konstruierte Hexagon erklärt und nachgewiesen werden kann.

Der Nachweis wird in der Konstruktionsanalyse Schritt für Schritt in Form von Textaufgaben zu geometrischen Zirkelkonstruktionen geführt, die zur eigenhändigen Prüfung einladen.

Abb. 2: Rekonstruktion der römischen Architektenzeichnung für den Grundriss des Oceanus Mosaiks. Deutlich erkennbar ist das Brunnenhexagon in der Mitte. Die Ziffern beziehen sich auf die Nummern der Konstruktionsanalyse und sind zur besseren Lesbarkeit nicht in römischer, sondern arabischer Schreibweise wiedergegeben. [Bild: Walther Krumme]

  1. Es wird angenommen (vergleiche jetzt Abb. 2),
    dass der „umbilicus“ (= Nabel), der Messpunkt, von dem aus der Grundriss eingemessen werden soll, mit dem Wasserspeier des Brunnenhexagons im Mosaik identisch sei. (Da bei der verwendeten Bilddatei Abb.1 der Brunnen verzerrt wiedergegeben wird, muss die Lage des Wasserspeiers erst durch Vermessung bestimmt werden.)
  2. Setze den Zirkel ein in den „umbilicus“ 1, spanne den Radius r über eine Außenspitze des Hexagons und schlage einen Vollkreis, der das Hexagon gleichmäßig umfassen soll.
  3. Zeichne die Süd - Nord Richtung ein (vom linken Auge des Oceanus über den umbilicus weiter durch das Tor einer Markt Basilika (vgl. Abb. 1). Markiere die Himmelsrichtung N und S.
  4. Zeichne im rechten Winkel zur Linie 3 den Durchmesser des Hexagons in den Kreis 2 ein. Damit wird die Ost - West Richtung angezeigt. Verlängere die Strecke nach links und nach rechts, markiere die Himmelsrichtung O und W.
  5. Setze den Zirkel mit dem in 2 bestimmten Radius r ein in den Schnittpunkt des Kreisbogens 2 mit der Ost – West Achse 4 (Richtung Westen) und schlage einen Vollkreis.
  6. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt des Kreisbogens 2 mit der Ost – West Achse 4 (Richtung Osten) und schlage einen Vollkreis.
  7. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt des Kreisbogens 6 mit Kreisbogen 2 nach unten (= Norden) und schlage einen Vollkreis.
  8. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt des Kreisbogens 6 mit Kreisbogen 2 nach oben (= Süden) und schlage einen Vollkreis.
  9. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 2, 5 und 7 und schlage einen Vollkreis.
  10. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 2, 5 und 8 und schlage einen Vollkreis. Der Grundriss des Hexagons wird wie eine geometrisch gezeichnete Blüte erkennbar.
  11. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 5 und 9 und schlage einen Vollkreis.
  12. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 7 und 9 und schlage einen Vollkreis.
  13. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 7 und 6 und schlage einen Vollkreis.
  14. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 6 und 8 nach oben und schlage einen Vollkreis.
  15. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 8 und 10 mit Linie 3 nach oben und schlage einen Vollkreis = Apsis-Rotunde.
  16. Setze den Zirkel mit gleichem r ein in den Schnittpunkt der Kreisbögen 10 und 5 und schlage einen Vollkreis.
  17. Lege das Lineal an den Schnittpunkt der Kreisbögen 8 und 10 mit Linie 3 nach oben (= Süden) sowie an den Schnittpunkt der Kreisbögen 2, 8, 15, 16 sowie an den Schnittpunkt der Kreisbögen 2, 10, 11, 16 und 5 mit 9 und ziehe eine Linie aus.
  18. Lege das Lineal an den Schnittpunkt der Kreisbögen 8 und 10 mit Linie 3 nach oben (wie 17) sowie an den Schnittpunkt der Kreisbögen 6, 10, 14, 15 sowie an den Schnittpunkt der Kreisbögen 2, 7, 13, 14 und 6 mit 7 und ziehe eine Linie aus. Damit sind bereits 2 Sehnen S6 des Brunnenhexagons als Teilstrecken von 17 und 18 eingezeichnet.
  19. Ziehe eine Linie vom Schnittpunkt der Kreisbögen a) 2, 10, 11, 16 zum Schnittpunkt der Kreisbögen b) 2, 5, 7, 11 = S6.
  20. Ziehe eine Linie von Schnittpunkt a) 19b zum Schnittpunkt b) der Kreisbögen 2, 6, 9, 13 = S6.
  21. Ziehe eine Linie von Schnittpunkt a) 20b zum Schnittpunkt b) der Kreisbögen 2, 8, 13, 14 = S6.
  22. Ziehe eine Linie von Schnittpunkt a) 21b zum Schnittpunkt b) der Kreisbögen 2, 10, 14, 15 = S6.
  23. Ziehe eine Linie von Schnittpunkt a) 22b zum Schnittpunkt b) der Kreisbögen 2, 8, 15, 16 mit Linie 17 = S6. Diese Sehne S6 ist zugleich die Hypotenuse eines gleichseitigen Dreiecks, dessen Katheten aus Teilstrecken der Linien 17 und 18 gebildet werden. Damit ist die Konstruktion des Brunnen Hexagons abgeschlossen.
  24. Setze den Zirkel ein in den Schnittpunkt der Hypotenuse a) 23 mit Linie 3, spanne den Radius über den Schnittpunkt 22b und schlage einen Vollkreis. Dieser Vollkreis schneidet die Linien 17 und 18 nach oben. Verbinde diese Schnittpunkte = Hypotenuse b) eines weiteren verkleinerten gleichseitigen Dreieckes. Die Hypotenuse b) wird im Grundriss der Villa den Durchmesser der Apsis-Rotunde angeben.
  25. Verlängere die Hypotenuse 24 nach links und nach rechts über die Schnittpunkte mit den äußeren Kreisbögen 14 und 16 hinaus.
  26. Errichte auf der Linie 25 zwei Senkrechten, die a) den Schnittpunkt der Kreisbögen 8, 14, 15 und b) den Schnittpunkt der Kreisbögen 10, 15, 16 treffen. Es wird beobachtet: Im Mosaik ist a) dagegen deutlich sichtbar mit etwa 3,5° vom rechten Winkel abweichend, b) um 1° vom rechten Winkel abweichend. Der Halbkreis 15 nach oben und die beiden Senkrechten im Schnittpunkt mit der Linie 25 beschreiben den Grundriss der Apsis-Rotunde des Oceanus Mosaiks.
    Es wird weiter beobachtet: auf die Spitze der gleichseitigen Dreiecke 23 und 24 verortet der römische Mosaizist VICTORINUS die Stirn der Gottheit Oceanus. So mutet es an, als ob Oceanus das Hexagon wie eine Peilscheibe nutzt, um a. (1. Deutung) eine Momentaufnahme römischer Navigation darzustellen b. (2. Deutung) eine Vermessungstechnik (?) darzustellen.
    In das gleichseitige Dreieck 23 komponierte VICTORINUS den heute teilweise ausgebrochenen Riesenkrebs. Der Zirkelschlag der Apsis-Rotunde 15 beschreibt die tatsächlich als Mosaik verlegte Rotunde nur näherungsweise. Der Schnittpunkt der Kreisbögen 8, 14 und 15 ist deutlich im Mosaik herausgearbeitet (der „gestauchte“ Rahmen rechts bei Blickrichtung aus der Apsis hinaus). Hier stimmen der Kreisbogen und die künstlerische Ausführung noch zusammen, um sich dann kontinuierlich voneinander zu entfernen. Alles deutet darauf hin, dass für die Apsis („das Himmlische“) andere „Maßstäbe“ gelten als für die dem menschlichen Tun zugeordnete Bildfläche (das „Irdische“).
  27. Verbinde den Schnittpunkt der Kreisbögen 5, 11, 16 mit Linie 4 senkrecht nach unten mit dem Schnittpunkt des Kreisbogens 11 mit der Linie 17 und ziehe diese Linie nach unten weiter aus.
  28. Verlängere diese Linie 27 nach oben bis zum Schnittpunkt mit der Linie 25 = Begrenzung der Bildfläche nach Westen.
  29. Verbinde den Schnittpunkt der Kreisbögen 6, 13, 14 mit der Linie 4 senkrecht nach unten bis zum Schnittpunkt des Kreisbogens 13 mit Linie 18 und ziehe diese Linie weiter nach unten aus.
  30. Verlängere diese Linie 29 nach oben bis zum Schnittpunkt mit der Linie 25 = Begrenzung der Bildfläche nach Westen.
  31. Verbinde die Schnittpunkte a) von Linie 27 mit Linie 17 und b) von Linie 29 mit Linie 18. Diese Verbindung von a) nach b) ist die Hypotenuse eines gleichseitigen Dreiecks, die die Höhe der Position der Künstlersignatur im Mosaik wiedergibt. (Im Grundriss der Villa wird hier im Schnittpunkt mit Linie 3 der Standort angegeben werden, von dem aus mit einer hexagonalen Peilscheibe, die genau nach Süden ausgerichtet wird, die Lage des Herdfeuers und des persönlichen Sitzes des Hausherrn vor dem Gladiatorenmosaik angepeilt werden kann.)
  32. Setze den Zirkel ein in den Schnittpunkt der Sehne S6 23 mit der Linie 3 und spanne den Radius über den Schnittpunkt 22b.
  33. Mit diesem r = S6:2 setze den Zirkel ein in den Schnittpunkt des Kreisbogens 12 mit der Linie 3 nach Norden und schneide die Linie 3 nach Süden.
  34. Errichte eine Senkrechte im Schnittpunkt 33 auf der Linie 3 sowohl nach Osten als auch nach Westen, die die Linien 27 und 29 schneiden = Begrenzung des Bildrandes nach Norden.

Damit ist der Grundriss des Mosaiks umrissen.

0.4.2.3.2. Die Rekonstruktion der Grundrisszeichnung der Peristyl Villa

Abb. 3a: Teilweise Rekonstruktion der römischen Architektenzeichnung für den Grundriss der Peristyl Villa Bad Kreuznach über den mit Bleistift gezeichneten Grundriss des Oceanus Mosaiks. [Bild: Walther Krumme]
Abb. 3b: Rekonstruktion des Grundrisses des Herdfeuers in der Küche 18 und der quadratischen Brunnenstube des Laufbrunnens mit den Messpunkten 1-3. Gemäß der Baufaufnahme müsste der Radius des kreisrunden Herdes dem des Brunnenhexagons entsprechen. [Bild: Walther Krumme]

Nach eingehender Untersuchung der Architekturbefunde vor und nach 1975 wird zunächst beobachtet: (Die kursiv geschriebenen Zahlen beziehen sich auf die Grundrisszeichnung der GDKE, Direktion Archäologie, Mainz.)

a.       Die ganze Anlage ist mit der Anmutung einer Spiegelsymmetrie über die Mittagslinie komponiert, deren Abweichung von ca. 2,5° nach Westen noch nicht erklärt werden kann.

b.       Es wird ein wiederkehrendes Maß in der Grundrisszeichnung (z.B. der Küchenwände 18 und der Längswände des Kühlhauses o. Nr. usw.) beobachtet: eine Strecke, die der Hälfte der Sehne S6 des konstitutiven Brunnenhexagons in der Grundrisszeichnung entspricht, vgl. 38.

c.       Die Altäre im Garten 30a nach Osten hin geben wie Peilmarken Fluchtlinien der Vermessung an: zwei Altäre sind genau parallel zur Flucht der Mauern in S – N Richtung gesetzt, über zwei weitere kann wie über Kimme und Korn die Flucht der Hauptfassade von Osten nach Westen visiert werden. Es mutet an wie ein sakral überhöhter Messpunkt.

Zum Nachweis der Interdependenz der Grundrisse des Mosaiks und der Villa wird der Schwerpunkt der Analyse auf den Südtrakt der Villa mit der Apsis in der Mitte, den Osttrakt mit Außengarten 30a, die Fassade mit Kryptoportikus nach Norden und den Innenhof (Peristyl) mit Portikus gelegt. Mit dieser hauptsächlich linksseitigen Analyse (Blickrichtung vom Kryptoportikus nach Süden) lässt sich die Interdependenz der Grundrisse von Mosaik und Villa hinreichend nachweisen. Deshalb erhebt die Rekonstruktion, auch aus Gründen der Übersichtlichkeit, keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Der intuitiv entdeckte Zirkelschlag 35 weckte die Frage, ob mit ihm das Rund der Apsis im Grundriss der Villa abgebildet worden sein könnte. Könnte es sein, dass dieser Zirkelschlag in Verbindung mit dem Bildrand 25 des Mosaiks den südlichen Mauerzug der Villa mit der Apsis abbildet? Die Übereinstimmung spontan gezogener Linien mit dem tatsächlichen Grundriss setzte das Forschen nach der Interdependenz von Mosaik- und Villengrundriss in Gang:  

35.       Setze den Zirkel ein in den Schnittpunkt der Hypotenuse 24 b mit der Linie 3, spanne den Radius r über den Schnittpunkt der Linie 25 mit der Linie 18 und schlage einen Halbkreis nach oben = Rotunde der Apsis. Die Linie 25, südlicher Rand des Mosaiks, wird damit zur Südwand des Grundrisses der Villa und Basislinie der Planung.

In einem ersten Planungsschritt werden jetzt die geometrisch definierten Perspektiven über den großen Innenhof (Peristyl) planerisch rekonstruiert, die die Aufteilung der Räume über der Basislinie strukturieren:

Der Schnittpunkt der Kreisbögen 7 und 9 mit der Linie 3 nach Norden bezeichnet im Grundriss die nördliche Begrenzung des Peristyls 55. Wenn der Hausherr der Villa zunächst über die große Freitreppe 40, sodann durch den Nord Trakt der Villa geschritten war, eröffneten sich ihm von dieser Stelle aus geometrisch definierte Perspektiven über den großen Innenhof: Genau nach Süden stand die Sonne zur Mittagsstunde im Zenit über dem Dach der Apsis. Um 30° abgewinkelt nach Osten brannte das Herdfeuer in der Küche, um 30° abgewinkelt nach Westen befand sich der Platz des Hausherrn vor dem Gladiatorenmosaik. Ob sich diese Perspektiven auch in der gärtnerischen Gestaltung des Peristyls niederschlugen, lässt sich nicht mehr beantworten.

36.       Ziehe eine Linie vom Schnittpunkt a) der Kreisbögen 7 und 9 (Norden) mit der Mittagslinie 3, weiter nach Süden über den Schnittpunkt b) der Kreisbögen 8, 13, 14 mit der Ost – West Linie 4 und verlängere sie bis zum Schnittpunkt mit der Linie 25. Dieser Schnittpunkt bezeichnet genau den Messpunkt 1 des Herdfeuers (vgl. Abb. 3b) in der Küche 18, deren Grundriss wiederum als perfektes Quadrat mit dem Maß (S6:2) [vgl. 38] konstruiert wird.

37.       Ziehe eine Linie ausgehend vom Schnittpunkt der Kreisbögen 7 und 9 (Norden) mit der Mittagslinie 3, weiter nach Süden über den Schnittpunkt der Kreisbögen 2, 9, 11, 16 und schneide Linie 25 nach oben. Dieser Schnittpunkt bezeichnet die Verbindung von Privatsitz des Hausherrn mit dem Gladiatorenmosaik 1, weiter nach oben gezogen wird die private Kammer A 2 geschnitten. Damit ist die Rekonstruktion der geometrischen Perspektiven abgeschlossen.

Die Bestimmung einer Maß Konstante:
38.       Setze den Zirkel ein in den Schnittpunkt der Sehne S6 23 mit der Linie 3 und spanne den Radius r aus über den Schnittpunkt 22b. Damit ist r = (S6: 2). Dieses Maß wird sich im Grundriss der Villa als Konstante wiederholen und wird im Folgenden nur noch r genannt.

Die Planung des Südtraktes:
39.       Setze den Zirkel mit r ein in den Schnittpunkt 36 (mit der Linie 25) und überschlage den Zirkel dreimal auf der Linie 25 nach Westen = Ansatz der Apsis Rotunde nach Osten.

40.       Setze den Zirkel ein mit r in den Schnittpunkt 37 (mit der Linie 25, Sitz des Hausherrn) und überschlage den Zirkel dreimal auf der Linie 25 nach Osten = Ansatz der Apsis Rotunde nach Westen

41.       Setze den Zirkel mit r ein in den Schnittpunkt 36 und schneide die Linie 25 nach Westen = hier unterquert der Abwasserkanal die Außenmauer und die Westwände der Kammern 16 und 17 werden markiert.

42.       Setze den Zirkel mit r ein in den Schnittpunkt 36 und schneide die Linie 25 nach Osten = die Ostwand der Küche, zugleich Abschluss des Südtraktes nach Osten, wird markiert. (Dieser Zirkelschlag trifft auch genau einen Messpunkt der Bauaufnahme von 1975).

43.       Errichte eine Senkrechte auf den Schnittpunkt 42 nach unten (Norden).

44.       Setze den Zirkel mit r ein in den Schnittpunkt 42 und schneide die Senkrechte 43.

45.       Errichte eine Senkrechte auf dem Schnittpunkt 44 sowohl nach Osten wie nach Westen. Diese Senkrechte gibt die Lage der nördlichen Fassade des Südtraktes an und die Abgrenzung der Räume 1, 3, 4, 6, 7, 10, 12, 14, 15, 15, 16 18 zum Portikus. Die Nord West Ecke des Kühlhauses (o. Nr.) ist auf diese Senkrechte aufgesetzt, dessen Längswände sind über das konstante Maß r eingemessen.

Die Planung des Osttraktes:
46.       Setze den Zirkel mit r ein in den Schnittpunkt 42 und schneide die Linie 25 nach Osten = Südostecke des rechteckigen Laufbrunnens in Areal 18a. In der Rekonstruktion des Grundrisses des Laufbrunnens Abb. 3b entspricht das dem Messpunkt 3.

47.       In der Rekonstruktion des Grundrisses des Laufbrunnens Abb. 3b entspricht der Messpunkt 2 genau dem Eintritt der Frischwasserleitung in das quadratische Brunnenbecken. Übertrage diesen Messpunkt gemäß Bauaufnahme in die Rekonstruktionszeichnung.

48.       Errichte auf Messpunkt 47 eine Senkrechte nach unten bis zum Schnittpunkt mit der Linie 18 = östliche Außenmauer der Villa.

49.       Errichte auf dem Schnittpunkt 42 (Messpunkt der Bauaufnahme) eine Senkrechte nach unten = Flucht, die die Westwände der Kammern 20, 24, 28, 29, 32 - 35 begrenzt.

Die Planung des Innenhofes (Peristyl), der unterirdischen Stützmauer und des Portikus:
50.       Setze den Zirkel mit r ein in 1 und schlage einen Vollkreis, schneide die Linie 3 (auf die der Wasserabfluss des Brunnenhexagons im Mosaik verlegt ist) nach oben (Süden).

51.       Errichte eine Senkrechte auf den Schnittpunkt 50 sowohl nach Osten wie nach Westen = südliche Begrenzungsmauer des Peristyls.

52.       Setze den Zirkel mit r ein in den Schnittpunkt 50 und überschlage den Zirkel auf der Senkrechten 51 dreimal nach Osten = Süd Ost Ecke des Peristyls.

53.       Lege eine Tangente parallel verschoben zu S6 20 an den nördlichen Rand der Kreisbögen 2, 5, 6 = Lage der massiven Stützmauer, die  unterirdisch  quer durch den Innenhof verläuft. Ziehe diese Sehne S6  nach links aus bis zum Schnittpunkt mit der Senkrechten 48 = Südseite der Kammern 29, 30, Nordseite der repräsentativen Räume 27, 28.

54.       Ziehe die Tangente 53 nach rechts aus bis zum Schnittpunkt mit Linie 17 = Begrenzung der Stützmauer nach Westen.

55.       Errichte eine Senkrechte auf den Schnittpunkt der Kreisbögen 7 und 9 mit Linie 3 sowohl nach Osten als auch nach Westen = nördlicher Abschluss des Peristyls.

56.       Errichte eine Senkrechte nach unten (Norden) auf dem Schnittpunkt 52 = östliche Begrenzung des Peristyls.

57.       Rekonstruiere jetzt den Innenhof über die Spiegelachse 3 vollständig und bestimme dessen Mittelpunkt.

58.       Errichte eine Senkrechte nach unten (Norden) auf dem Messpunkt 3 der Rekonstruktion des kreisrunden Herdes (Abb. 3b) = Begrenzung des Portikus nach Osten, zugleich ist diese Flucht konstitutiv für die Westwände der Kammern 20, 22, 24, 28, 29, 32, 33, 34, 35. Das lichte Maß zwischen den Senkrechten 56 und 58 gibt die Breite des Portikus an, die jetzt umlaufend um den Innenhof eingezeichnet werden kann.

59.       Errichte eine Senkrechte auf den Schnittpunkt des Kreisbogens 12 mit der Linie 3 (nach Norden) sowohl nach Osten als auch nach Westen = Innenseite der Nordfassade der Villa, d.h. zwischen diesem Schnittpunkt und Schnittpunkt 36a und wird der gesamte Nordtrakt der Villa der Breite nach eingemessen.

60.       Verschiebe die Linie 59 (Nordfassade) parallel durch den Schnittpunkt der Linien 18 und 48 = Kryptoportikus.

61.       Der Rückbezug der Architektur der Villa zum Mosaik wird durch vier Radialstrahlen hergestellt, die wie „Längengrade“ vom Mittelpunkt des Peristyls 57 ausgehen.[Anm. 4] Mit 5° Abweichung zur Mittagslinie 3 ist hier Längengrad 1 eingezeichnet, der den Neigungswinkel des Seeruderschiffes angibt (vgl. Abb.1). Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist nur dieser eine Längengrad eingezeichnet. Erst als diese vier Längengrade auf die Mosaikfläche eingemessen worden waren, konnte auf der durch „Längen- und Breitengrade“ unterteilten Grundfläche mit der Komposition seines Bildprogrammes begonnen werden. Die Parallele zur Zeichnung einer trapezförmigen Land- oder Seekarte liegt auf der Hand. Ist ein weiteres römisches Mosaik bekannt, das auf diese Weise komponiert worden ist?

0.4.3.3.3. Die Gegenprobe: Die Rekonstruktion der römischen Grundrisszeichnung der Principia des Limeskastells Aalen

Die aus den Analysen des Oceanus Mosaiks und seiner Peristyl Villa gewonnenen Erkenntnisse werden zur Prüfung auf den archäologisch erforschten Grundriss der Principia des Kastells Aalen übertragen. Einfach und logisch lässt sich das Prinzip der römischen Grundrisszeichnung dieser Principia über das Zirkel konstruierte Hexagon, Definition einer Basislinie mit Apsis, auf diese Basis aufgesetzte Senkrechten, die Maßkonstante (S6:2) und gleichseitige Dreiecke (z.B. Visierlinien 17 und 18; 36 und 37) rekonstruieren. Die Hypotenuse definiert die maximale Ausdehnung des Gebäudes der Länge nach.

Abb. 4: Das rekonstruierte Konstruktionsprinzip des Grundrisses der Principia des Reiterkastells Aalen. Die arabischen Ziffern zeigen einige wesentliche Übereinstimmungen mit dem Grundriss des Oceanus Mosaiks und der Peristyl Villa Bad Kreuznach auf. [Bild: Walther Krumme]

0.5.4. Ergebnisse der Kompositionsanalysen

Aus dem Oceanus Mosaik kann das methodische Vorgehen eines römischen Architekten beim Aufriss der Grundrisszeichnung sowohl für das Oceanus Mosaik als auch für die Peristyl Villa Bad Kreuznach erschlossen werden. Nachgewiesen werden kann, dass

a.       sich der Grundriss des Oceanus Mosaiks einfach und logisch aus der geometrischen Figur seines zentralen Brunnen Hexagons konstruieren lässt,

b.       der Grundriss der Peristyl Villa wiederum aus dem Grundriss seines Oceanus Mosaiks entfaltet werden kann,

c.       eine halbierte Sehne S6 des konstitutiven Brunnen Hexagons als ein immer wiederkehrendes Maß der Grundrisszeichnung der Villa erscheint.

d.       Die Grundrisse des Mosaiks und der Villa sind interdependent sowohl durch die geometrische Konzeption als auch durch die Strukturierung des Mosaiks durch „Längengrade“, die sich im Mittelpunkt des Peristyls schneiden. (Im Mittelpunkt des Peristyls der Principia von Aalen findet sich bis heute eine Fundamentpackung, offensichtlich war auch hier der Mittelpunkt hervorgehoben und bedeutsam). Das Phänomen der „Längengrade“ im Mosaik sind demnach auch sichtbare Spuren eines römischen Vermessungsaktes. Zusammen mit den „Breitengraden“ (ausgezogenen Sehnen S6) bilden sie das trapezförmige „Grundraster“, auf das VICTORINUS die Landmassen und bildliche Darstellungen des Mosaiks aufgelegt hat.

e.       Deshalb ist es möglich, die römischen Architektenzeichnungen für den Grundriss des Mosaiks und der Peristyl Villa Schritt für Schritt als Riss mit Reißzirkel, Reißstift und Lineal auf einem gewachsten Reißbrett als Rekonstruktionsversuch vorzulegen. (Aus technischen Gründen ist hier das Reißbrett durch Zeichenkarton, der Reißstift durch einen Fineliner ersetzt worden). Dabei wird angenommen,  dass diese geometrische Gesamtkonzeption aus einer Hand stammt.

f.        Die Gegenprobe einer Rekonstruktion der Grundrisszeichnung der Principia des Limeskastells Aalen bestätigt die analysierten Konstruktionsschritte.

0.6.5. Die Rekonstruktion der Kompositionsschritte der Bildoberfläche des Oceanus Mosaiks

Durch die bisher vorgelegten Analysen kann auch die methodische Reihenfolge der Einmessung der Kompositionslinien und Bildinseln in die Bildfläche des Mosaiks durch VICTORINUS rekonstruiert werden. (Dieser Rekonstruktionsversuch ist noch nicht vollständig abgeschlossen).

Zunächst bestimmte der Künstler den genauen Mittelpunkt des Brunnenhexagons als „Urmesspunkt“  (umbilicus = Nabel) für Villengrundriss und Mosaik. Darüber zog er, vielleicht mit der Sonnenuhr bestimmt, die Mittagslinie. Im rechten Winkel dazu, den Urmesspunkt schneidend, eine Linie von Ost nach West. Über das daraus gebildete „Grundkreuz“, das die Himmelsrichtungen genau bestimmt, wurde das Brunnenhexagon gezirkelt (vgl. Abb. 2). Daraus entfaltet sich der Grundriss des Mosaiks, der wiederum Informationen (z.B. das wiederkehrende Maß (S6:2)) zum Entwurf des Villengrundrisses enthält. Vom Mittelpunkt des real ausgemessenen Gartens (Peristyl) der Villa wurden im Rückbezug Messschnüre Richtung Apsis über die Grundfläche des Mosaiks gespannt, die wie Radialstrahlen die Kippwinkel einiger provozierenden Schiefstände (z.B. Seeruderschiff, Künstlersignatur, Säulen) angeben. Zwei Sehnen S6 und der Durchmesser des Hexagons, die in Ost-West Richtung liegen, wurden als „Breitengrade“ ausgezogen. Auf dieses „Raster“ aus „Längen- und Breitengraden“ wurden die Landmassen des Mosaiks aufgelegt. In dieses Raster mit der Anmutung einer trapezförmigen Karte wurde die Bildinsel Kunsthafen durch den „Vermessungsakt“ einer winkeltreuen quadratischen Limitation in harter Dissonanz zur Vermessungstechnik in Kegelprojektion komponiert. Über drei Sehnen des konstitutiven Brunnenhexagons wurde sodann ein großes gleichseitiges Dreieck ausgezogen, dessen Spitze nach Süden die Position der Stirn des Oceanus anzeigt. (Die Spitze nach Osten zeigt heute an, dass sich die Mosaikoberfläche hier nicht mehr im Originalzustand befinden kann.) Entlang den Katheten dieses Dreiecks lässt VICTORINUS den Oceanus wie einen Steuermann, der gerade eine Kreuzpeilung durchführt, auf natürliche und künstliche Landmarken visieren.

Auf die so vorstrukturierte Fläche wurden die Pentagone der Großschiffe so eingemessen, dass

a.       ihre Masten in der Höhe durch den Breitengrad drei begrenzt (vgl. Abb. 1),

b.       die Neigung des Seeruderschiffes durch Längengrad eins (vgl. 60 und Abb.1, 3a), die Position des Segelbootes durch die Spiegelachse der Bildinsel Kunsthafen definiert werden,

c.       eine ausgezogene Linie vom rechten Auge des Steuermannes des Seeruderschiffes über die Daumenspitze seiner rechten Hand und weiter über das Auge des Hypokampen den Konstruktionspunkt O des Segelbootes genau trifft . (Dieser Befund ist die Grundlage der These, dass das Mosaik eine Momentaufnahme römischer Navigation auf See wiedergeben könnte.)

Wie hochelitär das Mosaik konzipiert und verlegt worden ist, zeigt auch der Umstand, dass der Zirkelschlag, mit dem die Sehne S5 der drei bisher festgestellten Pentagone konstruiert wird, immer zur Spiegelachse Süd-Nord des Mosaiks hin ausgezogen wird.

0.7.6. Diskussion

  1. Der vorgelegte Rekonstruktionsversuch beschränkt sich ganz auf die geometrische Analyse und das Experiment. Die Diskussion der Ergebnisse mit der literarischen Überlieferung aus römischer Zeit zum Thema und der bisher vorgelegten Forschungsliteratur steht noch aus.
  2. Die Abweichung der Spiegelachse des Grundrisses von der idealen Mittagslinie um ca. 2,5° nach Westen kann noch nicht erklärt werden.
  3. Gegen die in „Der Victorinus Code Teil 1“ geäußerte Annahme der Verwendung eines Einsatzzirkels auf Papyrus spricht die Präzision der festgestellten Zirkelüberschläge (z.B. 39, 40, 54). Die Verwendung eines Reißzirkels, dessen Fuß auch als Reißstift verwendet werden kann, auf einem Reißbrett mit in Wachs polierter Oberfläche erscheint deshalb wahrscheinlicher als die Annahme einer Zeichnung mit Einsatzzirkel auf Papyrus.
  4. In Der Victorinus Code Teil 4 wurde die Einzigartigkeit des Oceanus Mosaiks damit begründet, dass „alle dem Verfasser bekannten römischen Mosaike ... ausschließlich interne Messbezüge (haben), das Bildprogramm des Oceanus Mosaik jedoch auch extern durch den Garten(!)mittelpunkt der Peristyl Villa strukturiert wird.“ Diese Argumentation ist nicht präzise genug formuliert worden. Falls ein Mosaik nur interne Messbezüge haben sollte, könnte es keine dreidimensional gestalteten Motive darstellen, da ja die Fluchtpunkte der Zentralperspektive der Motive außerhalb der zweidimensionalen Fläche des Mosaiks liegen könnten. Deshalb muss es präziser heißen: Existiert neben dem Oceanus Mosaik Bad Kreuznach ein weiteres römisches Mosaik, aus dessen Grundriss auch der Grundriss seiner Villa abgeleitet werden kann und deren Garten(!)Mittelpunkt im Rückbezug die Ausrichtung verschiedener Motive des Mosaiks (z.B. Kippwinkel von Säulen, Seeruderschiff und Künstlersignatur) bestimmt?
  5. Die Position der Künstlersignatur im Mosaik wird auch durch die Hypotenuse eines gleichseitigen Dreiecks bestimmt, dessen Katheten auf Sehnen S6 des Brunnenhexagons aufliegen. Der Schlusspunkt hinter FEC ist genau auf diese Hypotenuse aufgelegt. Entlang der Katheten dieses gleichseitigen Dreiecks navigiert der Steuermann Oceanus wie über eine hexagonale Peilscheibe auf natürliche und künstliche Landmarken. Der auffällige Kippwinkel der Signatur zur Hypotenuse des o.g. Dreiecks wiederum wird genau durch den „Längengrad 4“ (vgl. Abb. 1), der im Gartenmittelpunkt 57 fluchtet, definiert. Dieser „Längengrad“ ist auch eine Konstruktionsachse des Seitenporträts: mit seinem Kopf und dem Buchstaben T seiner Berufsbezeichnung steht VICTORINUS damit sowohl in direkter Beziehung zur Grundrisszeichnung der Villa als auch, mit seinem autonomen „Kopf Maß“ einen Uferabschnitt formatierend, in Beziehung zum Bildprogramm des Mosaiks. VICTORINUS verortet sich so persönlich mit seinem Porträt sowohl in das Mosaik als auch in die Grundrisszeichnung der Villa. Vermutet wird deshalb, dass es im rheinhessischen römischen Großraum Mainz mit seiner verdichteten Villenlandschaft Bauhütten verschiedenster Kunstgewerke gab, die als Geschäftsmodell bautechnische und künstlerische Leistungen „von höchster Qualität“ (wohl speziell für Palastvillen) zur Realisierung von „Luxus auf dem Lande“ anbieten konnten. Die offensichtliche Verarbeitung und Realisierung exclusiver Vorlagen der Auftraggeber setzte Bildung und Können voraus, um deren Streben nach Selbstdarstellung, Prestige und Repräsentation zur Festigung ihres Status zu befriedigen. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, können die wenigen Zeilen, die uns Plinius und Vitruv zu römischen Mosaizisten überliefern, nicht das ganze Kompetenzspektrum dieser rheinhessischen(?) römischen Elite-Bauhütte um VICTORINUS abbilden.
  6. Die Frage, ob VICTORINUS als Künstler oder als Handwerker, wie die TESSELARII im römischen Reich wohl gemeinhin bezeichnet wurden, einzuordnen ist, steht weiter zur Diskussion. Der Verfasser neigt zur Einordnung als Künstler, da
  • die über einen geometrischen Code konstruierte Signatur mit nicht idealisiertem, naturalistischem Selbstporträt und Namenszug von hohem autonomen Selbstbewusstsein zeugt,
  • das festgestellte Stilmittel „Victorinus Paradox“ diese Autonomie unterstreicht,
  • die Umarbeitung von vermuteten Vorlagen perspektivischer mediterraner Landschaftsmalerei und zweidimensionalen Kartensymbolen(?) in Collagetechnik über eine Mittelachse von kreativer künstlerischer Freiheit zeugt,
  • die Spannung zwischen „abgebildeten“, meisterhaft wiedergegebenen Fischern in zwei kleinen Nachen (sehr wahrscheinlich) die rheinhessische(?) römische Elite-Bauhütte mit ihrem Meister VICTORINUS, und „konstruierten“ Matrosen („Comic“) im Segelboot den Korridor handwerklich nachschaffender Tätigkeit sprengt.

      7. VICTORINUS „diskutiert“ offensichtlich in der Rumpfbemalung des Segelbootes selbst den Unterschied von nachschaffendem Handwerk und hochelitärem, schöpferischem Kunst-Handwerk: Den über einen geometrischen Code konstruierten und praktisch ohne Messtoleranz ausgeführten Zirkelschlag 72 (Der Victorinus Code Teil 5) kontrastiert er mit dem auf dieses Kreisbogensegment aufgelegten unregelmäßigen, an und abschwellenden, wie aus der freien Hand gezogenen Pinselstrich eines römischen Werftarbeiters.
      8. Die Interdependenz der Grundrisse von Mosaik und Villa wird hier zurückhaltend als „geometrisches Gesamtkonzept“ beurteilt. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um von einem „geometrischen Gesamtkunstwerk“ zu sprechen? In diesem Zusammenhang wird auf ein „Fragment einer Schirmkuppel über der Apsis von Raum 10“ verwiesen.[Anm. 5] „Dieser ist mit einem rot-braunen Streifen bemalt, dem auf der einen Seite ein grüner Strich mit stilisierten Lilienblüten folgt. Demnach hat man sich die Apsis des Raumes mit einer in Stuck ausgeführten weißgrundigen halben Schirmkuppel vorzustellen.“[Anm. 6] Es wird angeregt, dieses Fragment unter folgenden Fragestellungen zu untersuchen:

  • Welcher Radius der Kuppel kann aus dem Kreisbogenfragment ermittelt werden?
  • Stimmt dieser Radius evtl. mit dem Radius des Brunnenhexagons überein?
  • Welche anderen Maße lassen sich aus der rekonstruierten „halben Schirmkuppel“ noch erheben?
  • Sind diese Maße mit konstitutiven Maßen des Mosaiks (z.B. S6) kompatibel?
  • Setzt sich in dieser exakten Malerei (Bestimmung der Messtoleranzen) die Präzision der Verlege Technik des Mosaiks fort?

Der Verfasser meint, die römische Palastvilla in Bad Kreuznach als „geometrisch definiertes Gesamtkunstwerk“ einer rheinhessischen(?) römischen Künstlerelite aus dem Großraum Mainz ansprechen zu können.[Anm. 7] 

0.8.7. Fazit

Aus den Informationen, die das Oceanus Mosaik und der daraus erschlossene Grundriss seiner Villa wie ein „analoges Speichermedium“ aus der späten römischen Kaiserzeit übermittelt, kann ein Traktat zur römischen Architektur und Messkunst in Umrissen rekonstruiert werden.

Die Peilstrahlen, die der „schielende“ Oceanus wie ein Schiffssteuermann auf die Himmelsrichtung, natürliche und künstliche Peilmarken richtet (Victorinus Code Teil 4, Abb.5) sind gleichzeitig die Visierlinien 3 und 18 des römischen Vermessungstechnikers Oceanus, der die Ausrichtung des Gebäudes über die Himmelsrichtungen einmisst und über die Katheten und die Hypotenuse eines gleichseitigen Dreiecks die maximale Ausdehnung des Gebäudes der Breite und der Länge nach bestimmt. Der Beweis konnte mit Abb. 4 geführt werden.
Das Oceanus Mosaik wäre demnach nicht nur eine in Stein gelegte Momentaufnahme mutmaßlich römischer Navigation zur See, sondern auch eine Momentaufnahme römischer Vermessungstechnik zu Lande.

Verfasser: Walther Krumme

Red. Bearb.: Lutz Luckhaupt

Erstellt am: 06.08.2021

Anmerkungen:

  1. Krumme, Walther: Der Victorinus-Code Teil 1: Konstruktionsanalyse der Künstlersignatur im Oceanus-Mosaik in Bad Kreuznach. Zurück
  2. Hornung, S. (2011). Luxus auf dem Lande. Die Römische Palastvilla von Bad Kreuznach. Hrsg.: Angela Nestler-Zapp. Bad Kreuznach  Museen im Rittergut Bangert, S. 26f. Zurück
  3. Hornung, Umschlagfotografie, s.u. dem Buchstaben L (ANDE). Zurück
  4. Victorinus-Code, Teil 4, Abb. 3. Zurück
  5. Hornung, S. (2011). Luxus auf dem Lande. Die Römische Palastvilla von Bad Kreuznach. Hrsg.: Angela Nestler-Zapp. Bad Kreuznach Museen im Rittergut Bangert, S. 103 und 104, Abb. 56. Zurück
  6. Ebd. Zurück
  7. Hornung, S. (2011). Luxus auf dem Lande. Die Römische Palastvilla von Bad Kreuznach. Hrsg.: Angela Nestler-Zapp. Bad Kreuznach  Museen im Rittergut Bangert, S. 92 - 112. Zurück