Hachenburg im Westerwald

Die Pest in Hachenburg

von Volker Ecker

Die Seuche war in Asien ausgebrochen und hatte sich Europa mit einem Tempo von ca. 6 km pro Tag genähert. Sie erreichte das Reich 1347/48 und raffte bis 1350 etwa ein Drittel der Bevölkerung hin. Der "Schwarze Tod" hielt auch in Hachenburg Einzug, wo von etwa 600 Einwohnern wahrscheinlich 200 starben. Als Reaktion auf diese Seuche ereignete sich auch in Hachenburg ein Pogrom an den hier ansässigen Juden, die daraufhin für 300 Jahre fast gänzlich aus dem Stadtleben verschwanden.
Die nächste heftige Epidemie suchte die Stadt 1469 heim. Da damals mehrere Häuser in der Stadt leer standen, scheint es etliche Opfer gegeben zu haben. Man rechnet mit ca. 300 Personen (30 % der Gesamtbevölkerung), die damals ihr Leben ließen. Im Jahr 1530 scheinen ebenfalls ca. 200 Hachenburger einer Seuche erlegen zu sein. Im Jahr 1568 tobte die Seuche in Altstadt und im Hatterter Grund. In Altstadt starben innerhalb kürzester Zeit 48 Menschen, in Hattert über hundert, darunter auch Pfarrer Gerhard Breuer. Ganze Familien wurden binnen damals vollkommen ausgelöscht.[Anm. 1] Während der Pest 1580 sollen 200 Hachenburger umgekommen sein.
Die Personen geistlichen Standes erlitten im Verhältnis zu den anderen die höchsten Verluste.[Anm. 2] Der beliebte Superintendent Reinhard Susenbeth, der 1605 die calvinistische Reformation in Hachenburg eingeführt hatte, starb im Pestjahr 1612 mit all seinen Kindern. Damals ließen 190 von 984 Einwohnern, besonders häufig Kinder, ihr Leben.
In den Jahren 1625-1630 kamen 158 Personen während Seuchen um.
Im Jahr 1636 wurden 251 Hachenburger und 160 auswärtige Flüchtlinge Opfer der Epidemie und mussten auf dem Erbenfeld beerdigt werden. Zu diesem Pestfriedhof gelangte man, wenn man am beim Steinernen Kreuz vorbei, zu dem kleinen Stauweiher geht. Der Platz befand sich dann rechter Hand in der heutigen Flur „Untere Selbach“, etwa 2,5 km von Hachenburg entfernt. Wenn möglich, wurden die Toten in einfachen Brettersärgen bestattet, zuweilen musste auch eine Strohgarbe genügen. Es waren keine regulären Totengräber, die die Karren mit den bis zu 5 Leichnamen zum Friedhof zogen, sondern Angehörige, die das traurige Geschäft bei Nacht und Nebel erledigen mussten.
Die Stadt ergriff präventive Maßnahmen. Der Stadtgraben wurden von Kleidungsstücken der an der Pest Verstorbenen gereinigt, die man dort einfach entsorgte hatte. Der Henker Philipp Schlemmer (Schlamann), zugleich Wasenmeister, musste auf Befehl des Grafen die Strassen ausräuchern, um den "Pesthauch" zu vertreiben. Die Häute verstorbenen Viehs und den Tal nahmen die Gerber und Seifensieder ab und verschafften dem Wasenmeister damit einen beachtlichen Gewinn. Die guten Geschäftsbeziehungen führten dazu, dass die Gerber häufig Patenschaften für Kinder der Wasenmeister übernahmen. Umgekehrt war der Beruf des Wasenmeisters so wenig angesehen, dass niemand auf die Idee kam, einen "Schinder" zum Paten der eigenen Kinder zu machen. Auch Wasenmeister Schlemmer war vor Unheil nicht gefeit. Ihm starben 1613 zwei Kinder und ein Knecht. 1618 verließ er die Stadt.
Trotz der immensen Ansteckungsgefahr gab es durchaus gezielte Pflegemaßnahmen, da die Menschen offensichtlich wussten, dass sie nach überstandener Infektion eine Zeitlang resistent waren. Die Familie Peter Schneiders war 1612 selbst von der Seuche betroffen gewesen. Doch 1623 bekam Peter Schneider für gewisse Handreichungen an Erkrankten zwei Gulden aus der Stadtkasse. Er scheint keine Angst vor Ansteckung gehabt zu haben. Der Wundarzt Hermann König wurde 1612 von der Seuche dahingerafft.
Ähnlich lag der Fall wohl bei Martin Meurer, der 1626 der Stadt seine Lohmühle als Quarantänestation verpachtete. Seine Frau war am 23. Oktober 1625, seine Tochter Anna Ottilia am 18. November an der Seuche gestorben. Er selbst schien nach überstandener Krankheit immun gewesen zu sein.
Dem erkrankten Kuhhirten Gotthard gab die Stadt 1625 während seiner Krankheit Wein, Brot und Butter. In diesen vier Wochen genas er wieder, während drei seiner Kinder starben. Die Hirten zählten zu dem besonders gefährdeten Personenkreis. Dies hing unmittelbar mit der Infektionskette zusammen: Ein infizierter Floh (Xenopsylla Cheops) gab den Erreger über einen Biss an eine Ratte weiter. Dann wurde die Hausratte befallen, die ihren Lebensraum mit den Menschen teilte. War die Rattenpopulation tot, suchte sich der Floh einen neuen Wirt, entweder Haustiere oder aber Menschen. Deshalb ging einer Epidemie regelmäßig ein massives Tiersterben voraus, womit die hohe Krankheitsanfälligkeit der Hirten zu erklären ist. Es ist sehr wahrscheinlich, dass den Zeitgenossen der Zusammenhang zwischen Rattenpopulation und Epidemie bewusst war. Als 1625 in Hachenburg ein Viehsterben aufkam, wusste man aus den Erfahrungen des Jahres 1612, was auf die Stadt zukam. Man holte am 21. Juli einen Rattenfänger, dem man 10 Gulden versprach. Für die Vernichtung eines einfachen Vorratsschädlings hätte man niemals eine solche Summe aufgewendet. Der Betrag zeigt aber auch, dass man einen Spezialisten herbeigeholt hatte, der genau wusste, wie man der Plage beikommen konnte. Der Rattenfänger bediente sich wahrscheinlich folgender Methode: zunächst machte der Mann die Schlumpfwinkel der Ratten aus und fing mit Fallen so viele Tiere wie möglich. Hatte er 30-40 Tiere eingesammelt, verbrühte er in einem Viertel der Stadt einen Teil langsam zu Tode. Das Geschrei der gemarterten Kreaturen erzeugte bei den Artgenossen hochgradigen Stress. Die Panik wurde noch durch hochfrequentes Pfeifenspiel gesteigert. Die Population flüchtete in das nächstgelegene Gebiet einer anderen Rotte. Dadurch entstand dort eine Überpopulation. In diesem Szenario veranstaltete der Rattenfänger nun erneut sein unbarmherziges Feuerwerk. Unter den Ratten brach Panik aus. Sie flüchteten aus der Stadt. Im Jahr 1625 hatte man mit der beschriebenen Methode offensichtlich wenig Erfolg, da die Krankheit bereits auf die Viehbestände übergegriffen hatte.
Nach dem schlimmen Jahr 1636 ist die Pest in der Grafschaft Sayn nicht mehr aufgetreten. Das schnelle Verschwinden ist wahrscheinlich auf einen anderen, für den Menschen unschädlichen Erreger, zurückzuführen, der bei einmaligem Befall eine lebenslange Resistenz verursachte (Helmut Priewer). Der durch die Seuche verursachte Bevölkerungsverlust war um 1670 bereits wieder ausgeglichen.

Anmerkungen:

  1. HHStAW Abt. 340 Hachenburg Nr. 1597b. Zurück
  2. Neben Gerhard Breuer (1568) und Reinhard Susenbeth (1612) starben die Pfarrer Erasmus Wetzflarius (1612), Cyriacus Dorbeti in Alpenrod (1612), Michael Hatterod (1628), Rhodius und Frau (1630), Pfarrer Knopäus (1636), Gerlach Kopf in Kirburg (1836) und Konrad (oder Johannes) Sommer in Alpenrod (1636). Zurück