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3. Quellen- und Forschungsstand

3.1 Heimatbücher im Blickfeld der Forschung

Als ein zaghafter Beginn der Heimatbuchforschung kann der 1974 von Gustav Schröck veröffentlichte, nach Erscheinen weitestgehend unbeachtete Beitrag Das Heimatbuch – Ortschronik oder Integrationsmittel? gesehen werden, in der der Volkskundler 43 Anfang des Jahrzehnts erschienene Heimatbücher aus Baden-Württemberg charakterisierte. [Anm. 1]
Unabhängig von Schröck und vertriebenenpolitisch motiviert gab der Ostdeutsche Kulturrat die Dokumentation der Heimatbücher deutscher Vertriebener und Flüchtlinge in Auftrag.[Anm. 2] Ende der 1970er Jahre erschien die umfangreiche, von Wolfgang Kessler herausgegebene Bibliographie.[Anm. 3] Er verfasste die für die Forschungsgeschichte wichtige, sich von der politischen Zielsetzung unterscheidende Einführung des Werkes. Kessler stellte die Heimatbücher erstmals in eine Reihe mit den Landesbeschreibungen des 18. Jahrhunderts und der Entwicklung der Gemeinde- und Stadtchroniken des 19. Jahrhunderts. Neben der Einordnung versuchte sich Kessler an einer Definition von Heimatbüchern, indem er einen Kanon der im Idealfall behandelten Themen aufstellte. Er kam zu dem Schluss, dass es sich bei den Heimatbüchern um „eine kollektive Gedächtnisleistung der Erlebnisgeneration“[Anm. 4] handelte. Die beiden Werke können als Beginn zweier Stränge der Heimatbuchforschung angesehen werden. Eine Richtung beschäftigt sich mit den südwestdeutschen und österreichischen Gebieten nach 1945, die andere richtet den Blick auf die Heimatbücher von Vertriebenen, Flüchtlingen und Aussiedlern.[Anm. 5]
30 Jahre nach Kesslers Beitrag erweiterte Ulrike Frede die Quellenauswahl und Definition Kesslers und stellte dessen Schlussfolgerung in Frage. Sie hob hervor, dass Heimatbücher „Medien zur Selbstdarstellung und […] Symbole der kollektiven Identität der mit der Bucherstellung befaßten Gruppen der Heimatvertriebenen“[Anm. 6] seien. 2008 wies Katalin Orosz-Takács für die Heimatbücher der vertriebenen Ungarndeutschen drei Generationstypen [Anm. 7] nach und ordnete die Heimatbücher ein als Ersatz für „Archiv, Geschichtsbuch, Regelkodex“[Anm. 8] und als „funktionale Gedächtnisorte“.[Anm. 9]
Im Rahmen einer Tagung des Tübinger Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde im Oktober 2007 wurde das Heimat- und Vertriebenenheimatbuch thematisiert, drei Jahre später erschien der von Mathias Beer herausgegebene Tagungsband. Er konstatierte „historisch gewachsene „Berührungsängste“ der Geschichtswissenschaft mit dem von der „Laienforschung“ getragenen Phänomen „Heimatbuch““.[Anm. 10] Jutta Faehndrich ließ sich davon jedoch nicht abhalten und veröffentlichte 2011 Eine endliche Geschichte. Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen. Die umfangreiche Bibliographie macht das Buch zu einem wichtigen Nachschlagewerk. Faehndrich untersuchte die Heimatbücher im Hinblick auf die an ihrer Entwicklung direkt und indirekt beteiligten Akteure und gesellschaftlichen Gruppen, um das „Gruppengedächtnis der Vertriebenen als Erinnerungsgemeinschaft“[Anm. 11] herauszuarbeiten. Der Oldenburger Historiker Dirk Thomaschke beschäftigte sich für seine 2016 erschienene Studie Abseits der Geschichte mit den seit 1945 in BRD und DDR erschienenen Ortschroniken und deren Darstellung der Zeit des Nationalsozialismus. Er kommt zu dem Schluss, dass die Politik meist zugunsten einer vermeintlichen dörflichen Kontinuität nur im Hintergrund dargestellt wird, denn „statt die Geschichte der Orte im Kontext der Geschichte der Nation zu schreiben, schreiben Ortschroniken die Geschichte ihrer Orte aus dieser Geschichte heraus.“[Anm. 12] Der Autor sieht sein Werk selbst als „einen neuen Ausgangspunkt der Diskussion an, von dem aus die faktische historiografische Eigenständigkeit von Ortschroniken und Heimatbüchern wesentlich deutlicher sichtbar ist.“[Anm. 13]

Faehndrich, Jutta: Eine Endliche Geschichte: die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen. Köln 2011.

Im Rahmen einer Tagung des Tübinger Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde im Oktober 2007 wurde das Heimat- und Vertriebenenheimatbuch thematisiert, drei Jahre später erschien der von Mathias Beer herausgegebene Tagungsband. Er konstatierte „historisch gewachsene „Berührungsängste“ der Geschichtswissenschaft mit dem von der „Laienforschung“ getragenen Phänomen „Heimatbuch““. [Anm. 14] Jutta Faehndrich ließ sich davon jedoch nicht abhalten und veröffentlichte 2011 Eine endliche Geschichte. Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen. Die umfangreiche Bibliographie macht das Buch zu einem wichtigen Nachschlagewerk. Faehndrich untersuchte die Heimatbücher im Hinblick auf die an ihrer Entwicklung direkt und indirekt beteiligten Akteure und gesellschaftlichen Gruppen, um das „Gruppengedächtnis der Vertriebenen als Erinnerungsgemeinschaft“[Anm. 15] herauszuarbeiten. Der Oldenburger Historiker Dirk Thomaschke beschäftigte sich für seine 2016 erschienene Studie Abseits der Geschichte mit den seit 1945 in BRD und DDR erschienenen Ortschroniken und deren Darstellung der Zeit des Nationalsozialismus. Er kommt zu dem Schluss, dass die Politik meist zugunsten einer vermeintlichen dörflichen Kontinuität nur im Hintergrund dargestellt wird, denn „statt die Geschichte der Orte im Kontext der Geschichte der Nation zu schreiben, schreiben Ortschroniken die Geschichte ihrer Orte aus dieser Geschichte heraus.“[Anm. 16] Der Autor sieht sein Werk selbst als „einen neuen Ausgangspunkt der Diskussion an, von dem aus die faktische historiografische Eigenständigkeit von Ortschroniken und Heimatbüchern wesentlich deutlicher sichtbar ist.“[Anm. 17]

Anmerkungen:

  1. Schöck, Gustav: Das Heimatbuch – Ortschronik oder Integrationsmittel? In: Der Bürger im Staat, Bd. 24 (1974), H. 1, S. 149–152. Zur Einordnung siehe: Beer, Mathias: Das Heimatbuch als Schriftenklasse. In: Das Heimatbuch. Geschichte, Methodik, Wirkung. Hrsg. v. Mathias Beer. Göttingen 2010. S. 14f., S. 19 – 21. Zurück
  2. Beer. S. 15f.  Zurück
  3. Stiftung Ostdeutscher Kulturrat (Hg.): Ost- und südostdeutsche Heimatbücher und Ortsmonographien nach 1945. Eine Bibliographie zur historischen Landeskunde der Vertreibungsgebiete. Bearbeitet von Wolfgang Kessler. München 1979. Zurück
  4. Kessler, Wolfgang: Ostdeutsche, sudentendeutsche und südostdeutsche Heimatbücher – Erinnerung und Dokumentation. In: Stiftung Ostdeutscher Kulturrat (Hg.): Heimatbücher. S. 11 – 24. Siehe: Beer. S. 16. Zurück
  5. Beer. S. 21. Zurück
  6. Frede, Ulrike: „Unvergessene Heimat“ Schlesien. Eine exemplarische Untersuchung des ostdeutschen Heimatbuches als Medium und Quelle spezifischer Erinnerungskultur. Marburg 2004. S. 6. Siehe auch: Faehndrich, Jutta: Eine endliche Geschichte. Köln 2010. S. 21f. Zurück
  7. Orosz-Takács, Katalin. Die zur Erinnerung gewordene Heimat: Heimatbücher der Vertriebenen Ungarndeutschen. Budapest 2007. S. 179f. Zurück
  8. Ebenda. S. 190. Zurück
  9. Ebenda. Zurück
  10. Beer. S. 26. Zurück
  11. Faehndrich. S. 15. Siehe auch: Breuer, Aline: Die „Heimatbücher der Deutschen aus Rußland“ 1954 bis 1964 – Eine Quelle zur Erforschung einer Erinnerungsgemeinschaft. Mainz 2014. In: bkge.de. URL: https://www.bkge.de/Publikationen/Online/Qualifikationsarbeiten/   Zurück
  12. Thomaschke, Dirk: Abseits der Geschichte. Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Ortschroniken. Göttingen 2016. S. 323. Zurück
  13. Ebenda. Zurück
  14. Beer. S. 26. Zurück
  15. Faehndrich. S. 15. Siehe auch: Breuer, Aline: Die „Heimatbücher der Deutschen aus Rußland“ 1954 bis 1964 – Eine Quelle zur Erforschung einer Erinnerungsgemeinschaft. Mainz 2014. In: bkge.de. URL: https://www.bkge.de/Publikationen/Online/Qualifikationsarbeiten/   Zurück
  16. Thomaschke, Dirk: Abseits der Geschichte. Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in Ortschroniken. Göttingen 2016. S. 323. Zurück
  17. Ebenda. Zurück