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4.3.1.3 Die Darstellung der verschiedenen Ethnien im Heimatbuch Werschetz

Im Heimatbuch Werschetz findet sich ein spezielles Kapitel zum Thema Völkisches, in dem sich Frisch explizit mit der Entwicklung der Sicht auf und dem Umgang mit Serben und Ungarn auseinandersetzt. Zum Vergleich zu Hatzfeld wird zunächst das im Heimatbuch Werschetz dokumentierte Ergebnis der Volkszählung von 1931 aus dem Unterkapitel "Minderheitenprobleme" wiedergegeben.

Serben Kroaten Madj. Dtsch. Slowa. Rum. Jud. andere insges.
12.913 512 2.237 11.926 116 470 570 520 29.264

[Anm. 1]

Der Autor Kurt Kirchner schildert in diesem Kapitel das Verhältnis der Schwaben zum jugoslawischen Staat von den 30er Jahren bis zum Einmarsch der Wehrmacht. Das Verhältnis zwischen Deutschen und Serben in Werschetz sei „gut und ruhig“, aber „doch nicht ungetrübt“ gewesen. Er zitiert den „Erneuer“ und späteren NS-Amtswalter Johann Wüscht der ein friedliches Neben- und Miteinander von Völkern kategorisch verneint. [Anm. 2]
Die Beziehung zum Staat und den Serben wird als durch „Slawisierungsbestrebungen“ einerseits und den wachsenden Einfluss des Nationalsozialismus andererseits als belastet beschrieben. Der Autor zitiert den werschetzer Stadtrat Arnold, der 1939 in einer Rede von der „Verbundenheit zwischen Serben und Deutschen“ sprach, welche seit Jahrhunderten bestehe und für die Stadt sehr wichtig sei.[Anm. 3] Auf nationaler Ebene scheiterte die „noch nicht abgeschlossene positive Entwicklung“ der Hinwendung der Deutschen zum jugoslawischen Staat laut Kirchner jedoch, weil die nationalsozialistischen Ideen seit 1933 bei immer mehr Schwaben Anklang gefunden hätten.[Anm. 4]
Im Kapitel Völkisches bemüht sich Frisch, zumindest alle in Werschetz lebenden Ethnien zumindest zu benennen. Serben und Ungarn widmet er je ein eigenes Unterkapitel. Im Folgenden soll zuerst die Wahrnehmung der weniger prominenten Ethnien kurz besprochen, dann ausführlicher auf die Darstellung der Serben und Ungarn eingegangen werden.
In der Aufzählung, „mit welchen Nationalitäten die Werschetzer Deutschen im Laufe der Zeit konfrontiert wurden“ nennt Frisch Albaner, Bulgaren, „Bosnjaken“, Bunjevacen, Griechen, Italiener, fremdsprachige Juden, Kroaten, Rumänen, Russen, Serben, Slovenen, Tschechen, Türken, Ukrainer, Ungarn und „Zigeuner“.[Anm. 5]
Die Sicht der Bevölkerung von Werschetz auf die Rumänen beschreibt der Autor als einem Wandel unterzogen. Das historische Bild der Rumänen im 18. Jahrhundert sei stark negativ gewesen, „beutelustige Horden Rumänen“ hätten Deutsche versklavt. Es habe sich jedoch verbessert, denn „nach Aussage vieler älterer Landleute“ habe sich „viel später“ die deutsche Bevölkerung mit Rumänen besser verstanden als mit Ungarn und Serben, weil die Rumänen leichter bereit gewesen seien, „die größere Erfahrung und nachahmenswertes Können der Deutschen anzuerkennen.“ Die ambivalente Darstellung besteht aus anfänglicher Abwertung und selbstüberhöhendem Lob für die als vergleichsweise umgänglich betrachteten Rumänen.[Anm. 6]
„Zigeuner“ beschreibt Frisch als auf Pferdehandel und Abdeckerei spezialisiert. Man müsse beim Handel mit ihnen achtsam sein. Erst Ende des 18. Jahrhunderts seien sie auf staatlichen Zwang hin sesshaft geworden. „In den letzten Jahren“, sei ein „gewisser Miloš Zigeunerbaron“ gewesen. Hinweise auf enge Kontakte oder eine positive Sicht auf die „Zigeuner“ finden sich nicht.[Anm. 7]

Autor Helmut Frisch als Kind im Kreis seiner Familie[Bild: gemeinfrei]

Die Beziehung des Autors zur Gruppe der nach dem Ersten Weltkrieg zugezogenen Gruppe weißrussischer Flüchtlinge zeigt sich in seiner sehr positiven Beschreibung dieser. Sie seien „vornehm-gebildete, sprachkundige Menschen“ gewesen und hätten als Professoren und Privatlehrer gearbeitet. Eine „Madame Nenarokoff“ war Frischs Klavierlehrerin. Im Gegensatz zu den bisherigen, eher distanzierten Beschreibungen wird hier erstmals eine persönliche Beziehung zu Angehörigen einer anderen Ethnie erkennbar, die über die bloße Beschreibung der Nachbarschaft hinausgeht.[Anm. 8]

Den Ungarn widmet Frisch ein knapp sechsseitiges Kapitel. Er liefert einen Abriss der ungarischen Geschichte im Banat und kommentiert diesen. Das ab 1867 aufkommende „ungarische nationale Hochgefühl“ sieht er als den Beginn einer neuen Ära und als Reaktion auf die habsburgerische Politik, welche Ungarn als „lästige Kolonie“ gesehen hätte. Im Vergleich zu den Serben spricht Frisch davon, dass die Ungarn „mehr geschichtliches Glück“ als die Serben gehabt hätten, weil sie früher vom „Türkenjoch“ befreit worden wären und daher „rascher Anschluß an das kultivierte Mitteleuropa finden“ hätten können. Frisch lobt den „sprichwörtlichen ungarischen Familiensinn“, Gastfreundschaft und Herzlichkeit, stellt sie allerdings auch als impulsiv, zu „Zornesausbrüche[n], Kraftausdrücke[n] und Flüche[n]“ neigend dar. Die ungarische Religiosität lobt der Autor ebenso wie die Musik und den Tanz seiner ungarischen Nachbarn. Abschließend stellt er fest, dass „auf den Grund ungarischen Denkens und Fühlens zu kommen […] im Rahmen dieser Schilderung kaum möglich“ sei. Es wird deutlich, dass Frisch rückblickend ein positives Bild der Ungarn entwirft. Ob dieses von der Mehrheit der Deutschen aus Werschetz geteilt wurde, wird nicht klar ersichtlich, allerdings nennt Frisch auch keine Anhaltspunkte, die auf das Gegenteil hinweisen.[Anm. 9] Zur gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Serben bietet das Heimatbuch Werschetz ein umfangreiches Kapitel. Frisch setzt es zusammen aus historischen Zitaten, Berichten der Erlebnisgeneration und eigenen Interpretationen. Im Unterschied zu den vorherigen Ethnien stellt er teilweise auch die serbische Perspektive dar.

Rückblickend stellt der Autor fest, dass eine „Verbrüderung mit unseren serbischen Nachbarn […] lediglich […] von Mensch zu Mensch [und nicht] von Volk zu Volk“ stattgefunden habe. Er bedauere dies, jedoch hätten die „Voraussetzungen für eine tiefere Freundschaft“ gefehlt. Mit einem Abriss historischer Zitate versucht er dies zu erklären. Angeführt werden der österreichisch-ungarische Außenminister Kálnoky und der Kronprinz Rudolf, welche die Serben Ende des 19. Jahrhunderts als „halbwilde Völker“ und im Vergleich zu den Deutschen als kulturunfähiges Volk darstellen, das man „geistig beherrschen“ müsse. Auch die Vergangenheit unter der Herrschaft der Türken wird ihnen negativ angerechnet, so hätte in Belgrad das „türkische Element, […] türkischer Schmutz, […] türkische Faulheit“ überwogen. Leonhard Böhms „Geschichte des Temeser Banats“ von 1861 zitiert Frisch ausführlich. Hier charakterisiert Böhm die Serben als körperlich, aber nicht geistig und kulturell den Deutschen ebenbürtig. Sie seien „von rohen Völkern“ umgeben gewesen, was sich negativ auf sie ausgewirkt habe. Ihre Religiosität und Gastfreundschaft lobt er, dennoch seien sie faul und arbeiteten unwirtschaftlich. Ein Zitat des ehemaligen Kaplans von Werschetz, Michael Lehmann aus der Mitte des 20. Jahrhunderts führt die Unterschiede zwischen Deutschen und Serben auf die unterschiedlichen Konfessionen, katholisch und griechisch-orthodox, zurück.[Anm. 10]

Einen Einblick der Sichtweise der Serben auf ihre Beziehung zu den Deutschen gewährt Frisch, in dem er das Gespräch des Banus (Würdenträger) Swetozar Rajic mit einer Deutschen wiedergibt. Dieser habe sich enttäuscht und verletzt gezeigt, weil sich die Deutschen zwar bereitwillig von den Ungarn hätten assimilieren lassen, sich den Serben gegenüber jedoch überlegen gefühlt und sie für minderwertig gehalten hätten. Der Autor erklärt dies als religiös begründet. Die Schwaben hätten sich wegen des gemeinsamen katholischen Glaubens den Ungarn zugewandt, eine Assimilation durch den serbischen Staat jedoch wegen der Orthodoxie der Serben abgelehnt.[Anm. 11]

Frisch selbst gibt mehrfach Einblick in seine eigene Sicht auf die Beziehung der Deutschen zu ihren serbischen Nachbarn bis zur Vertreibung der Deutschen. Neben dem eingangs beschriebenen Bedauern über die verpasste Chance der Annäherung führt er an, dass sich beide Gruppen gegenseitig fremd geblieben seien, was auch an der Bezeichnung stranci, Fremdlinge, der Serben für die Deutschen erkennbar gewesen sei. Ausführlich stellt Frisch seine eigene Kenntnis der serbischen Kultur und Religion dar, indem er „berühmte“ werschetzer Serben wie den Dichter und Bühnenautor Popović oder auch die Heiligen der orthodoxen Kirche Kyrill und Method nennt und Teile der serbischen Nationalhymne zitiert. Er merkt jedoch an, dass dieses Wissen unter den Donauschwaben nicht weit verbreitet sei. Seine vermeintlich bessere Kenntnis über die serbischen Mitbürger lässt sich auch anhand weiterer Selbstaussagen erklären. Frisch merkt an, dass eher derjenige mit Serben in Berührung käme, der „serbische Arbeiter beschäftigte oder […] entsprechende Vereine (z.B. den Tennisclub) angehörte[.]“ Da es getrennte Geschäfte gegeben hätte, wäre man selbst beim Einkaufen „unter sich“ gewesen. Zum Abschluss des Kapitels zitiert Frisch Josef Senz, nach dem „die Hunger- und Todeslager Titos […] als Zeichen barbarischer Verhetzung zu werten [sind], die als Haltung niemals dem wirklichen und beständigsten Wesen der Südslawen gleichgesetzt werden dürfen.“[Anm. 12]

Anmerkungen:

  1. Frisch. S. 108. Hier finden sich auch die Ergebnisse zu weiteren Städten sowie zu den Bezirken. Zurück
  2. Ebenda. S. 109. Wüscht wird in dem Heimatbuch mehrfach zitiert, allerdings erst im Mittelteil des Buches im Kapitel zu den „Erneuerern“ politisch eingeordnet und so als Akteur vor und während der NS-Zeit kenntlich gemacht. Vgl. S. 497 – 506. Wüscht selbst hatte nach dem Zweiten Weltkrieg als Archivar im Bundesarchiv Koblenz gearbeitet, wo er für die Tonbandaufnahmen und Schriften ehemaliger NS-Funktionäre zuständig war. Laut Johann Böhm habe er bei seiner Arbeit dort und in seinen Publikationen deren Handlungen beschönigt oder geleugnet. Auch habe er an der Denunziation jüdischer Mitbürger mitgewirkt und dies nach dem Krieg verschwiegen. Siehe: Böhm, Johann: Die deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918-1941: Innen- und Außenpolitik als Symptome des Verhältnisses zwischen deutscher Minderheit und jugoslawischer Regierung. Frankfurt am Main 2009. S. 16. Zurück
  3. Frisch. S. 111.  Zurück
  4. Ebenda. S. 111ff. Zurück
  5. Ebenda. S. 442. Zurück
  6. Ebenda. S. 439. Zurück
  7. Ebenda. Zurück
  8. Frisch. S.439. Zurück
  9. Ebenda. S. 448 – 452.  Zurück
  10. Frisch. S. 442 – 444. Zurück
  11. Ebenda. S. 447. Zurück
  12. Frisch. S. 443 – 448. Zurück