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4.3.2 Die Darstellung der Juden und ihrer Verfolgung während des Zweiten Weltkriegs

Die jüdischen Mitbürger werden lediglich im Heimatbuch der Stadt Werschetz ausführlicher thematisiert. Frisch beschreibt die Beziehung der werschetzer Deutschen zu ihnen im Kapitel Nationalitätengewirr und widmet dem Thema Judenverfolgung einen dreiseitigen Abschnitt im stadtgeschichtlichen Kapitel. Im untersuchten Teil von Petris Heimatbuch zu Hatzfeld tauchen sie hingegen nur in einer Statistik zur Konfessionsverteilung und als Randbemerkung in einem Zeitzeugenbericht über die Nachkriegszeit auf. Selbst die Zeit des Zweiten Weltkriegs wird hier auf anderthalb Seiten eher oberflächlich und auf die gesamteuropäische Entwicklung bezogen geschildert.[Anm. 1] Dem gegenüber steht die ausführliche Darstellung des Kriegsendes und der Deportation in die Bărăgan-Steppe, die 30 Seiten umfasst.[Anm. 2]
Der Tabelle über die Konfessionen im Heimatbuch Hatzfeld ist jedoch zu entnehmen, dass es ab 1846 eine langsam wachsende, kleine jüdische Gemeinde in Hatzfeld gab. Während die Zahl der anderen Konfessionen zwischen den Jahren 1940 und 1943 exakt gleich blieb, sank die Zahl der Juden von 80 auf 0.[Anm. 3] Der Verbleib der jüdischen Bevölkerung bildet eine Leerstelle im Heimatbuch Hatzfeld.
Die zweite und zugleich letzte Erwähnung jüdischen Lebens in der Stadt findet sich im Kapitel Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen für die deutsche Bevölkerung ab dem Herbst 1944, in dem der Autor Ernst Straky seinen Werdegang nach Kriegsende schildert. Er habe 1949 in der verstaatlichten hatzfelder Hutfabrik Arbeit gefunden, der neue Direktor sei ein Jude gewesen, den er „von früher her kannte und mit dem [er] häufig Schach gespielt hatte.“[Anm. 4] Weder Straky noch Petri unternehmen den Versuch, die Geschichte der jüdischen Bevölkerung gesondert zu betrachten.
Im Heimatbuch Werschetz hingegen schildert Frisch die historische Entwicklung des Judentums in Werschetz sowie die Sicht der Bürger auf ihre jüdischen Nachbarn. Einerseits seien 1730 schon „etliche“ Juden in der Stadt gewesen, 1775 sei ihre Zahl jedoch noch so gering gewesen, dass sie sich in einem Privathaus hätten treffen müssen. Ende des 18. Jahrhunderts sei den neun jüdischen Familien der Erwerb eines Grundstücks zwecks Friedhofsanlegung „gestattet“ worden. Grundstückserwerb sowie freie Berufswahl seien noch im 19. Jahrhundert eingeschränkt gewesen. 1868 sei die erste Synagoge eingeweiht worden, fünf Jahre später das Kreisrabbinat Werschetz eingerichtet worden, worauf eigene Vereine und eine Schule gefolgt seien. Nach der historischen Entwicklung spricht Frisch das Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsteile untereinander an. Die Juden hätten bürgerliche Berufe ausgeübt und „bei uns – wie auch sonst in der Welt – sowohl Freunde wie Feinde“ gehabt. Aus welchen Gründen den Juden auch in Werschetz teilweise mit Feindschaft begegnet worden sei, lässt er offen. Sie seien „geachtete Mitbürger [gewesen], deren Los sich mit dem Anfang des Zweiten Weltkriegs zusehends verschlechterte.“[Anm. 5]
Der Verfolgung, Deportation und Ermordung der Juden während des Zweiten Weltkriegs widmet Frisch ein dreiseitiges Kapitel. Er eröffnet es mit der Annahme, dass „spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges […] die Kenntnis über Hintergründe, Art und Umfang der Judenverfolgungen in Deutschland und den besetzten Gebieten als bekannt vorausgesetzt werden [muss].“ Er zitiert judenfeindliche Passagen aus Hitlers „Mein Kampf“ und zieht den Schluss, dass dessen Judenhass „auch literarisch weniger Interessierten nicht unbekannt gewesen sein könn[e].“ Dennoch bezeichnet er den Beginn der Verfolgungen als einen „tiefen Schock“ für die werschetzer Bevölkerung. Allerdings seien „mache bereit [gewesen], da und dort christliche Wertbegriffe vorübergehend zu vergessen“, was jedoch mit „den idealen Wertvorstellungen eines Werschetzer ehrbewußten Deutschen unvereinbar“ gewesen sei. Die erfolgreiche Rettung des jüdischen Rechtsanwalts Dr. Nikolaus Singer stellt er als Beweis für seine These dar, „daß sich die Denkweise sehr vieler Deutscher in Werschetz wohltuend von jener geistig immobiler Nazis unterschied[.]“ Dieser sei „Deutscher in Auftreten und Wirken“ gewesen und seine Deportation habe „einen Entrüstungssturm im Kreise seiner vielen Freunde“ entfacht. Durch zweifache Intervention habe er gerettet werden können. Einen weiteren Fall, in dem sich die Bevölkerung für jüdische Mitbürger einsetzte, kann er allerdings nicht nennen. „Die Rettung aller Werschetzer Juden [wäre] allerdings nicht gewagt [worden].“ Frisch lastet es „einigen wenigen“ an, dass „der Ruf aller in Mitleidenschaft gezogen wurde“ und gibt die Verantwortung für die Verfolgung der Juden an die deutsche Militärverwaltung weiter. Er beruft sich auf die Verlautbarung des Bürgermeisteramts zur Feststellung des jüdischen Vermögens aus dem Juni 1941.[Anm. 6]
Frisch berichtet von Zwangsarbeit jüdischer Menschen in der Stadt, diese seien zur Straßensäuberung gezwungen worden. Für viele Werschetzer seien die „Beschimpfungen und Haßausdrücke“ der Aufsichtsperson unvergessen. Von Reaktionen auf die Zwangsarbeit an sich berichtet der Autor nicht. Es sei allerdings „stadtbekannt“ gewesen, „daß sich einige wenige konfisziertes jüdisches Vermögen in einer – von Raffgier diktiert – unqualifizierten Weise aneigneten.“ Ein Aufruf an die Bevölkerung, „alle Gegenstände von Wert, Bargeld, Einrichtungen usw.“ der Polizei zu übergeben lässt den Schluss zu, dass es zu Plünderung und Diebstahl jüdischen Eigentums gekommen sein musste.[Anm. 7]
Die Deportation der laut Quelle 500 Menschen Mitte Juni 1941 sei gefolgt gewesen von „großem Unverständnis und Bedauern seitens vieler Werschetzer.“ Jüdische Mitbürger, „fleißige, ehrbare Menschen […] verschwanden leider für immer.“ Neben dieser sehr passivischen Formulierung benennt Frisch die Ermordungen auch konkret, indem er schreibt, die Juden hätten „unbestätigten Nachrichten zufolge […] in der Nähe von Pantschowa – durch das Einatmen von Autoabgasen – den Tod gefunden.“ Ob die Bevölkerung von den Morden wusste, lässt Frisch offen. Er beteuert, die Deportationen seien nicht mit „Billigung der Bevölkerung“ erfolgt, diese habe lediglich „Angst um das eigene Wohlergehen“ gehabt, sei jedoch erschüttert gewesen über „diese abscheulichste aller nationalsozialistischen Taten.“ Andererseits stellt der Autor fest, dass Juden „vielen Werschetzer Deutschen […] unsympathisch“ gewesen seien, was auch Grund für den fehlenden Einsatz für sie gewesen sei.[Anm. 8]
Die geschilderte Angst der Bevölkerung kann als begründet angesehen werden, denn Frisch berichtet, dass zwei Monate vor den Deportationen 12 Werschetzer Serben und 9 geflohene Gefangene in Werschetz von SS-Einheiten erschossen worden seien. Er benennt drei der Erschossenen namentlich und stellt die These auf, dass diese von einem oder mehreren werschetzer Deutschen denunziert worden seien.[Anm. 9] Dennoch wird deutlich, dass der Autor immer wieder betont, die Verbrechen seien von Einzelnen sowie der deutschen Militärverwaltung begangen worden. In seinem Fazit schreibt er von „nationalsozialistischen Taten“, wodurch er eine Distanz zwischen den Verbrechen und den deutschen Bewohnern der Stadt aufbaut.[Anm. 10] Während er Teile der Bevölkerung als handlungsfähig darstellt, wenn er die Rettung des Dr. Singer schildert, zeigt er den Großteil der Deutschen als zur Passivität gezwungen und nicht in der Lage, die „idealen Wertvorstellungen eines Werschetzer ehrbewußten Deutschen“ durchzusetzen.[Anm. 11]

Anmerkungen:

  1. Petri. S. 250f. Zurück
  2. Ebenda. S. 258 – 288. Zurück
  3. Ebenda. S. 319f. Zurück
  4. Ebenda. S. 269. Zurück
  5. Frisch. S. 439f. Zurück
  6. Ebenda. S. 136ff. Zurück
  7. Frisch. S.137f. Zurück
  8. Ebenda. Bei der Volkszählung 1931 wurden 570 Juden in Werschetz verortet. Vgl. Kapitel 4.3.1.3 dieser Arbeit. Zurück
  9. Ebenda. S. 135f. Siehe Kapitel Exekutionen. Zurück
  10. Ebenda. S. 138. Zurück
  11. Frisch. S. 136. Zurück