Neuwied am Mittelrhein

Neuwied im Ersten Weltkrieg

Feldpostkarte vom 23.11.1915.[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Als das Deutsche Reich Russland und dessen Bündnispartner Frankreich am 1. August 1914 den Krieg erklärte und der Erste Weltkrieg begann, wurden auch in Neuwied zahlreiche Männer zum Wehrdienst eingezogen. 2.800 Bürger, d.h. rund 20 % der Neuwieder Bevölkerung befanden sich 1916 an der Front. Bis zum Kriegsende starben 385 von ihnen. [Anm. 1]

Waffenschmiede der Firma Emil Decker (Neuwied 1914)[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Für die Menschen in der Heimat wurde der Beginn des Krieges zunächst durch die Anwesenheit des Militärs spürbar. In Neuwied mussten 6.200 Quartiere für fünf Ersatzbataillone zur Verfügung gestellt werden, sodass die dafür vorhergesehenen Einrichtungen nicht ausreichten und öffentliche Gebäude und Privathaushalte den Soldaten als Unterkunft dienten. Im Oktober versuchte man die Soldaten an der Front mit sogenannten Liebesgaben zu unterstützen, die mit drei Automobilen vor Ort befördert wurden.[Anm. 2]

Die Schülerinnen der Mädchenanstalt der Brüdergemeine beim Laubsammeln in Neuwied.[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Kriegsfleischausgabe bei der Metzgerei Friedrich Buhr in Wollendorf 1916.[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Mit der Zeit erschwerte die Lebensmittelknappheit das Leben der Einwohner, sodass ab März 1915 ein "Verbrauchsamt" die staatlich festgesetzte Lebensmittelrationierung übernahm und dazu Warenlager im Rathaus und im Schlachthof anlegte. Im Jahre 1917 erhielt dort jeder Erwachsene, der eine Lebensmittelkarte besaß, 3 Pfund Brot und Kartoffeln sowie ¼ Pfund Fleisch. Schon bald wurden Ersatzstoffe eingesetzt; das Brot mit 30% Rüben, später auch mit einem Anteil an Kartoffeln, gebacken und mit Hilfe von Knochenfett Margarine statt Butter hergestellt. Im Schlachthof konnte jeder Bürger Obst und Gemüse mit Hilfe eines Dörrapparates trocknen und mit Bezugsscheinen Altkleider erwerben.[Anm. 3]

Russische Kriegsgefangene in der Bismarckstraße, Neuwied.[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, wurden außerdem Kriegsgefangene in der regionalen Wirtschaft zur Zwangsarbeit verpflichtet. 255 Franzosen und Belgier waren beispielsweise in der Kalkbrennerei Muschner untergebracht und wurden zu Bauarbeiten herangezogen oder in der Land- und Fortwirtschaft eingesetzt.


Wachkommando für das Stellwerk in Neuwied 1914.[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Neben den schwerwiegenden, wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges, wurden die Einwohner Neuwieds 1918 auch mit direkten Kampfhandlungen konfrontiert. Am 3. Juli sichtete die Fliegerbeobachtungsstelle auf dem Heddesdorfer Berg sechs amerikanische Bomber. Ein Angriff konnte jedoch durch eine deutsche Jagdstaffel abgewehrt werden. In der Folgezeit wurden vorsorglich daher Sicherheitsübungen durchgeführt, die die Bewohner vor feindlichen Angriffen schützen sollten.

Das Lazarett in der Zinzendorfschule in Neuwied 1916.[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Doch gegen Ende des Jahres war der Erste Weltkrieg mit dem Waffenstillstand am 11.11.1918 beendet. Vom 20. November bis zum 7. Dezember wurde die grenznahe Region des heutigen Rheinland-Pfalz abermals zum Durchmarschgebiet, sodass Neuwied als eine der ersten Städte mit den Schrecken des Krieges konfrontiert wurde und zahlreiche Verwundete versorgen musste. Die Neuwieder Zeitung berichtet:

„Der Übergang zu den neuen Verhältnissen erfolgte ohne Zwischenfall. Die Straßen waren […] sehr belebt, besonders auch von vielen Frauen und Kindern. Ruhestörungen waren nicht zu verzeichnen. Hier und da sah man Soldaten, die Ordnungsmannschaften mit weißen Armbinden, auch zu Pferde.“ [Anm. 4]

Zum Rückzug der Truppen angelegte Pontonbrücke über den Rhein bei Neuwied.[Bild: Kreismedienzentrum Neuwied/Archiv Kupfer]

Wie in vielen weiteren deutschen Städten und Dörfern formierte auch in Neuwied ein Arbeiter- und Soldatenrat, der die Kontrolle der Verwaltung, Polizei und Stadtverordneten-Versammlung übernahm. Die Lebensmittelversorgung, Wohnungszuweisung und Arbeitsvermittlung regelte ein „Wohlfahrts-Ausschuß“, der bis 1921 bestand und dann in das städtische Wohlfahrtsamt bzw. Wohnungsamt überging.

Am 14. Dezember 1918 informierte Bürgermeister Geppert die Bürger darüber, dass die Stadt fortan „unter dem amerikanischen Befehl und der Autorität der amerikanischen Armee steht“ und „alle Personen, welche mit ehrenhaftem Beruf friedlich arbeiten und den niedergelegten Befehlen der amerikanischen Autorität gehorchen, […] persönlich beschützt, ihr Heim, ihre Religion und ihr Eigentum. Alle anderen aber, welche den Befehlen zuwider handeln, [würden] streng bestraft“[Anm. 5] werden. Erneute Einquartierungsmaßnahmen zur Aufnahme der amerikanischen Besatzungstruppen folgten, da sich zeitweise 400 Offiziere und 7400 Mann in Neuwied aufhielten. 1923 wurde die Besatzungszone, zu der Neuwied gehörte, von Frankreich übernommen. [Anm. 6]


Beratungsstelle für Ausgewiesene in Limburg.[Bild: Bundesarchiv Bild 102-0004]

Die französische Besatzungszeit war durch massive Beschränkungen im Zuge des Ruhrkampfes geprägt. [Anm. 7] Als die Weimarer Republik die im Versailler Vertrag festgesetzten Reparationsforderungen nicht voll erfüllen konnte, besetzten französische Truppen die Industrieregionen um Düsseldorf und Duisburg und belegten auch die nahegelegene Stadt Neuwied mit Sanktionen. Am 1. März 1923 wurde beispielsweise die Eisenbahn beschlagnahmt und damit de facto der Schienenverkehr bzw. die Gütereinfuhr lahmgelegt. Um die städtischen Gelder zu konfiszieren, übernahmen französische Soldaten das städtische Zollamt, das Finanzamt und ganze Fabriken, sodass auch die soziale Notlage der Arbeiter weiter vorangetrieben wurde und die Zahl der Arbeitslosenzahl mit 3.250 im Jahre 1923 einen noch nie dagewesenen Höhepunkt erreichte. [Anm. 8]Der Post- und Telefonverkehr sowie die städtischen Zeitungen wurde strengstens überwacht und die städtische Führungsschicht, u.a. Bürgermeister Geppert und 266 weitere Personen, der Stadt verwiesen. [Anm. 9] Auf Grund dieser konfliktreichen Verhältnisse zog die Bevölkerung in Massendemonstrationen vor das Landratsamt und versuchte im Dezember 1923 sogar das Rathaus zu stürmen. [Anm. 10]

Am 26. September 1923 wurde der Ruhrkampf aufgegeben und die innerstädtischen Verhältnisse im Rheinland durch die politischen Verhandlungen des amtierenden Außenministers Gustav Stresemann allmählich verbessert. Die letzte französische Besatzungsdienststelle, die Gendarmeriestation in der Augustastraße in Neuwied, verschwand 1929. Bereits ein Jahr zuvor hatte man auf dem 1916 eröffneten Friedhof an der Elisabethstraße zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkriegs ein Denkmal errichtet.

Verfasser: Katharina Thielen

Erstellt am: 07.07.2014

Literatur:

  • Meinhardt, Albert: 300 Jahre Neuwied. Ein Stadt- und Heimatbuch. Neuwied 1953.

Anmerkungen:

  1. Meinhardt, S. 246. Zurück
  2. Nach Meinhardt, S. 245f., wurde Mitgebrachtes von der Front anschließend öffentlich ausgestellt. Zurück
  3. Die genauen Verhältnisse der Versorgungslage sind bei Meinhardt, S. 247–249 geschildert. Zurück
  4. Neuwieder Zeitung vom 11.11.1918 zitiert nach Meinhardt, S. 249. Zurück
  5. Bekanntgabe der Besatzungsbehörde zitiert nach Meinhardt, S. 251. Zurück
  6. Zur französischen Besatzung siehe Thielen, Katharina: Die alliierte RheinlandbesetzungZurück
  7. Meinhardt, S. 252–255 schildert die Gegebenheiten ausführlich. Zurück
  8. Nach Meinhardt, S. 255 waren es 1914 600 bis 650 Arbeitslose in Neuwied. Zurück
  9. Nach Meinhardt, S. 254 handelte es sich um 70 Männer (davon 42 Beamte) mit 55 Ehefrauen und 141 Kindern. Zurück
  10. Nach Meinhardt, S. 255 handelte es sich um 2.000 Personen. Zurück