Marienfels im Rhein-Lahn-Kreis

Ortsgeschichte von Marienfels

Die Gemeinde Marienfels liegt inmitten des Rhein-Lahn-Kreises, nördlich der Stadt Nastätten in der gleichnamigen Verbandsgemeinde. Die Geschichte des Dorfes lässt sich bis in die Zeit der Römer zurückverfolgen, die hier ein Kastell zum Schutz des Limes errichteten. Marienfels war während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit einer der bedeutendsten Orte des Einrichgaus. Die erste Erwähnung des Dorfes findet sich in einer Urkunde König Konrads I. aus dem Jahr 915.

Antike

Seit dem 2. Jahrtausend v. Chr. lebten die Kelten in der Region zwischen Rhein und Lahn, in das im Laufe der Latènezeit germanische Verbände, u.a. die Ubier, vordrangen. Gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts konnten die Römer ihren Machtbereich bis nördlich des Rheins ausdehnen, wo im Laufe des 2. Jahrhunderts n. Chr. der Obergermanische Limes entstand. Zum Schutz der Grenzanlagen wurden zahlreiche Kastelle im Hinterland errichtet – so auch in Marienfels. Bei Ausgrabungen entdeckte man die Fundamente zweier Holzkastelle, die kurz hintereinander errichtet wurden. Die jüngere Anlage wurde vermutlich gegen Ende des 1. Jahrhunderts erbaut und umfasste auch ein nördlich gelegenes Thermalbad sowie einen Tempel. Aufgrund der Ausmaße der Anlage schätzt man die Garnisonstärke auf 400 bis 600 Soldaten ein. Ziegelfunde deuten darauf hin, dass in Marienfels Truppenteile der in Mainz stationierten 22. Legion ihren Dienst taten.[Anm. 1]

Im Rahmen einer Begradigung des Limes in der Mitte des 2. Jahrhunderts verlegte man das Militärlager nach Nordosten und es entstand das Kastell im heutigen Hunzel. Jedoch hatte sich um das Militärlager eine kleine Siedlung gebildet, die auch nach der Aufgabe des Kastells weiterbestand. Darauf lassen zahlreiche Fundament- und Pfahlreste schließen, die in Marienfels gefunden wurden. Außerdem entdeckte man bei Ausgrabungen Münzen, Tongegenstände und Schmuck. Wie groß der Ort gewesen ist, lässt sich heute nicht mehr bestimmen.[Anm. 2] Hellmuth Gensicke geht von „einer ausgedehnten bürgerlichen Römersiedlung“ aus.[Anm. 3] Mauerreste nördlich des Kastells gaben sogar Anlass zur Spekulation, in Marienfels könne ein Amphitheater griechischen Stils gestanden haben. Sicher ist, dass die erste Besiedelung der heutigen Gemeinde auf einen römischen vicus zurückgeht. Mit dem Fall der Limesgrenze 259/60 wurde die Siedlung von germanischen Verbänden, u.a. den Alemannen, zerstört. Am Ende des fünften Jahrhunderts übernahmen dann die Franken die Herrschaft über das von ihnen als Einrichgau bezeichnete Gebiet zwischen den Flüssen Rhein, Lahn und Aar.[Anm. 4]

Mittelalter

Man geht davon aus, dass der Ort nach der Zerstörung schnell wieder besiedelt wurde. Dafür spricht, dass Marienfels in fränkischer Zeit wahrscheinlich den Mittelpunkt des Einrichgaus bildete, wo zentrale Versammlungen der Obrigkeit sowie Gerichtsverhandlungen stattfanden. Im 10. Jahrhundert wurde der Ort Marienfels das erste Mal urkundlich erwähnt. Das Dokument bezeugt die Schenkung zahlreicher Besitztümer König Konrads I., darunter Marvels (das spätere Marienfels), an das Stift Weilburg. Sein Nachfolger, Konrad II., schenkte dann die gesamte Gaugrafschaft an das Trierer Erzbistum. Die Namensherkunft des Dorfes Marienfels bezieht sich wohl auf die Umgebung, wonach der im sumpfigen Areal des Mühlbachtals (mari) aufragende Hügel (fels) beschrieben wurde. Schreibweisen des Ortsnamens waren im Laufe der Zeit Maerfels, Mufrus oder Mufrusberge.[Anm. 5]

Im 11. und 12. Jahrhundert herrschten dann die Grafen von Arnstein über den Einrichgau, den sie vermutlich zuvor als Lehen von Kurtrier erhalten hatten. Durch die Übertragung der Grafschaft durch Ludwig III. von Arnstein an Reinbold von Isenburg 1139/40, der die Grafschaft 1160 weiterverkaufte, kamen die Herren von Nassau und Katzenelnbogen in den Besitz der Territorien im Einrichgau. Durch Erbteilungen, Schenkungen und Veräußerungen bildeten sich zahlreiche Herrschaftsgebiete heraus. Dies führte 1260 – nach der Teilung des Hauses Katzenelnbogen und Nassau – zur Entstehung des Vierherrengerichts auf dem Einrichgau mit Sitz in Marienfels. Dieses Kondominium wurde bis ins 17. Jahrhundert von den Herrschern und deren Erben gemeinsam verwaltet. Der Besitz von grundherrlichen Rechten differenzierte sich auch in Marienfels immer weiter aus und unterlag permanenten Verschiebungen. Neben den Grafen von Nassau und Katzenelnbogen (später Hessen) waren u.a. die Herren von Westerburg, vom Stein sowie das Kloster Arnstein im Ort begütert.[Anm. 6]

Wie bereits erwähnt spielte Marienfels eine wichtige Rolle als Gerichtsstandort, dessen Geschichte sich bis in die Zeit der Gaugrafen zurückverfolgen lässt. Besondere Bedeutung hatte der Ort als Sitz des Vierherrengerichts, das dem Herrschaftsgebiet seinen Namen gab. Wo genau die Gerichtsstätte „Zum Ahorn“ lag ist unbekannt, denkbare Standorte sind der Kirchhof oder das Gelände des heutigen Friedhofes. Die häufigsten Konflikte, mit deren Klärung sich die Gerichtsbarkeit befasste, waren Streitigkeiten um den Verlauf von Gemarkungsgrenzen im territorial zersplitterten Einrichgau. Das Hochgericht, das bis ins 17. Jahrhundert bestand, übte darüber hinaus die Blutsgerichtsbarkeit aus. So war es für die Verurteilung von Straftätern und die Vollstreckung der Urteile zuständig. Beispielsweise wurde im Jahr 1631 nach einem Prozess in Marienfels eine vermeintliche Hexe hingerichtet. Seit 1570 besaß das Gericht ein eigenes Siegel.[Anm. 7] Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts verlor Marienfels als Gerichtsstandort an Bedeutung. Dies geschah u.a. durch die Etablierung von niederen Gerichtsbarkeiten (in Kördorf, Altenburg und Wallmenach) und durch Kompetenzverschiebungen zu den Ämtern Nassau und Reichenberg. Das Ende der über 500-jährigen Geschichte der Rechtsprechung in Marienfels kam mit dem Ende des Kondominiums im Jahr 1774. Weitere Gerichte mit Sitz in Marienfels, die mit der Reform aufgelöst wurden, waren das Appellationsgericht, das Kirchspielgericht, das Zehntgericht sowie das Hubengericht.[Anm. 8]

Nicht nur aus juristischer, sondern auch aus kirchlicher Perspektive stellte Marienfels im Mittelalter den Mittelpunkt des Einrichgaus dar. So ist das Kirchengebäude vermutlich eines der ältesten im Rhein-Lahn-Gebiet.[Anm. 9] Der Sakralbau entstand im frühen 12. Jahrhundert, wobei an gleicher Stelle schon in vorigen Jahrhunderten eine Kirche gestanden haben könnte. Unstrittig ist, dass Marienfels Sitz des gleichnamigen Landkapitels war und sich hier das kirchliche Verwaltungszentrum der Rhein-Lahn-Region befand. Beachtlich ist, dass die Statuten des Landkapitels aus dem Jahr 1346 die ältesten eines Ruralkapitels innerhalb des Erzbistums Trier darstellen.[Anm. 10] Der Dekan des Landkapitels führte die Aufsicht über die untergeordneten Pfarreien, so u.a. die Kirchspiele in Nastätten, Holzhausen, Oberlahnstein und Obertiefenbach. Zum Kirchspiel Marienfels selbst zählten die Orte Berg, Hunzel und Ehr sowie bis zum 14./15. Jahrhundert die Gemeinden Miehlen, Dornholzhausen, Dessighofen und Geisig.[Anm. 11] Das Patronatsrecht über die Kirche Marienfels, das auch das Präsentationsrecht für die Neubesetzung des Pfarrerpostens miteinschloss, war seit dem Jahr 1303 im Besitz der Herren vom Stein. Mit der Reformation im 16. Jahrhundert verlor Marienfels als geistliches Zentrum zunehmend an Bedeutung.[Anm. 12]

Frühe Neuzeit

Die lutherische Reformation, welche zwischen 1527 und 1535 im Vierherrischen eingeführt wurde, stellte einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte des Ortes dar. Obwohl der Erzbischof von Trier seit 1547 versuchte, den katholischen Glauben im Einrich wieder durchzusetzen, bedeutete die Reformation wohl das Ende des Landkapitels. Dieses wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts in der damaligen Form aufgelöst. Mit den reformatorischen Ideen ging auch der Ausbau einfacher Bildungseinrichtungen einher. So wurde in Marienfels im Jahr 1596 ein Schulhaus errichtet. Ungeklärt ist, wo der Unterricht vor dem Bau stattfand. Der Schule in Marienfels kam dabei eine besondere Bedeutung zu. Dafür spricht, dass dort bereits Anfang des 17. Jahrhunderts studierte Schulmeister ihren Dienst taten. Darüber hinaus bildete die Kirchspielschule im Ort einen Schulverband mit den Gemeinden Berg, Ehr und Hunzel. Die Kinder aus diesen Gemeinden wurden also gemeinsam in Marienfels unterrichtet. Der Verband verkleinerte sich erst mit den Austritten von Hunzel und Berg, die 1893 bzw. 1911 erfolgten.[Anm. 13]

Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) hatte die Bevölkerung stark unter Truppendurchzügen und Plünderungen zu leiden. Auch wenn wenige Quellen aus der Zeit vorliegen, ist überliefert, dass das Dorf in den Jahren 1620 und 1634 bis 1637 besonders schwer getroffen wurde. In der Folge kam es zu Hungersnöten und dem Ausbruch der Pest im Jahr 1640. Von 21 Haushalten, die zu Beginn des Krieges im Ort ansässig waren, blieben am Ende des Konfliktes noch fünf übrig.[Anm. 14]

Im Jahr 1631 hingegen wohnten immerhin noch 16 Hausgemeinschaften in Marienfels. Darüber gibt eine zeitgenössische Beschreibung Auskunft, der erstmals ausführliche Informationen über die Lebensverhältnisse und die Größe des Dorfes entnommen werden können. Die Haushalte bestanden aus hörigen Bauern, die im Besitz eines oder mehrerer Grundherren standen und diesen gegenüber abgabe- und frondienstpflichtig waren. Der Haupterwerb der Einwohner des Ortes bestand in der Land-, Forst- und Viehwirtschaft. Die Agrarflächen machten auch den Großteil der Gemarkung aus. So verfügte Marienfels über 800 Morgen an Wald-, Weide- und Ackerboden, was ungefähr auf die Ausdehnung der damaligen Gemeinde schließen lässt. Zu dieser zählte seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch das Dorf Denighofen, dessen Existenz seit 1225 belegt ist. Diese vermutlich ehemals nordwestlich gelegene Siedlung wuchs immer mehr mit Marienfels zusammen, sodass beide im Laufe der Zeit als ein Ort angesehen wurden. Darüber hinaus gab es mehrere Mühlen auf dem Gebiet der Gemeinde. Die erste Mühle zwischen Dorf und Sauerborn wurde 1672 errichtet, aus dem Jahr 1685 ist die Existenz einer weiteren Mühle überliefert. Neben den Bauern waren also auch mehrere Müller in der Gemarkung ansässig. Von weiteren Handwerksberufen gibt es wenige Zeugnisse, vermutlich gab es einen Schmied, einen Schreiner, einen Wagner und einen Schuhmacher.[Anm. 15]

Aufgrund der Kompetenz- und Gebietsstreitigkeiten, welche die gemeinsame Verwaltung des Einrichs mit sich brachte, löste sich das Kondominat nach dem Dreißigjährigen Krieg mehr und mehr auf. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Einteilung des Territoriums in drei Quartiere, die zunächst dazu gedacht waren, die Abgabenerhebung zu vereinfachen. Im Jahr 1681 erfolgte dann das Ende der gemeinsamen Rechtsprechung durch das Gericht der vier Herren in Marienfels. Der Taunusort fiel unter die Herrschaft des Hauses Nassau-Diez und wurde fortan vom Amt Nassau aus verwaltet, das für alle Gerichts- und Verwaltungsangelegenheiten zuständig war. Nach der Auflösung der Quartiere in den Nastätter Rezessen von 1774/75 verblieb Marienfels bei Nassau.[Anm. 16]

Neuzeit

Die Französische Revolution und die Koalitionskriege Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts brachten tiefgreifende Veränderungen für den kleinen Taunusort Marienfels mit sich. Aufgrund der Truppenbewegungen in der Region kam es vermehrt zu Plünderungen und Requirierungen von Lebensmitteln. Im Jahr 1792 quartierten sich zuerst preußische und österreichische, sowie im Anschluss daran französische Soldaten im Ort ein. Im Zuge der territorialen Neuordnung Europas bzw. der rechtsrheinischen Gebiete wurde Marienfels 1806 dann Teil des neu gegründeten Herzogtums Nassau. Auf die Bevölkerung von Marienfels hatten die an das französische Vorbild angelehnten Reformen weitreichende Auswirkungen. So bedeutete die Abschaffung der Leibeigenschaft 1808 und die Aufhebung von adeligen Privilegien einen großen Zugewinn an Freiheit und das Ende von feudalen Abhängigkeiten. Auch die Abschaffung von Körperstrafen ein Jahr später verbesserte die Lebensumstände der Bevölkerung. Seit 1816 wurde das Dorf von Nastätten aus verwaltet.[Anm. 17]

In den Wirren der Koalitionskriege gingen viele Unterlagen der Gemeindeverwaltung verloren. So ist eine der ersten erhaltenen Aufzeichnungen zum Gemeindeeigentum ein 1818 von Schultheiß Neidhöfer angefertigte Inventurverzeichnis. Demnach besaß die Gemeinde ein Backhaus, zwei Hirtenhäuser und das 1802 neu erbaute Schulhaus. Dazu kam ein Spritzenhaus, das gemeinsam von den vier Kirchspielgemeinden unterhalten wurde, und in welchem man Gerätschaften zur Brandbekämpfung unterbrachte. Zum Gemeindebesitz gehörte darüber hinaus der Gemeindewald, aus dem sich die Einwohner von Marienfels im Herbst mit einem halben Klafter Holz versorgen durften. Im Jahr 1829 errichtete die Gemeinde einen neuen Friedhof am Käsberg. Über das 19. Jahrhundert hinweg wurde in der Gemarkung der u.a. zur Metallherstellung verwendete Schwerspat (Baryt) abgebaut. Zur Grube „Horchberg“ existieren jedoch nur wenige Belege aus den Jahren 1855 und 1878. 1933 wurde der Betrieb kurzzeitig nochmal aufgenommen, im gleichen Jahr jedoch wegen Kapitalmangels wieder eingestellt.[Anm. 18]

Die kurze Geschichte des 1806 begründeten Herzogtums Nassau endete mit dem preußisch-österreichischen Krieg des Jahres 1866. Da der Staat auf der unterlegenen österreichischen Seite gestanden hatte, wurde er von Preußen annektiert und in die neu geschaffene Provinz Hessen-Nassau integriert. Nun gehörte der Ort bis 1885 dem Unterlahnkreis an, danach war er Teil des Kreises St. Goar. Die bedeutendste Entwicklung für die Bewohner von Marienfels stellte in der 60-jährigen Historie des Herzogtums die Revolution von 1848 dar. So wurde unter dem Druck der Straße u.a. eine fortschrittliche Gemeindereform verabschiedet. Der vorher durch den Landesherrn eingesetzte Schultheiß wurde nun durch einen von den Bürgern frei gewählten Gemeindevorsteher ersetzt. In Marienfels löste der Bürgermeister Gottfried Hausen den Schultheiß Heinrich Cloß ab.[Anm. 19]

Vier Jahre nach der Reichsgründung des Jahres 1871 war der Ort auf nunmehr 287 Einwohner angewachsen, die in 56 Haushalten lebten. So entwickelte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine rege Bautätigkeit. Beispielsweise errichtete man zahlreiche neue Wohnhäuser und die Strohdächer wurden nach und nach durch Schieferdächer ersetzt. Außerdem verbesserte der rege Ausbau der Infrastruktur die Anbindung des Ortes. So wurde in den Jahren von 1880 bis 1888 zwischen Braubach und Marienfels die Landstraße ausgebaut. Der technische Fortschritt hielt auch mit der Eröffnung der Kleinbahnstrecke von Nastätten nach Braubach, die über Marienfels führte, im Jahr 1902 Einzug in das kleine Taunusdorf. Obwohl Güter- und Personenverkehr erheblich erleichtert wurden, erwies sich die Bahn als unrentabel und musste schon 1932 ihren Betrieb einstellen. Im Jahr 1906 erfolgte der Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung und 1914 ans Stromnetz. 1907 erhielt der Ort sein erstes Telefon.[Anm. 20]

Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde der Großteil der männlichen Bevölkerung zum Militärdienst eingezogen. Über die vier Kriegsjahre waren dies insgesamt 65 Wehrpflichtige aus Marienfels, von denen 14 nicht heimkehrten. Durch den Krieg und die folgende Inflation, die 1923 ihren Höhepunkt erreichte, gerieten zahlreiche Familien in große wirtschaftliche Not. So musste auch die Feier des 1000-jährigen Ortsjubiläums, die 1915 begangen werden sollte, ausfallen.

Während der nach dem Krieg erfolgten alliierten Rheinlandbesatzung gehörte das Dorf, in dem auch französische Soldaten einquartiert waren, bis 1930 zur französischen Besatzungszone. Diese Zeit war von tiefem gegenseitigem Misstrauen und Zusammenstößen zwischen Besatzungssoldaten und der Zivilbevölkerung geprägt. Während der kurzen wirtschaftlichen Entspannung der 1920er Jahre wurde 1927 das neue Schulgebäude eingeweiht, in das ein Jahr später das erste Radio des Ortes installiert wurde. Die ökonomische Erholung fand mit der Weltwirtschaftskrise 1929 ein Ende, welche auch die Landbevölkerung schwer traf. Als Maßnahme gegen Not und Arbeitslosigkeit wurde 1932 ein freiwilliger Arbeitsdienst im Steinbruch von Marienfels eingeführt.[Anm. 21]

Der Nationalsozialismus erfuhr in den 1920er Jahren noch keinen großen Zuspruch im Ort. So wählten die Einwohner von Marienfels mehrheitlich (national-)konservativ. Die DVP, später die DNVP sowie die Landvolkpartei erfuhren große politische Unterstützung. Die Sozialdemokratie konnte im Dorf hingegen nie eine Wählerbasis etablieren. Zu Beginn der 1930er Jahre profitierte die NSDAP dann auch in Marienfels von den Auswirkungen der bereits angesprochenen Wirtschaftskrise und der allgemeinen politischen Instabilität. Dazu trug die Gründung einer NSDAP-Ortsgruppe im Jahr 1928 bei. Pfarrer Hans Hahn, der seit 1931 das Amt in Marienfels bekleidete, war ebenfalls ein Anhänger der NS-Ideologie. So konnte die Hitler-Partei ihre Wählerstimmen von 28 im Jahr 1928 auf 139 im Jahr 1932 steigern. Bei den letzten Reichstagswahlen im März 1933 erhielt die NSDAP von 193 abgegebenen Stimmen ganze 161. [Anm. 22]

Mit der Errichtung der NS-Diktatur wurde die Gesellschaft auch auf Gemeindeebene gleichgeschaltet. 1934 wurde der Bürgermeister Karl Heimann wegen politischer Unzuverlässigkeit des Amtes enthoben. Im Jahr 1937 übernahm Ortsgruppenleiter Willi Debus das Amt. Die Verfolgung von Andersdenkenden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft traf auch einen Marienfelser Bürger. Max Hollweg, Anhänger und Prediger der Zeugen Jehovas, wurde nach zahlreichen Verhaftungen und Verhören im Jahr 1937 ins KZ Buchenwald verschleppt und 1940 ins KZ Niederhagen verlegt. Mit viel Glück überlebte er die Internierungen und ließ sich nach dem Krieg im Raum Paderborn nieder.[Anm. 23] Auch der in Marienfels lebende Ingenieur Michael Zywiky wurde zunehmend aus der Volks- und Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Aufgrund ihrer polnischen Herkunft wurde die Familie zur Zielscheibe von Verhetzungen und Übergriffen.[Anm. 24]

Während des Zweiten Weltkrieges waren von November 1939 bis Februar 1940 in Vorbereitung auf den Einmarsch in Frankreich Soldaten der SS-Einheit „Leibstandarte Adolf Hitler“ in Marienfels einquartiert. Um die zum Wehrdienst eingezogenen Arbeitskräfte zu ersetzen wurden seit 1939 zunächst Kriegsgefangene aus Polen, später aus Frankreich und der Sowjetunion in der Landwirtschaft eingesetzt. Im Zuge der sich abzeichnenden Niederlage 1942 transportierte man die beiden älteren Kirchenglocken – gegossen in den Jahren 1439 und 1445 – ab, um sie für Rüstungszwecke einzuschmelzen. Beide Glocken überstanden jedoch den Krieg und wurden 1948 wieder an ihren alten Platz gebracht. Am 27. März 1945 erfolgte dann die Befreiung durch amerikanische Einheiten. Insgesamt ließen 17 Soldaten aus Marienfels im Zweiten Weltkrieg ihr Leben.[Anm. 25]

Nach dem Ende des Krieges und dem Abzug der Amerikaner wurde der Ort Teil der französischen Besatzungszone und der 1934 abgesetzte Bürgermeister Karl Heimann konnte sein Amt wieder ausüben. Im Jahr 1947 erfolgte dann der Beitritt zum neu gegründeten Bundesland Rheinland-Pfalz. Die Nachkriegsjahre stellten das Dorf vor große Herausforderungen. So herrschte ein allgemeiner Mangel an Nahrungsmitteln und der Ort hatte zahlreiche Geflüchtete aus den ehemaligen Ostgebieten unterzubringen. In der Folge erreichte die Einwohnerzahl mit 387 Personen im Jahr 1951 ihren Höhepunkt. Im Laufe der 1950er Jahre begann sich die Situation langsam zu entspannen. 1958 konnte der Friedhof instandgesetzt und ein Denkmal für die Gefallenen des Zeiten Weltkrieges errichtet werden. Im Rahmen von Strukturreformen der 1960er und 1970er Jahre wurde der Ort 1969 Teil des neu geschaffenen Rhein-Lahn-Kreises und 1971 Teil der Verbandsgemeinde Nastätten. Im Jahr 1967 trat Marienfels dem Schulverband Miehlen bei, was das Ende der über 500 Jahre währenden Schulgeschichte des Ortes bedeutete. In den 1970er und 1980er Jahren erfolgten zahlreiche bauliche Veränderungen in Marienfels. So wurde das alte Backhaus abgerissen und 1980 eine neue Gemeindehalle errichtet. 1987 konnte der neue Dorfplatz eingeweiht werden. Den Brunnen ziert ein Löwenkopf, der einem Fund aus dem Marienfelser Kastell nachempfunden ist.[Anm. 26]

Bereits seit dem 19. Jahrhundert begann sich ein Wandel der Arbeitswelt zu vollziehen, der im Laufe des 20. Jahrhunderts zu massiven Veränderungen in der Sozialstruktur des Ortes führte. So waren schon im 19. Jahrhundert nicht mehr alle Einwohner des Dorfes im Agrarsektor tätig. Einige Marienfelser fanden bei der Blei- und Silberhütte in Braubach, der Weberei Kampf und Spindler in Nastätten oder im Kölner Raum Arbeit. Dies führte dazu, dass zahlreiche landwirtschaftliche Höfe zu Nebenerwerbsbetrieben wurden. Das agrarisch geprägte Marienfels entwickelte sich dann im Laufe des 20. Jahrhunderts in einen Arbeits- und Dienstleistungsort. So ist die Landwirtschaft noch für vier Betriebe im Ort die Haupterwerbsquelle. Heute stellt die 1988 gegründete Firma Birko Verpackungs GmbH für die 302 Einwohner zählende Gemeinde einen wichtigen Arbeitgeber dar.[Anm. 27]

Wie bereits erwähnt waren im Winter 1939/40 Soldaten des SS-Verbandes „Leibstandarte Adolf Hitler“ im Ort einquartiert, die sich im späteren Verlauf des Krieges an Kriegsverbrechen beteiligten.[Anm. 28] Da sich teilweise ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Soldaten und Einwohnern entwickelt hatte, stellte der Kameradschaftsverband des ehemaligen 1. Panzerkorps im Jahr 1971 den Antrag zur Errichtung eines Denkmals für das Korps der Waffen-SS auf dem Marienfelser Friedhof.[Anm. 29] Der Beschluss für die Verpachtung einer Fläche auf 30 Jahre wurde von der Gemeindeversammlung – Bürgermeister war mittlerweile Willi Debus, der bereits von 1937 bis 1945 das Amt innehatte – einstimmig angenommen. In der Folgezeit fanden am Denkmal in Marienfels anlässlich des Volkstrauertages Treffen und Gedenkfeiern des Kameradschaftsverbandes statt, die teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet wurden. In den Jahren 1977 und 1989 formierte sich Widerstand gegen die jährlich stattfindenden Veranstaltungen. Man hatte die begründete Befürchtung, dass der Gedenkstein im Dorf sich zu einer Pilgerstätte für Rechtsextreme entwickeln könnte. Als der Pachtvertrag im Jahr 2001 auslief und die Gemeinde diesen nicht verlängerte, löste dies einen Proteststurm in rechtsextremen Kreisen aus. Gegen eine Kundgebung rechter Verbände im Jahr 2003 bezog die „Allianz der Vernunft“ mit über 500 TeilnehmerInnen in Marienfels Stellung. Nach der Zerstörung des Denkmals durch Unbekannte im Frühjahr 2004 zogen in den Folgejahren abermals Rechtsextreme durch das Dorf und wieder protestierte das Aktionsbündnis gegen den rechten Aufmarsch. 2006 wurde das Denkmal, fünf Jahre nachdem der Pachtvertrag ausgelaufen war, endlich aus dem Ort entfernt.[Anm. 30]

Verfasser: Jan Brunner
Verwendete Literaur:

  • Deutsche Limeskommission: Kastell Marienfels. URL: www.deutsche-limeskommission.de/index.php (25.07.2020).
  • Gensicke, Hellmuth: Zur nassauischen Ortsgeschichte. Das Kirchspiel Marienfels, in: Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 91 (1980), S. 284-297.
  • Heimann, Richard: Marienfels. Der Römerort hinter dem Limes, in: Rhein-Lahn-Kreis. Heimatjahrbuch (2005), S. 56-67.
  • Heimann, Richard: Ein Gerichtstag in Marvels im Jahre 1361, in: Rhein-Lahn-Kreis. Heimatjahrbuch (2002), S. 51-56.
  • Heimann, Richard: Marienfels. Der Mythos eines Ortes. Vom Altertum bis in unsere Tage. [Marienfels] 2006.
  • Heintz, Albert: Die Statuten des Landkapitels Marfels (Marienfels) vom Jahre 1346, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 1 (1949), S. 223-229.
  • Lieb, Peter: Militärische Elite? Die Panzerdivisionen von Waffen-SS und Wehrmacht in der Normandie 1944 im Vergleich, in: Lieb, Peter/Schulte, Jan Erik/Wegner, Bernd (Hgg.): Die Waffen-SS. Neue Forschungen. Paderborn 2014 (= Krieg in der Geschichte Bd. 74), S.336-353.
  • Ortsgemeinde Marienfels (Hg.): Marienfels. Die große Geschichte eines kleinen Dorfes. Bad Ems 1990.
  • Schreiber, Gerhard: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung. München 1996, S. 129-133
  • Schüler, Winfried: Das Herzogtum Nassau 1806-1866. Deutsche Geschichte im Kleinformat. Wiesbaden 2006 (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau Bd. 75).
  • Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz: Marienfels, Bevölkerung. URL: https://infothek.statistik.rlp.de/MeineHeimat/content.aspx?id=103&l=3&g=0714107084&tp=2047 (27.07.2020).

Letzte Bearbeitung: 30.07.2020

Anmerkungen:

  1. Deutsche Limeskommission: Kastell Marienfels. URL: www.deutsche-limeskommission.de/index.php (25.07.2020); Ortsgemeinde Marienfels (Hg.): Marienfels. Die große Geschichte eines kleinen Dorfes. Bad Ems 1990, S. 5-20. Zurück
  2. Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 27ff. Zurück
  3. Gensicke, Hellmuth: Zur nassauischen Ortsgeschichte. Das Kirchspiel Marienfels, in: Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung 91 (1980), S. 284-297, hier S. 284. Zurück
  4. Heimann, Richard: Marienfels. Der Römerort hinter dem Limes, in: Rhein-Lahn-Kreis. Heimatjahrbuch (2005), S. 56-67, hier S. 63; Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 37ff. Zurück
  5. Heimann, Richard: Ein Gerichtstag in Marvels im Jahre 1361, in: Rhein-Lahn-Kreis. Heimatjahrbuch (2002), S. 51-56, hier S. 55f. Auf diesen Seiten findet sich ein Verzeichnis zahlreicher Ortsnamen des Rhein-Lahn-Kreises in alter Schreibweise; Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 40ff u. 133-139. Zurück
  6. Gensicke, Ortsgeschichte, S. 285; Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 139f. Zurück
  7. Heimann, Richard: Marienfels. Der Mythos eines Ortes. Vom Altertum bis in unsere Tage. [Marienfels] 2006, S. 48ff.; Ortgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 55-58. Zurück
  8. Gensicke, Ortsgeschichte, S. 286ff; Ortsgemeine Marienfels, Geschichte, S. 29ff. Zurück
  9. Gensicke, Ortsgeschichte, S. 284.  Zurück
  10. Heintz, Albert: Die Statuten des Landkapitels Marfels (Marienfels) vom Jahre 1346, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 1 (1949), S. 223-229, hier S. 224. Zurück
  11. Gensicke, Ortsgeschichte, S. 288. Zurück
  12. Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 84ff u. 95f. Zurück
  13. Heintz, Statuten, S. 224; Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 88f. u. 118-124. Zurück
  14. Gensicke, Ortsgeschichte, S. 292; Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 145f. Zurück
  15. Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 65-77 u. 140. Zurück
  16. Ebd., S. 62ff. Zurück
  17. Ebd., S. 147. Zurück
  18. Ebd., S. 148ff. u. S. 193. Zurück
  19. Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte S. 157-160; Schüler, Winfried: Das Herzogtum Nassau 1806-1866. Deutsche Geschichte im Kleinformat. Wiesbaden 2006 (=Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau Bd. 75), S. 193ff. Zurück
  20. Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 160-173. Zurück
  21. Ebd., S. 173-188. Zurück
  22. Heimann, Marienfels, S. 106f.; Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 182-188. Zurück
  23. Heimann, Marienfels, S. 76-70 u. 106. Zurück
  24. Ortsgemeinde Marienfels, Geschichte, S. 199f. Zurück
  25. Ebd., S. 109 u. 204-210. Zurück
  26. Ebd., S. 211-241. Zurück
  27. Ortsgemeinde Marienfels, S. 214-223 u. 248; Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz: Marienfels, Bevölkerung. URL: https://infothek.statistik.rlp.de/MeineHeimat/content.aspx?id=103&l=3&g=0714107084&tp=2047 (27.07.2020). Zurück
  28. Lieb, Peter: Militärische Elite? Die Panzerdivisionen von Waffen-SS und Wehrmacht in der Normandie 1944 im Vergleich, in: Lieb, Peter/Schulte, Jan Erik/Wegner, Bernd (Hgg.): Die Waffen-SS. Neue Forschungen. Paderborn 2014 (= Krieg in der Geschichte Bd. 74), S.336-353, hier S.350f.; Schreiber, Gerhard: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung. München 1996, S. 129-133: Einheiten der „Leibstandarte Adolf Hitler“, waren für zahlreiche Kriegsverbrechen in Belgien, Italien und Osteuropa verantwortlich. Dennoch muss klargestellt werden, dass nicht jeder Soldat der Waffen-SS ein Kriegsverbrecher war. Zurück
  29. Lieb, Waffen-SS, S. 351: Dem erst im Sommer 1943 gebildete Großverband des 1. SS-Panzerkorps unterstanden u.a. die im Winter 1939/40 in Marienfels stationierten Einheiten der „Leibstandarte Adolf Hitler“. Zurück
  30. Heimann, Marienfels, S. 111-137. Zurück