Bingen in Rheinhessen

Kloster Rupertsberg

[Bild: Gemeinfrei]

Zurückzuführen ist diese Stätte auf den hl. Rupertus von Bingen (712-732), der sich als Thronerbe von Friesland nach einer Pilgerreise nach Rom entschloss, sein gesamtes Eigentum zu verkaufen, das Geld den Armen zu schenken um dem Vorbild Jesu Christi nachzufolgen.
Unter tatkräftigen Unterstützung seiner Mutter Berta, der Mutter des Majordomus Pippin II., baute er das Sozialwerk am Rhein-Nahe-Eck weiter aus und verhalf dadurch dem Binger Land zu Wohlstand und Blüte. Sein Grab und das seiner Mutter wurde in der von beiden erbauten Kirche verehrt.
Vier Jahrhunderte nach seinem Tod erlangte der Rupertsberg seine heutige Berühmtheit, als die Heilige Hildegard von Bingen sich entschloss, dort eine Klostergründung vorzunehmen. Die bislang auf dem Disibodenberg als Klausnerin lebende Visionärin zog 1150 mit 20 Nonnenauf den Rupertsberg, den sie zuvor in einer göttlichen Schau als ihre zukünftige Wirkungsstätte gezeigt bekommen hatte. Hildegard ließ die Kirche des hl. Ruperts, die seit dem Normannensturm Ende des 9. Jahrhunderts als Ruine dastand, wiederaufbauen.
Noch zu Lebzeiten Hildegards vollzog sich die Gründung des Tochterklosters in Eibingen. Das Ende des Klosters war im Jahr 1632, als es den Schweden in die Hände fiel. Der Konvent zog nach Eibingen.

Geschichte der Klosterruine im 19. und 20. Jahrhundert

Am 17.10.1803 wurde im Zuge der Säkularisation das Rest-Anwesen des ehemaligen Rupertsklosters versteigert und gelangte so in den Besitz der Familie Herter. Schon 1819 standen von den ehemaligen Klosterbauten nur noch die Grundmauern. In die Kirchenruine baute man ein Haus ein. Aus dem Restgebäude der ehemaligen Klosterkirche wurden dann im 19. Jahrhundert ein Gasthaus und Hotel.
Nach einem Brand von 1975 standen nur noch die Grundmauern des ehemaligen Herterschen Wohnhauses, das aus dem Ruinenrest der Kirche entstanden war. In dem neu entstandenen Haus von 1977 wurden vier Arkadenbögen des Ursprungsbaus eingebaut.

Beschreibung des Klosters

W. Zimmermann (1935) beschreibt die Kirche als eine Pfeilerbasilika mit östlicher halbrunder Apsis und zwei viereckigen Osttürmen zu Seiten des Chorquadrats. Die Türme durch Lisenen mit verbindendem Rundbogenfries gegliedert. Die Fenster der Apsis anscheinend im 14. Jahrhundert erweitert.

Rita Otto (1976) nimmt für das Langhaus sieben Arkaden an und errechnet deren Länge mit insgesamt etwa 30 m. Aus der gleichmäßigen Reihung der Obergadenfenster schließt sie auf eine Flachdecke, aus dem runden Chorbogen auf einen tonnengewölbten Chor.

Rupert und Hildgard von Bingen

Nachdem das Christentum schon unter dem römischen Kaiser Konstantin seit 313 im römischen Reich toleriert worden war, wurde es unter Kaiser Theodosius Ende des 4. Jahrhunderts offiziell als Staatsreligion anerkannt. Spätestens seit dieser Zeit ist mit einer Christengemeinde in Mainz zu rechnen. Anschließend dürften sich solche auch in anderen römischen Siedlungen gebildet haben. Die Franken, die Erben der römischen Herrschaft, übernahmen ebenfalls das Christentum - ein entscheidender Faktor der Kontinuität von der Antike zum Mittelalter. Am Beispiel der Stadt Bingen läßt sich die wichtige Rolle von Christen- und Judentum in einer Stadt gut verdeutlichen.

Der heilige Rupert

An der Stelle, wo später Hildegard von Bingen ein Kloster gründete, stand zunächst eine dem heiligen Rupert geweihte Kirche. Über die Person des Rupert unterrichtet uns Hildegard selbst in der von ihr verfaßten Lebensbeschreibung des Heiligen (um 1160).

Der heilige Rupert lebte im 9. Jahrhundert. Er gehörte vermutlich zur Grafenfamilie der Rupertiner, die in königlichem Auftrag das Land um den Mittelrhein zwischen Speyer und Bingen verwalteten. Rupert wurde ca. 830 geboren. Sein Vater hatte seinen Sitz wohl auf der Burg Lubun, die auf dem Münsterkopf bei Münster-Sarmsheim lag (bei Ausgrabungen Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt). Nach dem Tod des Vaters zog seine Mutter Bertha mit dem dreijährigen Rupert auf die andere Naheseite, wo zwei Höfe lagen (Gebiet des heutigen Bingerbrück - in der Schul- und Wilhelmstraße wurden zwei zu den Höfen gehörende Gräberfelder entdeckt). Bertha gründete hier ein Xenodochium (Heimstatt für Pilger und Kranke), zu dem mehrere Geistliche gehörten.

Rupert unternahm als Erwachsener eine Wallfahrt nach Rom und zog sich anschließend vom weltlichen Leben zurück. Seinen Besitz verwendete er, um Kirchen zu bauen. Im Alter von nur 20 Jahren starb er und wurde in der Kirche in Bingerbrück beigesetzt. Seine Mutter lebte dort weiter bis zu ihrem Tod im Jahre 875. Die Kirche, in welcher Rupert beigesetzt war, wurde bald darauf von den Normannen zerstört. Mit der Gründung des Klosters Rupertsberg bei dieser Kirche im Jahre 1147 durch Hildegard von Bingen lebte die Verehrung Ruperts wieder auf.

Hildegard von Bingen und die Gründung des Klosters Rupertsberg

[Bild: Gemeinfrei]

Hauptquelle für die Biographie Hildegards ist die Lebensbeschreibung, die der Disibodenberger Mönch Gottfried noch zu Lebzeiten Hildegards 1174/75 begonnen hatte. Hildegard wurde 1098 als zehntes Kind ihrer Eltern, einer Niederadelsfamilie (von Bermersheim, bei Alzey), geboren. Mit acht Jahren übergaben sie ihre Eltern einer dem Benediktiner-Mönchskloster Disibodenberg angeschlossenen Frauenklause. 1136 übernahm Hildegard im Alter von 38 Jahren die Leitung der Gemeinschaft. 1147 begann sie den Bau eines eigenen Klosters auf dem Rupertsberg bei Bingen.
Klöster wurden in der Regel von Fürsten gegründet. Da im Zusammenhang mit einer Heirat Brauteltern oftmals eine erhebliche Mitgift aufzubringen hatten, waren Klöster beliebte, standesgemäße Versorgungsinstitutionen für Adelskinder. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, daß das Kloster Rupertsberg von einer Frau gegründet wurde. Um 1150 zog Hildegard zusammen mit 20 Mitschwestern in das neue Kloster ein.
Das Kloster besaß eine romanische Kirche, die 1152 vom Mainzer Erzbischof geweiht wurde. Zum Kloster gehörten auch Wohn- und Arbeitsräume (Webkammern, Spinnstuben, Wasch- und Kleiderkammern). Sämtliche Arbeitsräume verfügten über eine Wasserleitung. Über die Tätigkeit der Nonnen berichtet der Mönch Wibert von Gembloux:
An Festtagen wurde nicht gearbeitet, sondern man saß zusammen, las aus der Heiligen Schrift und übte sich im Gesang. An Werktagen beschäftigte man sich vor allem mit dem Abschreiben von Büchern, dem Anfertigen von liturgischen Gewändern und sonstigen Handarbeiten.
Aus heutiger Perspektive ist vor allem das von Wibert erwähnte "Abschreiben von Büchern" wichtig. Dank der Klöster haben sich viele antike Schriften in Abschriften erhalten. Die Kenntnis der antiken Literatur dürfte auch die Basis des medizinischen Wissens Hildegard von Bingen (vgl. unten) gewesen sein. Abbildung 54 gibt einen Eindruck vom Aussehen des Klosters vor der Zerstörung im Jahre 1632. Im Vordergrund ist die kleine Jakobskapelle zu erkennen. Der rechte Kirchtum trägt ein provisorisches Dach. Der Turmhelm war in einer Auseinandersetzung des Klosters mit Binger Bürgern zerstört worden.
Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich Rupertsberg zu einem blühenden Gemeinwesen mit circa 50 Schwestern. Nachdem sie lange zurückgezogen auf dem Disibodenberg gelebt hatte, veränderte die Trierer Synode von 1147/48 das Leben Hildegards grundlegend. Im Anschluß an die Synode entfaltete sie eine rege Tätigkeit auf vielen Gebieten. Trotz ihrer schwachen Gesundheit - Medizinhistoriker glauben aus ihrer Biographie auf bestimmte Krankheiten, wie z.B. Migräne, schließen zu können - unternahm sie viele Reisen, die sie nach Bamberg, Trier, Metz und Köln führten. Noch im Alter von 72 Jahren reiste sie nach Schwaben und in die Schweiz bis Zwiefalten. 1154 traf sie sich mit Kaiser Friedrich I. in Ingelheim.
In zahlreichen Briefwechseln fungierte Hildegard als Ratgeberin für Päpste, Kaiser und Könige, Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, Äbtissinen und Äbte, Nonnen und Mönche sowie weltliche Adlige und Bürger. Ihre Verbindungen reichten nach England, in die Niederlande, nach Frankreich, in die Schweiz, nach Italien und bis nach Byzanz. Die Zuordnung der Briefe ist nicht einfach, da Zeitangaben, Ausstellungsorte und vielfach sogar die Namen der Adressaten fehlen.
Hildegard erfand eine eigene Geheimsprache, die aus einer Reihe von für die Zeitgenossen unbekannten Worten bestand. Der Zweck dieser Geheimschrift ist unbekannt. Normalerweise pflegte Hildegard ihre Meinung offen und unverblümt zu sagen. Möglicherweise diente die Geheimsprache für kurze, klosterinterne Mitteilungen. In einem Verzeichnis sind uns 900 von Hildegards Geheimwörtern überliefert. Allerdings sind nur wenige Schriftstücke bekannt, die Wörter aus Hildegards Geheimsprache enthalten. Vielleicht sind die meisten Schriftstücke von den Empfängern vernichtet worden.

Geheimworte Hildegards:
Diueliz = Teufel
Viriscal = Bart
Beniszia = rechte Hand
Malskir = Zahn
Osinzmalskir = Backenzahn
Phazur = Großvater
Kolzphazur = Urgroßvater

Darüber hinaus betätigte sich Hildegard als Komponistin. Sie schrieb 77 Lieder und ein Singspiel. Im Mittelpunkt ihrer literarischen Tätigkeit stehen religiöse Schriften. 1141 hatte sie von Gott nach eigenen Aussagen den Auftrag erhalten: Schreibe, was du siehst und hörst. In drei großen Werken schilderte sie ihre Visionen.
Hildegard war Naturwissenschaftlerin und Ärztin. Allgemein kam den Klöstern bzw. den Klosterschreibstuben eine zentrale Rolle bei der Tradierung antiker wissenschaflicher Literatur zu. Die Krankenpflege war schon seit den ersten Klostergründungen um 300 ein wichtiger Bereich klösterlicher Tätigkeit. Vielen Kirchen waren sogenannte Hospize angeschlossen, in welchen durchreisende Fremde bzw. ortsansässige Arme und Kranke behandelt wurden.
Einige Ratschläge aus ihren medizinischen Schriften sind durchaus modern: "Nahrung soll kräftig, aber mäßig sein. Aus Überfütterung mit fetten und rohen Speisen entstehen viele schwere Krankheiten." Andere Rezepte muten aus heutiger Sicht dagegen etwas seltsam an, wie ein Auszug aus einem Rezept gegen Migräne unterstreicht: Wer an halbseitigem Kopfschmerz leidet, soll Aloe und doppelt soviel Myrrhe nehmen und beides zu einem äußerst feinen Pulver verreiben. Dann nehme er Weizenmehl, füge dem Ganzen Mohnöl hinzu und mache daraus eine Masse wie einen Sauerteig. Mit diesem Teig muß er den ganzen Kopf bis an die Ohren und bis zum Hals herunter bedecken, darüber eine Mütze stülpen und diese drei Tage und drei Nächte auf seinem Kopf liegen lassen.
Wer an halbseitigem Kopfschmerz leidet, soll Aloe und doppelt soviel Myrrhe nehmen und beides zu einem äußerst feinen Pulver verreiben. Dann nehme er Weizenmehl, füge dem Ganzen Mohnöl hinzu und mache daraus eine Masse wie einen Sauerteig. Mit diesem Teig muß er den ganzen Kopf bis an die Ohren und bis zum Hals herunter bedecken, darüber eine Mütze stülpen und diese drei Tage und drei Nächte auf seinem Kopf liegen lassen.
In ihren Naturbeschreibungen schilderte Hildegard mit großer Genauigkeit Pflanzen, Tiere, Steine und Metalle und beschreibt deren Heilkräfte. Ihr besonderes Interesse galt den Pflanzen. Aus ihren Beschreibungen lassen sich Rückschlüsse auf die Nahrung des 12. Jahrhundert ziehen. So wurden angebaut: Weizen, Roggen, Hafer, Gerste und Spelz, den Hildegard als die beste Brotfrucht preist. Aus Gerste und Hafer wurde Bier hergestellt, das mit Hopfen und Eschenblättern haltbar gemacht wurde. Hildegard erwähnte Bohnen, Erbsen, Linsen und "Kichern". Zierpflanzen in unserem heutigen Sinne kannte man damals nicht. Veilchen, Ringelblumen, Begonien, Rosen und Lilien waren Nutzpflanzen. Der Rose schrieb man Heilwirkung zu. Eine Anweisung Hildegards lautete: Sammle die Rosenblätter bei Tagesanbruch und lege sie über die Augen, sie machen dieselben klar und ziehen das 'trieffen' heraus. Hildegard erwähnte drei Kohlarten, Rettich, Rüben, Suppenkräuter, Sellerie, Petersilie, Zwiebeln, Knoblauch, Prieslauch (Schnittlauch), Alslauch (Schalotte) und Unlauch (gewöhnliche Zwiebel). An Gewürzen kannte sie: Kümmel, Thymian, Bohnenkraut, Dill, Fenchel, Anis, Senf, Kresse, Lattich (Salatart). Beim Wein unterschied sie fränkischen und hunnischen Wein, wobei der erstere das Blut aufrege und deshalb nur mit Wasser vermischt getrunken werden solle. Mit besonderer Genauigkeit beschrieb sie die verschiedenen Fischarten.
Hildegard war auch Geschichtsschreiberin. Sie verfaßte zwei Heiligenviten, eine über den heiligen Rupert (um 1160, vgl. oben) und eine über den heiligen Disibod (um 1170). Sie bediente sich dabei vieler, heute verlorener Quellen, so daß ihre Viten wichtige Quellen für das Leben der beiden genannten Personen sind. Am 17. September 1179 starb Hildegard von Bingen im Alter von 81 Jahren.
Nach den Zerstörungen im Dreißigjährigen Krieg ist das Kloster nicht wieder aufgebaut worden. Die letzten Reste fielen 1858 dem Bau der Nahetalbahn zum Opfer. Nur geringe Reste um die heutige Hildegardiskirche erinnern an das Kloster.
1165 hatte Hildegard ein Tochterkloster in Eibingen oberhalb Rüdesheim auf der anderen Rheinseite gegründet. Dort lebten etwa 30 Nonnen. 1641 siedelten die Nonnen von Rupertsberg nach Eibingen über. Kloster Eibingen wurde 1814 aufgehoben. 1904 wurde oberhalb Eibingen wieder ein Benediktinerinnenkloster gegründet, welches das Gedenken an die heilige Hildegard pflegt.

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Nachweise

Verfasser: Paul Sebastian Moos

Redaktionelle Bearbeitung: Ann-Kathrin Zehender

Verwendete Literatur:

  • Lauter, Werner: Rupert von Bingen. In: BBKL, Bd. 8 (1994), Sp. 1018-1021.

Aktualisiert am: 12.05.2014