Hamm in Rheinhessen

Zur Geschichte von Hamm am Rhein

Frühe Geschichte bis zum Fränkischen Reich

Luftbildaufnahme Hamm[Bild: Alfons Rath]

Die früheste schriftliche Nennung des Ortes Hamm am Rhein findet sich in einer Urkunde aus dem Lorscher Codex vom 10. Oktober 782. In dieser Urkunde schenkte Eberhold dem Kloster Lorsch unter anderem Besitzungen in der Ortschaft Hamm, damals noch unter dem Namen „Hammo“. Insgesamt acht Mal wird Hamm am Rhein in den Urkunden des Lorscher Codex im Zeitraum von 782 und 793 erwähnt. Sieben Mal im Zuge von Schenkungsurkunden von Begüterten, die Besitzungen in der Ortschaft an das Kloster übertrugen, und ein achtes Mal in einer Übersicht der Klosterbesitzungen.

Die Gegend am Rhein war jedoch schon vor dem 8. Jahrhundert ein beliebter Siedlungsplatz. So deuten archäologische Überreste auf eine Besiedlung durch keltische und germanische Verbände ab der Bronzezeit (etwa 1800 – 800 v. Chr.) hin. In der Zeit um Christi Geburt wurden die römischen Legionen an den Rhein verlegt und prägten die Siedlungen im Gebiet um die römischen Stützpunkte Mainz, Worms und Speyer nachhaltig. Eine Heerstraße, die durch die Gemarkung Hamm führte, verband den rechtsrheinischen Stützpunkt Gernsheim mit den linksrheinischen Gebieten und erklärt die römischen Überreste, die im 19. Jahrhundert in der Gemarkung Hamm gefunden wurden.

Nachdem die Römer um 400 n. Chr. die Rheinlinie aufgaben, folgte eine wechselnde Herrschaft von Vandalen, Burgundern und Alemannen. Nach dem Sieg Chlodwigs über die Alemannen im Jahr 496 wurde das Gebiet um Worms in das fränkische Reich eingegliedert. Im Zuge der fränkischen Landnahme, einer umfangreichen Kolonisierung in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts, wurde das Gebiet um den Rhein neubesiedelt. Die meisten in dieser Zeit neugegründeten Ortschaften enden auf -heim. Hamm und das benachbarte Eich sind daher mit großer Wahrscheinlichkeit keine fränkischen Gründungen, sondern älteren und nicht mehr sicher feststellbaren Ursprungs. Den Ortsnamen Hamm gibt es in Deutschland mehrfach und er besitzt verschiedene Deutungstheorien. Alle Ortschaften mit diesem Namen haben jedoch gemeinsam, dass sie an einem Fluss liegen, weshalb die Bedeutung „am Ufer oder an der Biegung eines Flusses gelegen“ am wahrscheinlichsten ist. [Anm. 1]

Mittelalter und Frühe Neuzeit

Die Ortschaft Hamm am Rhein gehörte im Mittelalter zunächst zum Gebiet des Wormser Domstifts und wird in der Mauerbauordnung des Bischofs Theodolach von Worms aus den Jahren 873 und 914 erwähnt. So hatten die EinwohnerInnen aus Hamm zusammen mit den Gemeinden Rudolsheim (Rudelsheim/Ludwigshöhe), Gummesheim (Gimbsheim), Eichana (Eich), Ubersheim (Ibersheim), Durikem (Rheindürkheim), Alsheim und Mettenheim die Aufgabe einen Teil der Wormser Stadtmauer zu unterhalten. Dafür durften sie im Krisenfall in der Stadt Schutz suchen, was unter anderem bei den Einfällen der Normannen 891 und Ungarn 932 genutzt wurde.

Aus dem Jahr 1215 ist überliefert, dass Abt Konrad des Lorscher Klosters den kleinen Zehnt in Hamm an das St. Paulus-Stift in Worms verkaufte. Nach der Aufteilung des Lorscher Klosterbesitzes im Jahr 1232 zwischen Kurmainz und der Kurpfalz gehörte Hamm am Rhein zunächst zu Kurmainz. Spätestens im 14. Jahrhundert ging die Hälfte der Hoheit über Hamm an die Grafen von Leiningen. Mitte des 15. Jahrhunderts führten Erbstreitigkeiten der Leininger dazu, dass der leiningische Teil der Hammer Ortsherrschaft zusammen mit anderen Lehen vom Wormser Bischof Eginhard von Sickingen dem Kurfürsten Friedrich I. von der Pfalz versprochen wurde, wenn er ihm die vorenthaltene Burg Leiningen und andere heimgefallene Wormsische Lehnstücke verschaffte. Im Jahre 1468 fand dieser Handel tatsächlich statt und der pfälzische Kurfürst erhielt für sich und seine Erben unter anderem die Hälfte der Vogtei in Hamm. Die andere Hälfte des Dorfes hielten zunächst verschiedene Adlige der Umgebung. 1521 lagen die Rechte nachweislich bei den Dunen von Leiningen, bevor auch dieser Teil an die Kurpfalz ging. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts war Hamm damit kurpfälzisch.[Anm. 2]

1597 und 1605 tötete die Pest, die aus den benachbarten Ortschaften eingeschleppt worden war, große Teile der Hammer Bevölkerung. Die zunehmenden Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten führten 1618 zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Hamm besaß zu dieser Zeit keine Ortsbefestigung, sondern war nur mit einem Heckenzaun („Hag“) umgeben, während die Ortseingänge von Falltoren geschützt wurden. Hamm war damit weitgehend ungeschützt als 1626/27 die katholischen Truppen unter Johann T’Serclaes von Tilly kamen und den Ort zerstörten. Die kurpfälzischen Gebiete standen danach zunächst unter spanischer Verwaltung, die die reformierte Kirche abgeschaffte und den Katholizismus systematisch verbreiteten. 1630 griff der schwedische König Gustav Adolf in den Krieg ein und überschritt 1631 bei Erfelden den Rhein, wodurch der reformierte Glauben in der Pfalz wieder Fuß fassen konnte. Nach der Niederlage der schwedischen Truppen 1634 bei der Schlacht von Nördlingen und deren darauffolgenden Rückzug wurde erneut der Katholizismus verbreitet. Erst nach dem Westfälischen Frieden von 1648 wurde die Kurpfalz und die reformierte Kirche wieder hergestellt. In der Zeit nach dem Krieg kam es zu einer Masseneinwanderung aus weniger stark vom Krieg betroffenen Gebieten Europas, sodass sich in Hamm EinwanderInnen aus der Schweiz und den Niederlanden ansiedelten, die beim Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Landes halfen.[Anm. 3]

Die Friedenszeit hielt jedoch nur kurz an, da die Expansionskriege (1667/68 – 1697) des französischen Königs Ludwig XIV. erneut Konflikte an den Rhein brachten. Vor allem im Holländischen Krieg (1672 – 1676) zogen kaiserliche und französische Truppen durchs Rheinland. Die EinwohnerInnen Hamms suchten dabei auf der Insel Wörth und auf der rechten Rheinseite in der Hammer Au und der Nachbargemeinde Groß-Rohrheim Schutz. Zu Beginn des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1689 – 1697) wurde Hamm am 21. März 1689 zusammen mit Eich und Rheindürkheim nach einem Gefecht zwischen Frankreich und Kursachsen bei Eich von französischen Truppen eingeäschert. Dies war ein Vorspiel für die folgende Zerstörung zahlreicher Dörfer zwischen Alzey und Nieder-Olm in der sogenannten Pfalzzerstörung.

Fachwerkhaus[Bild: Torsten Schrade]

 Im 18. Jahrhundert folgte schließlich für den rheinhessischen Raum eine längere Zeit des Friedens, die es ermöglichte die Kriegsschäden zu beseitigen. Der Wiederaufbau des Dorfes begann jedoch erst um die Mitte des Jahrhunderts. Erweiterungen des Dorfes waren durch die Bevölkerungslücken, die die Kriege und die Pest im 17. Jahrhundert verursacht hatten, nicht nötig. Während für das Jahr 1678, dreißig Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, eine Dorfbevölkerung von etwa 250 Menschen geschätzt wird, wohnten im Jahr 1738 noch immer nur 79 Familien in Hamm, was eine Einwohnerzahl von etwa 350 EinwohnerInnen ergibt. Die 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts brachte dagegen einen großen Bevölkerungswachstum, sodass 1766 bereits 456 EinwohnerInnen und 1784 schon 631 EinwohnerInnen in Hamm lebten. [Anm. 4]

Französische Herrschaft bis zum 1. Weltkrieg

1792 kamen die französischen Revolutionstruppen im Zuge des Ersten Koalitionskrieges (1792 – 1797) nach Rheinhessen und brachten ihr revolutionäres Gedankengut mit. Mit dem Frieden von Campo Formio (17. Oktober 1797) annektierte Frankreich das gesamte linksrheinische Gebiet und Hamm am Rhein wurde eine Mairie (Bürgermeisterei) des Canton Bechtheim im Département du Mont Tonnerre (Donnersberg). Seit dem Frieden von Lunéville (9. Februar 1801) stellte der Rhein die offizielle Grenze zwischen dem napoleonischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich dar und wurde in den folgenden Napoleonischen Kriegen (1800 – 1814) immer wieder Kriegsfront, wodurch der Schmuggel auf dem Rhein aufblühte.

Zu dieser Zeit trieb besonders am Oberrhein die Räuberbande von Johannes Bückler ihr Unwesen, dem sogenannten „Schinderhannes“. Auch zwei in Hamm gebürtige Männer waren wohl Teil seiner Bande. Angeblich fand die Räuberbande in Hamm am Rhein wiederholt Unterschlupf und Fluchthilfe bei der ortsansässigen Fischerfamilie Seibel, die der Bande half, auf die andere Rheinseite überzuwechseln, wenn es auf der linken Rheinseite zu gefährlich wurde. Der Schinderhannes wurde schließlich am 31. Mai 1802 im östlichen Hintertaunus verhaftet und nach mehrmonatiger Untersuchung und Prozess am 21. November 1803 hingerichtet. [Anm. 5]

Protestantische Kirche in Hamm am Rhein[Bild: Immanuel Giel [CC BY-SA 4.0]]

Nach dem Ende der Napoleonischen Ära und der Neuordnung Mitteleuropas im Wiener Kongress 1814/15 gehörte Hamm am Rhein ab 1816, zusammen mit dem linksrheinischen Gebiet um Bingen, Alzey, Worms und Mainz zu den Gebieten der Großherzöge von Hessen-Darmstadt, die sich fortan „zu Hessen und bei Rhein“ nannten. Der Brand der alten Kapelle im Februar 1826, die sich seit der Kirchenteilung 1707 im Besitz der Reformierten befand, machte den Neubau einer evangelischen Kirche nötig, weshalb zwischen 1828 und 1831 ein neuer klassizistischer Kirchenbau entstand.

In den Jahren zwischen 1825 und 1829 waren Hamm und die Nachbargemeinden immer wieder von schweren Hochwassern betroffen, wenn die Dämme den Rhein nicht mehr aufhalten konnten und die Wassermassen Teile der Gemarkung überschwemmten. Die Begradigung und Schiffbarmachung des Rheins zwischen 1815 und 1876 durch Durchstiche, unter anderem in Germersheim (1827 – 1832), kürzte den Rheinlauf zwischen Basel und Mainz um etwa 100 km und senkte den Wasserspiegel um zwei bis drei Meter ab, wodurch bis heute die Hochwassergefahr gesenkt wurde. [Anm. 6]

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm auch das große Bevölkerungswachstum, das durch die napoleonischen Kriege unterbrochen worden war, wieder zu. 1822 hatte Hamm 1049 EinwohnerInnen, wobei der Großteil der Bevölkerung (841 Personen) dem evangelischen Glauben angehörten. Gleichzeitig war auch ein vermehrter Zuzug jüdischer Familien nach Eich und Hamm zu beobachten, die sich 1842 zur israelitischen Religionsgemeinde Eich-Hamm zusammenschlossen. Während diese Gemeinde bei ihrer Gründung etwa 64 Mitglieder zählte, erreichte sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit 84 Personen ihren Höchststand. Aus dem Jahr 1834 ist zum ersten Mal eine Synagoge in Hamm erwähnt, die in einem Privathaus untergebracht war. Die Verlagerung des religiösen Zentrums in die Synagoge von Eich und die Auswanderungswellen nach Amerika in den 1840er und 1860er Jahren hatten zur Folge, dass 1879 nur noch fünf jüdische Personen in Hamm lebten und das Bevölkerungswachstum in der Mitte des Jahrhunderts stagnierte (1856 etwa 1250 EinwohnerInnen; 1864 etwa 1213 EinwohnerInnen; 1870 etwa 1210 EinwohnerInnen).

Das Ende des 19. Jahrhunderts war nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der Gründung des Deutschen Kaiserreiches vor allem durch die Modernisierung des Ortes und dem Ausbau der Infrastruktur geprägt. Nachdem man sich bereits 1887 für den Bau einer Bahnlinie eingesetzt hatte, konnte die Eisenbahnstrecke am 17. September 1900 eingeweiht und in Betrieb genommen werden. 1913 wurde Hamm am Rhein an das elektrische Netz angeschlossen. Eine Wasserleitung wurde jedoch von den Verantwortlichen als überflüssig eingeschätzt. [Anm. 7]

Das 20. Jahrhundert

Im 19. und 20. Jahrhundert breitete sich die Korbmacherindustrie vermehrt in der Hammer Gemeinde aus. Während erste Hinweise auf die Ausübung der Korbflechterei in Hamm aus dem späten 18. Jahrhundert stammen, wird die Berufsbezeichnung Korbmacher erstmals im Versteigerungsprotokoll der Gemeindeäcker aus dem Jahr 1828 erwähnt. In den folgenden Jahren nahm die Anzahl der Korbmacher in Hamm immer weiter zu, wodurch 1870 bereits 16 Korbmacher, meist in Heimarbeit, und ein Korbhändler erwähnt werden. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich das Korbflechter-Handwerk in Hamm zu einer bedeutenden Erwerbstätigkeit, sodass 1908 mit 265 Menschen etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung in der Hammer Korbmacherindustrie tätig war. Seit 1906 war das Hammer Korbflechtgewerbe vermehrt zur Herstellung von feineren Korbflechtwaren (Feinflechterei) übergegangen, um der zunehmenden Konkurrenz zu begegnen.

Der Ausbruch des 1. Weltkrieges am 28. Juli 1914 hatte einen negativen Einfluss auf die Hammer Korbmacherindustrie. Die allgemein herrschende patriotische Grundstimmung im Deutschen Kaiserreich hatte zur Folge, dass sich viele wehrfähige Männer freiwillig zum Militärdienst meldeten. So kämpften auch Einwohner aus Hamm auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges, von denen bis Kriegsende 1918 44 Männer gefallen waren.

Mit dem Ende des 1. Weltkrieges wandelte sich das Deutsche Kaiserreich zur Weimarer Republik (1918 – 1933). Der Krieg hinterließ eine schwierige wirtschaftliche Situation, die durch Hyperinflation und die hohen Reparationszahlungen noch verschlimmert wurden. In Hamm führte diese schwierige Situation unter anderem zur Abkehr von der bisherigen selbstständigen Arbeit der Korbmacher in den einzelnen Familien und zur Gründung der Handwerker-Genossenschaft 1926. Der Zusammenschluss zur Genossenschaft eröffnete neue Absatzmärkte und die Möglichkeit auch größere Aufträge anzunehmen. Ab 1927 konnten daher lukrative Aufträge aus dem Wehrmachtsbereich zur Herstellung von Geschosskörben bearbeitet werden. Ende der 1930er Jahre wurde die Korbmacher-Genossenschaft in die Landesbelieferungsgenossenschaft der Korbmacher umgewandelt und die Hammer Korbmacherbetriebe konnten der steigenden Nachfrage nach Korbwaren kaum nachkommen. Auch der Ausbruch des 2. Weltkriegs 1939 unterbrach die Korbproduktion in Hamm kaum, da nach wie vor größere Aufträge zur Herstellung von Geschosskörben eingingen. Die ausfallenden männlichen Arbeitskräfte, die in die Wehrmacht eingezogen wurden, wurden durch weibliche Arbeitskräfte ersetzt, um die Produktion aufrecht erhalten zu können. [Anm. 8]

Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts die jüdischen EinwohnerInnen vielerorts komplett in das Dorfleben integriert waren, breitete sich in der Folge, angefacht durch die Folgen des verlorenen Krieges, eine antijüdische Stimmung aus. Bereits in den 1920er Jahren wurde in Hamm – wie in vielen rheinhessischen Ortschaften – eine NSDAP-Ortsgruppe gegründet, die gegen die jüdischen EinwohnerInnen aufhetzten. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler am 30. Januar 1933 veränderten die Verhältnisse der jüdischen EinwohnerInnen grundlegend. In Hamm lebte seit 1908 nur noch eine jüdische Familie, die alleinerziehende Mutter Frieda Heß (23.9.1881 – 9.6.1944) und ihrer drei Töchter, Lina (23.4.1906 – 16.5.1944), Melanie (29.1.1909 – 27.03.1993) und Alma (17.7.1910 – 25.5.2001), die ein kleines Geschäft im Ort führten. Seit der Machtergreifung wurde die Familie, die bisher fest in das Dorfleben integriert war, immer mehr aus dem öffentlichen Leben der Gemeinde ausgeschlossen. Das jüdische Geschäft wurde weitgehend boykottiert, wodurch die Lebensgrundlage der Familie wegbrach. Nur noch wenige Nachbarn hielten weiterhin zur Familie Heß und versorgten sie mit Lebensmitteln. Die mittlere Tochter Melanie schaffte es 1938 in die USA zu emigrieren, von wo aus sie die Ausreise ihres Ehemanns, Arthur Kaiser (2.2.1910 – 21.5.1988), sowie ihrer Mutter und Schwestern bewirken wollte. Doch am 10. November 1938 wurden die Frauen und Arthur Kaiser von Männern der SA in ihrer Wohnung überfallen, das Haus verwüstet und das Geschäft geplündert. Arthur Kaiser wurde verprügelt und die jüdischen Frauen schwer misshandelt. Die SA-Führung war mit dem Übergriff wohl noch nicht zufrieden und kehrte am selben Abend zurück, um Arthur Kaiser zu verhaften, der jedoch über den Rhein fliehen konnte. Später wurde er in Frankfurt am Main aufgegriffen und nach Buchenwald oder Dachau verbracht. Nach seiner Freilassung emigrierte er über Südamerika in die USA. Die Frauen Heß kamen zunächst bei Verwandten in Darmstadt unter, bevor sie in sogenannte Judenhäuser eingewiesen wurden. Einige ehemalige Nachbarn brachten Nahrung in das Darmstädter Ghetto, um die Familie zu versorgen, bevor diese Fahrten durch Androhung von Konsequenzen unterbunden wurden. 1939 gelang es der jüngsten Tochter Alma über die Niederlande nach England zu fliehen, wo sie während des Krieges verblieb. Nach dem Krieg emigrierte auch sie in die USA. Frieda und ihre älteste Tochter Lina überlebten den Holocaust nicht. 1942 wurden die beiden Frauen in das KZ Theresienstadt verbracht, von wo aus Lina am 16. Mai 1944 nach Ausschwitz deportiert und ermordet wurde. Den Verlust ihrer Tochter überlebte Frieda nicht und verstarb nur wenige Wochen später am 9. Juni 1944. Mit der offiziellen Abmeldung der letzten jüdischen Familie am 28. November 1938 endete nach etwa 250 Jahren friedlichen christlich-jüdischen Zusammenlebens das jüdische Leben in Hamm am Rhein. [Anm. 9]

Der 2. Weltkrieg endete für die Altrheingemeinden am 21. März 1945, wenige Monate vor dem offiziellen Kriegsende. Die Rheinbrücke von Hamm nach Germersheim, die seit 1939/40 den Fährbetrieb abgelöst hatte, wurde zerstört, um den Vormarsch der alliierten Truppen zu verlangsamen. Als amerikanische Truppen und Panzer schließlich die Ortschaft einnahmen, hatten beinahe alle Häuser eine weiße Flagge gehisst.

Nachkriegszeit bis heute

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs gehörte Hamm am Rhein zur französischen Besatzungszone. Die Situation nach Kriegsende war zunächst nicht einfach, da Lebensmittel und Brennholz knapp waren und sich noch immer ehemalige Wehrmachtssoldaten in Kriegsgefangenschaft befanden. Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft und die westlichen Besatzungszonen wurden zur Bundesrepublik Deutschland umorganisiert.

Das Ende des 2. Weltkrieges bedeutete auch das Ende der lukrativen Aufträge des Hammer Korbflechter-Gewerbes. Man versuchte das stockende Geschäft wieder in Gang zu bringen, indem man die verbliebenen Geschosskörbe in Blumenkörbe umarbeitete, aber billigere Arbeitsprodukte aus Kunststoffen führten letztlich zum Niedergang der Korbflechterei in Hamm. 1952 wurde die Handwerker-Genossenschaft aufgelöst. [Anm. 10]

1969 wurde der Zugverkehr nach Hamm eingestellt und durch Busverbindungen nach Worms und Guntersblum ersetzt. 1982 wurde das 1200-jährige Ortsjubliäum von Hamm festlich gefeiert. Seit 1983 ist Hamm am Rhein Partnerstadt der französischen Stadt Varois-et-Chaignot und leistet damit einen Beitrag zur Deutsch-Französischen Verständigung.

Hamm am Rhein ist seit der rheinland-pfälzischen Verwaltungsreform 1972 zusammen mit Alsheim, Eich, Gimbsheim und Mettenheim Teil der Verbandsgemeinde Eich, die ihren Sitz in Eich hat.

Nachweise

Redaktionelle Bearbeitung: Jonathan Bugert

Verwendete Literatur:

  • Gemeinde Hamm (Hg.) (1982): 1200 Jahre Hamm am Rhein. Beiträge zur Natur- und Kulturgeschichte des Dorfes und seiner Gemarkung. Hamm am Rhein 1982.
  • Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (2018): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Kreis Alzey Worms: Verbandsgemeinden Eich, Monsheim, Wonnegau. Unter Mitarbeit von Dieter Krienke und Ingrid Westerhoff. Worms 2018 (Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland 20,3).
  • Graf, Hans-Dieter; Hannah, Gabriele (2015): "… werde ich nie den November 1938 vergessen.". Das Schicksal der jüdischen Familie Heß aus Hamm am Rhein in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Heimatjahrbuch Landkreis Alzey-Worms 50 (2015), S. 109 - 114.
  • Graf, Hans-Dieter; Graf, Martina; Hannah, Gabriele (2018): Die Juden vom Altrhein. Biographische Dokumentation von den Anfängen bis zum Holocaust und dem Weiterleben in der Emigration. Mainz 2018.

Aktualisiert am: 15.06.2021

Anmerkungen:

  1. Vgl. Köhler: Zur Vorgeschichte des Ortes Hamm am Rhein 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 12 – 22.  Zurück
  2. Vgl. Köhler 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 23 – 26; Kulturdenkmäler in Rheinlandpfalz 2018, S. 71 – 76.  Zurück
  3. Vgl. Köhler 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 27 – 29; Wilhelm 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 135 – 137; Kulturdenkmäler in Rheinlandpfalz 2018, S. 71 – 76; Graf et al. 2018, S. 22 – 23.  Zurück
  4. Vgl. Köhler 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 28 – 29; Wilhelm 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 137 – 140; Bretzer 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 404.  Zurück
  5. Vgl. Köhler 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 30 – 31; S. 515 – 517; Wilhelm 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 140.  Zurück
  6. Vgl. Köhler 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 32; S. 103 – 109; Kulturdenkmäler in Rheinlandpfalz 2018, S. 71 – 76.  Zurück
  7. Vgl. Köhler 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 32 – 35; Graf et al. 2018, S. 30 – 41.  Zurück
  8. Vgl. Köhler 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S. 35; Sauer 1982. In: 1200 Jahre Hamm am Rhein, S.465 – 466.  Zurück
  9. Vgl. Graf et al. 2018, S. 226 – 236; Graf/Hannah 2015. In: Heimatjahrbuch Landkreis Alzey-Worms 50 (2015), S. 109 – 114.  Zurück
  10. Vgl. Sauer 1982, S. 466.  Zurück