Rheinhessen

Begriffsauswahl:

Senkung

Etliche Wörter, die im Standarddeutschen i oder u als Stammvokal aufweisen wie z. B. gebissen und Mutter, haben in manchen rheinhessischen Dialekten stattdessen e bzw. o. Die Beispielwörter lauten in diesem Fall also gebess und Modder. Als weitere Dialektbeispiele lassen sich nennen Gewwel/Gäwel für ʻGiebelʼ, Reeme für ʻRiemenʼ, robbe für ʻrupfenʼ und Frocht für ʻFruchtʼ (= ʻGetreideʼ). Den Sprachwandel von i zu e und u zu o nennt man Senkung. Die Bezeichnung ist durch die Änderung der Zungenposition im Mundraum zu erklären. Bei der Bildung von i und u ist die gewölbte Zunge jeweils weit nach oben zum Gaumen hin gehoben. Im Vergleich dazu wird bei der Artikulation von e und o die Zungenwölbung leicht nach unten gezogen, also gesenkt.

Die Vokalsenkung tritt in Rheinhessen nicht flächendeckend, sondern teilweise auf. Deren Häufigkeit und räumliche Verteilung wechselt von Wort zu Wort. Die Karten gebissen, Giebel und Mutter dokumentieren dies. Sie zeigen auch, dass im Westteil der Region das Sprachphänomen regelmäßig vertreten ist. In den rheinhessischen Dialekten des Mittelalters waren Vokalsenkungen durchgängig vertreten. Seit dem 16. Jh. wurden diese unter dem Einfluss des Oberdeutschen und der Schriftsprache nach und nach rückgängig gemacht.

Meistens durchgängig findet sich Senkung, wenn auf i bzw. u ein r folgt: Kersch ʻKirche, Kirscheʼ, Stern ʻStirnʼ, werd ʻwirdʼ, Bescht ʻBürsteʼ, Deer ʻTürʼ, Wermer ʻWürmerʼ (mit vorheriger Entrundung von ü zu i, vgl. 1. Entrundung), Dorscht ʻDurstʼ, korz ʻkurzʼ. Ausnahmen sind z. B. passieren und rühren, die in dem Dreieck Oppenheim – Alzey – Worms keine Senkung aufweisen, ansonsten aber basseere/basseern bzw. reere/reern lauten.

Beispielkarte für Senkung: Lautvarianten von "Mutter". Die Karte ist durch Anklicken vergrößerbar.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Beispielkarte für Senkung: Lautvarianten von "gebissen". Die Karte ist durch Anklicken vergrößerbar.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Beispielkarte für Senkung: Lautvarianten von "Giebel". Die Karte ist durch Anklicken vergrößerbar.[Bild: Georg Drenda (IGL)]