Wallertheim in Rheinhessen

Die Wallertheimer Mühlen

Welche die älteste der drei Mühlen in der Wallertheimer Gemarkung ist, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Die Müller waren in Wallertheim - und sicher auch in anderen Dörfern – i. d. R. wohlhabende und einflussreiche Leute. Sie bekleideten zum Beispiel Ämter als Kirchenvorsteher, Bürgermeister und Gerichtsschöffen.

Die Lettenmühle / Lettenkauter Mühle

Vor 1800 hieß sie „Plotzmühle“. Der Name „Plotz“ soll eine Ableitung aus dem lateinischen Wort „palus“ sein, was „Sumpf“ bedeutet. Das ließe darauf schließen, dass die Gegend um die Mühle sumpfig gewesen war. Immerhin liegt sie ja tief unten, zwischen der heutigen B 420 und dem Finkenberg. Der Name „Lettenmühle“ kommt von einer Gewann in der ehemaligen Rommersheimer Gemarkung mit Namen „Lettenkauten“. Der älteste bekannte Müller dort war Andony Hueter: um 1780 war er der Besitzer der Mühle. Bald darauf, im Jahre 1788, kaufte Johann Adam Matthäi die Mühle Er war Müllerssohn aus Wolfsheim. Seine erste Frau starb mit 48 Jahren. Sie hatte neun Kinder geboren; einige von ihnen starben schon im jugendlichen Alter. Ein Sohn starb als Fünfjähriger an der Roten Ruhr. Der älteste Sohn, Johann Leonhard Matthäi, wurde Nachfolger seines Vaters. Aus seiner Ehe mit Eva Maria, geb. Ruprecht, gingen zehn Kinder hervor. Die beiden Söhne lernten das Müllerhandwerk: Adam, geb. 1809, und Friedrich, geb. 1822. Adam Matthäi verheiratete sich mit Christina Dechent aus der Luftmühle. Er erbte die Lettenmühle, während sein Bruder Friedrich Matthäi die Katzensteiger Mühle übernahm, die sein Vater etwa im Jahre 1830 gekauft hatte. Die Lettenmühle galt früher als eine der leistungsfähigsten Mühlen der Region. Sie hatte einen besonderen Antrieb: Die Mühle war oberschlächtig, d.h. das Wasser floss von oben auf das Mühlrad, anstatt es von unten anzutreiben. „Leistungsfähig“ hieß im 18. Jahrhundert eine Mühle, wenn man mit ihr in 24 Stunden fünf bis sechs Sack Getreide mahlen konnte. Die Einrichtungen der Mühlen waren aus heutiger Sicht primitiv. Die Mühlsteine stammten aus den Flonheimer Steinbrüchen (Sandstein). Das Reinigen der Frucht geschah in Kästen, an denen Beutel aus Seidengaze hingen. So wurde gerüttelt und gesiebt. Das Mehl, das da zu Ur-ur-urgroßvaters Zeiten herauskam, würde heute wohl nur noch als Schweinefutter durchgehen. In den sehr regenarmen Jahren 1857, 1858 und 1865 versiegte der Bach fast völlig; der Mühlenbetrieb konnte nicht fortgeführt werden. Deshalb wurde die Mühle in den 1860er Jahren zur Dampfmühle umgebaut. Aber sie wurde schnell unrentabel, und so verkaufte Adam Matthäi die Mühle im Jahre 1868 und zog ins Dorf. Sein Sohn Heinrich baute in der Bahnhofstraße ein Haus und wurde Besitzer einer Gastwirtschaft. Heinrich Matthäi’s Sohn Johann führte sie mit seiner Frau Helene weiter. Die Gastwirtschaft „Zur Traube“ ist heute noch im Besitz der Familie.

Käufer der Mühle im Jahre 1868 - der Kaufpreis betrug 10.000 Gulden - war Wilhelm Krug aus Armsheim. Seine Tochter Anna (geboren 1868) heiratete später Wilhelm Heinrich Kröhl aus Partenheim. Doch auch für den Schwiegersohn lohnte sich der Weiterbetrieb der Mühle nicht. So wurde die Mühle später stillgelegt, etwa im Jahre 1890. Heinrich Kröhl lebte weiterhin dort, nun aber als Landwirt und Weinhändler. Heinrich Kröhls Schwester Christina heiratete Willi Schick. Seither ist die Mühle im Besitz der Familie Schick. Pfarrer Ludwig Weisel schrieb im Juni 1928 in der Wallertheimer Heimatzeitung:

Das Ende der Lettenmühle wird das Schicksal der meisten kleinen Mühlen sein, weil sie mit den Großmühlen nicht mehr konkurrieren können. In 100Jahren wird man kaum noch eine Erinnerung an unsere kleinen Bachmühlen haben. Aus diesem Grund will der Chronist  (…) die Erinnerung an sie aufrecht erhalten. Die Poesie der Mühlen lebt schon jetzt fast nur noch im Liede fort. Wem fiele da nicht das schöne Volkslied ein: „Dort unten in der Mühlen saß ich in süßer Ruh’ und sah dem Räderspiele und sah dem Wasser zu.“

Die Katzensteiger Mühle

„Am Katzensteg“ – so nannte der Volksmund ein kleines Terrain zwischen den beiden Bacharmen des Wiesbachs. Der kleine Steg überquerte einen Zwischenarm der beiden Bachläufe, die so heute nicht mehr existieren. Die Katzen aus dem Mühlengehöft mussten wohl diesen Steg auf ihren Streifzügen ins Gelände nutzen. Vom Katzensteg hatte die Mühle ihren Namen. Philipp Andreas Mann war um 1820 der Besitzer der Mühle. Als sein Sohn Jakob als fünfjähriges Kind unter das Mühlrad gekommen und tödlich verletzt worden war, wollte seine Frau Christine nicht mehr länger in der Mühle bleiben. Die Mühle wurde verkauft an Leonhard Matthäi, den Eigentümer der Lettenkauter Mühle. Dieser ließ die alte Katzensteiger Mühle abreißen und errichtete an gleicher Stelle im Jahre 1837 eine neue Mühle. Mit dieser neuen Mühle konnte man nicht nur Korn mahlen; sie war auch Ölmühle für Mohn und Raps. Diese Ölmühle war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Betrieb. Im Jahre 1846 heiratete Leonhard Matthäi’s Sohn Friedrich. Bei dieser Gelegenheit übernahm er die Katzensteiger Mühle. Er ließ sie 1852 zur Dampfmühle umbauen – eine der ersten ihrer Art in Rheinhessen. Die neue Technik brachte steigende Umsätze. Im Jahre 1874 war eine Vergrößerung und Modernisierung nötig und offenbar auch rentabel: Es wurden die ersten Stahlwalzen eingebaut. Die Mühle hatte einen hervorragenden Ruf in unserer Region. Etwa 30 Jahre lang wurde damals auch Matzenmehl (koscheres Mehl für die jüdische Bevölkerung) gemahlen, das in fast ganz Rheinhessen sowie in Teilen der Pfalz ausgeliefert wurde. Friedrich Matthai war ein Unternehmer, der Neuerungen gegenüber sehr offen war. Er führte stets die neuesten Techniken ein, so dass die Mühle zuletzt  täglich 200 Sack Frucht mahlen konnte. Ludwig Matthäi, Friedrich Matthäi’s Sohn, übernahm anschließend die Mühle. Er baute sie 1897 weiter aus und installierte eine automatische Steuerung. Allerdings rentierten sich mit der Zeit die Mühlen nicht mehr, die nicht direkt am Wasser lagen.

Im Jahr 1907 verkaufte Ludwig Matthäi die Katzensteiger Mühle und baute in Worms unmittelbar am Rhein eine Großmühle, die so genannte Ludwigsmühle. Es war das Schicksal vieler Mühlen auf dem Land, dass sie die Konkurrenz gegen die Großmühlen verloren. Nach Matthäi’s Weggang wurde aus der Weizenmühle eine Korn- und Gerstengraupenmühle. Sie wurde von einer Aktiengesellschaft geführt. Hauptaktionär blieb Ludwig Matthäi, neben ihm waren Fritz Magerkurth und Georg Hermann Becker Aktionäre. Magerkurth zog sich später zurück und 1909 übernahm ein neues Konsortium, bestehend aus Ludwig Matthäi, G. H. Becker und dem Kaufmann Heinrich Maus die Mühle. Becker (1913) und Matthäi (1914) schieden aus dem Konsortium wieder aus. Am Palmsonntag 1914 brannte die Mühle nieder. Im Jahre 1916, also während des Ersten Weltkrieges, wurde sie wieder aufgebaut und intensiv betrieben. In den 20er Jahren war der Schwiegersohn von Heinrich Maus, Philipp Krämer, der Besitzer. Er verlegte 1927 seinen Wohnsitz von Partenheim nach Wallertheim, und er wurde gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Karl Schick der Eigentümer. Letzterer übernahm die Mühle und führte sie unter dem Namen „Krämer und Schick“ weiter. Bis zum Schluss wurden Weizen und Roggen gemahlen. 1957 (oder 1958?) ging die Mühle in Konkurs.

Nachwort:

Eine Münchner Möbelfirma erwarb die Gebäude mitsamt dem Grundstück, das bis zum Friedhof reicht. Der Plan dieser Firma, eine Möbelfabrik anzusiedeln, scheiterte an der Weigerung der Bundesbahn, einen Gleisanschluss für die Fabrik zu bauen. Daraufhin wurde das Gelände veräußert an eine Bauträgergesellschaft, die die Mühlengebäude abreißen ließ (im Jahre          *), um etwa 60 Wohnhäuser zu errichten. Diesen Plan indes hat der Wallertheimer Gemeinderat nicht genehmigt. So wurde die große Fläche zwischen Friedhof und den Häusern in der Mainzer Straße an eine andere Bauträgergesellschaft verkauft, die schließlich die Häuser gebaut hat, die jetzt zum Neubaugebiet „Am Katzensteg“ gehören.

(* in welchem Jahr das geschah, weiß Heinz-Günter Maus; Herr Reinhold Decker konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen.)