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3.4 Multiethnizität als „fundierter Mythos“ der Südosteuropadeutschen

Die „Tradition des Lebens als Minderheit oft unter anderen Minderheiten“ machte für die Heimatbuchschreiber Rücksichtnahme und Toleranz notwendig für ein gutes Zusammenleben. Das gute Zusammenleben und die eigene Loyalität zum Staat sind laut Faehndrichs Untersuchungen ein „zentraler Punkt der Identitätskonstruktion aller deutschstämmigen Gruppen Südosteuropas.“ So sind für die Heimatbuchschreiber ihre andersnationalen Nachbarn auch nicht identisch mit den Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg für „Deportation, Enteignung, Lagerhaft und Vertreibung verantwortlich waren.“ Die positive Sichtweise auf ihre ehemaligen Nachbarn und Staaten bleibt auch nach der Vertreibung oder Aussiedlung weiter erhalten. Einzig die „Zigeunern“ werden mit „Vorurteilen, negativen Klischees und despektierlichen Beschreibungen“ bedacht. Im Gegensatz zu „reichs-“ und sudetendeutschen Heimatbüchern findet sich jedoch selten die Behauptung „kultureller Überlegenheit“ und noch seltener die Abwertung anderer Ethnien. [Anm. 1]
Das gute Zusammenleben mit den jüdischen Nachbarn aber auch deren Ermordung wird erstmals in den 1960ern in jugoslawiendeutschen Heimatbüchern thematisiert, eine Beteiligung der einheimischen Deutschen jedoch verneint. In den meisten „reichs-“ und sudetendeutschen Heimatbüchern bilden Juden und Holocaust „(fast) immer eine auffällige Leerstelle“. Sofern in den Heimatbüchern der Südosteuropadeutschen eine „Reflexion der eigenen Rolle im historischen Geschehen“ stattfindet, kann dies auch das Eingeständnis von Fehlern ermöglichen. Durch Distanzierung von der „volksdeutsche[n] Erneuerungsbewegung“ wird es möglich, sich nicht zum Kreis der „Täter“ zu zählen. Eine klare Charakterisierung des Nationalsozialismus und der Anhänger in den eigenen Reihen ist Voraussetzung für die Darstellung des Holocaust. Dies führt allerdings dazu, dass die eigene Gruppe grundsätzlich als auf der Seite der Opfer des Nationalsozialismus befindlich abgebildet wird. So werden in keinem Werk „Angehörige der eigenen Minderheit als Erfüllungsgehilfen der Judenvernichtung“ thematisiert.[Anm. 2]

Anmerkungen:

  1. Faehndrich. S. 162 – 165. Zurück
  2. Ebenda. S. 166f. Zurück