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4.3.3 Die „Schlußgedanken“

Helmut Frisch schließt das Heimatbuch Werschetz ab mit dem Kapitel Schlußgedanken – Ursachenhinterfragung statt „Schuldfrage“. Er formuliert Fragen, „bei deren Beantwortung jeder Leser angeregt sei, den bisherigen Standpunkt zu überdenken.“[Anm. 1]

Nach geschichtlichen Fragen über die Möglichkeit des Zusammenlebens, serbischem Nationalstolz und dem „Auseinanderleben“ in den 1920er Jahren kommt Frisch zum Kernthema, der „Schuldfrage“. Er betont, dass die werschetzer Bevölkerung unpolitische Weinbauern mit einer dünnen NS-Führungsspitze gewesen seien und bezeichnet sie explizit als „Mitläufer“. Über die ausbleibende „christliche Brüderlichkeit“ zwischen Serben und Deutschen eröffnet er die Frage nach der Zurückhaltung des Klerus. In Bezug auf die Verantwortlichkeit der Gruppe, wenn „Einzelne Taten“ gegen andere Nationalitäten begehen, weist er die „zutiefst unchristlich[e] Kollektivschuldthese“ entschieden ab. Die Entwaffnung jugoslawischer Soldaten durch Deutsche im April 1941 werde „aus damaliger jugoslawischer Sicht als Vergehen gewertet“. Diese Auffassung des „Vergehen[s]“ sei verständlich, jedoch seien die Deutschen Jugoslawiens nicht „Hitlers Fünfte Kolonne“ gewesen. Auf die Frage, ob die Aufstellung und der Kampf in der Division „Prinz Eugen“ Hoch- und Landesverrat gewesen sei, gibt er eine eher ausweichende Antwort, nach der die Meinungen der Forschung auseinandergingen und der Staat Jugoslawien ab 1942 sowieso nicht mehr bestanden habe. Aus der Thematisierung des Vorwurfs des Verrats wird deutlich, dass Frisch Loyalität gegenüber dem Staat als wichtig erachtet. In Bezug auf die Leser des Heimatbuchs scheint er sich an dieser Stelle rechtfertigen zu wollen, warum die Donauschwaben dennoch loyale Staatsbürger gewesen seien und weiterhin wären.[Anm. 2]

Frisch schließt das Thema mit dieser rhetorischen Frage: „Erscheinen Massenexekutionen, Enteignungen, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Lagerhaltung unter lebensverkürzenden Bedingungen und Zwangsdeportationen als Strafe für allfällige Verfehlung Einzelner adäquat?“[Anm. 3]

Er plädiert für eine „ehrliche Beantwortung dieser Frage“, weil dies nötig sei zur „Verbesserung der Beziehungen zwischen den Nationalitäten unserer alten Heimat“, gibt selbst allerdings keine Antwort.[Anm. 4] Der Autor setzt hier seine Argumentation fort, nach der die Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus lediglich von „Einzelnen“ begangen worden seien. Um wie viele „Einzelne“ es sich dabei handelte, lässt er offen. Frisch zeigt in diesem Kapitel, dass die Geschichte der Deutschen in Werschetz für ihn selbst 37 Jahre nach Kriegsende noch nicht abgeschlossen war.

Anmerkungen:

  1. Frisch. S. 727. Zurück
  2. Ebenda. S.727ff. Zurück
  3. Frisch. S. 729. Zurück
  4. Ebenda. Zurück