0.Vom Betsaal zum Teppichgeschäft: Die Geschichte des Hauses Bahnhofstraße 33 in St. Goarshausen
1.1.Die Frühgeschichte 1875-1937
In St. Goarshausen finden sich wohl nur wenige Orte, an denen sich Geschichte in derart verdichteter Form nachzeichnen lässt, wie im Falle des Hauses Bahnhofstraße 33 (146). [Anm. 1] Kaum ein anderer Ort wurde im Laufe seiner annähernd 150jährigen Geschichte auf so vielfältige Weise genutzt: als Wohn- und Gewerbehaus, Synagoge, Behördensitz, NSDAP-Parteizentrale, Hauptquartier der amerikanischen und französischen Militärverwaltung, Strafverfolgungsbehörde, ja sogar als Militärgefängnis.
Mitte der 1870er Jahre von dem aus Niederwallmenach stammenden jüdischen Kaufmann Joseph Wolf als Wohn- und Firmensitz [Anm. 2] erbaut, beherbergte es in seinen Kellerräumen von Beginn an den zuvor in der Burgstraße 19 beheimateten Betsaal der kleinen jüdischen Gemeinde von St. Goarshausen und Wellmich. Darüber hinaus diente es ab 1897 zeitweilig als Sitz des Katasteramtes. [Anm. 3] Im Jahre 1921 veräußerten die nachfolgenden Eigentümer bzw. Erben von Joseph Wolf [Anm. 4] das Gebäude an den ortsansässigen jüdischen Kaufmann Simon Hecht, Mitinhaber der Häute- und Fellfirma Hermann Hecht OHG, in der Nastätterstraße 47 (166). Simon Hecht und seine Ehefrau Berta bezogen bald darauf eine geräumige Wohnung im ersten Stock des Hauses. Sie pflegten einen gehoben bürgerlichen Lebensstil. Das Kerngeschäft der Hermann Hecht OHG wurde indes auch weiterhin vom Stammsitz in der Nastätterstraße getätigt, wo Julius Hecht, Simons jüngerer Bruder und Mitinhaber, mit seiner Familie wohnte. Während Simon die anfallenden Büroarbeiten erledigte, war Julius federführend bei Einkauf, Verarbeitung und Vertrieb. Für die 1930er Jahre lässt sich anhand der Quellen nachweisen, dass das Hechtsche Haus am Bahnhof eine Mischnutzung aus Wohn- und Gewerberäumen aufwies und jährliche Mieteinnahmen in Höhe von 5.472 RM generierte. Eine Mieterliste aus dieser Zeit weist neben sechs reinen Wohnungsmietern, drei weitere Personen aus, die dort ihre Geschäfts- bzw. Praxisräume unterhielten. [Anm. 5]
Angesichts der sich infolge der nationalsozialistischen Machtübernahme dramatisch verschärfenden Lebenssituation jüdischer Bürgerinnen und Bürger erkannte Simon Hecht sehr früh die Perspektivlosigkeit, die das Leben für seine Familie in St. Goarshausen bot. [Anm. 6] So hatten er und seine Frau bereits im Sommer 1936 dafür gesorgt, dass ihre beiden minderjährigen Kinder Hermann und Florenze in die USA auswanderten, um dort bei einem Bruder von Berta Hecht zu leben. In privaten Gesprächen bekundete er seither wiederholt die Absicht, möglichst bald sein Haus verkaufen und zu seinen Kindern in die USA ziehen zu wollen. Gerüchte über den beabsichtigten Wegzug der Familie machten in der Stadt nun verstärkt die Runde und kamen auch dem Landrat und NSDAP-Kreisleiter Dr. Franz Brunnträger zu Ohren. [Anm. 7] Dieser erblickte in dem möglichen Erwerb der lukrativen Hechtschen Immobilie einen Ausweg aus der misslichen Raumsituation, der sich die Kreisstadt mit Blick auf eine mögliche Kreisverwaltungsreform gegenübersah.
Das auf Reichsinnenminister Dr. Frick zurückgehende Reformkonzept sah u.a. vor, die Landkreise im Reich – im Sinne einer verwaltungstechnischen Effizienzsteigerung – zu größeren Verwaltungseinheiten mit 60 – 90 000 Einwohnern zusammenzuschließen. [Anm. 8] Wenngleich diese Idee auf der staatlichen Verwaltungsebene letztlich nicht umgesetzt wurde, nahm sie die Gauleitung Hessen-Nassau offenbar zum Anlass, nun ihrerseits die Organisationsstrukturen der Partei entsprechend anzupassen. [Anm. 9] So verkündete die Gauleitung die Zusammenlegung der bisher eigenständigen Kreisleitungen Rheingau und St. Goarshausen zum Großkreis Rheingau-St. Goarshausen mit Wirkung zum 1. Oktober 1937. [Anm. 10] Über den künftigen Sitz der Kreisleitung herrschte zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine Klarheit. Zunächst schien dafür Rüdesheim ins Auge gefasst worden zu sein. Unter Hinweis auf die vermeintlich ungünstige verkehrstechnische Anbindung Rüdesheims hatte die St. Goarshäuser Kreisleitung der NSDAP-Gauleitung vorgeschlagen, den Sitz der Parteizentrale nach St. Goarshausen zu verlegen. Die Gauleitung hatte diesem Wunsch schließlich entsprochen, allerdings unter der Maßgabe, im Gebäude der künftigen Kreisleitung entsprechende Räumlichkeiten für weitere Parteiorganisationen, namentlich die NSV [Anm. 11] und die DAF, [Anm. 12] bereitzustellen.
Angesichts der begrenzten Kapazitäten, die der Stadt zur Verfügung standen, stellte der zusätzliche Bedarf an Räumlichkeiten für die expandierende staatliche und politische Verwaltung Stadt und Kreis vor große organisatorische Herausforderungen. [Anm. 13] Dies galt umso mehr als Kreis- und Stadtverwaltung für den Fall, dass sie den Vorgaben der Gauleitung nicht entsprechen würden, mit der Verlegung der Parteizentrale nach Rüdesheim rechnen mussten, was einem erheblichen Status- und Prestigeverlust gleichkam.
Da es Brunnträger in seiner Doppelfunktion als staatlicher und politischer Amtsträger [Anm. 14] nicht opportun erschien, mit „dem Juden Hecht“ [Anm. 15] in direkten Kontakt zu treten, bat er zwei Vertrauensleute der Kreisleitung, den Bauingenieur Walter Colonius und den Kreisoberinspektor Peter Werner, [Anm. 16] bei Simon Hecht vorzufühlen, inwieweit dieser bereit sei, sein Haus an den Kreis zu verkaufen.
0.1.Kauf durch den Kreis: Eine Transaktion "ganz besonderer Art"
Anfang August 1937 arrangierte Colonius in seinem Haus eine Unterredung zwischen dem Ehepaar Hecht und dem Kreisoberinspektor Werner, in deren Verlauf die Eheleute ihre Bereitschaft erklärten, das Haus an den Kreis verkaufen zu wollen. Über den Preis und die Verkaufsbedingungen wurde dabei schnell Einigkeit erzielt. Der Verkaufswert des Hauses wurde mit 59.000 RM angesetzt; das Ehepaar Hecht erklärte sich jedoch damit einverstanden, einen Verkaufspreis von 46.000 RM zu akzeptieren unter der Bedingung, dass die für den Verkäufer anfallende Wertzuwachs- und Grunderwerbssteuer, die Hecht mit einem Betrag von ca. 13.000 RM veranschlagte, vom Käufer, also dem Kreis, übernommen würden.
Unmittelbar nach dieser Unterredung, die grünes Licht für den Kauf des Hauses zu signalisieren schien, beauftragte der Kreis Colonius und den zuständigen Kreisbaumeister mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens, das neben einer detaillierten Baubeschreibung auch die Aufmessung des Gebäudes enthielt. [Anm. 17] In ihrem Gutachten kamen die beiden Sachverständigen zu dem Schluss, dass sich das Gebäude in einem guten Zustand befände und der mit Hecht vereinbarte Kaufpreis von 59.000 RM gerechtfertigt sei. [Anm. 18]
Am 27. August 1937 trafen sich schließlich der eigens zu diesem Zweck aus Frankfurt a.M. angereiste Schatzmeister der Gauleitung Eck, der Kandidat in spe für die künftige Kreisleitung Hinterwälder [Anm. 19] aus Montabaur und Kreispersonalamtsleiter Greiff aus St. Goarshausen zu einer Besprechung [Anm. 20], um die Modalitäten für die Unterbringung der NSDAP-Kreisleitung abzuklären. Im Verlauf der Unterredung machte Eck unmissverständlich klar, dass die Übersiedlung der neuen Kreisleitung nach St. Goarshausen an die Bedingung geknüpft sei, dass entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt würden. Da die Partei angesichts der Zahl neu einzurichtender Kreisleitungen und begrenzter finanzieller Mittel nicht in der Lage sei, den Ankauf des Hechtschen Hauses zu finanzieren, empfahl er deshalb, dass der Kreis das Gebäude erwerben und es der Partei zunächst „unentgeltlich“ überlassen solle. Im Gegenzug würde sich die Partei bereit erklären, die anfallenden Renovierungskosten zu übernehmen. Sei es doch notwendig, so der Gauschatzmeister, dass das künftige Parteigebäude eine neue, „würdige Ansicht“ erhalte. [Anm. 21] Demgegenüber betonte Amtsleiter Greiff zwar die grundsätzliche Bereitschaft des Kreises, das Gebäude zu kaufen, machte aber zugleich deutlich, dass eine unentgeltliche Überlassung angesichts der Rechtslage nicht infrage käme. Schließlich einigten sich die Teilnehmer auf eine Jahresmiete von 1.750 RM – mithin ein Drittel der zuvor von Simon Hecht erwirtschafteten Jahresmieteinnahmen. Zusätzlich bot Greiff, dem künftigen Nutzer an, die jährlich an die Stadt zu entrichtende Grundvermögens- und Hauszinssteuer zu erlassen. Habe die Stadt doch ein erhebliches Interesse daran, „dass [sich] die Kreisleitung in ihren Mauern befindet“. [Anm. 22]
Als wäre dieses Angebot nicht Konzilianz genug, forderte Eck – in geradezu dreister Weise – darüber hinaus für die ersten Jahre ein weiteres Entgegenkommen des Kreises bei den Mietzahlungen – ein Begehren, auf das Greiff allerdings nicht weiter einging. Abschließend mahnte Eck an, das Gebäude bis zum Jahresende vollständig zu entmieten, damit die freiwerdenden Räume umgehend renoviert und der Nutzung durch die Partei zugeführt werden könnten. Ein besonderer Dorn im Auge war dem Gauschatzmeister offensichtlich die im Dachgeschoss wohnenden jüdischen Eheleute Hermann und Irma Steinberg. [Anm. 23] Diese müssten „beschleunigt“ ihre Wohnung räumen, da es unmöglich sei, dass ein Jude weiterhin in einem Gebäude wohne, in dem die Kreisleitung der NSDAP untergebracht sei.
Vier Tage nach dieser Besprechung erhielt die Kreisverwaltung jedoch eine überraschende Nachricht, die alles über den Haufen zu werfen drohte, was man bis dahin vereinbart zu haben glaubte. Bei einer erneuten Zusammenkunft zwischen Colonius und Simon Hecht schien letzterer von seiner zuvor gemachten Verkaufszusage wieder Abstand nehmen zu wollen. Er gab nun plötzlich vor, dass er vorerst kein Interesse mehr daran habe, sein Haus zu verkaufen und es vielmehr vorziehe, in Deutschland zu bleiben. Die Auswanderung zu seinen Kindern in den USA käme für ihn nur unter Mitnahme seines Vermögens infrage. Angesichts der gültigen gesetzlichen Bestimmungen müsse er von seinem Verkaufserlös von 46.600 RM – abzüglich einer noch zu begleichenden Hypothek von 6.600 RM - die Reichsfluchtsteuer in Höhe von 18.000 RM entrichten. Für die verbleibenden 22.000 RM müsse er schließlich annährend ¾ des Betrages bei der Devisenstelle auf ein Sperrkonto einzahlen, um das verbleibende ¼ (5.400 RM) in Devisen transferieren zu können. Dieser Betrag sei zu gering, um sich – wie von ihm geplant – in den USA zur Ruhe setzen zu können. [Anm. 24] Auf die Einlassung von Colonius, vielleicht andere Auswanderungsziele ins Auge zu fassen, die devisenrechtlich günstigere Transferierungsmöglichkeiten böten, wie etwa Argentinien, Paraguay oder gar Palästina [Anm. 25], reagierte Hecht unter Hinweis auf abweichende gesetzliche Vorgaben ablehnend. Stattdessen bot er an, sein Haus für 28.000 RM, also zur Hälfte des zuvor veranschlagten Kaufpreises, zu verkaufen, falls man ihm dafür im Gegenzug die Reichsfluchtsteuer erlasse. [Anm. 26]
Dieses Angebot wirkte auf die Vertreter des Landkreises geradezu elektrisierend. Bot es doch die Möglichkeit, die lukrative Hechtsche Immobilie zu einem „Schnäppchenpreis“ zu erwerben. Hecht wiederum erreichte mit seiner Offerte die Aufwertung seiner Verhandlungsposition, da er jetzt die politischen Vertreter des Kreises zu Sachwaltern seiner eigenen Interessen machte. Dies kam einem taktischen Meisterstück gleich. Während Hechts Interesse darin bestand, einen möglichst großen Teil seines Vermögens als Devisen in die USA zu transferieren, musste dem Kreis daran gelegen sein, den Prestigeverlust abzuwenden, den ein Nichtzustandekommen des Kaufvertrages gegenüber der Gauleitung bedeutet hätte. Zudem bot das modifizierte Angebot Hechts die Möglichkeit, die mit dem Projekt verbundenen finanziellen Belastungen des Kreises erheblich zu minimieren. Dies setzte allerdings die Einwilligung der zuständigen staatlichen Stellen, namentlich des Finanzamtes bzw. der ihm übergeordneten Oberfinanzdirektion Kassel und der Devisenstelle in Frankfurt a. M. [Anm. 27] voraus. In den anstehenden Verhandlungen mit diesen Behörden wusste Hecht die Kreisvertreter auf seiner Seite. [Anm. 28]
Allerdings musste die Kreisverwaltung bald erkennen, dass sie gegenüber den Finanzbehörden am kürzeren Hebel saß. So lehnte der Oberfinanzpräsident in Kassel den Erlass der Reichsfluchtsteuer kategorisch ab und verwies die Anfrage bezüglich der Abgabe von Devisen bzw. Sperrmark an die Devisenbewirtschaftungssstelle in Frankfurt a. M.. In einer Besprechung vom 17. September 1937 wurde Gauschatzmeister Eck seitens der Reichsbank bedeutet, dass eine „bevorzugte Behandlung“ des Verkäufers Hecht nicht möglich sei. [Anm. 29]
Über den ungünstigen Ausgang der Unterredung von Colonius informiert, fand sich Hecht schließlich am darauffolgenden Tag bereit, den Kaufvertrag zu den ursprünglich vereinbarten Konditionen abzuschließen. Gleichzeitig bat er Colonius, eine erneute Unterredung mit dem zuständigen Reichsbankrat der Devisenbewirtschaftungsstelle in Frankfurt a. M. zu vermitteln und verband diese Bitte mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass auch Landrat Dr. Brunnträger an der Unterredung teilnehmen möge.
Bemerkenswert ist, dass dieser, seine rassischen Bedenken hintenanstellend, der Bitte Hechts entsprach. Allerdings blieb auch diese Unterredung, an der neben dem Landrat und dem Ehepaar Hecht auch Kreisoberinspektor Werner teilnahmen, ergebnislos [Anm. 30] Hecht entschied sich daher, die Angelegenheit dem Fachanwalt für Finanzrecht Joseph Cahn aus Frankfurt zu übertragen. Diesem gelang es schließlich mit Unterstützung Brunnträgers [Anm. 31] der Devisenstelle eine Zusage über den Transfer von 12.000 RM in Devisen abzutrotzen. [Anm. 32] Damit stand dem Abschluss des Kaufvertrages zwischen dem Kreis und dem Ehepaar Hecht nichts mehr im Wege.
Bereits am 27. September 1937 – also ohne die noch ausstehende Zusage der Devisenstelle Frankfurt abzuwarten – hatte der Kreisausschuss des Landkreises in gesonderter Sitzung den Ankauf des Anwesens von Simon Hecht gebilligt und Kreisoberinspektor Werner mit der Durchführung des Rechtsgeschäfts beauftragt. Angesichts der auszuführenden „aussergewöhnliche[n] Umbauten und Instandsetzungen“ hatte sich der Kreis im Vorfeld mit der Gauleitung darauf verständigt, dieser die Mietzahlungen für drei Jahre (gerechnet ab 1. Dezember 1937) zu erlassen. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Gauleitung, künftig sämtliche Unterhalts- und Instandsetzungsarbeiten (mit Ausnahme des Daches) durchzuführen. [Anm. 33] In einem Anschreiben an die Gauleitung der NSDAP betonte die Kreisverwaltung ihre Absicht, „alle Räume so schnell wie möglich frei zu machen“. [Anm. 34] Zu diesem Zweck werde sie umgehend „mit den Mietern verhandeln und unter Umständen zwangsweise gegen sie vorgehen“. [Anm. 35] Zudem stellte sie die zeitnahe Ausarbeitung des Mietvertrages in Aussicht. [Anm. 36]
Am 30. September 1937 erfolgte schließlich der notariell beglaubigte Abschluss des Kaufvertrages [Anm. 37] zwischen den Eheleuten Hecht und dem Landkreis zu dem vereinbarten Kaufpreis von 46.600 RM. Paragraph 8 des Vertrags bestimmte explizit, dass „der Abschluss unter der aufschiebenden Bedingung erfolgt, dass den Eheleuten Simon Hecht von der zuständigen Devisenstelle bis spätestens 1. Dezember 1937 ein verbindlicher, auf die Dauer von mindestens 6 Monaten gültiger Vorbescheid des Inhalts erteilt wird, dass ihnen der Erwerb und die Ausfuhr von Devisen in Höhe des Kurswerts von 11.700 RM […] genehmigt wird und dass die Eheleute Hecht für diese Devisen im Betrage von 11.700 RM höchstens 35.100 RM an die zuständige Stelle zu zahlen habe.“ [Anm. 38] Demgegenüber verpflichteten sich die Verkäufer, das Haus (inkl. Privatwohnung) bis spätestens 1. Dezember 1937 an den Kreis zu übergeben und dafür Sorge zu tragen, dass die Wohnung des Mieters Hermann Steinberg bis dahin geräumt und dessen „Umzug außerhalb des Kreises“ [!] gewährleistet sein müsse. Diese von den Eheleuten Hecht zusätzlich zu erbringende „Dienstleistung“ war der Kreis bereit, mit 150 RM zu vergüten.
Die Erleichterung, welche Simon und Berta Hecht über das Zustandekommen des Vertrages verspürt haben mögen, wurde jedoch schon bald getrübt. Ende Oktober 1937 erhielten sie den Vorbescheid der Reichsdevisenstelle, der ihnen lediglich Devisen im Gegenwert von 9.800 RM statt der im Vertrag vereinbarten 11.700 RM zubilligte. Umgehend wandte sich Simon Hecht in einem Schreiben an Landrat Dr. Brunnträger mit der Bitte, erneut bei der Devisenstellen vorstellig zu werden, um die Bewilligung des noch ausstehenden Betrages zu erwirken. [Anm. 39]
Doch erwiesen sich die Finanzbehörden auch in diesem Fall als die Stärkeren. [Anm. 40] Im Antwortschreiben auf den entsprechenden Antrag Brunnträgers [Anm. 41] teilte die Devisenstelle unter Verweis auf die ministerielle Erlasslage mit, dass dem erneuten Antrag Hechts auf Transferbewilligung des im Kaufvertrag vereinbarten Devisenbetrages nicht stattgegeben werden könne. Darüber hinaus wurde die im Vorbescheid erteilte Frist für die vorgeschriebene Einzahlung des Geldes auf ein Treuhandkonto um zwei Monate auf den 25. November 1937 drastisch verkürzt. [Anm. 42]
Auch wenn der Kaufvertrag, kaum dass er abgeschlossen worden war, damit vom Käufer, d.h. dem Landkreis, in formal-juristischer Hinsicht gebrochen und somit hinfällig war, verzichtete Simon Hecht auf einen weiteren Einspruch, weil er erkannte, dass ein weiteres Insistieren gegenüber den Behörden eines Unrechtstaates die ersehnte Auswanderung scheitern lassen konnte. Dabei ist es auch in der Rückschau bemerkenswert, wie er angesichts der starken seelisch-emotionalen Belastungen, welche die Auflösung seiner bürgerlichen Existenz in Deutschland mit sich brachte, stets Gleichmut und Charakterstärke an den Tag legte. [Anm. 43]
Inmitten der Vorbereitungen seines bevorstehenden Umzugs nach Frankfurt a. M. lud Simon Hecht in seiner Funktion als Kultusvorsteher der jüdischen Gemeinde St. Goarshausen/Wellmich die noch verbliebenen Gemeindemitglieder [Anm. 44] für den 21. November 1937 – also unmittelbar vor der Übergabe des Gebäudes an den neuen Eigentümer - zu einer Abschiedsfeier im Betsaal des Hauses ein. Diese Feier markierte zugleich das Ende der fast 120jährigen Geschichte der Gemeinde. In seiner Rede wies der aus diesem Anlass eigens aus Bad Ems angereiste Bezirksrabbiner Dr. Friedrich Laubheimer die Teilnehmenden „in ernsten, tröstenden Worten […] auf das wichtige Element in unserer Geschichte, die Wanderungsbereitschaft hin und [betonte], dass dies nun einmal jüdisches Schicksal sei.“ [Anm. 45] Im Anschluss an die Rede des Bezirksrabbiners wurden die Thora-Rollen der Gemeinde ein letztes Mal ausgehoben und der Umgang im Raum vollzogen. Zum Abschluss des Gottesdienstes sprach man gemeinsam das Maarivgebet. [Anm. 46]
Parallel zu den Aktivitäten der Alteigentümer nahmen nun auch die Vorbereitungen der Kreisverwaltung für die Übergabe des Gebäudes an die Gauleitung an Fahrt auf. In einer für den 4. Oktober 1937 einberufenen Versammlung der noch verbliebenen Mieter [Anm. 47] des Hechtschen Hauses wurden diese über die künftige Nutzung des Gebäudes und die bevorstehende Kündigung ihrer Mietverträge informiert. Die Kreisverwaltung erklärte sich bereit, die Mieter bei der Beschaffung von Ersatzwohnraum zu unterstützen. Allerdings wurde diese Offerte mit der unverhohlenen Drohung kommuniziert, dass die Kreisverwaltung durch „gerichtlichen Zwang“ [Anm. 48] die Räumung des Wohnhauses betreiben werde, falls sich die Mietparteien weigern sollten, die ihnen angebotenen alternativen Räumlichkeiten anzunehmen. Angesichts dieser massiven Drohung erklärten sich die anwesenden Mieter bereit, es nicht auf ein gerichtliches Verfahren ankommen zu lassen.
Tatsächlich gestaltete sich die vom Kreis zugesagte Versorgung mit Ersatzräumen schwieriger als geplant. Dies betraf vor allen Dingen den Zahnarzt Friedrich Roth und den Uhrmachermeister Wilhelm Mockwitz, die entsprechende Wohn- und Arbeitsräume benötigten, um ihr Gewerbe ausüben zu können. [Anm. 49] Die Kreisleitung geriet dadurch zusehends in Zugzwang. Obgleich man der Gauleitung die fristgerechte Übergabe sämtlicher Räume des Hauses zum Ende des Jahres schriftlich zugesichert hatte, [Anm. 50] waren die Wohn- und Gewerberäume von Roth und Mockwitz im Januar immer noch belegt, was die Gauleitung jedoch nicht davon abhielt, mit den Renovierungsarbeiten der künftigen Parteizentrale zu beginnen. [Anm. 51]
Während Roth nach langem Hin- und Her, d.h. intensivem Schriftverkehr mit der Kreisverwaltung, einen adäquaten Ersatz (Wohn- und Praxisräume) in der Wellmicher Straße 228 fand, [Anm. 52] sah sich Mockwitz in Ermangelung passender Räumlichkeiten gezwungen, seinen Geschäftsbetrieb zunächst einzustellen. [Anm. 53] Das von ihm später angemietete Ladenlokal in der Dolkstraße erwies sich zudem als sanierungsbedürftig und musste auf eigene Kosten instandgesetzt werden. Die mit dem Umzug, der vorübergehenden Geschäftsaufgabe und dem Neubezug des Ladenlokals entstandenen Kosten zehrten die finanziellen Rücklagen der Familie auf, [Anm. 54] sodass Mockwitz sogar mit der Zahlung der Monatsbeiträge für die Kreishandwerkerschaft in Verzug geriet. Damit stand das Verbot der Ausübung seiner Gewerbetätigkeit im Raum. [Anm. 55]
In seiner Verzweiflung wandte sich dieser schließlich mit einer auf den 3. Oktober 1938 datierten Eingabe direkt an Reichsminister Joseph Goebbels. [Anm. 56] Diese Aktion zog – wie nicht anders zu erwarten – weite Kreise und brachte die Kreisleitung, die der prekären wirtschaftlichen Lage des Uhrmachermeisters bisher offenkundig nicht genügend Augenmerk geschenkt hatte, in erhebliche Erklärungsnot. Auf Nachfrage des Regierungspräsidenten in Wiesbaden [Anm. 57] sah sich Landrat Dr. Brunnträger schließlich gezwungen, den Wahrheitsgehalt der von Mockwitz gemachten Angaben zu bestätigen und sich im Einvernehmen mit der Partei dazu bereit zu erklären, die von diesem geltend gemachten Kosten für die Renovierung bzw. Sanierung der Geschäftsräume in der Dolkstraße in Höhe von 375 RM von der Kreisverwaltung begleichen zu lassen. Im Gegenzug erklärte Mockwitz die Eingabe an Reichsminister Goebbels für gegenstandslos. [Anm. 58]
Falls die Vertreter der Kreisverwaltung geglaubt haben sollten, den Verwaltungsvorgang der Eigentum- und Nutzungsübertragung des ehemaligen Hechtschen Hauses endgültig zu den Akten legen zu können, so hatte sie sich gründlich getäuscht. Tatsächlich drohte die Immobilie für den Kreis zu einem finanziellen Fiasko, einem „Groschengrab“, zu werden. Unmittelbar vor Abschluss der Umbauarbeiten und der offiziellen Übergabe der neuen Parteizentrale - im offiziellen Schriftverkehr von Partei und Verwaltung von nun an als „Adolf-Hitler-Haus“ bezeichnet – ging beim Vorsitzenden des Kreisausschusses ein Schreiben des Gauschatzmeisters ein, [Anm. 59] indem dieser nachdrücklich darauf verwies, dass der bei Abschluss des Kaufvertrages ursprünglich veranschlagte Kostenansatz für die notwendigen Instandhaltungs- und Umbaumaßnahmen zu niedrig angesetzt worden sei. [Anm. 60] So hätten u.a der Bau eines Sitzungssaals, die „würdige“ Gestaltung der Außenfassade, der Einbau von vier Autogaragen sowie die Notwendigkeit, das Gebäude neu einzudecken, Kosten in Höhe von 55.000 RM verursacht. [Anm. 61] Ein durch die Partei in Auftrag gegebene Schätzung habe den aktuellen Wert des Gebäudes mit 94.000 RM taxiert. Diese Wertsteigerung gegenüber dem ursprünglichen Kaufpreis von 47.000 RM käme – so der Gauschatzmeister – auch dem Kreis als Eigentümer der Immobilie zugute. Deshalb wäre es ungerecht, wenn die Aufwendungen für diese Wertsteigerung einseitig von der Partei zu tragen seien.
Deshalb schlug Eck vor, den bestehenden Mietvertrag dahingehend abzuändern, dass die Miete nicht ab dem 1. Januar 1940 zu entrichten sei, sondern dass der Kreis „der Partei das Haus auf 25 Jahre, d.h. bis 1. Januar 1963 [!] überlässt.“ [Anm. 62] Dies stellte insofern eine Unverfrorenheit sondergleichen dar, als dadurch dem Kreis von der Partei der Löwenanteil (85%) der von ihr allein zu verantwortenden Renovierungs- und Umbaukosten zugeschoben wurde. Damit hätte der Kreis, d.h. der Steuerzahler für die Immobilie insgesamt 94.000 RM aufgewendet, ohne in irgendeiner Weise davon zu profitieren. Für den hohen Grad wechselseitiger personeller Durchdringung von Partei und staatlicher Verwaltung im Zeichen der Gleichschaltung [Anm. 63] ist es indes bezeichnend, dass der unter Vorsitz von Landrat Dr. Brunnträger tagende Kreisausschuss in seiner Sitzung vom 31. Mai 1939 [Anm. 64] dieses Begehren der Partei einstimmig „absegnete“ und die erforderliche Anpassung des Mietvertrages veranlasste – eine Maßnahme, die sich mit Blick auf die Zukunft noch bitter rächen sollte.
0.1.Schaltzentrale des Terrors 1938-1945
Die neue Funktion des Gebäudes in der Adolf-Hitler-Str. 146 [Anm. 65] als Sitz der Kreisleitung der NSDAP lässt es sinnvoll erscheinen, an dieser Stelle eingehender auf die Funktion einzugehen, die den Kreisleitungen im nationalsozialistischen Herrschaftssystem zukam. [Anm. 66] Als politische Amtsträger gehörten die Kreisleiter zur „Funktionselite der NSDAP“. [Anm. 67]
Nach dem Abschluss der Gleichschaltung 1933/34 und der Konsolidierung der NS-Herrschaft erstreckte sich ihre Tätigkeit im Wesentlichen auf drei Aufgabenbereiche:
- Auf der lokalen und regionalen Ebene der Parteiorganisation waren sie „Vorgesetzte aller Mitglieder und nachgeordneten Funktionäre im Parteikreis“ [Anm. 68] So nahmen sie Einfluss auf die „Berufung und Abberufung von Ortsgruppenleitern und anderer ‚Politischen Leiter‘“. [Anm. 69] Weitaus wichtiger waren jedoch ihre im Laufe der Zeit kontinuierlich wachsenden Amtsbefugnisse im kommunalen und staatlichen Bereich. Die Deutschen Gemeindeordnung von 1935 räumte ihnen als „Beauftragte der NSDAP in der Gemeinde“ ein wichtiges Mitspracherecht bei der Berufung kommunaler Amts- und Funktionsträger ein. Darüber hinaus hatten sie „politische Stellungnahmen zu Personen abzugeben, die eingestellt bzw. befördert werden sollten oder die finanzielle Beihilfen der öffentlichen Hand beantragt hatten“. [Anm. 70] In der politischen Praxis war es jedoch schon bald üblich, die Kreisleitung an allen Fragen und Entscheidungen, die politisch relevant waren, zu beteiligen. Dabei führten unzureichend definierte Kompetenzen und Zuständigkeiten oft zu Reibungsverlusten und Konflikten, die nicht selten zu unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Bürgermeistern und Landräten einerseits und den Kreisleitern andererseits führten und dadurch politische Entscheidungsprozesse erschwerten, ja in Einzelfällen sogar lähmten.
Das Spektrum an Charaktertypen unter den Kreisleitern, mit denen sich der einzelne „Volksgenosse“ vor Ort konfrontiert sah, variierte von Region zu Region zuweilen stark. Vom intellektuell-distanzierten, über den gutmütig-jovialen bis hin zum bösartig-brutalen Typus war alles vertreten. Allen Kreisleitern gemeinsam war jedoch ein mehr oder minder stark ausgeprägter Antisemitismus und Antiklerikalismus.
Eine wichtige Rolle spielten Kreisleiter zudem bei der ideologischen Indoktrinierung der Kreisbevölkerung u.a. als Schulungsleiter, Redner bei politischen Versammlungen und sonstigen Feiern. [Anm. 71]
- Darüber hinaus kam ihnen eine zentrale Funktion bei der „Überwachung und Einschüchterung der Bevölkerung“ [Anm. 72] zu. Kreisleiter fungierten häufig als Sammelstelle für die zahlreichen Denunziationen, die den Alltag im Nationalsozialismus bestimmten. Dabei lag es in ihrem Ermessen, wie im Einzelfall zu verfahren sei. Sie konnten es bei einer bloßen Verwarnung belassen oder den Fall an die übergeordnete Instanz, d.h. die Gauleitung weiterleiten oder ihn sogar der Gestapo melden, was für Beschuldigte die Einlieferung in ein Konzentrationslager nach sich ziehen konnte. Die Tätigkeit der Kreisleiter auf diesen rein repressiven Aspekt beschränken zu wollen, wäre indes zu kurz gegriffen. Denn sie waren zugleich akzeptierte „Ansprechpartner für die Sorgen und Nöte der Menschen“ [Anm. 73], was häufig dazu führte, dass sie zugunsten der Bittsteller bei Personen, Behörden und Betrieben vorstellig wurden. [Anm. 74] Im Rahmen ihrer vielfältigen Aufgaben hatten Kreisleiter zudem regelmäßig Stimmungs- und Lageberichte zu verfassen und diese an die Gauleitung weiterzuleiten. [Anm. 75]
- Mit Kriegsausbruch erreichte die Machtfülle der Kreisleiter schließlich ihren Höhepunkt. Das galt insbesondere für die letzten Kriegsmonate, in denen sie als „Kreisverteidigungskommissare“ die exekutiven Aufgaben und Befugnisse staatlicher Behörden weitgehend an sich rissen und in ihren Amtsbezirken wie absolutistische Herrscher regierten. [Anm. 76]
Nicht unterschlagen werden darf schließlich die federführende Rolle der Kreisleiter bei der Umsetzung der auf Ausgrenzung, Diskriminierung und Vernichtung abzielenden Maßnahmen des NS-Staates gegenüber den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
Es entbehrt nicht einer bitteren Ironie, dass das ehemalige Hechtsche Haus, das zuvor den Betsaal der jüdischen Gemeinde beherbergt hatte, in seiner neuen Funktion zur Organisations- und Schaltzentrale des Terrors mutierte. So muss etwa mit Blick auf die Reichspogromnacht im Kreis St. Goarshausen mit ihren exzessiven Gewaltausbrüchen und Zerstörungen, davon ausgegangen werden, dass sämtliche Aktionen im „Adolf-Hitler-Haus“ in St. Goarshausen im Vorfeld geplant und koordiniert wurden. Trotz der desolaten Quellenlage [Anm. 77] deuten vereinzelte überlieferte Unterlagen sowie personelle Querverbindungen [Anm. 78] darauf hin, dass die Kreisleitung in St. Goarshausen nicht nur eingeweiht, sondern an der Durchführung aktiv beteiligt war. [Anm. 79] Die Stadt St. Goarshausen selbst blieb dagegen von Ausschreitungen verschont. Im Juli 1938 waren ihre letzten jüdischen Bewohnenden, der greise Albert Lion und seine Tochter Blanka, nach Mannheim verzogen. Der NSDAP-Parteizeitung „Nassauer Volksblatt“ war dies offensichtlich eine Meldung wert. In der Ausgabe vom 7. Juli 1938 vermeldete sie unter der Überschrift „Die Kreisstadt judenfrei“: „Nun hat auch der letzte Jude es vorgezogen, die Kreisstadt zu verlassen, so dass St. Goarshausen endlich judenfrei ist. Das deutsche Volk würde sich freuen, wenn bald der letzte Jude das Deutsche Reich verlassen würde.“
Als Nachfolger des 1942 gefallenen Kreisleiters Adam Biedert [Anm. 80], übernahm schließlich Josef Wagner dessen Funktion, zunächst von 1940 – 1941 kommissarisch und 1942 – 1945 hauptamtlich. Als letzter Inhaber dieser Funktion leitete Wagner ein weiteres, nicht minder dunkles Kapitel in der kurzen Geschichte des „Adolf-Hitler-Hauses“ ein. Er war es, der dieses Haus endgültig zu einer Zentrale des Terrors machte. Dem von einem pathologischen Judenhass [Anm. 81] getriebenen ehemaligen Ortsgruppenleiter von Oberlahnstein eilte aufgrund seiner dortigen Tätigkeit ein überaus negativer Ruf voraus. Mit seinem polternd-cholerischen Temperament, seiner Grobheit im Umgang und seinem rücksichtslosen Agieren in der Öffentlichkeit hatte er dort, insbesondere unter den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, Angst und Schrecken verbreitet. [Anm. 82]
In der Charakterisierung Walter Rummels erscheint Wagner als „Typus ‚Diktator des Kreises‘, unter Beimischung vom Typus ‚Goldfasan‘, kleinbürgerlicher Herkunft, aber despotisch in der Ausübung seiner Macht; ein dem Alkohol zugeneigter Bonze, dessen Keller im Unterschied zu den Vorräten normaler Volksgenossen stets mit Spirituosen gut gefüllt war.“ [Anm. 83]
Mit großer Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit verfolgte Wagner fortan von seinem neuen Amtssitz aus sein „Lieblingsprojekt“: Die Schaffung eines Judenghettos für die im Kreisgebiet noch lebenden Juden und Jüdinnen, mit dem Ziel, den Großkreis Rheingau-St.Goarshausen möglichst bald „judenfrei“ zu machen. Der von ihm zu diesem Zweck ins Auge gefasste Standort war die in der Nähe von Lahnstein gelegenen ehemalige, zu einem Slum verkommene Bergarbeitersiedlung Friedrichssegen in der Nähe von Lahnstein. Wagner ließ sich bei seinen Plänen offensichtlich von zwei spektakulären Sonderaktionen gegen deutsche Juden inspirieren: der im Februar 1940 erfolgten Deportation von Juden aus dem Großraum Stettin ins Generalgouvernement sowie der im Oktober des gleichen Jahres hinsichtlich ihres Umfangs allerdings noch größer dimensionierten Deportation der Juden aus Baden und der Saarpfalz nach Vichy-Frankreich. [Anm. 84]
Die rechtliche Handhabe für seinen Ghetto-Plan bot die „Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung“ vom Februar 1939 mit der entsprechenden Durchführungsverordnung vom März 1939, [Anm. 85] mit der es möglich wurde, „Juden zwangsweise und unbefristet einem neuen Arbeitsverhältnis zuzuführen“. [Anm. 86]
Für den Kreisleiter war die Nutzung der einstigen Bergarbeitersiedlung als Wohnquartier für jüdische Zwangsarbeitende auch deshalb verlockend, weil sie die Möglichkeit bot, den zuvor von Juden genutzten Wohnraum – gleichsam im Tauschverfahren – an die vormaligen, nicht selten sehr bedürftigen „arischen“ Bewohner der Siedlung zu vergeben und dadurch „NS-Rassenpolitik mit `völkischer´ Sozialpolitik zu verbinden". [Anm. 87]
Der Beschluss zur Durchführung des Ghetto-Planes und der damit verbundenen Zwangsumsiedlung der noch im Kreisgebiet lebenden jüdischen Bewohnenden nach Friedrichssegen erfolgte am 22. Mai 1941 auf einer eigens zu diesem Zweck von Wagner in St. Goarshausen angesetzten Besprechung. Das überlieferte Ergebnisprotokoll [Anm. 88] mit seiner in gedrechseltem Bürokratendeutsch abgefassten, euphemistisch verbrämten Überschrift „Niederschrift über eine am 22.5.1941 stattgefundene Besprechung mit anschließender Ortsbesichtigung betreffend Auflockerung der Kolonie Friedrichssegen in der Verbindung mit einer Bereinigung der Judenfrage für den Kreis Rheingau-St. Goarshausen“ führt als Teilnehmer dieser „Wannsee-Konferenz en miniature“ neben Kreisleiter Wagner, die Landräte Oppermann und Thöne sowie Kreiswirtschaftsberater und Arbeitsamtsleiter (Lahnstein) Grünthaler, noch drei weitere Vertreter wichtiger NS-Parteiorganisationen auf.
In seinen einleitenden Ausführungen gab Wagner zunächst einen knappen Überblick über den Stand der angestrebten „Auflockerung der Kolonie “, d.h. des Umzugs der alteingesessenen Bewohner in neue, d.h. von Juden und Jüdinnen geräumte Wohnquartiere. Danach lebten in Friedrichssegen zu diesem Zeitpunkt immer noch 18 Familien (mit insgesamt 92 Personen), die aufgrund des Wohnungsmangels keine alternativen Räumlichkeiten gefunden hatten. Dem stand die Zahl von insgesamt 47 im Kreis wohnenden Juden (22 männliche, 25 weibliche und 2 Kinder) gegenüber. Ziel musste es – laut Wagner – sein, diese Juden schnellstmöglich nach Friedrichssegen zum Arbeitseinsatz in dem dortigen Ton- und Ziegelwerk oder der Altmaterialiengroßhandlung zu verbringen; im Gegenzug sollten die dort verbliebenen 18 „arischen“ Familien mit Unterstützung des Arbeitsamtes auf die nunmehr freigewordenen Wohnungen der Juden verteilt werden.
Laut Protokoll wurde den Ausführungen des Kreisleiters „allseitig zugestimmt“ und darüber hinausgehend angeregt, das weitere Vorgehen dadurch zu beschleunigen, indem man künftig nur noch „mündlich“ [sic] verfahre. Zudem wurden Wagner und Grünthaler damit beauftragt sich anhand einer Ortsbesichtigung in Friedrichsegen „Klarheit zu schaffen über die sofortigen Aufnahmemöglichkeiten [vor Ort, d. Verf.] und die Bereitwilligkeit der deutschen Familien umzusiedeln." [Anm. 89] Die federführende Rolle Wagners bei der Umsetzung des Ghetto-Planes lässt sich anhand des überlieferten Schriftverkehrs der Kreisleitung gut belegen. Die Juden und Jüdinnen mussten den Eingang der ihnen amtlich zugestellten Umzugsanordnung des Arbeitsamtes und mit ihrer Unterschrift - bürokratisch korrekt – abzeichnen. Schwierigkeiten beim Wohnungstausch und das Beibringen ärztlicher Atteste [Anm. 90] führten indes immer wieder zu Verzögerungen. Zu dem behördlichen Instrumentarium, das im Zuge der Aktion wiederholt zum Einsatz kam, gehörte u.a. die Androhung von Zwangsräumungen, bezeichnenderweise nicht nur an Juden und Jüdinnen, sondern auch an die „arischen“ Bewohner von Friedrichsegen, die sich oftmals nur widerwillig bereitfanden, den ihnen angebotenen, vormals in jüdischem Besitz befindlichen Wohnraum anzunehmen. Befanden sich doch zahlreiche „Judenquartiere“ aufgrund der im Zuge der Reichspogromnacht angerichteten Verwüstungen in einem desolaten Zustand, weil deren Bewohner weder die finanziellen Mittel noch die Kraft besessen hatten, diese wieder herzurichten. [Anm. 91]
Mit seiner Beharrlichkeit schaffte es Wagner bis Dezember 1941 seinen Umsiedlungsplan schließlich weitgehend „erfolgreich“ umzusetzen und sein Herrschaftsgebiet „judenfrei“ zu machen. [Anm. 92] Die genaue Zahl der in Friedrichssegen internierten Juden und Jüdinnen – die dort unter widrigsten Bedingungen ein unmenschliches Dasein fristen mussten – lässt sich heute nicht mehr feststellen. Rummel beziffert die Zahl auf 48 Personen und bezieht sich bei seinen Angaben auf die Deportationslisten vom Juni bzw. August 1942. [Anm. 93]
Die Räumung des Lagers hatte schließlich noch ein makabres Nachspiel, über das die überlieferten Akten umfassend Auskunft geben. Infolge ihrer Deportation ging das von den Juden und Jüdinnen zurückgelassene Vermögen bzw. Eigentum in den Besitz des Reiches über. Die Verwaltung und Verwertung dieses Besitzes im Wesentlichen Möbel, Hausrat sowie Bett- und Leibwäsche fiel in den Zuständigkeitsbereich der Finanzbehörden, d.h. der Oberfinanzdirektionen bzw. der ihnen untergeordneten Finanzämter, im konkreten Fall dem Finanzamt St. Goarshausen. Den Finanzämtern kam in der Regel die Aufgabe zu, den konfiszierten Besitz in öffentlichen Versteigerungen meistbietend zu verkaufen und den Erlös dem Fiskus zu überweisen. In diesem Zusammenhang scheint es üblich gewesen zu sein, dass Mitarbeiter der zuständigen Finanzämter im Vorfeld der Versteigerungen ein Vorgriffsrecht auf die zu versteigernden Gegenstände hatten.
Gegen diese Praxis begehrte nun das „sozialpolitische Gewissen“ Josef Wagners auf. Vorausgegangen war die im „Adolf-Hitler-Haus“ eingegangene anonyme Beschwerde, [Anm. 94] wonach es bei den im Spätsommer 1942 vom Finanzamt St. Goarshausen durchgeführten Versteigerungen in Friedrichsegen zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, welche die Bevölkerung in „höchste Erregung“ versetzt hätten. Danach seien von den Mitarbeitern des Finanzamtes interessante Gegenstände rechtzeitig beiseite geschafft worden, um zu verhindern, dass diese zur Versteigerung gelangten. Versteigerungsinteressenten mit ihren „begründeten Wünschen“ seien hingegen leer ausgegangen. Zudem seien bei den Auktionen „Preise so getrieben“ worden, dass insbesondere „ärmere Volksgenossen“ nicht zum Zuge gekommen seien. Es könne der Leitung des Finanzamtes doch nicht darauf ankommen – so gab der Beschwerdeführer zu bedenken – große Einnahmen zu erzielen, ohne zu prüfen, wie die augenblicklichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, denen sich viele Volksgenossen gegenübersähen, abgemildert werden könnten.
In einem Schreiben vom 3. September 1942 [Anm. 95] thematisierte Wagner die Angelegenheit gegenüber dem Leiter des Finanzamtes St. Goarshausen und mahnte mit Blick auf künftige Versteigerungen an, entsprechende „Vorkehrungen zu treffen, dass sich Zustände wie oben geschildert nicht mehr wiederholen können“. [Anm. 96] Müsse doch künftig darauf geachtet werden, dass „in erster Linie Fliegergeschädigte, Schwerkriegsbeschädigte, Kinderreiche usw. […] zu berücksichtigen sind.“ [Anm. 97] Der Kreisleiter beendete sein Schreiben – ganz nach seiner Art – mit einer unverhohlenen Drohung: „Vorsorglich teile ich Ihnen mit, dass die Angelegenheit vom Sicherheitsdienst [Anm. 98] aufgegriffen und weitergemeldet worden ist.“ [Anm. 99]
Allerdings musste selbst ein Josef Wagner erkennen, dass bei Konflikten mit den Finanzbehörden seiner Allmacht Grenzen gesetzt waren. In ihrem Antwortschreiben vom 5. September 1942 [Anm. 100] verwahrte sich der stellvertretende Finanzamtsleiter „mit allem Nachdruck“ gegen die „völlig unbegründet[e]“ Annahme, „dass die mit der Verwertung des dem Reich verfallenen Judenvermögens beschäftigten Angehörigen des Finanzamtes sich in irgendeinem Punkt unkorrekt verhalten“ [Anm. 101] hätten. Auf die Weisungen der Oberfinanzdirektion verweisend, machte er klar, dass es vollkommen zulässig sei, „die für die Ausstattung von Dienstzimmern sowie der Erholungsheime und Schulen der Reichsfinanzverwaltung geeigneten Gegenstände, insbesondere Wäsche, Bett- und auch Tischwäsche [.] für die Verwendung in Lazaretten [..] vom Verkauf [auszusondern].“ [Anm. 102] Darüber hinaus seien die für soziale Belange zuständigen Gliederungen der Partei, namentlich die NSV, bereits im Vorfeld der Auktionen vom Finanzamt kontaktiert worden, um entsprechende Bedarfe geltend zu machen. Tatsächlich habe aber die NSV keinerlei Interesse geäußert und stattdessen erklärt, keine gebrauchten Sachen aufkaufen zu wollen. Seine implizite Kritik an den offenkundigen Kommunikationsmängeln innerhalb der Partei und ihren Gliederungen verband der Leiter mit der süffisanten „Bitte“, künftig dafür Sorge zu tragen, dass für den Fall, dass seine Behörde „weiteres Reichseigentum zur Verwaltung und Verwertung“ zugewiesen bekomme, die für die Betreuung „notleidender Volksgenossen“ zuständigen Stellen rechtzeitig [von der Kreisleitung, d. Verf.] anzuweisen seien, „ihre Wünsche geltend zu machen“. [Anm. 103]
Als Wagner 10 Tage später – anlässlich einer erneut vom Finanzamt angesetzten Versteigerung in Friedrichssegen – den Finanzamtschef telefonisch darum ersuchte, sich die zu versteigernden Gegenstände im Vorfeld anschauen zu dürfen, „damit nicht vorher alle möglichen Stellen sich die besten Sachen aussuchen würden“, holte er sich eine erneute Abfuhr. Zwar gestattete ihm dieser die Gegenstände in Anwesenheit eines Finanzbeamten zu besichtigen, betonte aber gleichzeitig, - mögliche Begehrlichkeiten des Kreisleiters durchkreuzend –, dass sich die Reichsfinanzverwaltung und Kassel [d.h. die Oberfinanzbehörde] bereits vorbehalten hätten, „die Stücke, die sie für Heime usw. benötigten vorher zu entnehmen“. Als ihm der Kreisleiter darauf entgegnete, dass er diese Praxis „nicht verstehen könne“, erwiderte dieser, dass dies auch „gar nicht nötig“ [sic] sei. [Anm. 104]
Für die Jahre 1943-1945 erlauben die überlieferten Aktenbestände keine weiteren Einblicke in ähnlich gelagerte, der polykratischen [Anm. 105] Struktur des NS-Staats geschuldeten Konflikte zwischen staatlichen Behörden und der Partei. Wenig erfährt man zudem über die von der Kreisleitung ergriffenen Maßnahmen im Hinblick auf die Anforderungen des Krieges. [Anm. 106] Dies gilt insbesondere für die Endphase des Krieges, d.h. die Monate Januar bis März 1945, als Wagner in seiner Funktion als „Kreisverteidigungskommissar“ den Abwehrkampf gegen die vorrückenden Amerikaner zu organisieren hatte.
Zeugenaussagen aus dem Spruchkammerverfahren gegen Josef Wagner vermitteln indes eine ungefähre Vorstellung von den Ereignissen und dem Chaos jener Tage. So wusste etwa der Lahnsteiner Druckereibesitzer und Verleger Fritz Nohr zu berichten, dass Wagner im März 1945 Evakuierungspläne für die Bewohner von Ober-, Niederlahnstein und Braubach hatte ausarbeiten lassen, die vorsahen, die noch verbliebene Bevölkerung, meist alte Menschen sowie Frauen mit Kindern, bei Nacht ins Hinterland zu verbringen. Angesichts der ständigen Bombengriffe und des durch die näherrückende Front einsetzenden Artilleriebeschusses [Anm. 107] hätte die Durchführung dieser Pläne, die glücklicherweise verhindert werden konnten, das Leben tausender Menschen gefährdet. [Anm. 108]
Wagner selbst verstand es, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Am 21. März, also 5 Tage vor der Einnahme St. Goarshausens durch Einheiten der US-Armee, verließ er überstürzt [Anm. 109] – in Begleitung seines Stabes und unter Mitnahme der Parteifahnen sowie mit sieben Kisten voller Panzerfäuste – das „Adolf-Hitler-Haus“ und begab sich nach Nastätten. Dort quartierte sich die Kreisleitung im Parterre des Forstamtes ein, um nach 8 Tagen vor den anrückenden Amerikanern – unter Zurücklassung ihrer „Mitbringsel“ – heimlich zu verschwinden. [Anm. 110] Wagner gelang es später, in Bayern unterzutauchen, wo ihn Fahnder der US-Armee in der Nähe von Fürstenfeldbruck am 13. August 1945 festnahmen und in das Internierungslager Hammelburg (Unterfranken) einwiesen.
0.1.Vom "Adolf-Hitler-Haus" zum Sitz der französischen Militäradministration 1945-1951
Da das „Adolf-Hitler-Haus“ – ganz im Gegensatz zu den in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Gebäuden [Anm. 111] – von kriegsbedingten Zerstörungen weitgehend verschont geblieben war, bot es sich für die Amerikaner an, das Gebäude zu requirieren [Anm. 112] und als Sitz der Militärverwaltung zu nutzen. Mit der ab Juli 1945 vorgesehenen Übergabe [Anm. 113] der den Franzosen zugesprochenen südwestdeutschen Gebiete fiel schließlich auch das Mittelrheintal unter französische Verwaltung. Damit war das Haus am Bahnhof einem erneuten Funktionswechsel unterworfen: Sechs Jahre lang fungierte es nun als Sitz der französischen Militärverwaltung im Kreis St. Goarshausen.
Der Landkreis als eigentlicher Eigentümer des Gebäudes wurde jedoch schon bald von den Geistern der Vergangenheit eingeholt. Die Requirierung durch die amerikanische und französische Militärregierung war vermutlich auf der Grundlage des Militärgesetzes Nr. 52 erfolgt. Dieses sah vor, dass „Vermögen, das direkt oder indirekt, ganz oder teilweise unter der Kontrolle [der NSDAP und ihrer Gliederungen gestanden hatte], hinsichtlich Besitz oder Eigentumsrecht der Beschlagnahme, Weisung, Verwaltung, Aufsicht oder sonstigen Kontrolle der Militärregierung“ unterliege. [Anm. 114]
Dieser Umstand mag auch erklären, weshalb es die Besatzungsbehörden zunächst unterließen, dem Landkreis einen Requirierungsschein [Anm. 115] auszustellten, da sie offensichtlich davon ausgingen, dass es sich bei der Kreisleitung um eine Immobilie der NSDAP handelte. In den Folgejahren sah die französische Militäradministration deshalb wohl auch keine Veranlassung, Mietzahlungen an den Kreis zu entrichten. Stattdessen musste der Kreis weiterhin für den Unterhalt des Gebäudes (Instandhaltung, Heizung und Strom) aufkommen. Ein Zustand, der für die Kreisverwaltung zunehmend zu einem Ärgernis wurde. [Anm. 116] Der Kreis versuchte lange vergeblich die Militäradministration zu Mietzahlungen zu bewegen, wobei sich zwei Rechtspositionen gegenüberstanden: Während sich die französische Seite lange Zeit auf eine Militärverordnung berief, wonach für Gebäude, die öffentliches Eigentum waren, nur dann eine Entschädigung, d.h. Mietzahlungen zu leisten seien, wenn sie am Tag ihrer Beschlagnahme durch die Besatzungsbehörden eine Einnahmequelle dargestellt hätten [Anm. 117] – im vorliegenden Fall also durch Mietzahlungen der NSDAP –, argumentierte der Kreis dahingehend, dass die NSDAP zum Zeitpunkt der Beschlagnahme des Gebäudes durch die Besatzungsmächte als Organisation bereits aufgehört habe, zu existieren, das Haus mithin keine Mieterträge mehr generiert habe. [Anm. 118] Die Lösung der Angelegenheit wurde zudem durch das besondere Mietarrangement des Kreises mit der NSDAP aus dem Jahre 1939 erschwert, welches vorsah, die Renovierungskosten mit den Mietzahlungen zu verrechnen. Nach wiederholtem Drängen durch die Kreisverwaltung fand sich die französische Militäradministration am 9. Januar 1951 schließlich bereit, rückwirkend zum 1. Juli 1949 eine Mietentschädigung für die von ihr belegten Räume (Untergeschoss, die 1. Etage und Teile des Dachgeschosses) zu zahlen. [Anm. 119] Gleichzeitig verpflichtete sie sich, diese Gebäudeteile zum 1. Januar 1951 an die Kreisleitung zurückzugeben – eine Maßnahme, die offenkundig vor dem Hintergrund des veränderten besatzungsrechtlichen Status der jungen Bundesrepublik (Besatzungsstatut vom 10. April 1949 sowie Petersberger Abkommen vom 22. November 1949) gesehen werden muss. Damit fand ein weiteres Kapitel in der ereignisreichen Geschichte des Hauses in der Bahnhofstraße sein Ende. Der Landkreis war nun erstmals in der Lage, seine 1937 erworbene Immobilie für die eigenen Zwecke, d.h. Verwaltungsaufgaben voll umfänglich zu nutzten.
Doch stand bereits neues Ungemach ins Haus. Noch während der Kreis mit der französischen Militäradministration über eine Mietentschädigung verhandelte, hatte der in den USA lebende Simon Hecht auf der Grundlage des für die französischen Besatzungszone geltenden Militärgesetztes (sog. Verordnung Nr. 120) beim Landgericht Koblenz Klage auf Restitution [Anm. 120] seines früheren Eigentums eingereicht. [Anm. 121] Der vom Landkreis mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragte Rechtsanwalt riet der Behörde im Hinblick auf noch ausstehende Urteile in ähnlich gelagerten Fällen auf Zeit zu spielen und formalrechtliche Einwände vorzubringen. [Anm. 122] Dem Beklagten, d.h. dem Kreis musste es vorrangig darum gehen, den von Klägerseite geltend gemachten Zwangscharakter des Verkaufs zu entkräften.
Die Verordnung Nr. 120 bestimmte, dass ein zwischen 1933-1945 zustande gekommenes Geschäft nachträglich für nichtig erklärt werden konnte, wenn dieses
- nicht zu einem angemessenen Preis abgeschlossen
- und die Zustimmung des Eigentümers unter physischem oder moralischem Zwang erfolgt war.
Von zentraler Bedeutung für die Beweisführung war hierbei der 14. Juni 1938 [Anm. 123] als Stichtag. War das Geschäft vor diesem Datum getätigt worden, lag die Beweispflicht beim Kläger, für die Zeit danach beim Beklagten.
Die Beklagtenseite argumentierte denn auch dahingehend, dass der seinerzeit vereinbarte Kaufpreis angemessen gewesen sei. Hechts Motiv für den Verkauf habe ausschließlich darin bestanden, zu seinen in den Vereinigten Staaten lebenden Kindern auszuwandern und sich die dafür notwendigen Devisen zu beschaffen. Er habe dabei stets volle Handlungsfreiheit besessen; zu keinem Zeitpunkt habe er unter Zwang gehandelt. Demgegenüber betonte die Klägerseite, dass das Zustandekommen des Geschäfts in einer allgemeinen Atmosphäre der Bedrückung im Sinne eines Kollektivzwanges erfolgt sei. [Anm. 124] Das stichhaltigste Argument im Arsenal der Klägerseite bildete indes die nicht erfolgte Auszahlung der vereinbarten Devisensumme.
Am 6. April 1949 unterbreitete das Landgericht beiden Parteien schließlich einen Vergleichsvorschlag, wonach sich der Kreis im Zuge einer gütlichen Einigung auf Zahlung einer Summe von 20.000 DM verpflichten sollte. Der Kreis lehnte dieses Angebot als inakzeptabel ab und unterbreitete stattdessen ein Gegenangebot von 10.000 DM. Wie nicht anders zu erwarten, stieß dies auf die Ablehnung der Klägerseite, welche die Zahlung einer Mindestsumme von 15.000 DM forderte. Der auf Zeit spielende Anwalt der Beklagtenseite blieb jedoch bei seinem ursprünglichen Gegenangebot und hatte mit seiner Strategie schließlich Erfolg. Nachdem die Klägerseite einen Vergleich von 10.000 DM zunächst abgelehnt hatte, fand sie sich am 27. Juli 1950 schließlich dazu bereit, diesen zu akzeptieren. [Anm. 125] Allerdings drohte der Vergleich erneut zu scheitern, als das Gericht – auf Anraten der Staatsanwaltschaft [Anm. 126] – den Kreis zusätzlich zur Zahlung eines Nutzungsschadens von 1.200 DM an die Dienststelle für Sondervermögen verpflichten wollte. Der Kreisausschuss in St. Goarshausen fand sich zunächst lediglich dazu bereit, 500 DM zu zahlen, willigte später aber ein, den vollen Betrag zu zahlen, nachdem die Dienststelle für Sondervermögen weiterhin darauf bestanden hatte. [Anm. 127] Durch das Urteil des OLG Koblenz vom 6. April 1951 wurde der Vergleich schließlich rechtsverbindlich. In seiner Sitzung vom 11. Mai 1951 [Anm. 128] nahm der Kreisausschuss das Urteil zur Kenntnis und genehmigte die Zahlung folgender Beträge durch den Landkreis:
10.000 DM Restitutionssumme
1.200 DM Nutzungsentschädigung an den Fond Sondervermögen
1.624 DM Rechtsanwaltskosten
12.824 DM Gesamtsumme [Anm. 129]
Tatsächlich tat der Kreisausschuss gut daran, den Vergleich in der vorliegenden Form anzunehmen, umso mehr als eine Berufung, die erneute Verhandlung vor der höchsten Instanz, dem für die französische Zone zuständigen Obergericht (Cour Supérieure pour les Restitutions = CSR) in Rastatt nötig gemacht hätte, welches erfahrungsgemäß in seinen Urteilen stärker die Rechtsposition der Klägerseite vertrat. [Anm. 130] Doch galt auch für die Klägerseite, dass sie das kräftezehrende, sich über drei Jahre hinziehende Verfahren, nun endlich beendet wissen wollte. Simon Hecht hat das Gerichtsurteil, das ihn sicherlich mit einer, wenn auch späten Genugtuung erfüllt hätte, nicht mehr erlebt; am 22. November 1950 war er in St. Louis/Missouri verstorben.
0.1.Von der Nachkriegszeit bis heute
Das St. Goarshäuser Adressbuch aus dem Jahr 1959 [Anm. 131] weist als Amtssitz der Kreisverwaltung zwei Gebäude aus: das Landratsamt in der Professor-Müller-Allee 143 und das einstige „Adolf-Hitler-Haus“ in der Bahnhofstr. 146. Dies deutet darauf hin, dass letzteres in den 1950er und 60er Jahren voll umfänglich vom Kreis als Verwaltungsgebäude genutzt wurde.
Wie und in welcher Form diese Nutzung erfolgte, lässt sich heute anhand der Quellen nicht mehr mit Bestimmtheit belegen. Nach Auskunft des Zeitzeugen Landrat a.D. Kurt Schmidt [Anm. 132] befanden sich im ersten Stockwerk die Räume des Kreisgesundheitsamts, im zweiten jene des Lastenausgleichsamts und im dritten sowie Teilen des Dachgeschosses die Büros der Baubehörde. Die Räume im Untergeschoss, in denen sich während der Besatzungszeit u.a. die Gefängniszellen der Sȗreté [Anm. 133] befunden hatten, seien hingegen ausschließlich als Lager- bzw. Abstellräume genutzt worden. [Anm. 134] Laut Schmidt reichten die Räumlichkeiten schon damals nicht aus, um das Personal in angemessener Weise unterzubringen, so dass der Mangel organisatorisch nur dadurch entschärft werden konnte, indem man Mitarbeiter für den Außendienst abstellte. [Anm. 135]
Nach Aussage von Alfred Bauer, einem ehemaligen Schüler des Staatlichen Neusprachlichen und Naturwissenschaftlichen Gymnasiums [Anm. 136] und späteren Lehrer am Wilhelm-Hofmann-Gymnasium, wurde der große, aus der NS-Zeit stammende „Empfangssaal“ im dritten Stock während der 1950er Jahre gelegentlich für schulische Filmvorführungen und Festveranstaltungen genutzt, war aber für die breitere Öffentlichkeit nicht frei zugänglich.
Aufgrund seiner bewegten Nutzungsgeschichte befand sich das Gebäude in den 1960er Jahren in einem desolaten baulichen Zustand. Neben einem deutlichen Renovierungsbedarf wies es massive statische Probleme auf. Dies war eine Spätfolge der von der NS-Kreisleitung gegen Ende der 1930er Jahre veranlassten Umbaumaßnahmen, durch die offensichtlich tragende Elemente des Mauerwerks entfernt worden waren. Nachdem die Kreisverwaltung zeitweise erwogen hatte, das Gebäude abzureißen, entschied man sich schließlich für eine aufwendige Grundsanierung, in deren Folge zahlreiche Stahlträger eingezogen werden mussten, um den Bau zu stabilisieren.
Durch den Zusammenschluss des Loreleykreises [Anm. 137] mit dem Unterlahnkreis zum Großkreis Rhein-Lahn-Kreis in den Jahren 1969/70 verlor St. Goarshausen seine Funktion als Kreishauptstadt an die Stadt Bad Ems. Damit wurden auch die bisherigen Verwaltungsgebäude obsolet. Mit der Gründung der Verbandsgemeinde Loreley im Jahre 1972 standen für deren künftigen Verwaltungssitz in St. Goarshausen zwei Gebäude zur Diskussion: die ehemalige Berufsschule in der Dolkstraße 3 und das Gebäude der Kreisverwaltung in der Bahnhofstr. 33 (146). In einer Abstimmung sprachen sich die Mitglieder des Verbandsgemeinderats mit einer knappen Mehrheit für die ehemalige Berufsschule als künftigen Verwaltungssitz aus.
Nach einer kurzen Phase des Leerstands verkaufte der Kreis seine Immobilie in der Bahnhofstraße schließlich an zwei Geschäftsleute, die Gebrüder Theis, die dort bis Ende der 1980er Jahre ein Geschäft für Teppiche und Bodenbeläge betrieben. Spätere Eigentümer gingen schließlich dazu über, Teile des Gebäudes in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Seit Anfang der 1990er besteht das Haus aus 10 separaten Wohneinheiten (Eigentumswohnungen) mit einer Mischung aus Wohn- und Gewerberäumen. Mit Blick auf seine Nutzungsgeschichte hat sich somit der Kreis geschlossen. Das Haus fungiert heute wieder als das, als was es vor 150 Jahren begann.
An seine wechselvolle Geschichte und das Schicksal seiner einstigen Eigentümer und Bewohner Simon und Berta Hecht erinnert dagegen bis heute nichts.
Mein besonderer Dank gilt Frau Doris Spormann aus Biebernheim, die mir als ausgewiesene Expertin für die Geschichte des Judentums am Mittelrhein den Zugang zu ihrem rechtsrheinischen „Beifang“ ermöglicht hat, und mich - ohne es zu wissen – in Zeiten schwindender Zuversicht immer wieder ermutigt hat, den eingeschlagenen Pfad weiter zu verfolgen. Gleiches gilt für Herrn Manfred Köhn aus St. Goarshausen ohne dessen tatkräftige Mithilfe (Stichwort: Bildarchiv) und Kooperation dieser Beitrag in der vorliegenden Form nicht zustande gekommen wäre. Dank gebührt schließlich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landeshauptarchivs Koblenz und des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden, die mir bei der Erschließung der relevanten Archivbestände halfen sowie all denjenigen, die mich bei der Erstellung dieses Beitrags mit Rat und Tat begleitet haben.
Remagen, im April 2025
0.1.1.Anlage 1:
- Abb. 16 Die von Walter Colonius im Auftrag der Kreisverwaltung erstellten Baupläne des Hechtschen Hauses vom August 1937. Im Sockelgeschoss (Souterrain) befand sich in einem der beiden Räume in der linken hinteren Ecke (Rheinseite) der Betsaal der jüdischen Gemeinde. Die durchgehenden Wände ermöglichten hier die vorgeschriebene Ausrichtung des Thoraschreins in Richtung Jerusalem. (LHAKo Best. 702 Nr. 14.477 + 14.478)[Bild: LHAKo Best. 702 Nr. 14.477 + 14.478]
0.1.2.Anlage 2:
- Abb. 17 Der Bauplan der Kreisverwaltung aus dem Jahre 1955 zeigt die Raumaufteilung des Gebäudes, wie sie sich nach dem Umbau durch die NSDAP-Kreisleitung in den Jahren 1938/39 darstellte. Neben der Vergrößerung bzw. Zusammenlegung der Räume im linken hinteren Bereich des 2. Stockwerks, die offensichtlich darauf abzielte, die Raumaufteilung zu optimieren, sticht insbesondere der neugeschaffene repräsentative Empfangssaal im 3. Stockwerk ins Auge, der große Teile der Frontseite des Gebäudes einnahm. In diesem Saal fand aller Wahrscheinlichkeit nach die von Kreisleiter Josef Wagner geleitete Besprechung vom 22. Mai 1941 über die geplante Errichtung eines „Judenghettos“ in Friedrichssegen statt.[Bild: Sammlung Jürgen Breitenbach]
0.1.3.Anlage 3:
- Abb. 18, 19 u. 20 Die Hauptausfertigung des Mietvertrages zwischen der Kreisverwaltung St. Goarshausen und dem Reichsschatzmeister der NSDAP vom 8. Dezember 1937.
Das Dokument trägt die Siegel und Unterschriften des Landrates, der Gauleitung und des in München residierenden Reichsschatzmeisters der NSDAP, Franz Xaver Schwarz. Die Tatsache, dass der Mietvertrag der Genehmigung durch die oberste Parteiführung bedurfte, wirft ein Schlaglicht auf das die NSDAP kennzeichnende Führerprinzip.
Anmerkungen:
- Bei den eingeklammerten Hausnummern handelt es sich um die alte, noch bis Ende der 1960er Jahre gültige Zählung. Zurück
- Das Adressbuch der Stadt St. Goarshausen von 1893/96 weist Joseph Wolf als Inhaber einer „Frucht- und Mehlhandlung“ aus. Vgl. https://www.dilibri.de/rlb/periodical/pageview757328, Abruf 05.01.2025. Hinsichtlich der Datierung des Gebäudes orientiert sich der Verf. an den Angaben des von der Kreisverwaltung 1937 in Auftrag gegebenen Baugutachtens (LHAKo Best. 502 Nr. 866, Bl. 3), welches das Alter des Gebäudes auf 60 Jahre schätzte. Die Richtigkeit der Angabe des Amtsgerichts St. Goar, wonach die katasteramtliche Ur-Aufmessung des Gebäudes 1868 erfolgte, erscheint dagegen zweifelhaft, da für dieses Jahr anhand früher fotographischer Zeugnisse noch keine Bebauung bzw. Bautätigkeit entlang dieses Rheinuferabschnitts nachweisbar ist. Andererseits könnte der im Baugutachten von 1937 festgestellte Mischcharakter der Bausubstanz (Bruchsteinmauerwerk mit -gewölbe im Kellerbereich sowie Ziegelmauerwerk und Fachwerk im übrigen Gebäude) darauf hindeuten, dass der Bau des Hauses in mehreren Etappen erfolgte. Zurück
- Vgl. amtliche Verlautbarung aus dem Lahnsteiner Tageblatt vom 04.05.1897. Zurück
- HHStAW Best. 518, Nr. 362: Die Söhne Julius und Sally Wolf waren 1908 nach Frankfurt a. M. übergesiedelt und betrieben dort bis 1938 einen einträglichen „Kaffee- und Fruchtgroßhandel“. Ihre Erbanteile scheinen sie bereits vor dem Ersten Weltkrieg an den im Haus wohnenden Uhrmachermeister Peter Schneider veräußert zu haben. In einer Steuermitteilung des Katasteramtes aus dem Jahre 1918 werden als Eigentümer Peter Schneider und ein gewisser Leo Oppenheimer, Ehemann von Franziska, geb. Wolf, also die Tochter von Joseph Wolf genannt. Zurück
- LHAKo Best. 502 Nr. 86, Bl. 16: Im Erdgeschoss des Hauses befanden sich die Wohn- und Geschäftsräume der Putzmacherin Ella Häusle und des Uhrmachermeisters Wilhelm Mockwitz, im zweiten Stock die Wohn- und Praxisräume des Zahnarzts Friedrich Roth. Zurück
- Ein frühes Zeugnis seiner pessimistischen, gleichwohl klarsichtigen Beurteilung der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung wird u.a. von Frieda Wiegand überliefert, die zu Beginn der 1930er Jahre bei der Firma Hecht eine kaufmännische Lehre absolvierte und später als Sekretärin für die NSDAP-Kreisleitung tätig war. Im Restitutionsverfahren Hecht OHG vs. Adams u. Toursel vor dem Koblenzer Landgericht als Zeugin geladen, führte sie vor Gericht am 07.12.1954 aus, dass Simon Hecht ihr gegenüber mit Blick auf eine mögliche Weiterbeschäftigung bereits im Februar 1935 folgendes geraten habe: „Sie werden gut daran tun, sich nach etwas anderem umzusehen. Sie könnten an sich bleiben, aber wir gehen ja weg.“ LHAKo Best. 581,1 Nr. 2483, Bl. 216. Zurück
- Zuträger dieser Information scheint der Oberkreisinspektor Peter Werner gewesen zu sein, der in den Jahren zwischen 1920-1928 im Hechtschen Haus zur Miete gewohnt hatte und mit Simon Hecht gut bekannt war. Zurück
- Vgl. LHAKo Best. 518 Nr. 362, Bl. 1: Aktenvermerk der Kreisverwaltung vom 27.08.1937. Zurück
- Ob es sich bei dieser Maßnahme um einen Akt vorauseilenden Gehorsams handelte oder ob sie dem Mangel an geeignetem Funktionärsnachwuchs geschuldet war, lässt sich indes nicht mit letzter Bestimmtheit sagen. Zur Reichsreformdebatte allgemein: Baum, Walter: Die „Reichsreform“ im Dritten Reich. In: Vierteljahreshefte für Zeigeschichte, Jg. 3 (1955), H. 1, S. 36-57. Zurück
- Vgl. in diesem Zusammenhang die Übersicht (Bildtafel) zu dem im Nachgang zum Nürnberger Reichsparteitag erfolgten personellen Revirement (= ‚Umbesetzung von Ämtern‘) im Gau Hessen-Nassau: Nassauer Volksblatt, Nr. 259, 01.10.1937. Zurück
- Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) = 1932 gegründete nationalsozialistische Wohlfahrtsorganisation, die im Zuge der Gleichschaltung und des Verbots der Arbeiterwohlfahrt unter den noch verbliebenen Wohlfahrtsorganisationen eine zunehmend dominierende Stellung einnahm. Zurück
- Deutsche Arbeitsfront (DAF) = nach dem Verbot der freien Gewerkschaften am 01.05.1933 geschaffenen Einheitsorganisation, der nicht nur Arbeiter und Angestellte, sondern auch Unternehmer und Gewerbetreibende angehörten. Zurück
- Die begrenzten räumlichen Kapazitäten von Kreis- und Stadtverwaltung hatten schon zuvor Probleme bereitet. So hatte es die Unterbringung des neugeschaffenen Rechnungsprüfungsamtes im Landratsamt im Jahre 1935 erforderlich gemacht, die dort residierende NSDAP-Kreisleitung auszuquartieren. Zu diesem Zweck waren im ersten Stockwerk der benachbarten Metzgerei Göttert drei kleine Büroräume angemietet worden. Vgl. LHAKo Best. 502, Nr. 866, Bl. 1. Zurück
- Bis zum 30.09.1937 übte Brunnträger die Funktion des Landrates und des NSDAP-Kreisleiters in Personalunion aus. Mit der Kreisreform wurden diese beiden Funktionen getrennt. Vor die Wahl gestellt, das Amt des Landrates oder des Kreisleiters weiterzuführen, entschied sich Brunnträger für ersteres. Sein Nachfolger im Amt des Kreisleiters wurde der bisherige Kreisleiter von Oppenheim Adam Biedert. Vgl. Maier, Franz: Biographisches Organisationshandbuch der NSDAP und ihrer Gliederungen im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz, Mainz 2007, S. 161-162. Zurück
- Im amtlichen Schriftverkehr und den internen Vermerken von Staat und Partei wurde ihm als Person durchgehend die Anrede „Herr“ verweigert, stattdessen verwendete man die Formulierungen „Hecht“ oder „der Jude Hecht“. Zurück
- Colonius und Werner ließen sich bei ihrer Vermittlertätigkeit sicherlich nicht allein von altruistischen Motiven leiten, wie dies die Darstellung der Ereignisse in der Nachkriegszeit zuweilen zu suggerieren scheint. Vgl. hierzu das Schreiben des Landrates des Kreises St. Goarshausen an Rechtsanwalt Herter vom 18.03.1949 und die Zeugenaussage Werners vor dem Landgericht in Niederlahnstein vom 15.11. 1949, LHAKo Best. 502 Nr. 867. Als Bauunternehmer wird Colonius daran interessiert gewesen sein, lukrative staatliche Bauaufträge zu erhalten, Werner wiederum mag daran gelegen gewesen sein, seine loyale Haltung der Partei gegenüber unter Beweis zu stellen. Zurück
- LHAKo Best. 702 Nr. 14.477 sowie LHAKo Best. 702 Nr. 14.478, vgl. dazu im Anhang die Anlage 1. Zurück
- LHAKo Best. 502 Nr. 866 Bl. 3-4: Baugutachten vom 13.08.1937. Zurück
- Der aus Kaub stammende Georg Hinterwälder (1904-1944) war vom 01.11.1931 – 10.03.1934 Kreisleiter von St. Goarshausen und danach bis zum 30.9.1937 Kreisleiter des Unterwesterwaldkreises. Von der Gauleitung zunächst als Nachfolgekandidat für Brunnträger favorisiert, musste er schließlich Adam Biedert weichen. Vgl. Maier, Organisationshandbuch der NSDAP, S. 269-270. Zurück
- LHAKo Best. 502 Nr. 866, Bl. 2 – 2b. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- In der dem Verf. vorliegenden, von der Stadt St. Goarshausen erstellten Liste einstiger jüdischer Einwohnerinnen und Einwohner aus dem Jahre 1962 sind diese Namen nicht aufgeführt; das Ehepaar Steinberg scheint somit polizeilich nicht gemeldet gewesen zu sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich bei dem Ehemann um den am 10.02.1887 in Steinfischbach (Taunus) geborenen Kaufmann Hermann Steinberg. Dieser war vom 11.11.1938 bis zum 21.02.1939 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert und verstarb am 26.02.1939 infolge der dort erlittenen Misshandlungen im jüdischen Krankenhaus in Frankfurt a.M. Vgl. dazu die entsprechenden Eintrag unter www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/, (Abruf 12.01.2025) sowie den Antrag auf Ausstellung einer Inhaftierungsbescheinigung durch seine in den USA lebende Witwe Irma (wieder verh. Landau) vom 03.11.1955: 6.3.3.2/100499100/ITS Digital Archive, Arolsen Archives. Zurück
- Dass einem erfahrenen, kühl kalkulierenden Geschäftsmann wie Simon Hecht die vermögensrechtlichen Auswirkungen der Gesetzeslage erst zu diesem Zeitpunkt bewusst wurden, erscheint indes wenig glaubhaft; wahrscheinlicher ist, dass sein plötzlicher „Meinungsumschwung“ von taktischen Erwägungen bestimmt wurde. Untermauert wird diese Einschätzung durch die folgende Aussage von Berta Hecht aus einem Brief vom 15.03.1937 an ihre Kinder in den USA:
„Auf einmal will alles weg, jung & alt. Wenn wir nur unser Haus loswürden, wenn wir es verkaufen, müssen wir Wohnungssteuer & Hypotheken Aufwertung bezahlen und dann kommt die Reichsfluchtsteuer & dann geht es auf 0 auf (sic!), dann hat es auch keinen Sinn. Wir haben schon hin & her überlegt, das Resultat bleibt ergebnislos. Wenn alles verloren geht, dann müssen wir uns auch damit abfinden, [..] man kann nicht gegen höhere Gewalt.“
Wolff, Raymond/Graf, Martina u. Hans-Dieter/Berkessel, Hans (Hg.): Schreie auf Papier. Die Briefe von Heinrich und Selma Wolff aus Mainz an ihre Söhne Herbert und Helmut in New York 1937-1941, Oppenheim am Rhein 2021, S. 46-47. Zurück - Zumindest im Hinblick auf das britische Mandatsgebiet Palästina waren die Einlassungen von Colonius insofern zutreffend, als das NS-Regime bereits kurz nach der Machtergreifung Devisenerleichterungen für auswanderungswillige Jüdinnen und Juden ermöglicht hatte. Vgl. den entsprechenden Erlass des Reichswirtschaftsministeriums vom 28.03.1933, in: Walk, Joseph (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat – Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Karlsruhe 1981, S. 48. Vgl. u.a. auch die Mitteilung im Reichssteuerblatt vom 13.02.1934, ebd., S. 71. Zurück
- LHAKo Best. 502 Nr. 866, Bl. 13-14. Zurück
- Devisenstellen waren Außenstellen der Oberfinanzdirektionen, die der Fachaufsicht durch das Reichswirtschaftsministerium unterstanden. Zu Beginn der 1930er Jahre unter Reichskanzler Brüning ins Leben gerufen, bestand ihre Aufgabe darin, die „Kapitalflucht ins Ausland zu verhindern und die Devisenbewirtschaftung durchzuführen.“ Bis 1933 waren alle Bürger des Deutschen Reiches den Devisengesetzten in gleicher Weise unterworfen; nach 1933 richteten sich die Maßnahmen der Behörde zunehmend gegen die jüdische Bevölkerung und hatten deren wirtschaftliche Ausplünderung zum Ziel. Vgl. www.frankfurt1933-1945.de/index/begriffe/erlaeuterung/1124/devisenstelle, Abruf 12.01.2025. Zurück
- Der Stellenwert, den die Angelegenheit für die Kreisverwaltung mittlerweile angenommen hatte, lässt sich auch daran ablesen, dass sich Landrat Dr. Brunnträger direkt einschaltete. Vgl. LHAKo Best.502 Nr. 866, Bl. 13 u. 13b: Schreiben an das Finanzamt in St. Goarshausen vom 08.09.1937:
„Durch dieses äußerst billige Angebot käme die Partei zu einem äußerst zweckmäßig liegenden Bürohaus, zu einem Betrag, der ein zweites Mal nicht mehr zu erreichen wäre. Ich bitte daher die Genehmigung herbeizuführen, dass dem Hecht die Ausreise mit 28.000 RM in Devisen oder Transfers zugestanden wird. Da die Gauleitung auf sofortigen Abschluss des Kaufvertrages drängt, Hecht aber nur bereit ist, den Kaufvertrag zu tätigen, wenn seine Ausreise unter diesen Bedingungen ermöglicht wird, bitte ich meinen Antrag beschleunigt der zuständigen Stelle zur Genehmigung befürwortend vorlegen zu wollen. Ich bitte dabei zu berücksichtigen, dass der wirkliche Kaufwert des Hauses mit 56.000 RM anzunehmen ist.“ Zurück - Ebd., Bl. 14. Zurück
- Ein behördlicher Vermerk über diese Unterredung ist nicht überliefert. Dafür finden sich entsprechende Hinweise in einem Schreiben des Landrats des Kreises St. Goarshausen an den Rechtsanwalt der Beklagtenseite und der Zeugenaussage Werners in der Prozessakte zum Restitutionsverfahren Landkreis St. Goarshausen gegen Simon Hecht aus dem Jahr 1949. Werners nachträgliche Schilderung des Vorgangs betont besonders, dass sich Brunnträger wegen seines Eintretens für die Belange Hechts dem expliziten Vorwurf ausgesetzt sah, ein „Judenfreund“ zu sein. Inwieweit diese Schilderung der Wahrheit entspricht oder im Nachgang konstruiert wurde, um die eigene, aber auch Brunnträgers Rolle altruistisch zu überhöhen, lässt sich nicht mehr feststellen. Letzteres würde durchaus im Einklang mit dem in Westdeutschland nach 1945 vorherrschenden „Rechtfertigungsnarrativ“ stehen, wonach der Kauf jüdischen Eigentums nicht selten „als karitativer und lebensrettender Akt“ dargestellt wurde. Vgl. hierzu: Lillteicher, Jürgen: Raub, Recht und Restitution, Göttingen 2007, S. 139. Zurück
- LHAKo Best. 502 Nr. 866, Bl. 37 u. 37b: Schreiben Brunnträgers an die Devisenstelle Frankfurt vom 30.09.1937, in dem dieser auf die Dringlichkeit einer Lösung verweist:
„Dem Kreis ist bekannt, dass dies ein Entgegenkommen gegenüber dem Juden Hecht bedeutet. Andererseits ist dabei aber zu bedenken, dass die Unterbringung der Kreisleitung ohne Ankauf des Hauses von Hecht nicht möglich ist, deshalb liegt die Zuteilung von 11.700 RM in Devisen an den Juden Hecht im Interesse des Kreises und der Partei.“ Zurück - Dies erfolgte gegen Einzahlung von 35.100 RM auf ein Sperrguthaben, das den Devisentransfer zum Kurs von 33 1/3% anstatt zum üblichen Sperrmarkkurs ermöglichte. Die Höhe des eingezahlten Betrages legt die Annahme nah, dass Simon Hecht noch Geld aus dem Erlös weiterer von ihm verkaufter Vermögenswerte, etwa von Wertpapieren und Aktien, überwiesen hatte. Durch den Verkaufserlös des Hauses allein wäre dieser Betrag sicher nicht zustande gekommen. Ebd., Bl. 34-36. Zurück
- Ebd., Bl. 23-24. Zurück
- Schreiben vom 28.09.1937, ebd., Bl. 32. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd., Bl. 28. Zurück
- LHAKo Best. 502 Nr. 866, Bl. 50 u. 52. Siehe auch den Brief des Leiters des Finanzamtes in St. Goarshausen an den Landrat vom 20. Oktober 1937, ebd., Bl. 53. Zurück
- Zur Rolle des Reichsfinanzministeriums und der ihm untergeordneten Behörden bei der Ausplünderung der Juden: Götz, Aly: Hitlers Volksstaat – Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt a.M. 2006, S. 54-66. Zurück
- Ebd., Bl. 52b: Schreiben Brunnträgers an die Devisenstelle in Frankfurt vorm 29.10.1937. Zurück
- Ebd., Bl. 63 u. 63b. Zurück
- Vgl. hierzu auch die Aussage seiner Frau Berta in einem Brief aus Frankfurt am 24.12.1937 an ihre Tochter Florenze in den USA:
„Du bist Gott sei Dank ganz Dein Vater, der kommt über alles so leicht hinweg, was in heutiger Zeit ein großes Glück bedeutet. Den Haus- & Geschäftsverkauf hat er mit der größten Ruhe gemacht, wenn für Vater eine Sache abgeschlossen ist, dann ist die Sache für ihn erledigt und [er] denkt nicht mehr hinterher, ob er recht oder unrecht gehandelt hat. Wie glücklich können sich solche Menschen preisen, die nicht immer am Grübeln sind.“ Schreie auf Papier, S. 57. Zurück - Angesichts des Wegzugs vieler Mitglieder wird die Gemeinde zu diesem Anlass große Schwierigkeiten gehabt haben, das erforderliche Quorum von zehn männlichen Juden (Minjan) für das Abhalten eines Gottesdienstes, zusammenzubringen. Es ist daher zu vermuten, dass sich auch einige der in den Landgemeinden der Umgebung ansässige Juden und Jüdinnen, etwa aus Lierschied, Nochern und Weyer zu dieser Feier eingefunden hatten. Vgl. hierzu die Aussage von Berta Hecht in einem Brief vom 15.03.1937 an ihre Kinder in den USA: „Familie Weikersheimer werden uns auch im Laufe des Jahres verlassen […] Dann sind noch 4 Familien hier, zum Minjen machen müssen sie schon aus der ganzen Gegend sich einfinden, ja so ändern sich die Zeiten.“ Ebd., S. 47. Zurück
- Jüdische Rundschau, Nr. 97, 07.12.1937. Zurück
- Über den Verbleib der von Dr. Laupheimer nach Bad Ems überführten Thora-Rollen und weiterer liturgischer Gegenstände ist nichts bekannt. Laut Doris Spormann muss davon ausgegangen werden, dass sie während der Reichspogromnacht in Bad Ems vernichtet wurden. Zurück
- Zur Versammlung erschienen waren Uhrmachermeister Wilhelm Mockwitz, Hutmacherin Ella Häusle, Diplomkaufmann Carl Fries mit Frau, Zahnarzt Friedrich Roth, Lehrer Ludwig Nies und Fr. Katharina Lenz. Bezeichnenderweise war das jüdische Ehepaar Steinberg bei dieser Veranstaltung schon nicht mehr zugegen. Ebd., Bl. 41 u. 41b. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ursprünglich hatte die Kreisleitung geplant, Roth und Mockwitz in Räumen des alten Finanzamtes unterzubringen, die mit dem Umzug der Behörde in den gerade fertiggestellten Neubau frei geworden waren. Dies war aber durch die Forderung des Landesarbeitsamtes nach neuen Räumlichkeiten durchkreuzt worden. Vgl. hierzu ebd., Bl. 55. Zurück
- Ebd., Bl. 17: Schreiben von Landrat Dr. Brunnträger an die Gauleitung in Frankfurt a.M. vom 20.09.1937. Zurück
- Der damals fünfjährigen Charlotte Bundt, Tochter der Eheleute Mockwitz, haben sich die Erinnerungen an diese Zeit bis heute eingeprägt. In einem Interview mit dem Verf. am 18.07.2024 kommentierte sie die damaligen Vorgänge wie folgt: „Die Handwerker waren im Haus und der Mörtel ist uns in die Suppe gefallen!“ Zurück
- Roth hatte sich in diesem Zusammenhang sogar „erdreistet“, beim Kreis um ein Darlehen nachzusuchen, um einen möglichen Hauskauf finanzieren zu können und sich eine Abfuhr eingehandelt. LHAKo, Best. 502 Nr. 866, Bl. 98.
Die Antwort des Landrates ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Ich mache Sie […] darauf aufmerksam, dass Ihr Umzug aus dem Hause des Kreises spätestens am 31. ds. Mts. [d.h. Januar] erfolgt sein muss. […] Liegt mir am 20. ds. Js. Ihre Erklärung nicht vor, werde ich sofort Räumungsklage anstrengen. Es wurde Ihnen auch gesagt, bei der Beschaffung eines Hauses oder einer Wohnung, die für ihre Zwecke in jeder Weise geeignet ist, behilflich zu sein. Es kommt aber niemals in Frage, dass der Kreis ein Haus für Sie erwerben kann, worüber Sie zu keiner Zeit im unklaren gelassen worden sind.“ Roths Anwort an Brunnträger erfolgte prompt: „Auf Ihr Schreiben vom 15 ds. Mts. teile ich Ihnen hiermit höflichst mit, dass ich mich nun entschlossen habe, die Parterre-Wohnung in St. Goarshausen Wellmichstr. 208, bestehend aus drei Zimmern, Küche, Keller und zwei kleinen ineinandergehenden Mansarden im Dachgeschoss und zwar mit dem Ausübungsrecht der dentistischen Praxis bis zum 15. Februar zu beziehen [….] Heil Hitler! Ebd., Bl. 98ff: Antwortschreiben vom 20.01.1938. Zurück - Ebd., Bl. 103: Aktenvermerk des Vorsitzenden des Kreisausschusses vom 21.04.1938. Zurück
- Vgl. auch ebd., Bl. 105: Verpflichtungserklärung von Mockwitz, die Rückzahlungsmodalitäten eines Übergangskredits durch die Kreisverwaltung betreffend (30.05.1938). Zurück
- LHAKo Best. 502 Nr. 866, Bl. 117, 117b u. 118: Schriftwechsel zwischen Landrat und Kreishandwerkerschaft über die Reduzierung bzw. Aussetzung der Innungsbeiträge. Zurück
- Ebd., Bl. 120, 120 b u. 121.
Charlotte Bundt vermutet, dass die auf den 03.10.1938 datierte Eingabe auf Anraten und unter Federführung von Carl Fries, dem einstigen Mitbewohner im Hechtschen Haus, geschah. Fries hatte zu Beginn des Jahres 1938 das frühere Wohn- und Geschäftshaus der jüdischen Familie Morgenstern in der Nastätterstr. 153 (heute Am Rabenack 2) gekauft und der Familie Mockwitz im Dachgeschoss kurzfristig eine kleine Mansardenwohnung als Notunterkunft zur Verfügung gestellt. Trotz seiner Mitgliedschaft in der NSDAP pflegten Fries und seine Frau privaten Umgang mit den Eheleuten Hecht und zeigten sich vor deren Umzug nach Frankfurt a.M. anscheinend daran interessiert, Teile der Wohnungseinrichtung zu erwerben. Dies erstaunt umso mehr, als es Angehörigen der Partei untersagt war, Umgang mit Juden zu haben. Vgl. den Brief von Berta Hecht aus St. Goarshausen vom 3. Januar 1937 an ihre Kinder, Schreie auf Papier, S. 45. Zurück - Ob Goebbels die an ihn adressierte Eingabe je zu Gesicht bekommen hat, darf bezweifelt werden. Ihr Eingang wurde im Propagandaministerium zwar registriert, von dort aber umgehend an das Reichsinnenministerium weitergeleitet, um schließlich auf dem Schreibtisch des Regierungspräsidenten in Wiesbaden zu landen. Zurück
- LHAKo Best. 502, Nr. 866, Bl. 121 u. 121b: Schreiben des Landrats an den Regierungspräsidenten in Wiesbaden vom 21. 11. 1938. Zurück
- Ebd., Bl. 126 u. 126b. Zurück
- Die Kostenexplosion war dabei sicherlich zum einen der Großmanns- und Prestigesucht der NSDAP Gauleitung geschuldet, zum anderen aber auch dem Umstand, dass diese mit der Ausführung der Baumaßnahmen externe Bauunternehmen beauftragt hatte; lokale Unternehmen, wie etwa die Firmen Colonius oder Strack, waren dagegen – im Gegensatz zu den Bauarbeiten an der Rheinuferstraße oder am kurz zuvor fertiggestellten neuen Finanzamt (vgl. die entsprechenden Pressemeldungen zu den Ausschreibungsverfahren in der Rheinisch-Nassauischen Zeitung vom 18.10.1932 u. 23.03.1935 sowie im Nassauischen Volksblatt, Nr. 213, 07.08.1935) – leer ausgegangen. Darauf deutet die Abschrift einer Rechnung vom 09.03.1938 hin (vgl. LHAKo Best. 502, Nr. 866, Bl. 106), in der der Architekt Walter Colonius dem Kreis die Kosten für erbrachte Leistungen (u.a. Aufmessung, Verhandlungen mit Hecht und Erstellung eines Kostenvoranschlags) berechnete. Im Falle der Erteilung eines Bauauftrages durch die Gauleitung wäre dieser Betrag vermutlich in die Gesamtabrechnung eingegangen. Gestützt wird diese Einschätzung durch das der Rechnung angefügte Begleitschreiben des Landrats an die Kreisleitung vom 19.03.1939 in dem es u.a. heißt: „Durch die Verhältnisse waren Sie [die Gauleitung, d. Verf.] nicht in der Lage dem Colonius die Umbauarbeiten zu übertragen, sodass seine geleisteten Arbeiten gerechter Weise zu vergüten sind. Die Forderung selbst im Betrage von 294 RM ist mäßig gehalten. Ich bitte, die Rechnung ausgleichen zu wollen.“ Ebd., Bl. 106b. Diese Sicht der Dinge wurde von Brunnträgers Nachfolger im Amt des Kreisleiters Adam Biedert offensichtlich nicht geteilt. Dies suggeriert zumindest der Tenor seines knapp gehaltenen Antwortschreibens vom 16.05.1939 [!]: „Ich nehme Bezug auf meine Unterredung mit Ihnen vom 14.05.1938 und gebe Ihnen beiliegend die Rechnung des Dipl. Ing. Walter Colonius, St. Goarshausen, wieder zurück. Heil Hitler!“ (Ebd., Bl. 107) Demnach scheint die Kreisverwaltung wieder einmal auf ihren Kosten „sitzengeblieben“ zu sein. Zurück
- Vgl. dazu im Anhang die Anlage 2. Zurück
- Ebd., Bl. 126b. Zurück
- Kreis- und Kommunalvertreter wurden ab 1934 nicht mehr gewählt, sondern von der Gauleitung ernannt. Vgl. hierzu die entsprechende Pressemeldung über die künftige Zusammensetzung der Stadtverordneten-versammlung in St. Goarshausen, Rheinisch-Nassauische Zeitung vom 02.01.1934. Zurück
- LHAKo Best. 502, Nr. 866, Bl. 127, 127b u. 128. Zurück
- Die Umbenennung der Bahnhofstraße in Adolf-Hitler-Straße war im Jahre 1936 erfolgt. Zurück
- Grundlegend hierzu: Stellbrink, Wolfgang: Die Kreisleiter der NSDAP in Westfalen und Lippe – Versuch einer Kollektivbiographie (Veröffentlichung der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschungen, Bd. 49), Münster 2003. Zurück
- Ebd., S. 10. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- Für die Zeit von 1935-1938 lässt sich die Tätigkeit der Kreisleiter auf diesem speziellen Gebiet auch für St. Goarshausen gehäuft nachweisen. Vgl. etwa die entsprechenden Meldungen in den Ausgaben des Nassauer Volksblatts u.a. am 02.12.1935, 07.02.1936, 28.04.1936 und 08.03.1937. Zurück
- Stellbrink, Kreisleiter, S. 10. Zurück
- Ebd. Zurück
- Wie wichtig ihnen der Kontakt zur Bevölkerung war, lässt sich daran erkennen, dass sie – analog zu den ihnen unterstellten Ortsgruppenleitern – regelmäßig Sprechstunden abhielten. So legte der ehemaligen Ortsgruppenleiter von Oberlahnstein Josef Wagner auch nach seiner Ernennung zum Kreisleiter Wert darauf, an seiner alten Wirkungsstätte zumindest einmal pro Woche präsent zu sein. Vgl. die Aussage seiner Lahnsteiner Sekretärin L. K. im Spruchkammerverfahren vom 12.11.1948: LHAKo, Best. 856 Nr. 120700/2, Bl. C 14. Zurück
- Einen Überblick über das offizielle Berichtswesen im NS-Staat bietet: Longerich, Peter: „Davon haben wir nichts gewußt!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945, Bonn 2006, S. 32-53. Zurück
- Stellbrink, Kreisleiter, S. 11. Zurück
- Belastendes Aktenmaterial wurde zum Großteil kurz vor dem Einmarsch der US-Armee auf Befehl von Gauleiter Sprenger vernichtet. Zur Quellenüberlieferung die Kreisleitung St. Goarshausen betreffend, vgl. Rummel, Walter: Ein Ghetto für die Juden im Tal der Verbannten. Die Umwandlung der ehemaligen Bergarbeitersiedlung in Friedrichssegen (Lahn) zum Wohnlager für jüdische Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen 1938-1942, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 30 (2004), S. 419-507, insb. S. 423 Anm. 14 sowie S. 427 Anm. 34.
Zur Vorgeschichte der Reichspogromnacht vgl. u.a. Döscher, Hans-Jürgen; „Reichskristallnacht“, Die Novemberpogrome 1938, München 2000. Darin abgedruckt findet sich auch das Blitz-Fernschreiben des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Reinhard Heydrichs vom 10.11.1938 (1:20 Uhr), in dem dieser u.a. die politischen Leitungen der Partei, namentlich Gau- und Kreisleitungen, anwies „im ganzen Reich Demonstrationen gegen die Juden“ vorzubereiten. Ebd., S. 95. Zurück - Erwähnt sei hier nur die Rolle des aus Singhofen stammenden SA-Sturmführers W. S., dem zu jener Zeit der St. Goarshausener SA-Sturm 21/261 unterstand. Als einer der Rädelsführer bei den Ausschreitungen in Nastätten musste er sich nach dem Krieg vor Gericht verantworten. Zurück
- Hinsichtlich der Ereignisse in der benachbarten Gemeinde Lierschied kann anhand der Quellen zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass Kreisleiter Biedert telefonisch die entsprechende Anweisung erteilte. Vgl. die Ermittlungsakten der Staatsanwalt zu den Vorgängen in Lierschied aus dem Jahre 1948, LHAKo Best.581,1 Nr. 1823, Bl. 133-137.
Überaus hilfreich ist das in diesem Zusammenhang von Steffen Wilbert in seinem jüngst aktualisierten Aufsatz erstellte Schaubild zur Abfolge der Ereignisse der Reichspogromnacht in den drei Taunusgemeinden Lierschied, Nochern und Weyer: Wilbert, Steffen: Das Schicksal jüdischer Bürger von Nochern, Weyer und Lierschied im Nationalsozialismus, Bendorf 2021, überarb. Neuaufl. 2024, https://www.regionalgeschichte.net/fileadmin/Mittelrheinportal/Orte/Nochern/Das_Schicksal_der_juedischenBuerger_von_Nochern_Weyer_und_Lierschied_im_Nationalsozialismus.pdf, Abruf 14.12.2024. Dass der Anstoß zu den gewalttätigen Ausschreitungen von der Kreisleitung ausging, daran lässt auch die Urteilsbegründung des Schwurgerichts Koblenz zur Reichspogromnacht in Miehlen vom 20.05.1950 keine Zweifel aufkommen: LHAKo Best. 584.1 Nr. 1305, S. 3. Zurück - Maier, Organisationshandbuch der NSDAP, S. 144. Zurück
- Vgl. u.a. seine Aussage im Zusammenhang mit der von ihm veranlassten Heranziehung von Juden zu Zwangsarbeitsmaßnahmen: „Die Juden eignen sich am besten zu Abort- und Latrinen-Reinigung!“, LHAKo Best. 856 Nr. 120700/3, Bl. 174. Zurück
- Zur Rolle Wagners während der Reichspogromnacht in Ober- und Niederlahnstein siehe u.a.: Seibert, Hubert:
Zwischen Integration und Deportation – Zur Geschichte der Juden im Rhein-Lahn-Gebiet 1918-1945, in: Der Rhein-Lahn-Kreis, Landschaft – Geschichte – Kultur unserer Heimat, hrsg. v. der Kreisverwaltung des Rhein-Lahnkreises, Oberwesel 1987, S. 252-278 sowie Ders.: Duldung – Integration – Erinnerung, Die Geschichte Lahnsteins im 19. Und 20. Jahrhundert, hrsg. im Auftrag der Stadt Lahnstein von Hubertus Seibel, Lahnstein 1999, S. 719-752. Zurück - Rummel, Ein Ghetto für die Juden, S. 426. Zurück
- Vgl. Teschner, Gerhard J.: Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Vorgeschichte und Durchführung der Deportation und das weitere Schicksal der Deportierten bis zum Kriegsende im Kontext der französischen Judenpolitik, Frankfurt a. M. 2002. Zurück
- RGBl. I 1939, S. 206-207, ebd., S. 403-406, zitiert nach Rummel, Ghetto für die Juden, S. 448. Zurück
- Ebd., S. 448. Zurück
- Ebd., S. 449. Zurück
- LHAKo Best. 856 Nr. 120700/3, Bl. 388. Zurück
- Ebd. Zurück
- Die große Mehrheit der zu diesem Zeitpunkt im Großkreis Rheingau-St. Goarshausen verbliebenen Juden und Jüdinnen waren über 60 Jahre alt, z.T. wesentlich älter. Einige der Betroffenen versuchten sich durch die Vorlage ärztlicher Atteste, den behördlichen Anordnungen zu entziehen, was Wagner wiederholt in Rage versetzte. Rummel verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass der von Wagner verfügte Arbeitseinsatz im Widerspruch zu einer Verfügung der Gestapo Koblenz vom 02.01.1940 stand, wonach der „geschlossene Arbeitseinsatz von Juden auf 18-55 jährige zu begrenzen sei“. Rummel, Ghetto für die Juden, S. 459. Vgl. auch das Schreiben des Ortsgruppenleiters von Eltville an den Kreisleiter vom 17.07.1941, in dem dieser anfragt, wie angesichts des Vorliegens amtsärztlicher Gutachten mit den fünf dort noch lebenden Juden zu verfahren sei: LHAKo Best. 856 Nr. 120700/3, Bl. 234. Zurück
- Ebd., Bl. 309: Schreiben von Wagner an die Leiter des Arbeitsamtes (Nebenstelle) in St. Goarshausen vom 13.08.1941: „In Weyer ist durch den Umzug der Juden eine Wohnung frei geworden, die jedoch nicht bezogen werden kann, da sie total versaut ist.“ Zurück
- Rummel, Ghetto für die Juden, S. 485. Zurück
- Das am 24. November 1996 zum Gedenken an die Opfer in Friedrichssegen errichtete Mahnmal nennt dagegen 51 Namen. Zurück
- LHAKo Best. 856 Nr. 120700/3, Bl. 379: Schreiben vom 28.08.1942 mit dem handschriftlichen Vermerk: „Dem Kreisleiter zur Kenntnis“. Die kenntnisreiche Schilderung des Vorgangs lässt vermuten, dass es sich bei dem Autor um einen Eingeweihten, möglicherweise um einen Angehörigen der örtlichen Parteiorganisation oder der Schutzpolizei gehandelt haben muss. Zurück
- Ebd., Bl. 378. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- Der Sicherheitsdienst (SD) war ein zentraler Teil des NS-Repressionsapparates. Ursprünglich vom Reichsführer SS als Geheimdienst der Partei gegründet, später ab 1939 dem Reichssicherheitshauptamts (RSHA) unterstellt, bestand seine vorrangige Aufgabe in der gezielten Bekämpfung politischer Gegner und der Überwachung der Bevölkerung. Zurück
- Ebd. Zurück
- LHAKo Best. 856 Nr. 120700/3, Bl. 377 u. 377b. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- Vgl. Ebd. Zurück
- Ebd., Bl. 374: Aktenvermerk vom 14.09.1942. Zurück
- Abgeleitet von Polykratie (‚Viel-Herrschaft‘), ist der Monokratie, d.h. ‚Allein-Herrschaft‘ gegenüberzustellen. Vgl. Hachtmann, Rüdiger: Polykratie – Ein Schlüssel zur Analyse der NS-Herrschaftsstruktur?, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 01.06.2018, https://docupedia.de/zg/Hachtmann_polykratie_v1_de_2018, Abruf 01.04.2025. Zurück
- Tatsächlich scheint Wagner auch in dieser Phase mit „eiserner Faust“ regiert zu haben. Dies suggerieren zumindest vereinzelt überlieferte Schriftsätze aus den Jahren 1943/44, die deutlich machen mit welcher perfiden Beharrlichkeit er seine Mitbürger/innen drangsalierte. Beispielhaft verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf seine „Fehde“ mit dem Unternehmer und „Halbjuden“ Dr. Walter Lessing aus Oberlahnstein. Wagner setzte alles daran, diesen „Vertreter seiner Rasse“, aus dessen Villa zu vertreiben, um auf dem Grundstück des parkähnlichen Anwesens Behelfsheime für luftkriegsgeschädigte Familien zu errichten. Vgl. LHAKo Best. 856 Nr. 120700/2, Bl. B 55ff. Zurück
- Die Verbände der 3. US-Armee hatten bereits am 16.03.1945 das linke Rheinufer erreicht. Zurück
- LHAKo Best. 856 Nr. 120700/2 Bl. B 93-96: Nohrs Schreiben an die Polizeiverwaltung von Oberlahnstein vom 01.08.1947. Zurück
- Angesichts des schnellen Vormarsches der US-Armee fand die Kreisleitung offenkundig nicht mehr die Zeit, um sämtliche im „Adolf-Hitler-Haus“ gelagerten Aktenbestände zu vernichten. Rummel erklärt die z.T. wundersame Überlieferungsgeschichte einzelner Akten, die später eine wichtige Rolle im Spruchkammerverfahren gegen Wagner spielen sollten, u.a. damit, dass die Räume und die Registratur des Gebäudes unmittelbar vor und nach dem Einmarsch der Amerikaner frei zugänglich gewesen sein müssen; Besucher konnten sich mithin ungehindert Zugang verschaffen und „frei bedienen“. Vgl. Rummel, Ghetto für die Juden, S. 423, vgl. aber auch Anm. 276, S. 484. Zurück
- Vgl. hierzu die Zeugenaussage von L. O., die in dieser Zeit als Haushaltshilfe im Forsthaus arbeitete. Sie berichtet, dass die US-Soldaten beim Auffinden der zurückgelassenen Gegenstände davon ausgegangen seien, es mit „schwere[n] Nazis“ zu tun zu haben, weshalb diese Teile des Hausinventars demoliert hätten. Tatsächlich hielten sich zum Zeitpunkt des Eintreffens der Amerikaner im Haus nur noch Frauen mit ihren Kindern auf. Ebd., Bl. B 151. Zurück
- Vgl. hierzu ausführlich: Köhn, Manfred: Vom Institut zum Wilhelm-Hofmann-Gymnasium: 140 Jahre der traditionsreichen Schule am Mittelrhein im Spiegel der Geschichte unserer Heimat und ihrer Menschen, St. Goarshausen 1993. Köhn weiß u.a. zu berichten, dass das „Adolf-Hitler-Haus“ zusammen mit anderen „Prachtbauten“ der Stadt im Jahre 1943 im Zeichen des sich verschärfenden Luftkrieges mit einem „grünen Tarnfarbenanstrich“ versehen worden sei. Ebd., S. 121-125. Zurück
- Abgeleitet von „Requirierung“, bedeutet es „für Zwecke des Heeres beschlagnahmen“. Vgl. „requirieren“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/requirieren, Abruf 01.04.2025. Zurück
- Gemäß der Berliner Erklärung und dem Zonenprotokoll vom 5. Juni 1945. Die Übergabe des Gebäudes an die französische Militärverwaltung in St. Goarshausen erfolgte am 10. Juli 1947. Vgl. Springorum, Ulrich: Entstehung und Aufbau der Verwaltung in Rheinland-Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 1982, S. 101. Zurück
- https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1026627419#page/16/mode/1up; Abruf 15.02.2025. Zurück
- Für Eigentümer beschlagnahmter Immobilien war das Beibringen eines Requirierungsscheins offenkundig Voraussetzung, um gegenüber den Militärbehörden Nutzungsentgelte geltend machen zu können. Zurück
- LHAKo Best. 502, Nr. 866, Bl. 202: Aktenvermerk des Landrates vom 13.09.1948: „Der Leiter des Requisitionsamtes [.] hat heute fernmündlich angerufen, dass die Militärregierung angeordnet habe, das Dach der Autogarage bei dem Gebäude der Militärregierung sofort instand zu setzen. Wegen der entstehenden Kosten ist eine Klärung noch nicht herbeigeführt. Nach den geltenden Richtlinien ist der Kreis als Eigentümer des Gebäudes verpflichtet, die Kosten zu tragen. Der anwesende Dachdeckermeister Willi Lauer von St. Goarshausen wollte vor Beginn der Arbeiten eine definitive Zusage haben, wer für die entstehenden Kosten aufkommt. Unter den vorliegenden Umständen musste Lauer die Zusage gegeben werden, dass der Kreis die Kosten übernimmt.“ Zurück
- Vgl. ebd., ohne Blattzählung: Aktennotiz des Kreisrequisitionsamt/St. Goarshausen vom 29.04.1949 sowie das Protokoll der Sitzung des Kreisausschusses vom 13.05.1949. Zurück
- In formalrechtlicher Hinsicht war diese Argumentation insofern angreifbar, als das Kontrollratsgesetz Nr. 2, welches die Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen - also auch der NSDAP - verfügte, erst am 12.10.1945 in Kraft getreten war. Zurück
- LHAKo, Best. 502 Nr. 866, ohne Blattzählung: Vgl. das entsprechende, ins Deutsche übersetzte Schreiben des Attaché Michaud an die Kreisdelegation St. Goarshausen vom 09.01.1951. Zurück
- (Rück-)Erstattung . Vgl. „Restitution“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Restitution, Abruf 01.04.2025. Zurück
- LHAKo Best. 583,1 Nr. 24801, Bl. 1: Klage vor dem LG Koblenz vom 29.12.1948. Zurück
- Dazu gehörte u.a. das Einfordern eines Erbscheins für die am 09.05.1948 verstorbene Berta Simon, die bis 1937 Miteigentümerin der Immobilie gewesen war - ein Unterfangen, das mit zahlreichen bürokratischen Hürden (u.a. dem Beibringen amtlicher Beglaubigungen) verbunden und daher sehr zeitaufwendig war. Zurück
- Das Datum bezeichnete das Inkrafttreten der sog. 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1935. Die Verordnung bestimmte, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen, „als jüdischer Gewerbebetrieb“ anzusehen sei. Vgl. hierzu: Walk, Das Sonderrecht für die Juden, S. 233. Zurück
- Zur Stützung dieser These beantragte die Klägerseite die Einvernahme von Ludwig Nies. Die Eheleute Nies waren bis 1937 nicht nur Mieter im Hechtschen Haus gewesen, sondern hatten zudem freundschaftlichen Umgang mit dem Ehepaar Hecht. Vgl. LHAKo Best. 583,1 Nr. 2480, Bl. 19 + b: Einvernahme von Ludwig Nies vom 05.04.1949. Aus Sicht des Gerichts vermochte dieser indes keinen „durchschlagenden Beweis“ für den „Zwangsverkauf“ der Immobilie beizusteuern. Vgl. LHAKo Best. 502 Nr. 867 ohne Blattzählung: Gerichtlicher Vergleichsvorschlag vom 06.04.1949. Zurück
- Ebd.: Protokoll der Kreisausschusssitzung vom 20.11.1950. Zurück
- Dies war das Ergebnis einer parallel angestrengten Klage des Sondervermögens für die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts gegen den Landkreis St. Goarshausen. Die Behörde verwaltete das erbenlose Vermögen im Holocaust umgekommener Juden und Jüdinnen, das zur Entschädigung von NS-Opfern bestimmt war. Zurück
- Ebd. Zurück
- Ebd. Zurück
- Der Betrag wurde aus der Betriebsmittelrücklage des Kreises (Haushaltsplan 1951) bezahlt. Zurück
- Rummel, Walter/Rath, Jochen (Bearb.): „Dem Reich verfallen“ – „den Berechtigten zurückzuerstatten“: Enteignung und Rückerstattung jüdischen Vermögens im Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz 1938-1935, (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 96), Koblenz 2001, bes. S. 273-282. Zurück
- Einwohnerbuch des Kreises St. Goarshausen (1959),https://www.digibib.genealogy.net/viewer/image/168147505D_1959/73/, Abruf 16.1.2025. Zurück
- Telefongespräch des Verf. mit Kurt Schmidt vom 14.02.2025. Dieser hatte im Jahre 1953 bei der Kreisverwaltung in St. Goarshausen eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten begonnen. Von 2003-2014 war er Landrat des Rhein-Lahn-Kreises. Zurück
- Sicherheitspolizei der französischen Besatzungsverwaltung. Vgl. Deutscher Bundestag: Zu den Internierungs- und Speziallagern der Alliierten der Anti-Hitler-Koalition in Deutschland, 2019, https://www.bundestag.de/resource/blob/650734/becd4aae0f21d39ab52bd292cac9eabc/WD-1-011-19-pdf-data.pdf, Abruf 01.04.2025. Zurück
- Die einzigen Mieter im Haus waren zu jener Zeit – laut Schmidt – das im Dachgeschoss wohnende Hausmeisterehepaar. Zurück
- Dass der Mangel an räumlichen Kapazitäten ein die Verwaltung des Kreises kennzeichnendes Strukturmerkmal blieb, unterstreicht ein Aktenvermerk aus dem Jahre 1951. In einem Schreiben hatte die Ortsgruppe des Bundes der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner (VDK) beim Kreis darum nachgesucht, in der Bahnhofsstraße 147 einmal wöchentlich eine Bürgersprechstunde abhalten zu dürfen. Der zuständige Sachbearbeiter entsprach dieser Bitte, machte aber gleichzeitig deutlich „dass dieser Raum nur vorübergehend zur Verfügung gestellt werden kann […]“: LHAKo, Best. 502 Nr. 866, ohne Blattzählung. Darüber hinaus hatten die Mitarbeiter in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch gegen Einschränkungen technischer Art zu kämpfen. So beklagte sich ein Mitarbeiter des Ausgleichsamtes in einem internen Schreiben vom 02.03.1952 über den fehlenden Telefonanschluss in seinem Büro. Dies bewirke eine „erhebliche Störung des Dienstbetriebs“, da er gezwungen sei, zum Telefonieren in eines der benachbarten Zimmer zu gehen und dadurch andere Kollegen bei der Arbeit störe. Ebd. Zurück
- Dies war die ab dem Jahr 1951 geltende Bezeichnung für die in privater Trägerschaft fortgeführte Nachfolgeinstitution des im Krieg zerstörten Instituts Hofmann. Mit der Übernahme durch das Land Rheinland-Pfalz zu Ostern 1957 figurierte die Schule als „Naturwissenschaftliches Gymnasium St. Goarshausen“. Zurück
- 1962 war der Kreis St. Goarshausen in Loreleykreis unbenannt worden. Zurück