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0.Reformation total

Religiös-fundamentalistischer Terror in Oppenheim? Ein Deutungsversuch

St. Katharinen in Oppenheim[Bild: Frieder Zimmermann]

0.1.Ikonoklasmus

Die größere der beiden riesigen Buddha-Statuen in Bamiyan vor und nach der Zerstörung. Das linke Foto stammt aus dem Jahr 1963, das rechte aus dem Jahr 2008. Sie war 53 Meter hoch.[Bild: Tsui [CC BY-SA 3.0]]
Sankóre Moschee in Timbuktu.[Bild: Senani P [CC BY 2.5]]

Bildersturm (Ikonoklasmus) ist eine Form des Kulturvandalismus.

Im März 2001 zerstören Kämpfer der radikal islamistischen Taliban im afghanischen Bamiyan die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Buddha-Statuen. Mit 53 und 35 m waren die in den Fels gehauenen Skulpturen die größten stehenden Buddha-Statuen der Welt.

Ab Mai 2012 zerstören Verbände der islamistischen Gruppen Ansar Dine, AQMI und MUJAO das Mausoleum Sidi Mahmud Ben Amar und weitere sakrale Stätten in Timbuktu, Mali, alle UNESCO-Weltkulturerbe.

Von August bis Oktober 2015 und noch einmal im Januar 2017 zerstören Kommandos des sogenannten Islamischen Staates (IS) Tempelanlagen und andere Heiligtümer in der antiken Wüstenstadt Palmyra, Syrien.

In den Tagen nach dem 12. Mai 1565 zerstören Kombattanten des pfälzischen Kurfürsten Friedrich III sämtliche sakralen Gegenstände, Kunstschätze, Instrumente und jeglichen Zierrat in den Kirchen und Klöstern der Stadt Oppenheim.

Ikonoklastische Ausschreitungen von Calvinisten in der Liebfrauenkathedrale von Antwerpen 1566 (Kupferstich von Frans Hogenberg).

Die Parallelen zwischen den vier historischen Ereignissen sind nicht zu übersehen. Jedesmal werden sakrale, bzw. kultische Objekte, die für Menschen eines bestimmten Glaubens, Angehörige einer bestimmten Religion von hohem ideellen Wert waren, von Menschen eines anderen Glaubens, Angehörigen einer anderen Religion in einer Aktion orgiastisch destruktiver Gewalt demontiert, zerschlagen, gesprengt, verbrannt und damit unwiederbringlich vernichtet. Es handelt sich dabei nicht um Kollateralschäden einer militärischen Operation, sondern um das demonstrative Vorgehen gegen gezielt ausgewählte Symbole einer verhassten Weltanschauung. Die Akteure machen damit ihren ideologischen Alleinvertretungsanspruch deutlich und unmissverständlich klar, dass ihnen nicht an Auseinandersetzung, gar an Koexistenz oder geistlicher und kultureller Vielfalt gelegen ist. Vielmehr betrachten sie die Andersgläubigen und deren Art des Strebens nach Seelenheil nicht nur als falsch, sondern als Unglaube und gefährliches Teufelswerk, für das es keinerlei Akzeptanz, sondern nur rückstandsfreies Ausradieren geben kann.

Für Bamiyan, Timbuktu und Palmyra ist diese Einschätzung sicher ohne Einschränkung zutreffend. Aber gilt sie auch für Oppenheim, ohne dass man ein entschiedenes „ja, aber“ hinzufügen muss? Was geschah am 12. Mai 1565 und in den Tagen danach in der ehemals Freien Reichsstadt Oppenheim, die seit 1398 vom Reich an die Kurpfalz verpfändet war? War das Vorgehen des protestantischen Fürsten ein Akt religiös-fundamentalistischen
Terrors? Oder wurde hier eine Facette des Konflikts zwischen Reformation und Gegenreformation als Mittel der antikaiserlichen Politik der reformierten Reichsstände mit der Kurpfalz an der Spitze instrumentalisiert?

0.2.Martin Luther in Oppenheim

Martin Luther 1520 (Stich von
Lucas Cranach)

Mit der Reformation unmittelbar konfrontiert wurde Oppenheim erstmals im April 1521, als Martin Luther auf dem Weg zum Reichstag nach Worms und zehn Tage später auf dem Rückweg zweimal in Oppenheim Station machte und jeweils für eine Nacht im Gasthaus Zur Kanne Quartier nahm. Luther hatte die zweiwöchige Reise von Wittenberg an den Rhein zu einer Werbetour für seine Thesen und unter
Einsatz prägnanter Flugschriften die beschwerliche Fahrt im Pferdekarren zum Triumphzug für die neue Lehre gemacht. Auch in Oppenheim mag das durchaus Eindruck hinterlassen haben. Den Beginn der Reformation hier deshalb auf den April 1521 zu datieren, ginge aber deutlich zu weit und an der historischen Realität vorbei.

0.3.Ludwig V

Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz

Der Landesherr, dem die Oppenheimer in diesem Jahr und noch bis 1544 zu huldigen hatten, war
der pfälzische Kurfürst Ludwig V, ein kluger und besonnener Pragmatiker, der im Verlauf der sogenannten „Bayerischen Fehde“ noch zu Regierungszeiten seines Vaters Philipp hatte erleben müssen, dass es für ein Land überaus schädlich sein konnte, das Haus Habsburg und den Kaiser zum Feind zu haben. Also arrangierte er sich mit Habsburg und mit den Fürsten, die sich gegen seinen Vater gestellt hatten. Er unterstützte ausdrücklich die Wahl des Habsburgers und Enkel des 1519 gestorbenen Kaisers Maximilian, Karl von Burgund, der gerade einmal 19 Jahre jung, aber Erbe von Kastilien und der neuen Territorien in Amerika sowie Arragon, Neapel und Sizilien war. Zusammen mit seinem Bruder Ferdinand herrschte er darüber hinaus über die österreichischen Erblande und die zugehörigen Ansprüche auf Böhmen und Ungarn. Aussichtsreicher Konkurrent des jungen Karl war Franz I, König von Frankreich. Aussichtslose Interessenten blieben der englische König Heinrich VIII und letztlich auch der sächsische Kurfürst Friedrich III, genannt der Weise, der, obwohl Lutheraner, sogar der Favorit von Papst Leo X war. Der hatte ihn damit geködert, einen Kandidaten des Sachsen zum Kardinal zu ernennen. Es wurde gemunkelt, es habe sich dabei um Martin Luther höchstselbst gehandelt. Friedrich aber machte seinem Beinamen alle Ehre und verzichtete auf eine Kandidatur. Ihm mangelte es an Ehrgeiz, Machtgier, Gesundheit und vor allem an Hausmacht, um als Kaiser im Haifischbecken der europäischen Mächte und Konflikte bestehen zu können. Das Haus Habsburg stellte ein stattliches Wahlkampfbudget von 852.000 Gulden zur Verfügung, ein Betrag, der heute der Kaufkraft irgendwo zwischen 30 und 40 Millionen Euro entsprechen würde. Das Geld fand überwiegend für Bestechungen Verwendung. Einen beträchtlichen Teil davon kassierte der Landesherr von Oppenheim, Ludwig V, den man den Friedfertigen nannte, den man aber auch den Gierigen hätte nennen können.

Wer in Oppenheim in dieser Zeit Anhänger der Reformation war, hatte in dem pfälzischen Kurfürsten keinen Verbündeten, galt er doch als „treuer Sohn der alten Kirche“.[Anm. 1] Im Bauernkrieg stand er 1525 aktiv an der Seite des Trierer Erzbischofs. 1525 ließ „der Friedfertige“ in Alzey 350 Anhänger der Täuferbewegung ohne Gerichtsurteil hinrichten. Was die religiösen Verhältnisse betrifft, blieb also in Oppenheim zunächst und bis zu Ludwigs Tod 1544 alles beim Alten. Es dürfte sich auch bis 1556 nichts Wesentliches geändert haben.

0.4.Friedrich II

Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz 1546 (Gemälde von Hans Besser)

Zwar führte Friedrich II, Ludwigs Bruder und Nachfolger als Kurfürst, in seinem Herrschaftsgebiet offiziell die Reformation ein[Anm. 2], wurde dafür aber direkt mit der Reichsacht belegt, was der Kurpfalz und der Stadt am Rhein überhaupt nicht gut bekam. Auch Oppenheim musste darunter leiden, als die Truppen Albrechts von Brandenburg beim Durchzug quasi im Vorbeigehen ungestraft plündern durften. Friedrich bereute sein Tun rasch und unterwarf sich wieder völlig Kirche und Kaiser, der ihm zögernd verzieh. Das Ganze geschah eben noch vor dem Augsburger Religionsfrieden, der dann aber für Oppenheim entscheidende Veränderungen brachte.

0.5.Ottheinrich

Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz (Gemälde von Georg Pencz)

Friedrich II starb am 8. März 1556 und wurde von seinem Neffen Otto Heinrich (Ottheinrich) als Kurfürst beerbt, einem überzeugten Lutheraner. Ottheinrich, dem seine sprichwörtliche Unmäßigkeit beim Essen und vor allem beim Trinken über 200 kg Lebendgewicht und schon 1544 Schulden in Höhe von rund 1 Million Gulden eingebracht hatte, nutze 1557 die den Fürsten in Augsburg gegebene Möglichkeit, in ihrem Herrschaftsraum eine für jedermann verbindliche Staatsreligion festzulegen (cuius regio, eius religio), und machte das Lutherische in der Kurpfalz und damit 11 Jahre nach Martin Luthers Tod auch in Oppenheim verbindlich. In seiner „Geschichte des St. Katharinenstifts zu Oppenheim“[Anm. 3] nennt Ludwig Clemm die Folgen der verordneten Reformation für Oppenheim „noch nicht so einschneidend“ (S. 99). Carl Wernher vertritt sogar die Auffassung, der Kurfürst habe von der Einführung der Reformation abgesehen, weil der Rat der Stadt ihm das Recht dazu abgestritten und sich „durch fortwährendes Lamentieren“ damit durchgesetzt habe.[Anm. 4] Das Katharinenstift bestand ebenso fort wie die Klöster. In der Katharinenkirche selbst amtierte allerdings ein lutherischer Pädikant. Der Rat gestattete den Katholiken die uneingeschränkte Ausübung ihrer liturgischen Riten, und es muss im Oppenheim der 1550er Jahre so etwas wie eine friedliche religiöse Koexistenz gegeben haben, wobei Clemm eine zunehmende „Hinwendung der Bevölkerung zum lutherischen Glauben“ einräumt.[Anm. 5] 1559 deutete sich das Ende dieser Beschaulichkeit an, und eine Entwicklung zur konsequenten Durchsetzung der Reformation setzte ein, die mit dem Bildersturm von 1565 ihren dramatischen Höhepunkt fand. Am 12. Februar 1559 starb Ottheinrich plötzlich und unerwartet, und mit ihm starb die Heidelberger Linie, die Familie des 1410 in Oppenheim gestorbenen Kurfürsten und deutschen Königs Ruprecht, der Pfälzer Dynastie aus.

0.6.Friedrich III

Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz

Gemäß dem Heidelberger Sukzessionsvertrag von 1553 wurde mit Friedrich III, genannt der Fromme, erstmals ein Vertreter der Simmerner Linie der pfälzischen Wittelsbacher Pfälzischer Kurfürst.

Ganz anders als sein Vorgänger war dieser ein prinzipientreuer, energischer und durchsetzungsstarker Regent, der zunächst den Lutheranern angehörig sich als Kurfürst von diesen entfernte, um sich den Reformierten zuzuwenden. Anders als sein Vorgänger, dessen Verschwendungs- und Genusssucht die gesamte Großfamilie arm gemacht hatte, lebte er genügsam.

Als er 1565 nach Oppenheim kommt, ist er ein fanatischer Calvinist, der in Glaubensfragen keine Kompromisse kennt und für den die Lutheraner genauso Gegner sind wie die Katholiken. Und er ist die personifizierte Opposition innerhalb der Fürsten im Reich gegen Kaiser und Papst. Deshalb ist die politische Dimension des Oppenheimer Bildersturms mindestens so bedeutsam wie die theologische.

0.7.Der historische Kontext

Johannes Calvin (Jean Cauvin). Zeichnung von
Hans Holbein.
Der Heidelberger Katechismus von 1563.

Um das, was am 12. Mai 1565 und in den Tagen danach in Oppenheim geschah zu verstehen, muss man dieses Ereignis im zeitgeschichtlichen Zusammenhang betrachten.

1. Im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation ist seit 1564 Maximilian II Kaiser, ein Katholik undogmatischer, humanistischer Prägung. Für ihn ist Toleranz das einzige Mittel, die zunehmende Zersplitterung des Reichs zu verhindern.

2. In Frankreich schwelt nach dem ersten Hugenottenkrieg der religiöse Konflikt, der im Massaker der Bartholomäusnacht 1572 seinen schrecklichen Höhepunkt finden sollte.

3. Aus dem Osten droht den Reichsgrenzen ein neuerlicher Angriff der Osmanen, die sich unter Sultan Süleyman I bereits formieren, den bröckeligen Waffenstillstand 1566 endgültig beenden und gegen Ungarn ziehen.

4. Im Süden droht gleichfalls eine osmanische Invasion. 1565 belagern Soldaten des Sultan Malta.

5. 1564 war Johannes Calvin gestorben und hatte eine strenge, ja militante theologische Lehre hinterlassen, die in Europa zunehmend Anhänger fand, deren theologische Positionen jedoch von Lutheranern wie Katholiken
gleichermaßen abgelehnt wurden. Die Calvinisten wurden als der Augsburger Konfessionsverwandtschaft ausdrücklich nicht zugehörig betrachtet. Demnach hätte ein calvinistischer Landesherr auch das Recht des cuius regio, eius religio nicht in Anspruch nehmen können. Um den reichsrechtlichen Schutz nicht zu verlieren, mussten Landesherren, die dem Calvinismus anhingen, schon erheblich Abstriche an der reinen Lehre machen, was Heinrich Lutz 'theologische Verwässerung' nennt.[Anm. 6]

6. Das im Dezember 1564 beendete Konzil von Trient hatte eine sich entwickelnde Reformbereitschaft der katholischen Kirche zumindest erkennen lassen und damit der Auffassung Auftrieb gegeben, die Reformation lasse sich auch ohne die Aufspaltung der christlichen Kirche in Konfessionen umsetzen.

7. In den katholischen Territorien verstärkt sich zusehends die Gegenbewegung zur Reformation. Die Jesuiten nehmen mehr und mehr Einfluss auf Seelsorge und Bildung. Die Fürstenbischöfe in Mainz und andernorts machen den Katholizismus in ihren Territorien wieder verbindlich.

8. Kaiser Maximilians Politik des Ausgleichs verfolgt das Ziel, parallele Organisationsformen von Katholiken und Protestanten zu schaffen und so eine allgemeine christliche Reformation einzuleiten, die die auseinandergedrifteten christlichen Konfessionen wieder zusammen führen sollte. Zwar erreichte er dieses Ziel nie, dennoch waren die Jahre des Religionsfriedens eine Zeit wenn nicht der Einheit, dann doch der Einigkeit, die aber zunehmend brüchig wurde. Maßgeblich mitverantwortlich dafür war die calvinistische Kurpfalz.

9. Der Heidelberger Hof Friedrichs III wurde nach der Veröffentlichung des „Heidelberger Katechismus“ 1563 „zum deutschen Mittelpunkt des neuen Bekenntnisses.“[Anm. 7] Dass der Calvinismus sich in Deutschland überwiegend nur lokal etablieren konnten und mit Hessen-Kassel, Nassau-Dillenburg sowie Anhalt und Bremen nur wenige Territorien sich dazu bekannten, kann Friedrich nicht gefallen haben, weil der Anhang, der mit ihm eine „konsequente antikaiserliche Politik“[Anm. 8] betrieb, damit doch sehr überschaubar blieb.

0.8.Gegen Kaiser und Papst

In dieser politischen Situation musste Friedrich III handeln und Zeichen setzen, um als Protagonist der mächtigen Reichsstände, als Gegenpol zum kaiserlichen Zentralismus und zum päpstlichen Dogma und als politischer Führer des Calvinismus in Deutschland wahrgenommen und respektiert zu werden. Auf der Reichsebene machte Friedrich die 'Türkengefahr' zum Instrument seiner Oppositionspolitik. Obwohl Süleymann der Prächtige im Süden und Osten auf die Reichsgrenze drückte, warf er dem Kaiser vor, die Bedrohung eines Landes (Ungarn), das nicht zum Reich gehöre, zur Bedrohung für das Reich aufzublasen, um damit eine Türkensteuer zu begründen, mit der er in Wahrheit seine und die Macht des Hauses Habsburg festigen wolle. Wenn die reformierten Reichsstände dazu ja sagen sollten, müsse dafür zumindest ein erhebliches Entgegenkommen in Religionsfragen der Preis sein.

Innenpolitisch musste Friedrich Konsequenz, Autorität und Durchsetzungsvermögen demonstrieren. Wie sollte er als Führer der Reformierten im Reich ernst genommen werden, wenn er acht Jahre nach der Verordnung der Reformation in der Kurpfalz die offene Praxis katholischer Riten in seinem Territorium duldete? Da war die Stadt Oppenheim eine Provokation. Eine Stadt mit zwischen 1.000 und 2.000 Einwohnern nur, aber mit einer beeindruckenden Kathedrale, mit weiteren Kirchen und Klöstern und einer römisch-katholischen Gemeinde, die offen und trotzig der alten Lehre nachging, Marienverehrung betrieb, zu ihren papistischen Treffen die Glocken läuten ließ und keine Scheu hatte, ihre liturgischen Gesänge erklingen zu lassen. Diese Stadt drängte sich geradezu auf, an ihr ein machtpolitisches Exempel zu statuieren.

0.9.Machtpolitisches Kalkül

So betrachtet erscheinen die Vorgänge im Mai 1565 im richtigen Licht und unterscheiden sich damit klar von den Exzessen religiös-fundamentalistischer Barbarei in Bamiyan, Timbuktu und Palmyra. Natürlich verachtete der Calvinist Friedrich III die Symbole des traditionellen Katholizismus und die lutherischen Riten genauso wie Abu Bakr al-Baghdadi Symbole und Riten einer anderen Religion verachtet. Er führt aber keinen Heiligen Krieg, sondern handelt aus machtpolitischem Kalkül heraus. Dafür nimmt er zusammen mit seinem Hofstaat und militärischer Eskorte die Zwei-Tages-Reise von Heidelberg nach Oppenheim in kauf, macht hier eine Bestandsaufnahme, in deren Ergebnis Oppenheim alles andere als eine Hochburg der reinen calvinistischen Lehre erscheint. Als Friedrich III am Samstag, 12. Mai 1565, in Oppenheim ankommt, findet er kirchliche Verhältnisse vor, die den Eindruck erwecken, das fürstliche Dekret, das die Reformation in der Kurpfalz obligatorisch machte, habe die Stadt Oppenheim ausgenommen und ihr einen Sonderstatus eingeräumt. Kirchen und Klöster hatten nichts von ihrer verschwenderischen Pracht eingebüßt. In St. Katharinen wurde zwar protestantisch gepredigt, jedoch in einem Rahmen, der dazu ganz und gar nicht passte. Die Nischen und Wände waren mit Altären regelrecht zugestellt. Das Licht fiel durch die mit mittelalterlichen Glasmalereien bunt geschmückten Fenster auf Bilder, Kruzifixe und Wandgemälde. Teppiche auf den Böden, Fahnen und Tücher zwischen den Säulen. Überall Kerzen auf wertvollen Ständern und gewaltigen Kronleuchtern. Dazu Standbilder von allerlei Heiligen. Der calvinistische Asket muss sich vorgekommen sein wie im Theater oder auf dem Jahrmarkt. Dieselben Eindrücke nimmt er von seinen Besuchen der anderen Oppenheimer Kirchen und Klöster Sankt Sebastian, Sankt Mariakron und Franziskanerkloster mit, wo immer noch Priester in prächtigen Gewändern und mit wertvollen Messbüchern nach dem alten Ritus die Messe lasen. Friedrich der Fromme muss regelrecht schockiert gewesen sein, er handelt aber rasch und konsequent, weil klar ist, dass das in Oppenheim statuierte Exempel weit über die Kurpfalz hinaus Aufmerksamkeit erwecken würde. Anders als sein Amtsvorgänger lässt er sich auf Diskussionen mit der Stadt oder dem Klerus gar nicht erst ein, sondern befielt, verbietet, verfügt, setzt kurze Fristen und droht energisch.

Katholische Gottesdienste, Stundengebete (Horen), Prozessionen, Zeremonien und die Anbetung der Gottesmutter werden verboten. Das Katharinenstift und die Klöster werden aufgelöst und ihr Besitz veräußert. Die Einnahmen daraus sollen zur Besoldung der Geistlichen, zur Bauerhaltung, für Bildung und Armenhilfe verwendet werden. „Die Zerstörung der 'Götzen' wurde rasch und gründlich besorgt“.[Anm. 9] Schließlich wurden am 15. Mai aus allen Kirchen Altäre, Bilder, Kruzifixe, Messgewänder, Messbücher, Standbilder und sämtlicher mobiler Zierrat heraus getragen, zu Scheiterhaufen auf den Kirchhöfen aufgetürmt und verbrannt als loderndes und weithin sichtbares Signal der machtvollen Durchsetzung des Fürstenwillens. In der Sebastianskirche wurde ein gewaltiges Gemälde, das den Heiligen und Märtyrer Sebastian zeigte, zerstört.[Anm. 10] Dass die Orgeln und die zahlreichen steinernen Wandfiguren von St. Katharinen verschont blieben, dürften sie ihre ihrem massiven Einbau zu verdanken haben. Die bunten Fenster durften vielleicht bleiben, weil sie absehbar nicht hätten ersetzt werden können, was eine künftige Nutzung des Gotteshauses erheblich erschwert hätte. Ansonsten aber wurden die Oppenheimer Kirchen vollständig ihres inneren Schmucks beraubt und wohl hier, wie zuvor schon andernorts, „nur ein einfacher Tisch, nebst Kelch und Taufbecken als die zulässige Ausstattung der schmucklosen (…) Gotteshäuser angesehen.“[Anm. 11]

0.10.Vollzug geltenden Rechts

Der gravierendste Unterschied zwischen dem Bildersturm in Oppenheim und den Verwüstungen in Bamiyan, Timbuktu oder Palmyra besteht aber darin, dass Friedrich bei seinem Handeln Recht und Gesetz auf seiner Seite hatte. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte (nach seiner Auslegung) die Legitimation dafür geliefert, dass er in seinem Herrschaftsgebiet, zu dem Oppenheim nun einmal ausnahmslos gehörte, darüber bestimmen konnte, nach welchem Ritus die Gottesdienste zu feiern und in welcher Weise der christliche Glaube zu praktizieren war. An dieser Stelle darf der Beobachter von heute nicht seine eigenen Maßstäbe anlegen. Im Europa des 16. Jahrhunderts wusste man nichts von Demokratie, Mit- oder Selbstbestimmung, Glaubensfreiheit und Toleranz. Die Bürger eines Staates und somit auch die Bürger der Stadt Oppenheim waren keine Individuen mit politischen Grundrechten, sondern Untertanen. Sie waren es auch schon 1557, als der Landesherr Ottheinrich hieß. Doch dem mangelte es an Autorität und Durchsetzungsvermögen. Friedrich hatte hier keinerlei Defizite, und er hatte eine spezielle Mission, eine religiöse, vor allem aber auch eine politische Mission. Nach dem Verständnis des 16. Jahrhunderts, nach dem Verständnis des Absolutismus verhielt sich nicht etwa der Fürst fehl, sondern eine kleine Stadt, die auch rd. 200 Jahre nach dem Verlust ihrer Reichsunmittelbarkeit glaubte, Sonderrechte beanspruchen zu können. Die Stadt hätte acht Jahre Zeit gehabt, die vom Landesherrn verordnete Reformation durchzuführen. Die Devotionalien aus den Oppenheimer Kirchen und Klöstern hätten frühzeitig in Sicherheit gebracht werden können. Schließlich hatte der Wittenberger Professor Andreas Bodenstein von Karlstadt schon 1520 dazu aufgerufen, sakrale Bilder zu zerstören. Seit 1522 verbreitete sich Karlstadts Flugschrift „Von abtuhung der Bylder“ im gesamten deutschsprachigen Raum. Dass seitdem in vielen Städten bilderstürmerische Aktionen durchgeführt wurden, dürfte auch in Oppenheim bekannt gewesen sein. Schon ab 1557, als Friedrich die Regierung in den pfalz-simmerischen Landen übernommen hatte, führte er dort „ungesäumt“ die Reformation ein.[Anm. 12] Nach 1561 zeigt er sich als konsequenter Anhänger der Reformation im Sinne von Johannes Calvin, und ab 1562 geht er entschlossen gegen alles das vor, was er für „Götzenwerk“ und „vermaledeite Abgötterei“ hält.[Anm. 13] 1564 hatte Friedrich südlich von Oppenheim die strenge calvinistische Auslegung der Reformation durchgesetzt, wobei es in Speyer, Worms und im Stift Neuhausen zu Tumulten und am Ende zu umfassenden Zerstörungen sakraler Bilder, Plastiken, Büchern u.v.m. gekommen war. Dass die Herren von Speyer und Worms als Reichsfürsten nicht seiner „regio“ angehörten, hinderte den Kurfürsten nicht. Wenn man in Oppenheim glaubte, mit der hartnäckigen Hinhalte- und Palavertaktik, die bei Ottheinrich noch recht erfolgreich gewesen war, sich auch gegen Friedrich durchsetzen zu können, war das eine grobe Fehleinschätzung. Dass der Kurfürst am 12. Mai 1565 nicht zum Diskutieren nach Oppenheim gekommen war, dürfte dann aber doch bei Ratsherren und Klerus sehr schnell klar gewesen zu sein, als sie „in Voraussicht des Gewitters, das über die Stadt heraufzog, die goldenen und silbernen Altargeräte aus der Kirche ins Rathaus hatte retten lassen.“[Anm. 14] Die Einsicht kam spät und für die übrigen sakralen Kunstschätze zu spät. „Am Nachmittag des 15. fielen die Räte des Kurfürsten mit ihren 'bestellten Werckleuthen' in die St. Katharinenkirche. Das Zerstörungswerk begann. Es wurden 'die Bilder alle, so darinnen, gestürmet und zerschlagen, die Altäre und alte bey den Papisten gebräuchlichen Sakraments-Häusslein (Tabernakel, A.d.V.) abgerissen, die Messgewändt, Chor-Cappen, Bücher und alles, so sie an der Want noch fanden, zu Stücken' zerschnitten (…,) dann den Creuzen und Bildnussen Christi, welche sie und Andere mit sonderem Fleiss und Ohnbescheidenheit zerschmettert.' Die pfälzischen Räte beteiligten sich persönlich an dem Zerstörungswerke.“[Anm. 15]

Friedrich III hatte schon vorher bei seinem Vorgehen gegen Worms und Speyer deutlich gemacht, dass es ihm vor allem darauf ankam, Botschaften an den Kaiser und die Fürsten zu senden. Nicht zufällig hatte er seine „religio“ in Gebieten durchgesetzt, die dem Reich unmittelbar unterstanden (Worms und Speyer) und damit formal gegen den Augsburger Religionsfrieden gehandelt. Und ebenso nicht zufällig ist, dass er sich anschließend gegen die Reichspfandstadt Oppenheim wandte, auch wenn Dieterich hier wie dort dem Fürsten ausschließlich religiöse Motive unterstellt.[Anm. 16] Dabei war Friedrich die politische Mission genauso Antrieb wie die religiöse. Und dass die Oppenheimer Stadtführung sich mit Hinweis auf „verbriefte, bestrittene und unbestrittene Rechte(n) der Reichsstädter und Klosterleute“[Anm. 17] und auf „ihre königlichen und kaiserlichen Freiheiten“ [Anm. 18] an den Kaiser und den in Augsburg tagenden Reichstag wandten, um noch in letzter Minute das Schlimmste zu verhindern, dürfte Friedrich nicht unlieb gewesen sein. Damit gelangte die Botschaft seines fürstlichen Selbstbewusstseins und seiner antikaiserlichen Machtdemonstration direkt auf die höchste politische Ebene. Den Oppenheimer Kirchen nutzte es gar nichts, dass Friedrich III „von dem Reichsoberhaupte unter Androhung des Ausschlusses von dem nur den Anhängern der Augsburger Cofession zugestandenen Religionsfrieden die Abstellung der unzulässigen Neuerungen auf's Strengste anbefohlen wurde.“[Anm. 19] Seine Botschaft war bei Kaiser und Ständen angekommen und machte ihn zu einem anerkannten Protagonisten der antikaiserlichen Bewegung, der zunehmend neben den Calvinisten auch Lutheraner hinter sich versammelte.

Anders als die Verantwortlichen von Bamiyan, Timbuktu oder Palmyra ist Friedrich III kein fanatischer Wüterich. Das wird allein schon an der Tatsache deutlich, dass er sich in Oppenheim zuerst einen sachlichen Überblick verschaffte, dann den Stadtherren die Rechtslage darlegte und die Konsequenzen erläuterte. Diese Konsequenzen waren nichts anderes als die Herstellung des längst verbindlichen reformatorischen Zustands, wobei, und auch das ist ein entscheidender Unterschied zu den Parallelfällen, soweit wir wissen, keine Menschen zu Schaden kamen.

Damit ist die im Untertitel gestellte provokante Frage beantwortet. Was in Oppenheim während der Tage nach dem 12. Mai 1565 passiert ist, war die schlichte Umsetzung einer fürstlichen Anordnung in einer Zeit des politischen und religiösen Absolutismus. Der Fürst handelte nach seinem Verständnis und seiner Auslegung der Bestimmungen von Augsburg. Reformation hieß für ihn Reformation total. Was dem heutigen Beobachter willkürlich oder despotisch erscheinen mag, ist die Realität innerhalb der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen des 16. Jahrhunderts. Auf Friedrich III folgte in der Kurwürde nach dessen Tod am 26.10.1576 dessen ältester Sohn Ludwig VI und mit ihm der lutherische Protestantismus, bis dessen Sohn und Nachfolger nach 1592 wieder den Calvinismus verordnete. Mit Friedrich V und dessen wahnwitzigem Versuch, sich als böhmischer König (Winterkönig) gegen Kaiser und Reich zu stellen mündeten die Religionsstreitigkeiten in der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges. Auf den folgte der Pfälzische Erbfolgekrieg, der von Oppenheim nur noch Ruinen übrig ließ.

Die Burgruine Landskron in Oppenheim.[Bild: Frieder Zimmermann]

Nachweise

Verfasser: Frieder Zimmermann

Literatur:

Diese Arbeit beansprucht nicht, neue geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse zu liefern. Es handelt sich dabei allein um den Versuch der Deutung eines bekannten Vorgangs. Es wurde deshalb ausschließlich auf verfügbare Sekundärliteratur (s.u.) zurück gegriffen. Quellenstudium wurde nicht betrieben. Der bekannte Aufsatz von Heinrich Steitz über die Epoche der Reformation in Oppenheim in St. Katharinen zu Oppenheim. Hrsg. Von Carlo Servatius u.a., Alzey 1989 betrachtet ausschließlich die theologisch Dimension der Vorgänge in den Maitagen von 1565 und blieb daher unberücksichtigt.

  • Dieterich, J.R.: Reformationsgeschichte von Oppenheim. Sonderdruck aus dem Archiv für Hessische Geschichte und Alterskunde. Beiträge zur Hessischen Kirchengeschichte. Darmstadt 1904 (Kopie im Besitz des Verfassers).
  • Fuchs, Peter: Friedrich II. In Neue Deutsche Biographie Bd. 5.
  • Kluckhohn, August von: Friedrich III, zubenannt der Fromme. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 7, Leipzig 1887 (6-seitige Kopiervorlage).
  • Lutz, Heinrich: Der politische und religiöse Aufbruch Europas im 16. Jahrhundert. In: Propyläen Weltgeschichte Bd. 7. Frankfurt a.M. Et al. 1976.
  • Neue Forschungen zur Geschichte Oppenheims und seiner Kirchen, hrg. Von Ernst Jungkenn. Darmstadt 1938.
  • Wernher, C.: Oppenheim. In: Rheinhessen in seiner Vergangenheit. Bd. 6, Mainz 1925.
  • Witte, Jakob: Ludwig V. in Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 19.
  • Zeeden, Ernst Walter: Das Zeitalter der Glaubenskämpfe. In: Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 9. Stuttgart 5/1982.

Erstellt am: 21.04.2020 (Aufsatz von 2017)

Anmerkungen:

  1. Jakob Witte in Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 19, S. 576. Zurück
  2. „Er nahm zu Ostern 1545 mit Dorothea das Abendmahl unter beiden Gestalten, erließ ein Jahr später eine evangelische Kirchenordnung“. Siehe Peter Fuchs in Neue Deutsche Biographie Bd. 5, S. 529). Zurück
  3. in Neue Forschungen zur Geschichte Oppenheims und seiner Kirchen, hrg. von Ernst Jungkenn. Darmstadt 1938, S. 61-109. Zurück
  4. Wernher, C.: Oppenheim. In: Rheinhessen in seiner Vergangenheit. Bd. 6, Mainz 1925, S. 26. Zurück
  5. Clemm, ebda, S. 99. Zurück
  6. Heinrich Lutz: Der politische und religiöse Aufbruch Europas im 16. Jahrhundert. In: Propyläen Weltgeschichte Bd. 7. Frankfurt a.M. et al. 1976, S. 120. Zurück
  7. Lutz, ebda. Zurück
  8. Ernst Walter Zeeden: Das Zeitalter der Glaubenskämpfe. In: Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte. Bd. 9. Stuttgart 5/1982. Zurück
  9. Dieterich, J.R.: Reformationsgeschichte von Oppenheim. Sonderdruck aus dem Archiv für Hessische Geschichte und Alterskunde.
    Beiträge zur Hessischen Kirchengeschichte. Darmstadt 1904, S. 71. Zurück
  10. Einzelheiten in aller Ausführlichkeit
    bei Dieterich, S. 66 ff. Zurück
  11. Kluckhohn, August von: Friedrich III, zubenannt der Fromme. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 7, Leipzig 1887. Kopiervorlage, S. 2. Zurück
  12. Kluckhohn ebda. Zurück
  13. Kluckhohn, ebda., S. 3. Zurück
  14. Dieterich, S. 62. Zurück
  15. Dieterich, S. 71. Zurück
  16. S. 60 ff. Zurück
  17. Wernher, S. 108. Zurück
  18. Dieterich, S. 64. Zurück
  19. von Kluckhohn, Kopiervorlage, S. 3. Zurück