Rheinhessen

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Karte 67.1 ‘verkehrte Seite (eines Kleidungsstücks)’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 262. [Bild: Georg Drenda (IGL)]

verkehrte Seite (eines Kleidungsstücks)

Wenn man sich in der neuhochdeutschen Standardsprache auf die Innenseite eines Klei­dungsstücks bezieht, verwendet man das Wort link(s) (die linke Seite, links waschen usw.). Auch in zahlreichen Dialekten des Untersuchungsgebietes wird das Wort, dessen Herkunft nicht bekannt ist, im gleichen Bedeutungs­zusammenhang gebraucht, z. B. in Bildungen wie links Seit, linksrum usw.

Aus dem Süden und Osten der Pfalz wird letz (letzrum, letz Seit usw.) gemeldet. Das Adjektiv war Ende des 19. Jh. im gesamten alemannischen und bairischen Sprachraum verbreitet. Über mittelhochdeutsch letze, lez ‘verkehrt, un­richtig, unrecht, schlecht’ geht das Wort auf althochdeutsch lezzi, leizzi ‘verkehrt, böse’ zurück. Im Pfälzischen wird es nicht nur auf die verkehrte Seite eines Klei­dungsstücks oder Textilstoffs bezogen. Man gebraucht es entsprechend dem Bedeutungsspektrum im Mittelhochdeutschen u. a. auch im Sinne von ‘unrichtig, falsch, fehlerhaft; krankhaft; links (Gegensatz von rechts); verrückt’. Hierzu seien drei Anwendungsbeispiele genannt: er hot letz geles ‘er hat falsch ge­lesen’, die letz Hand ‘die linke Hand’, er isch letz ‘er ist verrückt’. In die neuhochdeutsche Stan­dardsprache ist letz nicht übergegangen.

Das Adjektiv äbsch (Dialektbelege: eebsch, äbsch Seit usw.), das schwerpunktmäßig in der Nordwestpfalz und in Rheinhessen vorkommt, überschneidet sich inhaltlich mit letz. Es bezeichnet nicht nur die umgewen­dete Seite eines Kleidungsstücks oder Gewebes, es wird auch in den Bedeu­tungen ‘links (Gegensatz von rechts); linkisch, ungeschickt; unbrauchbar; verrückt; unschön usw.’ gebraucht. Das Wort, das ebenfalls keinen Eingang in die neuhochdeutsche Standardsprache gefunden hat, lässt sich über mittelhochdeutsch ebich, ebech, ebch ‘ab‑, umgewendet, verkehrt; böse; links’ und althochdeutsch abuh ‘verkehrt; böse, schlecht’ auf westgermanisch *abuha- ‘verkehrt’ zurückführen.

In wenigen Fällen sind Bildungen mit verkehrt (verkehrt Seid usw.) vertreten. Die Grundlage stellt das Verb kehren ‘wenden’ dar, das seit dem 8. Jh. überliefert ist, dessen Herkunft aber bis jetzt nicht geklärt werden konnte.

Die Zusammensetzungen hinterstvörderst (dialektal hinnerschdefärrerschd u. ä.) sowie hinterstvorwärts (dialektal hinersvorwärts) bedeuten ‘verkehrt’, wörtlich: ‘das Hinterste zu vorderst’ bzw. ‘das Hinterste nach vorwärts’. Die Ausdrücke beziehen sich im Dialekt nicht nur auf die linke Seite eines Klei­dungsstücks. Man kann auch einen Hut „hinterstvörderst“ (also verkehrt herum) aufsetzen.

Das Wort überzwerch (dialektal iwerzwerch) ist eine Zusammensetzung aus der Präposition über und dem Adjektiv zwerch, das im heutigen Standard­deutschen nur noch in dem Kompositum Zwerchfell vorkommt. Die Bedeu­tung des Adjektivs ist ‘quer’. Es ist hervorgegangen aus mittelhochdeutsch twerch/dwerch (althochdeutsch dwerah). Vielleicht besteht Verbindung zu lateinisch torquēre ‘(ver)drehen’. Der Ausdruck quer ist die mitteldeutsche Form mit der lautlichen Entwicklung von mittelhochdeutsch tw- zu qu- und Abfall von ‑ch. Im Pfälzischen bedeutet zwerch über ‘quer, schräg’ hinaus ‘linkisch, unbeholfen, ungeschickt’, bezogen auf einen Menschen. Die Zusammensetzung überzwerch stellt eine Steigerung dar. Zu den genannten Bedeutungen treten hier hinzu: ‘verdreht, verkehrt, durchein­ander, verquer’ sowie ‘verwirrt, leicht verrückt, absonderlich’.

Die Wörter inwendig (dialektal innewennich u. ä.) und hinten sowie die Bildungen mit innen (dialektal Innerseit, innedrin usw.) betonen einen anderen semantischen Aspekt als die bisher behandelten Ausdrücke. Hier wird die verkehrte Seite eines Kleidungsstücks vom Körper des Tragenden aus be­trachtet. Es ist dies die nach innen bzw. nach hinten getragene Seite.

Das neuhochdeutsche Adjektiv welsch geht über mittelhochdeutsch wal(hi)sch, wel(hi)sch ‘italie­nisch, französisch, romanisch’ auf althochdeutsch wal(a)hisc zurück, das von dem Sub­stantiv althochdeutsch wal(a)h ‘Romane’ abgeleitet ist. Dieses resultiert aus dem Na­men eines den Germanen benachbarten keltischen Stammes, der als lateinisch Volcae und germanisch *Walhōs erscheint. In den Dialekten des Erhebungsraums hat welsch den alten Sinn ‘romanisch (französisch, italienisch usw.)’ bei­be­halten und darüber hinaus übertragene Bedeutungen entwickelt, vor allem ‘undeutlich, unverständlich (vom Sprechen)’ (vgl. auch standarddeutsch: Kauderwelsch) sowie ‘umständlich, unbeholfen, wirr (vom Benehmen, von der Redeweise)’.

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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