Rheinhessen

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Karte 70.1 ‘Kreisel’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 270.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Kreisel (Kinderspielzeug)

Vergrößern Sie die Legende durch Anklicken.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Der Kreisel gehört zu den ältesten und am meisten verbreiteten Spielzeugen. Bereits Homer (8. Jh. v. Chr.) erwähnt ihn in der „Ilias“. Archäologische Funde bezeugen ihn für das antike Rom. Aus der Tatsache, dass schon für das Althochdeutsche topf(o) ‘Kreisel’ belegt ist und in den Dialekten etwa 1300 lexikali­sche Varianten (Heteronyme) existieren, lässt sich schließen, dass der Ge­genstand im deutschsprachigen Raum bereits früh bekannt und weit verbrei­tet war. Kreisel gab es aus vielen Materialien: Holz, Ton, Stein, Glas usw. Heute werden sie überwiegend aus Blech hergestellt. Das Spielzeug kam früher in etlichen Varianten vor. Sehr beliebt waren u. a. Wurf- und Peit­schenkreisel. Im ersten Fall wird der Kreisel mit Hilfe einer Schnur gewor­fen, im zweiten mit einer Peitsche angetrieben. Heutzutage spielen die Kin­der hauptsächlich mit Brumm- und Musikkreiseln.

Auch im Arbeitsgebiet dieses Atlasses sind die Bezeichnungen zahl­reich. Sie lassen sich aber zu überschaubaren Einheiten systematisieren. Zu einer ersten Gruppe können Ausdrücke zusammengeschlossen werden, die auf der Grundlage von Topp ‘Kreisel’/toppen ‘mit dem Kreisel spielen’ ge­bildet sind. Hierzu gehören die Ableitungen Topper, Topp(i)ch usw. sowie die Komposita Brummtopp, Tanztoppich usw. Topp – verhochsprachlicht: Topf – erscheint im Althochdeutschen, wie oben bereits erwähnt, als topf(o). Das Wort ist aus altfranzösisch topet ‘Kreisel’ entlehnt, das wiederum eine altniederfränkische Grundlage hat, die auf germanisch *topp ‘Spitze, Ende’ zurückgeht (vgl. auch gleichbedeutend neuenglisch top). Das Spielzeug ist in diesem Fall nach der Spitze benannt, auf der es sich dreht, oder nach seiner Gestalt, denn Kreisel waren früher keilförmig zugespitzte Holzstöckchen. Für das 15. Jh. ist das Verb topfen ‘mit dem Kreisel spielen’ belegt. Im Untersuchungsgebiet kommt das Wort als topp(i)chen vor. Das Element ‑ch- mit fakultativem ‑i- als Spross­vokal dient im Dialekt der Intensivbildung bei Verben, vgl. z. B. flappchen (neben flappen) ‘tappenden Schrittes gehen’, sappchen ‘durch tiefen, wei­chen Boden gehen, waten’ zu mittelhochdeutsch sappen ‘plump und schwerfällig gehen’ (einen direkten Nachfolger des mittelhochdeutschen Wortes gibt es in den Dialekten nicht). Aus topp(i)chen ist das Nomen Topp(i)ch rückgebildet. Ableitungen solcher Art sind durchaus verbreitet. Man vergleiche zu den oben genannten Verben Flappch ‘überaus großer Mann’, Sappch ‘Aufgeweichte Erde, Schlamm’.

Bei Toppchel handelt es sich um eine Bildung auf ‑el. Eine solche auf ‑er liegt bei Topper und Topser vor. Die Grundlage bilden die Verben top­pen bzw. topsen. Das letztgenannte stellt eine Intensivbildung dar vergleich­bar grinsen (zu mittelhochdeutsch grinnen) oder grausen (zu grauen). Tuppi ist entweder eine kindersprachliche Koseform auf ‑i zu Topp/Topper (analog Schnulli ‘Schnuller’, Mutti ‘Mutter’ usw.) oder eine Entlehnung aus französisch toupie ‘Krei­sel’.

Zu den Komposita auf der Basis von ‑topp(i)ch: Der überwiegende Teil der Zusammensetzungen wird mit einem Bestimmungswort gebildet, dem die Wurzel tanz- zugrunde liegt. Es sind dies: Tanztoppich, Tanzeltoppch und Tänzeltoppch. Die rotierende Bewegung des Kreisels wird bei diesen Bezeichnungen mit den kreisenden Bewegungen beim Tanz in Zusammen­hang gebracht. Mit einer Form von tanz- werden nicht nur weitere Kompo­sita geformt, die Wortwurzel erscheint auch in verschiedenen Ableitungen (s. u.).

Bei Brummtopp(ch) wird mit dem lautmalenden Erstglied eine Bezie­hung zu dem Geräusch hergestellt, das der Kreisel beim Drehen erzeugt (vgl. auch unten Brummtänzer sowie Brummer usw.). Die erste Komponente von Drummtoppch könnte in Anlehnung an Brumm- gebildet sein. Möglicher­weise besteht aber eine Verbindung zu dialektal durmeln ‘schwanken, taumeln’, wobei Metathese (‑ur- > ‑ru‑) vorausgesetzt werden muss.

Eine zweite Gruppe von Bezeichnungen für den Kreisel bilden die Be­lege Driller, Drillis, Drilles sowie Drullser. Grundlage für die drei Erst­genannten ist das Verb drillen, das ursprünglich die Bedeutung ‘drehen, wir­beln’ hatte, die sich heute nur noch in den Dialekten findet. (Vgl. aber ety­mologisch dazugehöriges standardsprachliches Drall ‘Drehung, Drehbewe­gung’.) Das Verb ist im Infinitiv erst seit dem 16. Jh. bezeugt, aber im Mittelhochdeutschen gibt es das Partizip II gedrollen ‘gedreht, gerundet’. Vielleicht besteht Ver­wandtschaft mit drehen. Die Bezeichnungen des Kreisels nehmen demnach auf seine Bewegung Bezug. Driller ist eine Bildung mit dem Suffixer ver­gleichbar Topper (s. o.). Substantivableitungen mit ‑es/‑is sind Drilles und Drillis. Solche Bildungen sind in den Dialekten des Untersuchungsraums recht häufig. Als Beispiele seien genannt: Meckes ‘Wichtigtuer’, Bumpes ‘Prügel’, Dolles ‘ungeschickter Mensch’ und Schnorres ‘Schnurrbart’. Das einmal gemeldete Wort Drullser ist eine zu Drillser ‘Kreisel’ gehörende Va­riante mit Ablaut. Drillser wurde zwar von dem vorliegenden Wortatlas nicht erhoben, ist aber vom Pfälzischen Wörterbuch belegt. Vorauszusetzen wäre die – aller­dings nicht nachgewiesene – Intensivbildung *drillsen zum Verb drillen.

Zu einer weiteren Gruppe lassen sich Bezeichnungen zusammenfassen, die auf tanzen basieren. Auch in diesem Fall liefern die beim Tanzen ausge­führten kreisenden Bewegungen das Benennungsmotiv für das Spielzeug. Häufigster Vertreter der Gruppe ist Tänzer (eine Meldung: Tanzer). Mit ‑t-Erweiterung sind Tänzert sowie Tanzert belegt. Das ‑ert-Suffix findet sich auch in anderen Fällen, vgl. z. B. Gansert ‘Gänserich’ und Stopfert ‘Korken’ (vgl. Karte 61.1.). Bei Tänzerles folgt dem Suffixer das Diminutivelement ‑le‑, an das ‑s angehängt ist. Möglicherweise liegt bei dem Beleg ein Explo­rationsfehler vor. Mit der Endung ‑les (und ‑ches) werden in der Pfalz ge­wöhnlich Bezeichnungen für Kinderspiele gebildet, vgl. etwa Pfänderles ‘Pfänderspiel’, Klickerles ‘Spiel mit Murmeln’ usw. Es spricht einiges dafür, dass die Gewährsperson mit Tänzerles das Wort für ‘Spiel mit dem Kreisel’ realisiert hat.

Vom Verb tänzeln ist Tänzeler abgeleitet. Tänzel ist entweder eine Verkürzung dieser Form, wofür das areale Nebeneinander beider Wörter spricht, oder eine Bildung mit dem Suffixel analog Tänzer (vgl. oben Toppchel).

Die Zusammensetzung Brummtänzer ist eine analoge Bildung zu Brummtopp(ch) (s. o.) mit dem lautmalenden Element Brumm- (vgl. auch unten Brummer usw.). Mit Tanz- als Bestimmungswort sind Tanzknopf, Tanzengretel und Tanzbär gebildet. Die zweite Komponente von Tanzknopf ist wörtlich zu nehmen. In früheren Zeiten stellten Kinder ihre Kreisel selbst her, indem sie ein angespitztes Holzstäbchen durch einen Knopf steckten. Bei Tanzengretel stellt das zweite Element die mit ‑l-Suffix diminuierte Kurzform des Vornamens Margarethe dar (Grete + l). Der Ausdruck Tanz­bär ist eine Bedeutungsübertragung. Hier liefert der dressierte, auf Geheiß seines Dompteurs tanzende Bär die Vorlage für die Benennung des Kreisels.

Eine kleine Gruppe bilden Wörter, deren Grundlage das auf Lautmalerei basierende Verb brummen ist. Hierzu gehört auch die Intensivbildung brummsen. Mit ‑er sind Brummer und Brummser abgeleitet, bei Brummsert wird die Endung ‑er mit ‑t zu ‑ert erweitert (vgl. o. Tänzert). Verstärkende Funktion hat das Schallwort Summ- (zum Verb summen) in Summbrummer.

Die Herkunft von Surbel lässt sich nicht klar bestimmen. Möglicher­weise besteht Verbindung zu einer Wortwurzel, auf deren Grundlage Dia­lektverben gebildet sind, die ein Geräusch bezeichnen, z. B. surfen, surfeln, surbeln usw. mit Bedeutungen wie ‘schwirren’, ‘schlürfen’, ‘weinen’ usw. Das Mittelhochdeutsche hat sürfeln/ sürpfeln ‘schlürfen’. Ursprung scheint Lautmalerei zu sein.

Kringel ist eine schon im Mittelhochdeutschen vorkommende Diminutivform mit dem Inhalt ‘Kreis; Brezel’. Auszugehen ist von mittelhochdeutsch krinc, kringe ‘Kreis, Ring’. Es besteht etymologische Beziehung zu germanisch *hrenga- ‘Ring’. Die Benen­nung des Kreisels mit Kringel ist durch dessen runde Form motiviert.

Zweimal ist im Untersuchungsgebiet das Wort Kreisel und einmal das Kompositum Brummkreisel vertreten. Beide Ausdrücke sind auch Elemente der Standardsprache, von wo sie wahrscheinlich in den Dialekt entlehnt wurden. Kreisel ist im 17. Jh. sekundär an Kreis angelehnt worden. Die ur­sprüngliche Wortform ist frühneuhochdeutsch kreusel/kräusel, diese aus mittelhochdeutsch kriusel. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Bildung zu mittelhochdeutsch krūs ‘kraus, ge­lockt’. Die Herkunft liegt im Dunkeln. Zur ersten Komponente von Brumm­kreisel s. o.

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

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Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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