Rheinhessen

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Karte 39.1 ‘Augenbraue’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 168. [Bild: Georg Drenda (IGL)]

Augenbraue

So gut wie flächendeckend erscheinen im Erhebungsgebiet Augenbraue und (seltener) Braue. Die Dialektausdrücke lauten z. B. Aabrau, Achebraun, Auebrau, Ächbrau sowie Brau und Braue. Sowohl das Kompositum als auch das Simplex sind in den historischen Stufen des Deutschen belegt: althochdeutsch ougbrāwa, brāwa, mittelhochdeutsch ougebrā, brā(we). Der Vorläufer von neuhochdeutsch Auge ist germanisch *augōn, dem gleichbedeutend indogermanisch *okw- zugrunde liegt. Diese Form gehört vielleicht zu einer Verbwurzel mit der Bedeutung ‘sehen’. Die Ent­wicklung von mittelhochdeutsch brā(we) zu neuhochdeutsch standardsprachlich Braue entspricht der von mittelhochdeutsch blā (flektiert: blāwes ‘blaues’) zu neuhochdeutsch blau. Neben dem starken Plural mittelhochdeutsch brā gibt es den schwachen Plural mittelhochdeutsch brāwen, brān. Die Dia­lektformen mit ‑n im Singular wie z. B. Achebraun sind wohl nicht durch Vermischung von Singular und Plural, die durch paarweise auftretende Sa­chen ausgelöst werden kann, zu erklären, da in den Dialekten finales ‑n nach Langvokal ausfällt. Es handelt sich wahrscheinlich eher um ein sekundär an­gefügtes ‑n. Vielleicht spielt auch Anlehnung an die Farbbezeichnung braun eine Rolle.

Der Vorläufer von neuhochdeutsch Braue ist germanisch *brǣgwō ‘Braue, Wimper’. Dieses ist mit dem Verb germanisch *bregd-a- verwandt, dessen Bedeutung ‘zu­cken, zücken’ sich auf schnelle Bewegungen, besonders des Auges bezieht. Braue bedeutet zunächst ‘Wimper’. Der Ausdruck wird aber in Sprachen, die kein Wort für ‘Augenbraue’ haben, auch auf diese angewendet. Im Deut­schen schwankt zunächst die Bedeutung zwischen ‘Braue’, ‘Wimper’ und ‘Lid’. Durch die Bildung von Komposita wird versucht, Eindeutigkeit herzu­stellen. Man vergleiche etwa die Zusammensetzung althochdeutsch ubarbrāwa, wört­lich: ‘Überwimper’, also ‘Augenbraue’ zur Unterscheidung von althochdeutsch brāwa in der Bedeutung ‘Wimper’. Auch das Kompositum althochdeutsch ougbrāwa, mittelhochdeutsch ougebrā, neuhochdeutsch Augenbraue schwankt bis ins 16. Jh. in den drei genannten Bedeutungen. Erst in der Folgezeit etabliert sich für Augenbraue die Bedeu­tung ‘Haarbogen über dem Auge’.

Je einmal sind im Erhebungsgebiet Augenhaar (dialektal Auehor) sowie Augenbrauenhaar (dialektal Äberhoor) belegt. Der erste Ausdruck ist wahr­scheinlich durch Tilgung des mittleren Gliedes aus dem zweitgenannten her­vorgegangen. Die Dialektform Äberhoor erschließt sich – abgesehen von dem Element ‑hoor – nicht unmittelbar. Die Zusammensetzung Äber- (= Au­genbraue) bedarf daher einer Erläuterung. Die Komponente ‑ber- hat sich aus dialektal Bra ‘Braue’ (vgl. mittelhochdeutsch brā) entwickelt (vgl. auch unten Wimper). Dem ersten Kompositionsglied Ä- liegt das Simplex dialektal Aaw ‘Auge’ zugrunde. Durch Assimilation von ‑w- zu ‑b- sowie von A- zu ‑e- des fol­genden ‑ber entsteht Äber-. Das Segment ‑brore in Ächbrore ist wohl durch Mischung von dialektal ‑bro ‘Braue’ und ‑hoor ‘Haar’ entstanden.

Das Wort Wimper, das sich in dem Kompositum Augenwimper (dialektal Awimper) findet, hat als historischen Vorläufer mittelhochdeutsch wintbrā(we). Der Laut­folge neuhochdeutschper (in Wimper) liegt also das Wort Braue (mittelhochdeutschbrā(we)) zugrunde (vgl. auch oben (Ä)ber(hoor)). Mit Wimper wurde bis in die Neu­zeit hinein die Augenbraue bezeichnet. Aber auch das Lid und das, was wir heute Wimper nennen, konnte gemeint sein. Die erste Komponente mittelhochdeutsch wint- ist etymologisch unklar. Möglicherweise besteht eine Verbindung zu altirisch finna, find ‘Haar’. Denkbar ist auch ein Zusammenhang mit dem Verb neuhochdeutsch winden. Der Wandel von mittelhochdeutsch wint- zu neuhochdeutsch Wim- erfolgt durch Assimilation vergleichbar der Entwicklung von mittelhochdeutsch hintber zu neuhochdeutsch Him­beere.

Das Wort Schobel (Dialektbeleg: Schowwel) hat sich aus althochdeutsch scubil ‘Büschel’ entwickelt. Die weitere Herkunft lässt sich nicht sicher angeben. Vielleicht liegt die Wurzel indogermanisch *(s)keup‑, *skeub(h)- ‘Büschel, Schopf, Quaste’ zugrunde. In diesem Fall wird die Augenbraue als ‘Büschel (von Haaren)’ aufgefasst.

Das Pfälzische Wörterbuch (I, 426) vermerkt, dass mittelhochdeutsch brā in den pfälzischen Dia­lekten lautgesetzlich als Broo, seltener als Braa erscheint. Als Formen mit ‑n-Einschub werden ‑broone und ‑braane genannt, die anscheinend nur als Zweitglied in der Zusammensetzung mit Auge- vorkommen. (Auch der vor­liegende Wortatlas hat für das Simplex Braue keine Meldungen mit ‑n.)

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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