Sprendlingen in Rheinhessen

Bericht über die Ausgrabung in Sprendlingen und deren Ergebnisse - von Hannelore Bosinski

Der Eltviller Tuff ist eine Ablagerung vulkanischen Ursprungs. In Eltville am Rhein wurde dieser Tuff das erste Mal gefunden; und obwohl man noch nicht weiß, aus welchem Vulkan des Neuwieder Beckens er stammt. konnte man ihn datieren: nämlich auf ca. 20.000 v.Chr. So wurde dieser Tuff zu einer wichtigen Zeitmarke bei der Bestimmung von Bodenprofilen.
Auf der Suche nach diesem Tuffbändchen war der Geograph O. Preuß aus Mainz, als er im Herbst 1977 die Profile der Sandgrube Gaul in Sprendlingen ablief. Im Ostprofil fand er, was er suchte; aber in der anschließenden Südwand verlor er nach einigen Metern die Spur: die geologischen Schichten verliefen schräg nach oben und waren schon abgetragen. Als J. Preuß schließlich glaubte, das Tuffbändchen doch wiedergefunden zu haben, stellte er bald fest, dass es sich um eine rötlichschwarze Siedlungsschicht mit Steinwerkzeugen handelte, die älter als 20.000 Jahre sein musste, weil sie unter dem Tuffband lag. Er meldete seinen Fund an das Landesamt für Denkmalpflege, Abt. Bodendenkmalpflege in Mainz. Die Ergebnisse einer kurzen Untersuchung durch die Mitarbeiter der Bodendenkmalpflege veranlassten deren Leiter Dr. B. Stümpel, einen Steinzeitfachmann mit der Ausgrabung in Sprendlingen zu beauftragen: Prof. Dr. G. Bosinski von der Universität Köln rückte mit einer Mannschaft von 8-10 erfahrenen Ausgräbern an.
Auf der Napoleonshöhe entstand ein richtiges Camp: ein großer Wohnwagen wurde aus Neuwied nach Sprendlingen geschleppt. Zwei weitere Wohnwagen stellte das Straßenneubauamt in Bingen zur Verfügung, und als Aufenthaltsraum und „Speisewagen“ diente ein kleinerer Baustellenwagen der Fa. Gaul. Zelte vervollständigten das bunte Bild.
Als „die Leute vom Wald“ war die Grabungsmannschaft in Sprendlingen und Umgebung bald bekannt; die Anteilnahme der Sprendlinger Bevölkerung war groß!
Gleich nach Pfingsten 1978 begann die Arbeit. Zunächst wurde eine Eisenkonstruktion mit Plastikplanen über der Grabungsfläche errichtet, um auch bei weniger gutem Wetter arbeiten zu können. Fünf Meter tiefer, auf einer Aufschüttung, wurde die Schlämmanlage aufgebaut und von dort bis in die Grubensohle die Schläuche verlegt, um das nötige Wasser aus den Tümpeln abzusaugen.
Das Ziel der Ausgrabung war: so detailliert wie möglich über jede Beobachtung und jeden Fundgegenstand „Buch zu führen“, um später bei der Aufarbeitung und Auswertung ein möglichst genaues Bild aus der vergrabenen Epoche zu bekommen.
Bis ca. 20 cm über dem im Profil deutlich sichtbaren Siedlungshorizont wurde der Löß abgespatet. Dann wurde die Fläche vermessen, in den Katasterplan eingetragen und in 1x1 Meterquadrate eingeteilt. Jedes Quadrat erhielt eine Nummer, jede Schicht - von oben nach unten ergraben - einen Buchstaben. Alle Funde wurden nivelliert, in den Quadraten fortlaufend nummeriert; sie wurden in maßstäbliche Pläne eingezeichnet und in Listen aufgeführt. Der mit kleinem Arbeitsgerät - Maurerkellen, Spitzkellen, Stukkateureisen, Pinseln und Zahnarztwerkzeugen - abgetragene Löß wurde in Eimern, versehen mit Fundkarten, die über Quadrat und Schicht Auskunft gaben, zur Schlämmanlage abgeseilt. Dort wurde der Löß in Sieben mit 1 mm und 3 mm Maschenweite ausgeschlämmt. Die Rückstände der 3 mm-Siebe wurde auf kleine archäologische Funde durchgesehen.
Der Inhalt der 1 mm-Siebe wurde in Plastiktüten abgefüllt -- eventuell kann ein Nagetierfachmann darin Zähne von Mäusen finden, die Arten bestimmen und damit wichtige Hinweise auf das örtliche Klima geben, denn das Vorkommen der einzelnen Nagetierarten ist sehr stark an bestimmte Klimata gebunden. Alle archäologischen Funde wurden sofort nach der Bergung gewaschen, getrocknet und beschriftet. Es handelt sich dabei um Materialstücke, aus denen Werkzeuge gemacht werden sollten, um Werkzeuge aus Stein, um „Abfälle“, die bei der Werkzeugherstellung entstanden, um Knochen und Zähne, um Elfenbein und Schneckenhäuser.
Außerdem wurden Bodenproben für geologische Untersuchungen und für die Pollenanalyse (zur Bestimmung des Pflanzenbewuchses) genommen.
Ein Team von Wissenschaftlern - Archäologen, Geologen, Mineralogen, Fachleute für die Kleintier- und solche für die allgemeine Fauna, Pollenanalytiker und ein Spezialist für tertiäre Schnecken - hat die Funde übernommen und bereitet gemeinsam eine Publikation des Fundplatzes Sprendlingen vor. Bis alle Ergebnisse ausgewertet und wie bei einem Puzzle zu einem Ganzen zusammengesetzt sein werden, werden wohl Monate vergehen.
Trotzdem kann man schon jetzt einige Aussagen machen, wenn sie vielleicht auch noch etwas vage und wenig detailliert sein müssen:

Der archäologische Fundplatz Sprendlingen auf der Napoleonshöhe liegt auf dem höchsten Punkt der gesamten umgebenden Landschaft. Der Weitblick bei klarem Wetter ist enorm: man kann bis zum Hunsrück sehen, bis zum Rheingaugebirge, bis zum Donnersberg, ja - bis zum 60 km entfernten Odenwald! Der Quadratplan mit den eingezeichneten Funden zeigt eine fundreiche Zone und deren fast fundleere Umgebung. Die fundreiche Zone hat eine halbkreisartige Ausdehnung von ca. 5 Meter Durchmesser; die größte Funddichte ist am nördlichen Grabungsrand, wo beim Sandabbau ein großer Teil des archäologischen Befundes unbemerkt zerstört wurde.
Die Funde hören am Rande der halbkreisförmigen Zone so abrupt auf, dass dies auf Wandstellungen hindeutet. Wir haben hier die Reste einer Behausung - am ehesten wohl eines Zeltes gefunden. Ursprünglich hatte das Zelt in seiner Mitte eine Feuerstelle; eine recht große Menge kleiner verkohlter Knochenstücke weist darauf hin, dass die Jäger auch Knochen zum Feuern benutzten, woraus wiederum geschlossen werden kann, dass Holz knapp war. Lange haben sich die eiszeitlichen Jäger aber nicht aufgehalten; was sie hinterließen, ist wenig, aber aussagekräftig; es gibt nur wenige Werkzeugtypen; die Knochen sind fast ausschließlich von Rentieren; es gibt keine intakten Geräte aus Elfenbein und Knochen; als Besonderheit sind die vielen Schneckenhäuser anzusehen.

[Bild: Hannelore Bosinski]

Rückenmesser und Gravettspitzen sind die kleinsten Werkzeuge aus Stein. Die Rückenmesserchen sind fast alle auf eine Normgröße gebracht und waren wahrscheinlich seitlich in Waffen oder Geräten aus Holz oder Knochen eingesetzt, wo sie eine Art Widerhakenfunktion hatten oder als Schneide dienten.


[Bild: Hannelore Bosinski]

Die ebenfalls kleinen und sehr fein gearbeiteten Gravettspitzen sind wohl Geschossspitzen gewesen.


[Bild: Hannelore Bosinski]

Um einen Kratzer zu erhalten, wurde eine Schmalseite einer Klinge (gezielt von einem Steinkern abgeschlagener Span von lang-schmaler Form) halbbogenförmig überarbeitet (retuschiert). Unter dem Mikroskop sind manchmal deutliche Gebrauchsspuren - kleine Kratzer in einer bestimmten Richtung oder weiche Verrundungen - zu erkennen.


[Bild: Hannelore Bosinski]

Den Stichel zeichnet eine quer zum Gerät stehende Schneide aus, die durch den sog. „Stichelschlag“ entstand. Stichel dienten u.a. zur Rengeweihbearbeitung. Dabei wurden mit der Schneide zwei parallele Rillen durch die harte äußere Schicht in das spungiose Innere des Geweihes eingetieft. Der zwischen den Rillen liegende Span wurde dann herausgehebelt und weiterverarbeitet.


[Bild: Hannelore Bosinski]

Über den Gebrauch der großen Spitzklingen kann man nur vermuten, dass sie eventuell zu Bohrarbeiten benutzt wurden.


Aus diesen Fakten ergibt sich folgendes vorläufige Bild:

Auf dem höchsten Punkt im Gelände - wohl wegen der guten Möglichkeit, ziehende Tierherden zu beobachten - lebten eiszeitliche Jäger. Sie waren nur wenige einer größeren Gemeinschaft. Sie waren hierher gekommen, um Rentiere zu erlegen und lebten nur für kurze Zeit hier, bis sie genug Beute gemacht hatten, um danach in ihr Basislager zurückzukehren. Deshalb ist auch das Werkzeuginventar sehr begrenzt: es gibt Jagdwaffen (Rückenmesser, Gravettspitzen), „Kratzer“ zum Ausweiden der Tiere und Säubern der Felle und „Stichel“ zur Geweihbearbeitung. Deshalb fanden wir keine Nadeln, keine fertigen Geschossspitzen aus Geweih oder Elfenbein und keine Kunstgegenstände.
Außer mit der Jagd auf Rentiere beschäftigten sich die eiszeitlichen Jäger in Sprendlingen mit dem Sammeln tertiärer Schneckenhauser. Ob das ursprünglich ein zweiter Grund war, in diese Gegend zu kommen. oder ob das Auffinden der Schneckenvorkommen zufällig war, ist nicht zu sagen. Auf jeden Fall aber muss die Ausbeute erheblich gewesen sein, sonst hätten die Sammler wohl besser aufgepasst und nicht so viele „verloren“. Der größte Teil der Schneckenhäuser sollte wohl unbearbeitet mit zum Wohnplatz genommen werden, wo man mehr Muße zum Durchlochen und Auffädeln oder Aufnähen auf die Bekleidung hatte. Aber offensichtlich hatte einer der Jäger schon im Jagdlager mit der Durchbohrung begonnen. An der Feuerstelle wurden nämlich einige schon durchbohrte Schneckenhäuser gefunden.
Niemand weiß, wohin die Jäger zogen. Niemand kann es beweisen: aber vielleicht war der Fundplatz Mainz-Linsenberg, den der Geologe E. Neeb schon 1921-23 ausgegraben hat, das Basislager der Jäger, die im Sprendlinger Gebiet Rentiere jagten und Schneckenhäuser sammelten. Auf dem Fundplatz Mainz-Linsenberg fand man nämlich neben gleichartigen Steinwerkzeugen und verschiedenen anderen Tierknochen auch Knochen vom Ren und durchlochte Schneckenhäuser aus den tertiären Ablagerungen des Mainzer Beckens. Und dass es sich um ein Basislager handelte, erkennt man an der größeren Ausdehnung des besiedelten Platzes, an der besseren Befestigung (sog. „Tenne“ aus festgetretenem Lehm, Steinhaufen, mehrere Feuerstellen) und an den Fuden, die in Sprendlingen fehlen: Schmuckanhänger aus Elfenbein und fossilem Holz und Teile von zwei Venusfiguren aus Sandstein. 

Nachweise

Verfasser: Hannelore Bosinski

Literatur:

  • Gauweiler, Wolfgang (Bearb.): 1200 Jahre Sprendlingen. Hrsg. von der Gemeindeverwaltung Sprendlingen. Neustadt a.d.W. 1967.
  • Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 18.1: Kreis Mainz-Bingen. Bearb. v. Dieter Krienke. Worms 2007.

Aktualisiert am: 21.11.2014