Kastel in Rheinhessen

Kastel - das römische Castellum Mattiacorum

Rheinpanorama[Bild: Horst Goebel]

Kastel ist eine der wenigen Gemeinden, die noch heute den Namen ihrer ursprünglichen Gründung führt. Zwischen 12 und 9 v. Chr. wurde unter dem Feldherrn Drusus das römische „Castellum Mattiacorum“, das Kastell im Gebiet der Mattiaker, auf der rechten Rheinseite errichtet. Von diesem aus Holz und Erde errichtetem Castellum gibt es keine archäologischen Spuren. In denselben Zeitraum fällt auch der Bau einer behelfsmäßigen Schiffsbrücke über den Rhein[Anm. 1] sowie eines römischen Ehrenbogens. Hiermit kam Mainz und dem rechtsrheinischen Castellum eine erhebliche strategische Bedeutung zu, war von hier aus sowohl die Überwachung der Flüsse, als auch des Rheinübergangs möglich und erlaubte zudem über die Wasserwege das Vordringen in noch unbesetztes Gebiet.   

Die hölzerne Schiffsbrücke wurde unter Vespasian 71 n. Chr. durch eine feste Jochbrücke mit steinernen Pfeilern ersetzt, wie über dendrochronologische Untersuchungen nachgewiesen werden konnte. Die ehemalige Brücke war wohl in den Wirren des sogenannten Vierkaiserjahres 69 n. Chr. zerstört worden[Anm. 2]. Diese 71 n. Chr. neuerrichtete Brücke hatte wahrscheinlich bis in das 5. Jh. hinein Bestand und verband Mainz mit dem rechtsrheinischen Gebiet[Anm. 3].   

Unter Vespasian oder Titus, wahrscheinlicher aber zur Zeit der Chattenkriege des Kaisers Domitian (83-86 n. Chr.) wurde das Castellum mit einer steinernen Mauer umwehrt[Anm. 4], wie Ziegelstempel der Legio I Adjutrix und Legio XIIII Gemina bezeugen, da diese Legionen lediglich im Zeitraum zwischen 70 und 86 n. Chr. gemeinsam in Mainz stationiert waren[Anm. 5]. Die relativ kleine Anlage hatte eine Größe von ca. 90 x 70 Meter und war wohl von einer kleinen Einheit der in Mainz stationierten Legionen besetzt. Es fügte sich in eine direkte Achse mit der Rheinbrücke ein, deren Standort wohl unweit der heutigen Theodor-Heuss-Brücke zu vermuten ist. Beim Bau des Volksbades 1954 konnte die Nordwestecke des Kastells archäologisch erfasst werden[Anm. 6].

Um das Kastell dürfte sich, wie bei römischen Militärlagern üblich, schnell ein Lagerdorf, eine zivile Siedlung gegründet haben, welche all jene anzog, die wirtschaftlich an das Heer gebunden waren[Anm. 7]. Dieser vicus wurde schnell größer und florierte in der Friedenszeit des 2. Jh. n. Chr., sodass ein wohlhabender neuer Stadtteil entstand[Anm. 8]. Große Thermenanlagen bestätigen dieses Bild[Anm. 9]. Um 121/22 n. Chr. scheinen die Befestigungen von den Römern geschleift worden zu sein, schien doch eine militärische Sicherung in diesem Gebiet, das mittlerweile der Limes schützte, nicht mehr notwendig.

Mit der Reichskrise des 3. Jh. n. Chr., welche allgemein durch Einfälle äußerer Gegner und innerer Schwierigkeiten gekennzeichnet war, wurde das rechtrheinische Limesgebiet nach einiger Gegenwehr aufgegeben und der Rhein wieder als Reichsgrenze befestigt, Mainz wurde erneut Grenzstadt. Der rechtsrheinische Brückenkopf blieb jedoch unter römischer Kontrolle[Anm. 10]. Mit der Bedrohung durch die Alamannen zu Beginn des 3. Jh. wurde unter Kaiser Caracalla oder spätestens unter Severus Alexander die gesamte Siedlung Kastel mit einer Steinmauer umgeben, die ein deutlich größeres Gebiet umschloss, als das ehemalige Castellum[Anm. 11]. Das 1862 gefundene, auf ca. 300 n. Chr. datierte Lyoner Bleimedaillon kündet von dieser Befestigung und zeigt neben dem Legionslager Mainz auch einen befestigten Brückenkopf Kastel. Eine römische Brücke ist ebenfalls noch unter Kaiser Julian (360-63) nachweisbar[Anm. 12]. Im 4. Jh. wurde der Mainzer Brückenkopf insgesamt wieder stärker befestigt, um die Rheinlinie behaupten zu können[Anm. 13].

Die römische Herrschaft konnte sich noch mindestens bis zum Beginn des 5. Jh. am Rhein behaupten. Das letzte archäologische Zeugnis der römischen Kontrolle stellte ein 1962 gefundener Schatzfund aus den Jahren 407-11 n. Chr. dar, der aus römischen Gold- und Silbermünzen sowie hochwertiger Militärausrüstung bestand. Dabei scheint es sich um die Kasse eines gesamten römischen Truppenteils sowie dessen Offizier gehandelt zu haben, der dort wohl von der Truppe deponiert und nicht mehr ausgegraben wurde[Anm. 14]. Womöglich konnte die römische Kontrolle sogar bis ans Ende des 5. Jh. überdauern[Anm. 15]. Das Schicksal Kastels in der nachfolgenden Zeit ist ungewiss.   

Nach dem Abzug der Römer liest man erst wieder in einem Schriftstück des Jahres 757 von einer Siedlung Kastel (ultra Rhenum ad Castrionis in marca Bodobigrinse). Karl der Große ließ 803-813 auf den Trümmern der in der sogenannten Völkerwanderungszeit (ca. 375-568) zerstörten Römerbrücke eine neue Verbindung zwischen den Ufern bauen. Ein Feuer vernichtete diese Brücke jedoch kurz nach ihrer Vollendung. Bis zur Errichtung einer neuerlichen, festen Brücke sollte es an dieser Stelle über tausend Jahre dauern[Anm. 16].
Kastel gehörte zum Königsland, geriet aber seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts zunehmend in die Einflusssphäre des Mainzer Erzstiftes. Das Dorf wurde mit Mauern umgeben und im 13. Jahrhundert als "Reichsstadt" betrachtet. Das Wappen von Kastel in Form einer Muschel ist auf das 12. Jh. zurückzuführen, da es ab 1127 in Kastel eine Jakobsbruderschaft gab, die sich im besonderen Maße der Pilger auf ihrem Weg gen Santiago de Compostela annahm.

Die Belagerung von 1242 - 1244

Doch nicht das Mainzer Erzstift, sondern die Herren von Hohenfels aus dem Hause Bolanden setzten sich im Ort fest. Als es zum „sog. Endkampf der Staufer“ kam, belagerte im Frühjahr 1242 der Mainzer Erzbischof Siegfried III. von Eppstein den Ort Kastel, denn an diesem strategisch wichtigen Ort hatte der staufertreue Reichsministeriale Philipp I. von Hohenfels (1220-1277) einen Zoll eingerichtet. Dadurch wurde der Handel am Zusammenfluss von Rhein und Main und hier vor allem die Handelsstraße von Mainz nach Frankfurt beeinträchtigt. Der Mainzer Erzbischof überquerte den Rhein mit Schiffen, und installierte Belagerungsmaschinen, um die Mauern um Kastel zu zerstören. Die Verteidiger wurden vom Oppenheimer Schultheißen Marquard befehligt. Als die ebenfalls staufertreu gebliebenen Wormser Bürger von dem Angriff erfuhren, rüsteten sie gut gepanzerte Kriegsschiffe aus und kamen den Verteidigern zu Hilfe. Der Mainzer Erzbischof musste die Belagerung abbrechen. Er ließ seine Belagerungsmaschinen verbrennen, damit sie nicht in die Hände der Wormser fielen. Diese stationierten, bevor sie nach Worms zurückkehrten, eine Wachmannschaft im Ort. Doch Erzbischof Siegfried bestach die Torwachen und bemächtigte sich in einer Nacht- und Nebelaktion des Ortes. Daraufhin erschien im Herbst 1243 König Konrad IV. (Kaiser von 1250 bis 1254) vor der Stadt und nahm ihn nach kurzer Belagerung den Mainzern wieder ab. Er übergab den Ort Wirich von Dhaun, der nun seinerseits eine Zollstelle errichtete. Daraufhin versprach Erzbischof Siegfried III. im Jahr 1244 den Mainzer Bürgern, Kastel zu zerstören. Er sicherte zu, dass er innerhalb von einer Meile um die Stadt herum - das sind je nach Bemessensgrundlage zwischen 3,6 und 9,2 km - keine neue Burg mehr dulden würde. Am 21. Dezember 1244 gelang es dem Erzbischof, Kastel durch Verrat einzunehmen; er ließ es – so berichten die Quellen - von Grund auf zerstören. Über das wahre Ausmaß der Zerstörung ist allerdings nichts Näheres bekannt.

Das 14. und 15. Jahrhundert

Die große Zeit der Färcher und Flößer begann im frühen 14. Jahrhundert. 1349 drohte Kastel erneut Gefahr: Erzbischof Gerlach von Nassau hatte den Mainzer Bürgern, die damals seinem Konkurrenten um den Erzbischofsstuhl, Erzbischof Heinrich von Virneburg, in der sog. Mainzer Stiftsfehde feindlich gegenüberstanden, einige Zugeständnisse gemacht. U.a. hatte er ihnen am 19. Mai 1349 erlaubt, die Mauern von Kastel und die Kirche zu zerstören. Doch zum Glück konnten die Mainzer das Vorhaben nicht ausführen. Auch in der Folge war Kastel wegen der Nähe zu Mainz in Kriegszeiten immer wieder gefährdet. Wegen der unsicheren Zeiten und der starken „Räuberei“, die von Osten her den Mainzer Raum gefährdeten, ließ Erzbischof Berthold von Henneberg Warttürme bauen, so auch 1497 die Erbenheimer Warte am heutigen Fort Biehler in Kastel.

Die Neuzeit

Als die Franzosen Ende des 17. Jahrhunderts die Rheingegend besetzten, ging Kastel 1689 in Flammen auf. Es blieb beim Mainzer Erzstift bis zum Untergang des Kurstaates und war dem „Viztumamt außerhalb der Stadt“ zugeordnet. In den Jahren 1792/1793 besetzten die Franzosen den Ort erneut, im Zuge dessen wurde Kastel stark befestigt. Im Lüneburger Frieden von 1801 und im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ging Kastel auf den Fürsten von Nassau-Usingen über, bis dieser 1806 Kastel und Kostheim an Frankreich abtrat. Nach dem endgültigen Abzug der Franzosen wurde Kastel zusammen mit Mainz 1816 zur Bundesfestung erklärt und in den Jahren 1830 bis 1832 die Reduit erbaut. 1840 weihte man die zweite in Deutschland gebaute Eisenbahnstrecke, die Taunusbahn zwischen Wiesbaden und Kastel ein, die später dann bis nach Frankfurt weitergeführt wurde. 1908 erfolgte die Eingemeindung Kastels nach Mainz. Der Zweite Weltkrieg 1939-1945 hatte die fast vollständige Zerstörung Kastels zur Folge. Während der Besatzungszeit erklärte der amerikanische General Eisenhower den Rhein zur Grenze zwischen der amerikanischen und der französischen Zone, was die Abtrennung der rechtsrheinischen Vororte von Mainz zur Folge hatte und Amöneburg, Kastel und Kostheim unter die treuhänderische Verwaltung Wiesbadens stellte - bis heute hat sich an diesem Zustand nichts mehr geändert.

Nachweise

Redaktionelle Bearbeitung: Stefan Grathoff, Sarah Traub, Nicolas Weber

Literaturverzeichnis:

  • Becker, Jacob: Castellum Mattiacorum: Das roemische Castel. Sonderabdruck aus den Annalen des Vereins für nassauische Alterthumskunde u. Geschichtsforschung, Bd. 7, H. 1 Wiesbaden 1863.
  • Brilmayer, Karl J.: Rheinhessen in Vergangenheit und Gegenwart. Geschichte der bestehenden und ausgelassenen Städte, Flecken, Dörfer, Weiler und Höfe, Klöster und Burgen der Provinz Rheinhessen nebst einer Einleitung. Gießen 1905.
  • Campbell, J. Brian: Legio. In: Brill´s New Pauly – encyclopaedia of the ancient world. https://referenceworks.brillonline.com/entries/brill-s-new-pauly/legio-e700090?s.num=0&s.f.s2_parent=s.f.book.brill-s-new-pauly&s.q=Legio+I.+ (zuletzt aufgerufen am 03.09.2019).  
  • Czysz, Walter: Wiesbaden in der Römerzeit. Stuttgart 1994.
  • Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Rheinland-Pfalz Saarland. Bearbeitet von Caspary, Hans u.a. Darmstadt 1985.
  • Dörrlamm, Rolf; Wirth, Helmut: Das rechtsrheinische Mainz. In: Dumont, Franz; Scherf, Ferdinand; Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz – Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999.
  • Grathoff, Stefan: Burgenlexikon. Unveröffentlichte Sammlung kurzer „Burgenbiographien“. Die Artikel sind einzusehen unter www.burgenlexikon.eu.
  • Jacobi, Hans: Mogontiacum – das römische Mainz. Mainz 1996.
  • Schoppa, Helmut: Aquae Mattiacae: Wiesbadens römische und alamannisch-merowingische Vergangenheit. Wiesbaden 1974.
  • Staab, Franz: Mainz vom 5. Jahrhundert bis zum Tod des Erzbischofs Willigis (407-1011). In: Dumont, Franz; Scherf, Ferdinand; Schütz, Friedrich: Mainz – Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999.
  • Museum-Castellum

 

Aktualisiert am: 03.09.2019

 

 

Anmerkungen:

  1. Vgl. Dörrlamm, Das rechtsrheinische Mainz, 632f.  Zurück
  2. Vgl. Czysz, Wiesbaden in der Römerzeit, 152.  Zurück
  3. Vgl. Jacobi, Mogontiacum, 292, 535.  Zurück
  4. Vgl. Jacobi, Mogontiacum, 539.  Zurück
  5. Vgl. Campbell, Legio.   Zurück
  6. Vgl. Schoppa, Aquae Mattiacae, 65, 67.  Zurück
  7. Vgl. Becker, Castellum Mattiacorum, 84f.  Zurück
  8. Vgl. Schoppa, Aquae Mattiacae, 68.  Zurück
  9. Vgl. Jacobi, Mogontiacum, 447. Zurück
  10. Vgl. Jacobi, Mogontiacum, 397f.  Zurück
  11. Vgl. Czysz, Wiesbaden in der Römerzeit, 211; Schoppa, Aquae Mattiacae, 90, 93.  Zurück
  12. Vgl. Schoppa, Aquae Mattiacae, 95.  Zurück
  13. Vgl. Schoppa, Aquae Mattiacae, 95, 97. Zurück
  14. Vgl. Schoppa, Aquae Mattiacae, 102.  Zurück
  15. Vgl. Staab, Mainz, 71.  Zurück
  16. Vgl. Jacobi, Mogontiacum, 535.  Zurück