Rheinhessen

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Die sprachlichen Wurzeln des Deutschen

Das Indogermanische

Betrachten wir zunächst das Zahlwort drei in einigen Sprachen. Es lautet:

deutsch:drei              niederländisch: drie

englisch: three          schwedisch: tre

lateinisch: tres          französisch: trois

polnisch: trzy            griechisch: treis

persisch: thri             altindisch: trayas

 

finnisch: kolme         türkisch: üch

arabisch: thalath      chinesisch:  san

Schon ein flüchtiger Blick auf die Wörter zeigt, dass die vom Deutschen bis einschließlich zum Altindischen genannten formal ähnlich sind, wohingegen die darauf folgenden aus der Reihe fallen. Auch bei anderen Ausdrücken, wie Vater, neu und Name wäre der Befund identisch. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckten Sprachforscher durch Sprachvergleich, dass die überwiegende Mehrzahl der europäischen Sprachen und darüber hinaus zahlreiche Sprachen von Vorderasien bis Indien in Wortschatz und Wortstruktur Parallelen aufweisen. Auf Grund dieser Feststellung nahm man an, dass die untersuchten Sprachen sich aus ein und derselben Wurzel entwickelt haben, also auf eine gemeinsame Ursprache zurückgehen. Diese wird als Indogermanisch (Idg.) bezeichnet nach der östlichsten Sprache, dem Indischen, und nach der westlichsten, dem Isländischen, das zur germanischen Sprachfamilie (s. u.) gehört. Statt indogermanisch verwendet man heute, vor allem außerhalb Deutschlands eher den Ausdruck indoeuropäisch. Die oben genannten Sprachen Finnisch, Türkisch, Arabisch und Chinesisch gehören nicht zur indogermanischen Sprachgruppe. Sie sind Glieder anderer Sprachfamilien. Das Finnische gehört mit dem Lappischen, Estnischen und Ungarischen zum finnisch-ugrischen Sprachzweig, das Türkische mit dem Tatarischen und weiteren Sprachen zum Turko-Tatarischen, das Arabische mit dem Hebräischen und Äthiopischen zur semitischen Sprachgruppe, das Chinesische mit dem Tibetischen und anderen Sprachen zum Sino-Tibetischen. Darüber hinaus gibt es etliche weitere Sprachfamilien, z. B. Bantu in Afrika.

Auf der Grundlage der lebenden und schriftlich überlieferten ausgestorbenen indogermanischen Sprachen haben Wissenschaftler bereits im 19. Jahrhundert die mutmaßliche indogermanische Ursprache rekonstruiert, denn belegt ist diese nicht. Man datiert sie ins 3. Jahrtausend v. Chr. (Jungsteinzeit). Mit der Rekonstruktion der Grundsprache nahm man an, dass diese tatsächlich von einem indogermanischen Urvolk gesprochen wurde. Eine solche Ethnie lässt sich jedoch archäologisch nicht nachweisen. Auf der Basis des rekonstruierten Wortbestandes schloss man auf die Siedlungsgegend, den technischen Entwicklungsstand und die Lebensumstände der Sprecher und zog als Urheimat der Indogermanen verschiedene Gebiete zwischen der Nordsee und dem Kaspischen Meer in Betracht, ohne dass eine unumstrittene Lokalisierung gelungen wäre. Heute herrscht in der Forschung folgendes Bild vor: Ein einheitliches indogermanisches Urvolk gab es wohl nicht, sondern einen lockeren Stammesverband, der zwischen Nordeuropa und dem Gebiet nördlich des Kaukasus lebte. Die Sprache war nicht so einheitlich wie von der älteren Forschung angenommen. Der formale Zusammenhang der indogermanischen Sprachen scheint eher auf Sprachkontakt, d. h. gegenseitige Beeinflussung ursprünglich verschiedener Sprachen zurückzuführen sein. Parallelen zu finnisch-ugrischen sowie semitischen Sprachen lassen zudem auf vorgeschichtliche Kontakte zu diesen Sprachfamilien schließen.

Die indogermanische Sprachfamilie lässt sich in Untergruppen aufgliedern. Kriterium für die Einteilung ist die Verwandtschaft der Sprachen untereinander, die sich in Gemeinsamkeiten in Wortschatz und Grammatik zeigt. Man vergleiche etwa deutsch Buch und englisch book einerseits sowie französisch livre und italienisch libro andererseits. Im Folgenden seien lediglich die drei großen europäischen Sprachzweige und deren wichtigste lebende Einzelsprachen genannt: 1. Germanischer Sprachzweig mit Deutsch, Englisch, Niederländisch, Luxemburgisch, Dänisch, Schwedisch, Norwegisch und Isländisch, 2. slawischer Sprachzweig mit Russisch, Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Bulgarisch, Serbisch und Kroatisch, 3. romanischer Sprachzweig mit Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Italienisch und Rumänisch.

Das Germanische

Das Germanische (Germ.) begann im 2. Jahrtausend v. Chr. sich aus den anderen indogermanischen Sprachen auszugliedern. Es waren vor allem lautliche Veränderungen, die zu der Abspaltung führten. Zu nennen ist hier besonders die erste oder: germanische Lautverschiebung, die bestimmte indogermanische Konsonanten (Mitlaute) betraf. Es ist an dieser Stelle nicht notwendig, diesen umfangreichen Sprachwandel darzustellen, da er für das Verständnis des Kartenteils dieses Atlasses nicht relevant ist und die Leserinnen und Leser mit unnötigen Fakten belasten würde. Um gleichwohl eine Vorstellung von dem Konsonantenwandel zu geben, seien zwei Beispiele genannt:

1. Der indogermanische Konsonant p wurde im Germanischen zu f. Man vergleiche etwa französisch: poisson, italienisch: pesce mit deutsch: Fisch, schwedisch: fisk und weiter französisch: père, portugiesisch: pai mit deutsch: Vater (v wird f gesprochen), englisch: father.

2. Indogermanisch k entspricht im Germanischen ch. Beispiele: lateinisch (eine ausgestorbene indogermanische Sprache): rectus (c wird k gesprochen) dagegen deutsch: recht; französisch: cœur, italienisch cuore (in beiden Fällen wird c als k gesprochen) dagegen deutsch: Herz, isländisch hjarta (in diesen Fällen erscheint ch als h). Die Ursachen der ersten Lautverschiebung sind (noch) nicht geklärt. Sie verlief im ersten Jahrtausend v. Chr. und war um 500 v. Chr. abgeschlossen.

Das Deutsche

Wie die erste Lautverschiebung das Germanische von den anderen indogermanischen Sprachen abgesondert hatte, so separiert die zweite oder: hochdeutsche (hochd.) Lautverschiebung das Deutsche oder besser: Hochdeutsche – die Erklärung folgt unten – aus dem Verband der übrigen germanischen Sprachen. Darüber hinaus gab es weitere Lautentwicklungen vom Germanischen zum Deutschen, nicht zuletzt im System der Vokale (Selbstlaute). Ich erspare hierzu den Leserinnen und Lesern die faktenreichen Einzelheiten, die an dieser Stelle nicht von Interesse sind, und beschränke mich lediglich auf die Darstellung der zweiten Lautverschiebung, die im Hinblick auf die Entwicklung und Einteilung der deutschen Dialekte von eminenter Bedeutung ist.

Bei der zweiten Lautverschiebung, die zwischen dem 5. und 8. Jahrhundert verlief, machten die germanischen Konsonanten p, t, k folgenden Wandel durch: Am Wortanfang, nach Konsonant sowie in der Verdoppelung (pp, tt, kk) entwickelte sich germanisch p zu hochdeutsch pf, germanisch t zu hochdeutsch z/tz und germanisch k zu hochdeutsch kch (ch ist hierbei wie in Buch zu sprechen). Zur Illustrierung seien im Folgenden einige Beispiele angeführt, die ich der besseren Verständlichkeit halber den heutigen Sprachstufen entnehme.

englisch: pound – deutsch: Pfund

englisch: stamp – deutsch: stampfen

englisch: apple – deutsch: Apfel

 

englisch: tongue – deutsch: Zunge

englisch: heart – deutsch: Herz

englisch: set (altenglisch: settan) – deutsch: setzen

 

englisch: corn – Vorarlberger Dialekt: Kchorn

englisch: folk – Vorarlberger Dialekt: Volkch

englisch: wake (altenglisch: weccan) – Vorarlberger Dialekt: weckche

In den drei letzten Fällen werden Beispiele aus einem im Süden des deutschen Sprachraums gelegenen Dialekt genannt, weil die Verschiebung von k zu kch nur im Alemannischen und Bairischen erfolgte. Im nächsten Kapitel gehe ich ausführlicher darauf ein.

Nach Vokal entwickelte sich germanisch p zu hochdeutsch f(f), t zu s(s) und k zu ch. Dazu folgende Beispiele:

englisch: open, sleep – deutsch: offen, schlafen

englisch: water, what – deutsch: Wasser, was

englisch: book – deutsch: Buch

Da durch den Sprachwandel p, t, k im Lautinventar nicht mehr vorhanden waren, entwickelten sich im Zuge der zweiten Lautverschiebung die germanischen Konsonanten b, d, g zu hochdeutsch p, t, k. Der Wandel von b zu p und g zu k fand nur in den bairischen (bair.) und alemannischen (alem.) Dialekten statt und wurde dann wieder teilweise rückgängig gemacht. Die Entwicklung von d zu t lässt sich an Vergleichsbeispielen aus den heutigen Sprachen zeigen: englisch: day – deutsch: Tag, englisch: lead – deutsch: leiten. Die folgende Übersicht zeigt zusammengefasst die Ergebnisse der 2. Lautverschiebung:

germanisch p > hochdeutsch pf / f(f)

germanisch t > hochdeutsch (t)z / s(s)

germanisch k > bairisch/ alemannisch kch / hochdeutsch ch

germanisch b > bairisch/ alemannisch p

germanisch d > hochdeutsch t

germanisch g > bairisch/ alemannisch k

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.