Rheinhessen

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heiß

Demjenigen, der mit einem unvertrauten Dialekt konfrontiert wird, beispielsweise in einer Rundfunksendung oder auf einer Reise, wird zweierlei auffallen: 1. Bekannte Wörter werden anders als im eigenen Dialekt bzw. im Standarddeutschen ausgesprochen, d. h. sie haben eine andere Lautform. Dabei können die Differenzen mitunter so gravierend sein, dass ein Wort miss- oder nicht verstanden wird. 2. In dem fremden Dialekt kommen Ausdrücke vor, die im eigenen Dialekt bzw. in der Standardsprache nicht existieren. Zur Illustrierung mögen folgende Beispiele dienen: Zu 1.: Eine Hunsrückerin, die ein Wohngebäude mit Hous bezeichnet, wird auf ihrer Urlaubsreise an den Bodensee erstaunt feststellen, dass dort die Einheimischen Huus sagen. Ein Ludwigshafener, der das Wort Käse Kees ausspricht, könnte irritiert sein, wenn ein Trierer behauptet, er esse am liebsten Kiis. Der in einer Weinstube an der Ahr sitzende Mainzer wird sich fragen, ob das, was ihm als Weng (‘Wein’) serviert wird, tatsächlich sein Wõĩ ist. Die lautlichen Differenzen, die nicht nur über große Distanzen, sondern häufig auch von Ort zu Ort festzustellen sind, geben mitunter Anlass zu Sprachspott zwischen Nachbargemeinden. So werden beispielsweise die Bewohner des nordpfälzischen Dorfes Alsenz von den Nachbarorten mit dem Necknamen Pinnich belegt wegen ihrer abweichenden und somit auffälligen Aussprache des Wortes Pfennig, das ansonsten in der Nordpfalz Pennich oder Penning lautet. Zu 2.: Die am Bodensee weilende Hunsrückerin wird stutzen, wenn ihr das Wort Zinstag begegnet. Sie wird lernen müssen, dass es ‘Dienstag’ bedeutet. Ein im Essen wählerischer Mensch wird in Trier als glott bezeichnet. Pfälzern ist dieses Wort fremd. Sie sagen stattdessen – je nach Herkunft – schnääkich, schneekich oder schnaakich.

Neben diesen beiden sehr ohrenfälligen Kategorien der Differenzen ist noch eine dritte zu nennen, die in der Regel kaum wahrgenommen wird, nämlich die der Lücken im Wortschatz. Obwohl unsere Standardsprache und die Dialekte recht umfangreiche Wortinventare haben (der in den Wörterbüchern des Standarddeutschen verzeichnete Wortbestand beläuft sich auf 150.000 bis 180.000 Wörter), gibt es nicht für alles eine Bezeichnung. Hierzu ein Beispiel: Das Senken und Heben des Kopfes heißt nicken. Für die analoge Bewegung des Kopfes zur Seite gibt es hingegen kein Wort im Deutschen.

Karte 82: heiß. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 188.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Die Karte zeigt die areale Verbreitung einer Wortschatzlücke in unserem Dialektgebiet am Beispiel von heiß. Im westlichen Teil des Moselfränkischen gibt es dieses Wort nicht. Man sagt dort stattdessen warm (dialektal: worm, waam usw.), auch wenn heiß gemeint ist, oder glütig (dialektal: gliidich, gleedich usw.), also z. B. (hier in standarddeutscher Form): Die Suppe ist glütig statt: Die Suppe ist heiß. Glütig hat in diesem Areal neben ‘glühend’ also auch die Bedeutung ‘heiß’. Außerhalb des Westmoselfränkischen ist heiß als Dialektwort (hääß, heeß, haaß, hoiß usw.) neben glütig (nur in der Bedeutung ‘glühend’) und warm vorhanden. Bemerkenswerterweise weist die Wortgrenze eine relative Stabilität auf, d. h. der Sprachgebrauch der jüngeren Dialektsprecher stimmt mit dem der alten so gut wie überein.

Glütig ist ein Adjektiv (Eigenschaftswort), das aus dem Substantiv (Hauptwort) Glut abgeleitet ist. Dieses Adjektiv gibt es nicht im heutigen Standarddeutschen (dafür haben wir glühend, zum Verb (Zeitwort) glühen), aber noch bis in das 20. Jahrhundert hinein ist es zumindest im poetischen Schrifttum (meistens als glutig) nachweisbar. Auch findet es sich in alten Wörterbüchern des Deutschen.

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.