Rheinhessen

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neu

Das heutige standardsprachliche Adjektiv (Eigenschaftswort) neu ist hervorgegangen aus mittelhochdeutsch niuwe. Folgende Lautentwicklungen zum Neuhochdeutschen hin sind zu konstatieren:

1. ‑we am Wortende fällt ab.

2. Der Vokal (Selbstlaut) iu (gesprochen als langes ü) wird zu eu.

Zu 1.: Es würde zu weit in sprachhistorische Einzelheiten hineinführen, den ‑we-Abfall an dieser Stelle genauer zu erklären. Es mag hier der Hinweis genügen, dass diese Entwicklung unter bestimmten Bedingungen mehr oder weniger regulär ist: mittelhochdeutsch vrouwe wird zu neuhochdeutsch Frau, mittelhochdeutsch triuwe zu neuhochdeutsch treu usw.

Zu 2.: Der Wandel des mittelhochdeutschen Monophthongs (einfachen Vokals) iu zu dem neuhochdeutschen Diphthong (Zwielaut) eu/äu ist sprachhistorisch regulär: Mittelhochdeutsch vriunt wird zu neuhochdeutsch Freund, mittelhochdeutsch miuse zu neuhochdeutsch Mäuse usw. (Vgl. auch die Karte 11 Leute.)

Karte 38: neu. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 94.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Bei dem Wort neu ist in den Dialekten unseres Gebietes wie in der neuhochdeutschen Standardsprache die Endung ‑we durchgängig nicht vorhanden. Der Vokal zeigt verschiedene lautliche Entwicklungen. Im Norden liegt mittelhochdeutsch iu diphthongiert als öü vor: nöü; weitere Beispiele sind: Möüs mittelhochdeutsch miuse ‘Mäuse’, Föüer mittelhochdeutsch viur ‘Feuer’. Der Diphthong öü behält in den Dialekten die Rundung des Vorgängerlauts mittelhochdeutsch iu, d. h. er wird wie iu mit gerundeten Lippen gesprochen. (Das gilt auch für die Laute ü und ö. Es heißt im nördlichen Moselfränkischen büüs ‘böse’, schön ‘schön’, Stöhl ‘Stühle’ usw.) Weiter südlich wird mittelhochdeutsch iu zu ai oder äi diphthongiert: nai, näi; als weitere Beispiele sind zu nennen: Mais/Mäis ‘Mäuse’, Faier/Fäier ‘Feuer’. Die dialektalen Nachfolger des mittelhochdeutschen Vokals iu sind hier also nicht gerundet. (Auch ü und ö sind entrundet, d. h. sie werden mit gespreizten Lippen gesprochen, was i oder e ergibt, z. B. bees/biis ‘böse’, schiin/scheen ‘schön’, Stihl/Stehl ‘Stühle’.) In einem Teil der Pfalz, etwa zwischen Ludwigshafen, Speyer und Kaiserslautern, wird das a in dem Diphthong ai zu o „verdumpft“, so dass oi vorliegt: noi, Mois, Foier usw.

In das Kartenfeld ragt von Südwesten her keilförmig ein Gebiet mit ou- und au-Formen hinein: nou, nau. Daneben ist nou auf kleinen Flächen im südlichen Saarland sowie nahe Mayen belegt. Im Moselfränkischen – aber nicht nur dort, sondern z. B. auch im Hessischen und Nordthüringischen – ist in mittelhochdeutscher Zeit iu zu û geworden. Mittelhochdeutsch û wird in der neuhochdeutschen Standardsprache zu dem Diphthong au (eine analoge Entwicklung wie die von mittelhochdeutsch iu zu neuhochdeutsch eu/äu). So entspricht mittelhochdeutsch lûs, brûchen, mûs neuhochdeutsch Laus, brauchen, Maus. In den Dialekten kann û neben au auch zu ou werden (Lous, brouchen, Mous). Aus mittelhochdeutsch niuwe sind also über nûwe die dialektalen Formen nau bzw. nou entstanden. Diese Entwicklung findet sich auch bei anderen Wörtern mit historisch gleichem Ausgangsmaterial, vgl. beispielsweise Fauer/Fouer ‘Feuer’ und auch/ouch ‘euch’. Deren Arealverteilung variiert wortspezifisch. Nebenbei sei darauf hingewiesen, dass die Familiennamen Naumann und Neumann sprachlich zusammenhängen. Der erste hat seinen Ursprung dort, wo neu als nau erscheint.

Zur weiteren Entwicklung von neu in den Dialekten lässt sich auf Grund der Analyse von Sprachdaten jüngerer Sprecher Folgendes feststellen:

1. Das nau/ nou-Gebiet wird kleiner. Von Osten her breitet sich die nai-Variante aus.

2. Das noi-Areal in der Pfalz schrumpft ebenfalls zugunsten von nai. Dieser Vorgang ist bemerkenswert, denn die jüngeren Dialektsprecher halten nicht, wie man erwarten würde, an der von der Standardsprache gestützten Form noi fest, sondern schließen sich der großlandschaftlichen Variante nai an. Diese Entwicklung, die nicht nur auf neu beschränkt ist, sondern auch z. B. bei den Wörtern Leute und feucht feststellbar ist, zeigt, dass der heutige Dialektwandel keineswegs generell in Richtung Standardsprache verläuft.

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.