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stecken

Karte 70: stecken. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 164.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

In der neuhochdeutschen Standardsprache gibt es die beiden sprachgeschichtlich zusammenhängenden, nur durch einem Laut unterschiedenen Verben (Zeitwörter) stecken und stechen. Die beiden Hauptbedeutungen von stecken sind: 1. ‘sich in etwas, an einer Stelle befinden’ (Beispiel: Die Zeitung steckt im Briefkasten) und 2. ‘jemanden oder etwas irgendwohin tun’ (Beispiel: Der Zusteller steckt die Zeitung in den Briefkasten). Die Hauptbedeutung von stechen ist: ‘mit einem Spitzen Objekt treffen, zustoßen’ (Beispiel: Die Wespe sticht ihm ihn die Nase).

Im rheinfränkischen Teil unseres Gebietes kommen in den Dialekten sowohl stecken als auch stechen in den oben angegebenen Bedeutungen vor. Aber im Unterschied zur Standardsprache werden in vielen Dialekten die beiden Bedeutungen von stecken auf lautlich-grammatischer Ebene auseinandergehalten. Die Dialekte konservieren damit einen älteren Sprachzustand, der in der neuhochdeutschen Standardsprache auf Grund von Ausgleichsvorgängen nicht zum Tragen kommt. (Es würde an dieser Stelle zu weit führen, den sprachhistorischen Hintergrund zu erläutern.) Worin bestehen die lautlich-grammatischen Unterschiede? Zunächst zu stecken in der oben angegebenen ersten Bedeutung (intransitives Verb): Das e der ersten Silbe wird in den Dialekten offen, d. h. mit weit geöffnetem Mund gesprochen, also wie im Standarddeutschen. Der Laut klingt sonach wie ä. Das Partizip II (Mittelwort der Vergangenheit) lautet gestock(e) oder gestickt. Bei stecken in der zweiten Bedeutung (transitives Verb) wird das e der ersten Silbe mit geschlossenerem Mund artikuliert, d. h. Mund und Zunge nehmen eine Stellung ein wie bei der standarddeutschen Aussprache des e in Wörtern wie Steg oder Beet. Allerdings wird das auf diese Weise produzierte e in stecken kurz gesprochen. Diesen von den Sprachwissenschaftlern als kurzes geschlossenes e bezeichneten Laut gibt es in der Standardsprechsprache in betonten Silben nicht, er kommt aber, wie soeben gesehen, in den Dialekten vor. Das Partizip II lautet gesteckt mit ebendiesem kurzen geschlossenen e. In den Dialekten vollzieht sich teilweise ein Ausgleich, der die lautlich-grammatische Differenzierung aufhebt und zu Verhältnissen führt, wie sie im Standarddeutschen vorliegen.

Im Gegensatz zum Rheinfränkischen wird in den moselfränkischen Dialekten des Kartengebietes für stechen und stecken das eine Wort stechen verwendet. Es heißt also z. B. (hier ins Standarddeutsche übertragen): Pass auf, die Wespe sticht dich noch, Der Schlüssel sticht (‘steckt’) im Schloss und Der Mann sticht (‘steckt’) das Geld in die Tasche. Stechen steht also auch für stecken.

Thema der Karte ist das Wort stecken, in der zweiten Bedeutung (transitives Verb). Die Karte zeigt ein zweigeteiltes Gebiet. Östlich einer Linie westlich Saarbrücken – St. Wendel – westlich Birkenfeld – Kirn – nördlich Bingen gilt stecken, westlich davon stechen mit den lautlichen Varianten stääche, steeche, steche sowie stäache mit einem lautlich reduzierten a nach dem Hauptvokal.

Die Entwicklung in den Dialekten schlägt folgende Richtung ein: Stecken breitet sich auf Kosten von stechen aus. Vom Osten her wird stechen durch stecken frontal zurückgedrängt. Die Isoglosse verschiebt sich um einige Kilometer nach Westen. Gestützt wird diese Entwicklung offensichtlich durch die Standardsprache.

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.