Rheinhessen

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gehört

Karte 47: gehört. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 114.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Der Infinitiv (Grundform), das Präteritum (einfache Vergangenheit) und das Partizip II (Mittelwort der Vergangenheit) des Verbs (Zeitworts) hören lauten im Althochdeutschen hōren – (ih) hōrta (neuhochdeutsch (ich) hörte) – gihōrit (neuhochdeutsch gehört). Im Mittelhochdeutschen heißen die drei Formen hœren – (ich) hōrtegehōrt. Der Vergleich zwischen den althochdeutschen und mittelhochdeutschen Ausdrücken im Hinblick auf den Vokal (Selbstlaut) im Wortstamm zeigt, dass beim Infinitiv ein Lautwandel stattgefunden hat. Althochdeutsch hōren entspricht im Mittelhochdeutschen hœren. Bei den anderen Verbformen hat sich, wie man sieht, der Stammvokal nicht verändert. Von dem Wandel althochdeutsch ō zu mittelhochdeutsch œ sind weitere Wörter betroffen, z. B. althochdeutsch scōni, das im Mittelhochdeutschen zu schœn(e) ‘schön’ wird.

Parallel zu der Entwicklung von althochdeutsch ō zu mittelhochdeutsch œ tritt die von althochdeutsch kurz o zu mittelhochdeutsch ö ein, z. B. althochdeutsch olimittelhochdeutsch öle ‘Öl’. Analoge Entwicklungen zeigen auch die althochdeutschen Vokale a/ā sowie u/ū, die in der neuhochdeutschen Standardsprache als e/ä bzw. ü/äu erscheinen, z. B. althochdeutsch kāsineuhochdeutsch Käse, althochdeutsch ubilneuhochdeutsch übel, althochdeutsch hūsirneuhochdeutsch Häuser. Der Umlaut genannte Sprachwandel, der bis in das Althochdeutsche zurückreicht, ist nicht generell, sondern unter der Bedingung eingetreten, dass in der Folgesilbe i, ī oder j vorkam (vgl. oben althochdeutsch ōli, kasi, ubil, hūsir). Im Falle von hören lag der den Umlaut bedingende Faktor nur im Infinitiv vor, nicht aber im Präteritum und Partizip II. Aus diesem Grund heißt es im Mittelhochdeutschen zwar hœren, aber hōrte, gehōrt. In der neuhochdeutschen Standardsprache ist die lautliche Differenz durch Ausgleich beseitigt. Alle drei Formen weisen den gleichen Stammvokal auf: hörenhörtegehört.

Ein Teil der Dialekte des Kartenfeldes bewahrt den Zustand des Mittelhochdeutschen, also Umlaut im Infinitiv (z. B. hüre, here) aber kein Umlaut, vom Sprachwissenschaftler Rückumlaut genannt, im Partizip II. (Das Präteritum ist in den hier behandelten Dialekten in der Regel nicht gebräuchlich.) Die Karte zeigt im Moselfränkischen Formen ohne Umlaut, z. B. gehoat. Häufig wird o zu u, so dass es gehuat heißt, vgl. auch Rus ‘Rose’, Nut ‘Not’ usw. Im Norden des Gebietes, wo g am Wortanfang zu j wird, lautet der Beleg jehuat. (Zum Verlauf der j/g-Grenze vgl. die Karte 49 gebacken.) Im Großraum Koblenz, an der Mittelmosel sowie im Rheinfränkischen liegen Varianten mit Umlaut vor. Die Dialekte zeigen somit eine formale Übereinstimmung mit der Standardsprache, die Umlaut sowohl im Infinitiv als auch im Partizip II (und Präteritum) aufweist. Nördlich von Koblenz, wo die Umlautvokale ü und ö mit gerundeten Lippen gesprochen werden, heißt es jehüat. Der Vokal ö ist zu ü geworden, was für das Moselfränkische charakteristisch ist, vgl. z. B. Flüh ‘Flöhe’, büüs ‘böse’. Im größten Teil des Kartengebietes werden die Umlaute ü und ö zu i bzw. e entrundet, vgl. z. B. Hiit ‘Hüte’, bees ‘böse’. Infolgedessen lauten die Belege geheat, selten auch gehiat. (Zum Verlauf der Grenze zwischen gerundeten und entrundeten Umlauten vgl. die Karte 38 neu.)

Rückumlaut in unserem Gebiet liegt auch bei anderen Verben vor, wobei dessen areale Verteilung von Wort zu Wort differiert. Als Beispiele seien genannt: stellengestallt, hite (‘hüten’) – gehut, zälle (‘zählen’) – jezallt. In der neuhochdeutschen Standardsprache ist der Rückumlaut nicht durchgängig beseitigt. Die Verben mit ‑nn- und ‑nd- weisen ihn (noch) auf, z. B. rennenranntegerannt, sendensandtegesandt. Doch bei ‑nd- gibt es bereits Doppelformen: Präteritum: sandtesendete.

An der unteren Saar wurde der abgefragte Satz Er hat die Glocke nicht gehört von den Gewährspersonen nicht mit Partizip II, sondern mit Infinitiv gebildet. Ins Standarddeutsche übertragen, lautet der realisierte Satz: Er hat die Glocke nicht hören.

Die beiden Areale mit Umlautformen im Rückumlautgebiet lassen sich folgendermaßen erklären: In der Koblenzer Gegend scheint in erster Linie stadtsprachlicher Einfluss auf das Umland für die Beseitigung des Rückumlauts verantwortlich zu sein. Die Insel mit Umlaut an der Mittelmosel ist möglicherweise mit der intensiven touristischen Nutzung dieses Gebiets in Zusammenhang zu bringen. Der rege sprachliche Verkehr mit Fremden führte zum Ersatz der standardferneren Formen gehuat/gehoat durch die standardnähere geheat im Dialekt. (Vgl. auch die Karte 75 Strümpfe.)

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.