Rheinhessen

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Langwiede

Karte 67a: Langwiede. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 156.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Durch den technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat sich auch die Sachkultur der ländlich-bäuerlichen Sphäre stark verändert. Alte, überwiegend manuell und mit mehr oder minder großem menschlichem oder tierischem Kraftaufwand zu handhabende Geräte wurden durch moderne, mechanisierte Arbeitsmittel ersetzt oder verdrängt. Mit den alten Gerätschaften gingen, wenn nicht immer ihre Bezeichnungen, so doch zumindest die ihrer Funktionsteile unter, weil keine Bezeichnungsnotwendigkeit mehr bestand (z. B. bei Reparaturen und der Beschaffung von Ersatzteilen). Den hölzernen, vierrädrigen, von Tieren gezogenen Bauernwagen kennt man heutzutage nur noch aus volkskundlichen Museen. Er verschwand in Deutschland in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts aus der bäuerlichen Arbeitswelt. Seine Teile vermag heute außer alten Landwirten kaum noch jemand zu benennen. Ausdrücke wie Leuchse, Runge (das sind verschiedene Stützen am Wagen) oder Langwiede (das ist die lange Holzstange, die Vorder- und Hinterwagen verbindet) sind aus dem bäuerlichen Fachwortschatz so gut wie getilgt und als archaisch zu bewerten.

Der Dialektatlas thematisiert den bereits erwähnten Ausdruck Langwiede als Exempel für ein archaisches Wort aus dem landwirtschaftlichen Bereich. Da das Kartenstichwort in unserem Dialektraum etliche Wortvarianten in jeweils mehreren verschiedenen lautlichen Ausprägungen aufweist, erfolgt die Darstellung des sprachgeographischen Befundes aus Platzgründen auf zwei Karten. Die Karte 67a zeigt die areale Verteilung der Wortvarianten in hochtypisierter Schreibung. Die Karte 67b [...] liefert die Dialektbelege, wobei aus Gründen der Übersichtlichkeit nur die häufiger vertretenen aufgeführt werden.

Karte 67b: Langwiede. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 158.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Allen Varianten gemeinsam ist der erste Bestandteil der stets aus zwei Komponenten zusammengesetzten Wörter. Er lautet Lang- oder Läng-. Dieser Wortteil bezieht sich zweifellos auf die Form des Gegenstandes, der eine lange Holzstange ist, mit der das vordere und hintere Fahrgestell verbunden wird. Der Vokal (Selbstlaut) a in Lang- ist in der Westeifel sowie an der Obermosel gedehnt: Laang-. Das g wird (auch als k) gesprochen zwischen Untermosel und Ahr, westlich einer Linie Saarbrücken – Birkenfeld – Zell – Daun – Prüm sowie östlich einer Linie Speyer – Neustadt/ Weinstraße – südlich Worms: Langg-, Langk-.

Dem zweiten Wortbestandteil liegen unterschiedliche sprachliche Einheiten zugrunde. Im Norden des Gebiets wird die Langwiede mit dem Ausdruck Längbaum (dialektal: Längboom) bezeichnet. Dieses Wort ist mit der Variante Langbaum auch im westlichen und nördlichen Saarland sowie in Teilen des westlichen Hunsrücks bis zur Mosel belegt. Die Dialektformen sind u. a.: Langbaam, Längkbaam und Längkbeem. Der zweiten Wortkomponente ‑baum liegt hier die Bedeutung ‘Stange’, ‘Balken’ zugrunde, die sich auch in der neuhochdeutschen Standardsprache z. B. in Schlagbaum findet.

Die nördliche Osteifel hat den Ausdruck Langrute (dialektal.: Langkroot usw.) Im Gegensatz zur Standardsprache, in der Rute nur im Sinne von ‘Gerte’, ‘langer, dünner, gerader Zweig’ verwendet wird, gibt es in den Dialekten die Zweitbedeutung ‘Stange’. Die Wortvariante Langert ist in der südlichen Osteifel sowie im südöstlichen Hunsrück, westlichen Rheinhessen und in der Nordpfalz verbreitet. Längert haben die Westpfalz sowie das südliche und östliche Saarland.

Nördlich von Saarbrücken ist in einigen Orten Längke(r) belegt. Die dialektalen Formen sind: Langget, Longget, Länggat, Längge usw. Der Wortteil ‑gert scheint aus Gerte, Grat abgeleitet zu sein.

Im nördlichen Teil der von der Karte erfassten Westeifel sowie im östlichen Hunsrück liegen Langfahrt und Langfurt vor (dialektal z. B.: Langfort, Langfaat, Langfuat, Langfòat). Südlich Kirn ist in einem kleinen Areal auch Längfurt (dialektal: Längfott usw.) belegt. Die Herkunft des zweiten Wortteils ist noch nicht geklärt. Im südlichen Teil der Westeifel, an der Obermosel und im Hunsrück zwischen Bernkastel-Kues und Birkenfeld ist Langhabe verbreitet. Um Birkenfeld hat die erste Wortkomponente Umlaut: Länghabe. Zwischen Prüm und Bitburg tritt die Variante Langrabe auf. Das Rheinische Wörterbuch (Band V, Sp. 99–100) ordnet diese Form Langhabe zu, ohne die Herkunft des r zu erklären. Die Dialektbelege lauten z. B.: Langkhuff, Langguff, Längguff, Laangkhoof, Langgef, Laangkroof, Laangroff. Der Wortteil ‑habe geht möglicherweise auf das mittelhochdeutsche Substantiv (Hauptwort) habe zurück, das neben ‘Besitz’, ‘Eigentum’ die Bedeutung ‘Stütze’, ‘Halt’, ‘Griff’ hat. Habe in dem zweiten Sinne liegt im heutigen Standarddeutschen in dem Wort Handhabe vor.

Wie entstehen aus ‑habe die Formen ‑huff, ‑hoof, ‑uff, ef usw.? Zunächst zum Hauchlaut h: Dieser kann in den Dialekten bei zusammengesetzten Wörtern nach einem Konsonanten (Mitlaut) ausfallen. Man denke z. B. an das Wort Backes ‘Backhaus’ (vgl. Karte 42) oder an die Ortsnamen, die auf ‑heim enden. In den Dialekten wird ‑heim zu ‑em gekürzt, so z. B. bei Marem für Marnheim, Lamsem für Lambsheim. Der Vokal a in ‑habe „verdumpft“ zu o und entwickelt sich dann mitunter weiter zu u. Für diese Lautveränderungen gibt es weitere Beispiele: Die Nase heißt im linksrheinischen Rheinland-Pfalz überwiegend Nòòs, der Hammer heißt Hommer, Hòòmer, an der Obermosel und unteren Saar Hummer, zwischen Bitburg und Trier Huumer. Da der zweite Teil von Langhabe keine Betonung hat – diese liegt auf Lang- – kann der Vokal a zu dem Murmelvokal e reduziert werden, was Formen wie Langgef ergibt. Eine solche Entwicklung ist in den Dialekten durchaus gängig, vgl. etwa Bagges ‘Backhaus’ sowie Arwet ‘Arbeit’ usw. Westlich einer Linie etwa Saarbrücken – Birkenfeld – St. Goar wird ein am Wortende stehendes b zu f (oder w), vgl. z. B. Korf ‘Korb’, Laaf ‘Laub’ und lief ‘lieb’ (vgl. Karte 8). Da e am Wortende abfällt – vgl. z. B. Schul ‘Schule’, Katz ‘Katze’ –, rückt das b in ‑habe in die Endposition und wird zu f.

In der Pfalz östlich einer Linie Pirmasens – Kaiserslautern – Worms ist die mit dem Standarddeutschen konvergierende Wortvariante Langwiede verbreitet. In den Dialekten lautet sie Longwitt, Longgwitt usw. Der zweite Wortteil geht auf den mittelhochdeutschen Ausdruck wit(e) mit der Bedeutung ‘Holz’ zurück. Das Wort ist im Laufe der Sprachgeschichte untergegangen. Im Langwiede-Gebiet ist etliche Male Langmitte (dialektal: Longmitt usw.) belegt. Als ‑wiede in Langwiede von den Sprechern nicht mehr gedeutet werden konnte – das Wort war ja, wie soeben erwähnt, aus dem Wortschatz verschwunden – wurde von der Sprachgemeinschaft der ähnlich klingende Ausdruck Langmitte gebildet in Anlehnung an Mitte, weil der Holzbalken mitten durch den Wagen verläuft. Wortschöpfungen dieser Art bezeichnet man in der Sprachwissenschaft als volksetymologische Umdeutungen.

Nördlich des Langwiede-Gebietes liegt ein Mischgebiet vor, in dem drei Wortvarianten nebeneinander existieren: Langwiede, Langmitte und Langmicke. Bei Langmicke (dialektal: Longmick usw.) handelt es sich wie bei Langmitte um eine volksetymologische Bildung. Die Umdeutung nimmt Bezug auf das Dialektwort Mick, das die Wagenbremse bezeichnet, die mit der Langwiede am Hinterwagen verbunden ist. Der Ausdruck Mick ist eine Verkürzung des Wortes Mechanik.

Die Variante Längel südlich von Birkenfeld lässt sich nicht zweifelsfrei deuten. Vielleicht liegt hier eine Kombination von lang mit dem Wortbildungselement ‑el vor. Dieses dient zur Bildung von Wörtern, die ein Gerät oder ein Mittel bezeichnen. Ausdrücke wie Hebel, Schlegel und Stachel, gebildet zu heben, schlagen bzw. stechen, sind nach diesem Muster geformt.

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.