0.Neues vom Laubenheimer Ried
[Anm. 1]
1.1.Laubenheimer Störche
Der Storch oder genauer Ciconia ciconia, der Weißstorch als „Wappentier“ der Laubenheimer 1250-Jahrfeier ist alles andere als selbstverständlich; galt er doch im vergangenen Berichtszeitraum der Chronik (1973–1988) und noch bis weit in die 90er Jahre in ganz Rheinland-Pfalz als ausgestorben. Erst das steigende Umweltbewusstsein in der Gesellschaft sei Anfang der 80er Jahre führte mit der Bereitstellung geeigneter Lebensräume mit entsprechenden Nahrungsquellen schließlich zur Rückkehr von „Adebar“. Wiederansiedlungsprojekte in der Süd- und Vorderpfalz (Interessengemeinschaft Queichwiesen zusammen mit der Aktion PfalzStorch) [Anm. 2] waren seit 1994 so erfolgreich, dass eine Ausstrahlung den Rhein entlang nach Norden ganz von alleine stattfand, vorausgesetzt, den Weißstörchen werden attraktive ökologische Bedingungen angeboten. Mit der Vergrößerung des Naturschutzgebiets „Laubenheimer-Bodenheimer Ried“ von 71 auf 180 Hektar im Jahre 1998 gelingt genau das.
Seit 2001, als zunächst nur ein einziges Storchenpaar in Laubenheim vorbeischaute, hat sich eine stabile Population entwickelt, mit inzwischen 32 potenziellen Horstplätzen (2022), von denen bis zu 21 jedes Jahr zur Aufzucht von Nachwuchs genutzt werden (Abb. 1). [Anm. 3]
Eine wahrscheinlich schon weltweit bekannte Besonderheit der Laubenheimer Störche ist ihre Vorliebe für 50 Meter hohe 110-kV-Starkstrommasten. An Horststandorten auf den Traversen, wo ein Nestaufbau sehr nahe an die Isolationskörper heranreichen würde, montierten die Mainzer Netze glänzende „Windräder“ zur Ansiedlungsabwehr. Überhängendes oder herabfallendes Nistmaterial, das stromführende Leitungsteile berührt, kann zu Stromüberschlägen mit schwerwiegenden Folgen nicht nur für die Störche, sondern für die Energiesicherheit im gesamten Rhein-Main-Gebiet führen. [Anm. 4] Von durchgehen dem Erfolg in dieser Sache kann allerdings noch nicht gesprochen werden, weil es den Adebaren immer wieder gelingt, die Funktion der „Nudelsieb-Karussells“, wie sie im Laubenheimer Volksmund heißen, durch gewitzte Nestbauarchitektur außer Kraft zu setzen.
Eine weitere bemerkenswerte Besonderheit „unserer“ Weißstörche ist ihre nahrungsökologische Vorliebe für Mäuse und Regenwürmer, während die in der Volksmeinung verankerten Frösche als Storchenmahlzeit nachgerade verschmäht werden. In der Brutzeit muss jedes Elterntier für sich selbst und einen Durchschnittsnachwuchs von zwei Jungen rund 8.850 Kilojoule Nahrungsenergie heranschaffen; im Klartext 1.100 Regenwürmer oder 25 Feldmäuse, bzw. eine Mischung aus diesen beiden Nahrungsquellen, und zwar pro Tag. [Anm. 5]
1.1.Laubenheimer Ried
Ein Blick auf weitere Attraktionen der Tier- und Pflanzenwelt der Landschafts- und Naturschutzgebiete in der Laubenheimer Gemarkung zeigt deren Vielfältigkeit.
Die Unterschutzstellung (s.o.), die, gestützt auf die europäische Natura-2000-Richtlinie, im Jahr 2010 ein nochmals verschärftes Schutzund Pflegeregime für 72 der 180 ha vorsah, richtete ihr Augenmerk besonders auf die reichhaltige und bedrohte Vogelwelt der Gewässer und Röhrichte. Gefährdete Arten wie Blaukehlchen, Eisvogel, Rohrsänger, Rohrweihe, Tüpfelsumpfhuhn und Zwergdommel sind auf diese Lebensräume angewiesen und finden sich teilweise landesweit nur noch im Oberrheingraben. [Anm. 6] Eine gute Nachricht kann vor allem für den Eisvogel vermeldet werden. Er gilt seit einigen Jahren nicht mehr als gefährdet. Damit er aber weiterhin die „Rote Liste“ verlassen kann, gilt er naturschutzrechtlich gleichwohl als streng geschützte Art, deren Lebensraum, wie unser Laubenheimer Ried, mit speziellen Erhaltungsmaßnahmen gepflegt werden muss. [Anm. 7]
Als besonders erwähnenswert, nicht zuletzt deshalb, weil im allgemeinen Umwelt- und Naturschutzbewusstsein (noch) nicht so recht angekommen, muss die Haarstrangwurzeleule, Gortyna borelii, genannt werden (Abb. 2), ein Schmetterling, der allerdings „zu den europaweit am stärksten gefährdeten Eulenfaltern“ gehört, wie es im Natura-2000-„Steckbrief “ des Landschaftsinformationssystems der Umweltverwaltung von 2013 heißt. Sie kommt nur noch an zwei weiteren kleinräumigen Stellen in Rheinland-Pfalz überhaupt vor. [Anm. 8]
Ein weiteres von der Allgemeinheit kaum beachtetes Kleinod in unserer Gemarkung sind die seit 2006 in mehreren wissenschaftlichen Studien untersuchten Libellen. Nicht weniger als 39 Arten konnten inzwischen nachgewiesen werden, wobei 25 von ihnen als gesichert „bodenständig“ eingestuft werden konnten. [Anm. 9]
Nach so viel Tierkunde sei abschließend ein beispielhafter Einblick in die Pflanzenwelt des Laubenheimer-Bodenheimer Rieds gegeben: Mehr als 630 Gefäßpflanzenarten wurden in diesem Gebiet festgestellt. In den Flutrinnen befinden sich sehr artenreiche Stromtalwiesen mit zahlreichen floristischen Besonderheiten wie Brenndolde (Cnidium dubium), Kantiger Lauch (Allium angulosum), Spießblättriges Helmkraut (Scutellaria hastifolia), Färber-Scharte (Serratula tinctoria) und Sumpf-Wolfsmilch (Euphorbia palustris). Die Vorkommen der bundesweit seltenen Brenndolden- und Pfeifengraswiesen sind aufgrund ihrer lehrbuchhaften Ausbildung von hoher Bedeutung. Sie erreichen hier die Westgrenze ihrer Verbreitung. Arten wie Lungen-Enzian (Gentiana pneumonanthe), Sibirische Schwertlilie (Iris sibirica) und Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris) sind in den heute nur noch in kleinflächigen Resten vorhandenen Pfeifen graswiesen jedoch verschollen. Das Auftreten zahlreicher Salzpflanzen (Halophyten), vor allem entlang von Wegrändern, ist einmalig in Rheinland-Pfalz. Nicht versäumen sollte man, das Gnadenkraut (Gratiola officinalis) oder den Echten Eibisch (Althaea officinalis) blühend zu erleben.
Auf den Hochwasserdämmen wachsen Stromtal-Halbtrockenrasen mit Massenvorkommen der blaublühenden Sumpfwiesen-Schwertlilie (Iris spuria), die bundesweit nur in Rheinhessen zu finden ist und hier ihr bedeutendstes Vorkommen hat. [Anm. 10] Die Möglichkeit, die Laubenheimer Naturschätze durch kleine Wanderungen und Spaziergänge unmittelbar zu erleben, hat leider ihre Schattenseite in Gestalt von hinterlassenen Abfällen selbst an sensiblen streng geschützten Biotopen. Zusätzlich zu den bedauernswerterweise nicht ausreichenden Maßnahmen von städtischen Behörden hat sich im Jahre 2011 ein „Laubenheimer Umwelteam“ gegründet, das in den vergangenen 11 Jahren in 4.317 ehrenamtlichen Einsatzstunden 51,2 Tonnen Müll aus der Gemarkung aufgesammelt und ordnungsgemäß entsorgt hat.
Anmerkungen:
- Für wertvolle fachliche Anregungen und Kritik danke ich Frau Ingrid Dorner (NABU LAG-Weißstorchschutz Rheinland-Pfalz) und Herrn Robert Egeling (NABU-Zentrum Rheinauen). Zurück
- Berthold Feldmann: Chronologie und Dokumentation zur Wiederansiedlung des Weißstorches in der Pfalz, insbesondere deren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit durch die Medien unter Berücksichtigung der „Aktion PfalzStorch“. 2021, https://pfalzstorch.de/wp-content/uploads/2021/03/ FELDMANN-Presseberichte.pdf. Zurück
- Tobias Keienburg (Hg.): Weißstorcherfassung. https://www.weissstorcherfassung.de/karte_iframe.php?bl=rp, Abruf 15.1.2023. Zurück
- Mainzer Netze (Hg.): Tier- und Umweltschutz in der Region. Störche auf unserem Hochspannungsmast. 2023, https://www.mainzer-netze.de/ueber-uns/nachhaltigkeit/tier-und-umweltschutz. Zurück
- Böhning-Gaese, Katrin: Zur Nahrungsökologie des Weißstorchs (Ciconia ciconia) in Oberschwaben: Beobachtungen an zwei Paaren. In: Journal für Ornithologie 133 (1992), S. 61–71, https://www.springer.com/journal/10336. Zurück
- Landeshauptstadt Mainz (Hg.): Laubenheimer-Bodenheimer Ried. https://mainz.de/leben-und-arbeit/umwelt/laubenheimer-bodenheimer-ried.php, Abruf 15.1.2023. Zurück
- Der Eisvogel kann außer im Laubenheimer Ried auch am Rheinufer-Radweg zwischen Zementwerk und der Eisenbahnbrücke und im Volkspark angetroffen werden, bzw. praktisch im gesamten Mainzer Stadtgebiet (sofern ein Kleinteich mit 7 cm großen Fischchen in der Nähe ist). POLLICHIA – Verein für Naturforschung und Landespflege e.V. (Hg.): Vögel in und um Rheinland-Pfalz. https://arteninfo.net/elearning/voegel/speciesportrait/3034; naturgucker.de gemeinnützige eG (Hg.): https://nabu-naturgucker.de/natur.dll/9Cbsq24~DLo9G4HpJGNhGw30neu/, Abruf 15.1.2023. Zurück
- Landesamt für Umwelt (Hg.): Auflistung der Arten-Steckbriefe der im FFH-Gebiet „NSG Laubenheimer- Bodenheimer Ried“ vorhandenen FFH-Arten. 2012, https://map-final.rlp-umwelt.de/docs_kartendienste/BWP_2012_13_S/BWP_2012_13_S_Fachplan_Anlagen_Arten-Steckbriefe.pdf; Landschaftsinformationssystem der Naturschutzverwaltung. Steckbrief zur Art 4035 der FFH-Richtlinie. Stand 28.10.2014, https://natura2000-bwp-sb.naturschutz.rlp.de/steckbrief_arten.php?sba_code=4035 Zurück
- Geisinger, Christina; Koch, Kamilla: Vergleich der Libellenfauna (Odonate) im Naturschutzgebiet Laubenheimer-Bodenheimer Ried in Mainz von 2006 bis 2014. In: Mainzer naturwissenschaftliches Archiv 52 (2015) S. 167–177. Zurück
- Landschaftsinformationssystem der Naturschutzverwaltung. Steckbrief zum FFH-Gebiet. 6015-301 – NSG Laubenheimer-Bodenheimer Ried. Stand 21.09.2017, https://natura2000.rlp-umwelt.de/n2000-sb-bwp/steckbrief_gebiete.php?sbg_pk=FFH6015-301. Zurück