Rheinhessen

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Kirchweih

Karte 79: Kirchweih. Drenda, Georg: Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, S. 182.[Bild: Georg Drenda (IGL)]

Die im jährlichen Turnus stattfindenden Kirchweihfeste, deren Anfänge bis in das frühe Mittelalter zurückgehen, wurden ursprünglich zur Erinnerung an die Weihe der örtlichen Kirche abgehalten. Im Laufe der Zeit mutierten sie zumindest in Westdeutschland zu rein weltlichen Veranstaltungen mit exponierter Stellung im Jahresfestkreis. Um die Kirchweih, die in der Regel mehrere Tage lang gefeiert wird, hat sich ein typisches Brauchtum entwickelt (geschmückter Baum, Umzug, Tanzveranstaltung usw.), das teilweise bis heute gepflegt wird.

Die Kirchweih wird in den Dialekten unseres Gebietes Kirmes oder Kirbe genannt. Östlich einer Linie Saarlouis – St. Goar kommt Kirbe vor, westlich von ihr Kirmes. Der Ausdruck Kirmes (dialektal: Kirmes, Kiames, Kermes, Keames usw.) geht zurück auf das mittelhochdeutsche Wort kirchmesse, das auch mit ch-Ausfall bezeugt ist: kirmesse. Es ist wahrscheinlich – lässt sich allerdings nicht belegen –, dass mittelhochdeutsch kir(ch)messe die Verkürzung einer Vollform ist, die neuhochdeutsch standardsprachlich Kirchweihmesse lauten müsste. Die ursprüngliche Bedeutung von Kirmes ist dem­nach ‘Gottesdienst am Kirchweihtag’. Sie entwickelt sich weiter über ‘Erinnerungsfest am Jahrestag der Kirchweihe’ bis zu ‘Volksfest’, ‘Jahrmarkt’.

Im Kirbe-Gebiet treten drei lautliche Variantentypen auf: 1. Kiireb, Kiab, Keereb, Kerb usw. (mit ‑b am Wortende), 2. Kirwe, Kerwe, Kääwe usw. (mit ‑we am Wortende) und 3. Kirw, Kerew, Kirf usw. (mit ‑w oder ‑f am Wortende). Den drei Typen liegt jeweils das Wort Kirchweih zugrunde. Wie kommt es zu den unterschiedlichen Lautentwicklungen? Das mittelhochdeutsche Wort lautet kirchwîhe. Daneben gibt es die Variante kirwîhe mit ausgefallenem ch. Da der zweite Wortbestandteil unbetont ist, kann ‑wîhe zu ‑we abgeschwächt werden. Es entsteht kirwe. Diese Entwicklung ist bereits für das Mittelhochdeutsche belegt. (Abschwächung von unbetonten Silben liegt in den Dialekten auch in anderen Fällen vor, vgl. z. B. Bagges ‘Backhaus’ (Karte 42) und Arwet ‘Arbeit’.) Formen auf ‑we (Kirwe usw.) (Typ 2) finden sich im südöstlichen Teil des Kartenausschnitts. Die Entwicklung von i zu e oder ä vor r (Kerwe usw.) ist vor allem in den rheinhessischen und pfälzischen Dialekten üblich (vgl. auch Kersch/Käsch ‘Kirsche’, Wert/Wätt ‘Wirt’ usw.).

Die Varianten Kiireb, Kiab usw. (Typ 1) stellen eine Weiterentwicklung von Kirwe usw. (Typ 2) dar. Durch den Abfall von e gerät w an das Ende des Wortes, wo es zu b verändert wird. Denkbar ist aber auch eine andere Abfolge der Lautentwicklungen. Da im Mittelhochdeutschen bereits kirbe bezeugt ist, kann der Wandel von w zu b auch vor der e-Abstoßung eingetreten sein. Die Entwicklung von ‑we(‑) zu ‑be(‑) nach r oder l ist ein regulärer sprachhistorischer Vorgang, der bereits im Mittelhochdeutschen einsetzt; Beispiele: mittelhochdeutsch farwe wird zu neuhochdeutsch Farbe, mittelhochdeutsch swalwe zu neuhochdeutsch Schwalbe. (Vgl. auch Karte 56 barfuß.)

Die Varianten Kirw, Kirf usw. (Typ 3) kommen im Saarland vor. Sie fallen in das westlich einer Linie etwa Saarlouis – Birkenfeld – Zell – St. Goar liegende Großareal, in dem ein am Wortende stehendes b zu f oder w wird; Beispiele: lief/läiw ‘lieb’ (vgl. Karte 8), daaf/dääw ‘taub’, Korf/Korw ‘ Korb’ usw.

Der in der Karte dokumentierte Befund basiert auf den Anfang bis Mitte der 1980er Jahre erhobenen Mittelrheinischen Sprachatlas-Sprachdaten alter Dialektsprecher. Die damals durchgeführte Befragung Dreißig- bis Vierzigjähriger zeigt eine interessante Veränderung: Die saarländischen Varianten mit f/w am Wortende (Kirw usw.) werden bis auf zwei Ausnahmen aufgegeben. Die jüngeren Dialektsprecher schließen sich dem Nachbargebiet mit b am Wortende (Kerb usw.) an. Die übrigen Isoglossen bleiben im intergenerationellen Vergleich stabil.

Literaturverzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur finden Sie hier (Literaturverzeichnis).

Hinweise zu den Karten

Lesen Sie hier Hinweise des Autors zum besseren Verständnis der Atlaskarten.

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland. Stuttgart.

Zitierhinweis

[Begriff] (Kartennummer), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, < URL >, abgerufen am TT.MM.JJJJ.

z.B.: suchen (Karte 37), in: Georg Drenda (2008): Kleiner linksrheinischer Dialektatlas. Sprache in Rheinland-Pfalz und im Saarland, digitalisierte Version auf Regionalgeschichte.net, <https://www.regionalgeschichte.net/rheinhessen/sprache/dialektatlas-rlp-saar/begriffe-dialektatlas-rlp-saar/lautkarten/suchen.html>, abgerufen am 01.01.2022.