Rheinhessen

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Karte 27.1 ‘Maulwurf’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 134. [Bild: Georg Drenda (IGL)]

Maulwurf

Bereits das Althochdeutsche weist etliche Varianten für das Wort neuhochdeutsch Maulwurf auf, z. B.: moltwerf(o), mūwerf(o), mūlwerf und mūwurf. Lexers Mittelhoch­deut­sches Wörterbuch (II, 2195) nennt als Hauptvariante moltwerf(e) und gibt des weiteren an: mūlwerf, mūlwurf, mūrwerf, mūwerf, mūlwelf usw. Durch diesen frühen Variantenreichtum ist es kaum möglich, die Ausgangs­form des Wortes zu eruieren. Für das Erstglied wird angenommen, dass am Anfang althochdeutsch - stand, also etwa der Ausdruck althochdeutsch mūwerfo. Das Element ent­spricht altenglisch mūwa, mūha, mūga ‘Kornhaufen’ sowie altnordisch múgi, múgr ‘Hügel, Haufen’. Der Maulwurf ist demnach ursprünglich ‘der Hau­fenwer­fer’. Als mu als Einzelwort im Althochdeutschen unterging und das Vorderglied in dem zusammengesetzten Wort nicht mehr verständlich war, wurde es volks­ety­mologisch verschiedentlich umgedeutet. Bei Zusammensetzungen wie althochdeutsch moltwerf(o) erfolgte Anlehnung an althochdeutsch molta ‘Staub, Erde’. Maulwurf wurde also als ‘Erdwerfer’ reinterpretiert. Mit der Umdeutung zu mittelhochdeutsch mūl- oder mūr- (z. B. mūlwurf, mūrwerf) wurde an ‘Maul’ bzw. ‘Mauer’ ange­knüpft. Im ersten Fall, der das Kompositum neuhochdeutsch Maulwurf ergab, wird der Säuger fälschlicherweise als ‘Tier, das mit dem Maul die Erde aufwirft’ auf­gefasst. Im zweiten Fall, der zu dem Dialektwort Mauerwolf geführt hat – zur Entwicklung von ‑wurf zu ‑wolf s. unten –, ist zu Mauer kein Sachbezug gegeben. Volksetymologische Umdeutungen orientieren sich nicht primär an real-objektiven Gegebenheiten – das zeigt auch Maulwurf –, sondern sind lautlich motiviert.

Das Erstglied der im Untersuchungsgebiet vertretenen Komposita wird gebildet mit einem der folgenden Ausdrücke: 1. Maul- (z. B. Maulwurf, Maulwelwer, Maulwühler), 2. Mauer- (z. B. Mauerwolf) und 3. Mol(d)‑, Mod- (aus althochdeutsch molta, s. o.) (z. B. Moldruff, Modruff, Molprobb). Die For­men Mol- und Mod- stellen lautliche Vereinfachungen von Mold- dar. Die Zusammensetzung Mauwolf, die auch die Karte des Pf. Wb. (IV, 1241-1242) etliche Male belegt, findet sich beim Übergang vom Mauerwolf- zum Maulwolf-Areal. Vielleicht hat im Grenzgebiet Unsicherheit über die sprachliche Norm zur Reduktion des Erstgliedes zum semantisch „unbe­stimmten“ Mau- geführt.

Die Zweitkomponenten der Dialektbelege gehen auf eine von dem Verb werfen abgeleitete Form zurück. Eine Ausnahme bildet Maulwühler (dialektal Maulwieler). Das Grundwort ist hier eine Nomen-Agentis-Bildung zum Verb wühlen. In diesem Fall wird das Tier nicht als ‘mit dem Maul Werfender’, sondern als ‘mit dem Maul Wühlender’ aufgefasst. Das Verb werfen aus gleichbedeutend germanisch *werp‑a- führt wohl zurück auf indogermanisch *wer- ‘drehen’. Der semantische Zusammenhang ergibt sich aus dem Bewegungs­ablauf beim Werfen, das eine drehend geschwungene Armtätigkeit voraus­setzt. Der Bezug zu werfen ist eigentlich nur in den Zusammensetzungen Maulwurf und Maulwerfler transparent. In den anderen Fällen ist er mehr oder weniger lautlich verwischt. Bei den Formen Maulwelfer und ‑welwer erfolgt beim Grundwort Liquidwechsel von ‑r- zu ‑l- (‑werfer wird zu ‑welfer). Die stimmhafte Umgebung bewirkt den Übergang von ‑f- nach ‑w- (‑welfer wird zu ‑welwer). Maulelwer entsteht durch Ausstoßung des ersten ‑w- bei Maulwelwer, wodurch sich Ausspracheerleichterung ergibt. Maul­wolwer zeigt Vokalwechsel von ‑e- zu ‑o‑, der vielleicht unter dem Einfluss von Wolf (s. u.) eintrat. Erhöhter Artikulationsdruck könnte die Ur­sache für den Wandel von ‑w- zu ‑b- in Maulwolbert sein. Die Endung ‑er ist hier zu ‑ert erweitert. Dieses Suffix ist in den pfälzischen Dialekten weit verbreitet, vgl. z. B. Lienert ‘Lügner’, Taubert ‘Täuberich’ usw. Um das Be­stim­mungswort gekürzt ist Wolbert, das in Wolberting um das Diminution aus­drückende Suffixing erweitert ist.

Das Grundwortwolf in den drei Komposita Maulwolf, Mauerwolf, Mauwolf ist offensichtlich durch volksetymologische Uminterpretation von ‑werf/‑welf entstanden. Begünstigend hat sich womöglich ausgewirkt, dass ‑welf in den Dialekten lautlich mit der Pluralform von Wolf zusammenfällt, da ö zu e entrundet ist.

Die Elemente ‑ruff und ‑roff in den arealen Varianten Moldruff, Molroff usw. sind aus ‑wurf durch Ausstoßung von ‑w- und Umstellung (Metathese) von ‑u- und ‑r- entstanden. Im Falle von ‑roff ist Senkung von ‑u- zu ‑o- ein­getreten.

Bei Molbruch, ‑broch liegt wohl volksetymologische Umdeutung von Moldruff vor. Das „entstellte“ und nicht verständliche Segment ‑druff wird zu ‑bruch uminterpretiert. Der Maulwurf wird in diesem Fall als ‘Umbrecher des Erdbodens’ gesehen.

Der zweite Teil von Molproff könnte durch Kreuzung von ‑droff und ‑broch entstanden sein. Bei Molprobb und Molldrobb ist der Übergang von auslau­tendem ‑ff zu ‑bb wahrscheinlich durch starken Artikulationsdruck bewirkt. In Molwerd ist das ursprüngliche Zweitglied ‑werf an das Suffixert – vgl. oben Wolbert – angepasst.

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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