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Karte 23 ‘Ameise’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 112. [Bild: Georg Drenda (IGL)]

Ameise

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Die Kartenlegende listet eine Vielzahl von Formen für ‘Ameise’ auf. Wenn das Kartenbild dennoch einigermaßen klar und strukturiert erscheint, so liegt das an der farblich identischen Symbolisierung von Varianten, die sich zu einem Typus zusammenfassen lassen. Die Typenbildung richtet sich nach der Struktur der zweiten und (gegebenenfalls) dritten Silbe des Wortes (zu den Einzelheiten s. u.). Die Ausdrücke des Untersuchungsgebietes, obwohl sehr zahlreich, bilden nur eine kleine Teilmenge des in den deutschen Dia­lekten vertretenen Formenreichtums. Mitunter wechselt der Ausdruck von Ort zu Ort. In vielen Fällen lässt sich nicht entscheiden, ob einer Form pho­netisch-morphologisch umgestaltetes Ameise zugrunde liegt oder ein völlig anderes Wort. Für die Dialekte des Arbeitsgebietes scheinen diesbezüglich die Verhältnisse relativ klar zu sein. Bis auf die sprachlich zusammenhän­genden Ausdrücke Umbisser, Obisser, Opisser und Obitzer lassen sich alle anderen mit Ameise in Verbindung bringen.

Die der Standardsprache phonetisch am nächsten stehenden Ausdrücke im Kartengebiet sind Ameis und Omeis. Sie sind nicht originär dialektal, sondern aus der Standardsprache übernommen und lediglich lautlich mehr oder weniger an den Dialekt angepasst. Ihr Vorkommen ist hauptsächlich auf Rheinhessen beschränkt, also das Gebiet, das zum Einzugsbereich der sprachlich progressiven Rhein-Main-Region gehört.

Die zahllosen Dialektvarianten von Ameise sind nicht durchgehend das Resultat neuzeitlicher Entwicklungen. Bereits für das Mittelhochdeutsche ist ein breites Spektrum von Ausdrücken belegt: āmeiʒe, anbeiʒe, ambeʒ, onmeiʒ, ommaiʒ, eimesse, emeiʒe, aimsche usw. Das zugrundeliegende Wort westgermanisch *ǣmaitjōn setzt sich zusammen aus den Wurzeln *ǣ- ‘fort, weg, ab’ und *mait-a- ‘schneiden’ (das sich auch in neuhochdeutsch Meißel findet). Für den ur­sprünglichen Sinn von Ameise ergeben sich zwei Deutungsmöglichkeiten. Das Wort bedeutet entweder ‘Abschneiderin (von Pflanzenteilen)’ oder ‘die aus Abschnitten Bestehende’ (bezogen auf den gegliederten Körperbau mit Einschnitten zwischen Kopf, Thorax und Hinterleib). (Man vergleiche hierzu auch Insekt zu lateinisch insecare ‘einschneiden, zerschneiden’.)

Die erste Silbe von Ameise zeigt in den Dialekten mannigfache Ent­wicklungen:

1. A- kann erhalten bleiben (Aminz, Amiz usw.).

2. A- kann zu O- verdumpfen (Ominz, Omezel). Das ist ein Wandel wie er in den Dialekten häufig eintritt, vor allem wenn ein Nasalkonsonant folgt, vgl. z. B. schlofe ‘schlafen’, Noos ‘Nase’ und Hommer ‘Hammer’ in Rheinhessen und in der Pfalz.

3. O- kann in einem weiteren Schritt zu U- gehoben werden (Uminz, Umäs usw.). Vgl. hierzu auch dialektal uhne ‘ohne’ Sume ‘Samen’ im Ar­beitsgebiet.

4. Ä- und E- (Äminz, Ämez, Emez usw.) sind durch Umlautung von A- oder sekundär von O- zu Ö- und anschließender Entrundung entstanden. Umlautauslösender Faktor könnte ‑ei- der Folgesilbe (‑meise) gewesen sein. Eine parallele Entwicklung im Untersuchungsraum zeigt teilweise Arbeit, das zu Erwet u. ä. umgelautet ist.

5. I- (Imez, Ims usw.) kann durch Schließung von E- entstanden sein oder durch Umlautung von U- zu Ü- und anschließender Entrundung. Als Beispiele für Hebung von e zu i lassen sich aus dem rheinhessisch-pfälzischen Raum u. a. frimd ‘fremd’ und Kilt ‘Kälte’ nennen.

Beim – historisch gesehen – zweiten Wortelement ‑meise ist zu unterschei­den zwischen Formen mit ‑s(-) (z. B. Ims, Umessel) und ‑(t)z(-) (z. B. Emitz, Ämezel). Ausdrücke, die die ‑nz/‑ns-Klasse bilden (z. B. Emenz, Omins), lassen sich keiner der beiden Gruppen eindeutig zuordnen. Die Wörter mit ‑(t)z(-) sind auf westgermanisch āmaitjōn ‘Ameise’ zurückzuführen, die mit ‑s(-) auf eine westgermanische Variante ohne ‑j-. Möglich ist aber auch ein Wechsel von ‑z(-) zu ‑s(-) im Dialekt.

Aufgrund der Laienschreibung der Belege lässt sich über die Quantität des Vokals der zweiten Silbe (aber auch der ersten) so gut wie nichts sagen. Nur ganz selten erscheint in der Transkription ein doppeltes Vokalzeichen (z. B. Imeez), das als ein sicherer Hinweis auf einen Langvokal gelten kann. In Fällen mit einfachem ‑e-, z. B. bei Imes, ist nicht nur die Quantität unklar, sondern auch die Qualität. Denn der Buchstabe e kann auch für den Schwa-Laut ([ə]) stehen, den die phonetisch exakte Notation des Pfälzischen Wörterbuches (I, 198) dokumentiert.

Die zweite Silbe zeigt unterschiedliche Stufen der Vokalreduktion:

1. Null-Reduktion, wenn Langvokal erhalten bleibt (was sich eindeutig nur aus Schreibungen mit Doppelbuchstabe – s. o. – erschließen lässt). Der lange Vokal ist im Erhebungsareal ein Monophthong, weil mittelhochdeutsch ei (āmeiʒe) hier regelhaft monophthongiert wird (vgl. z. B. dialektal bräät ‘breit’).

2. Reduktion als Vokalkürzung, anhand der Atlasbelege nicht verifizier­bar, aber das exakt transkribierende Pfälzische Wörterbuch gibt z. B. Ääminds (I, 198) an. (Die Teuthonista-Umschrift ist hier übertragen in literarische Trans­kription).

3. Reduktion zu Schwa ([ə]), aufgrund der Laiennotation der Atlas­belege nicht verifizierbar, aber durch das Pfälzische Wörterbuch bestätigt, vgl. z. B. ōmənds (I, 198).

4. Totale Reduktion im Sinne eines Vokalausfalls, z. B. Ims.

Vokalschwächung oder ‑schwund kann eintreten, weil die zweite Silbe un­betont ist. Solche Entwicklungen sind in den Dialekten üblich, vgl. z. B. Kränkət ‘Krankheit’ oder Arwət ‘Arbeit’.

Bei Omudds hat sich der Vokal der zweiten Silbe an den der ersten par­tiell angeglichen (Assimilation).

Eine Gruppe von Belegen weist im zweiten Wortteil zwischen Vokal und auslautendem ‑z/‑s den Nasal ‑n- auf, z. B. Emenz, Omins. Dieser Laut ist etymologisch nicht begründet. Nasaleinschub zeigen im Untersuchungs­gebiet auch andere Wörter, vgl. z. B. pfälzisch Määnschder ‘Meister’ und Maansel ‘Meißel’. Durch Anlehnung von ‑mens der Form Omens an Mensch, was zu Omensch führt, erfolgt Remotivierung des semantisch un­durchsichtigen ‑mens.

Wörter mit ‑el (z. B. Umezel, Amessel) stellen Verkleinerungen dar. In den Dialekten sind Bezeichnungen für kleine Tiere nicht selten Diminutiv­bildungen, vgl. z. B. Weschbel und Hornissel beide ‘Wespe’ (vgl. Karte 18.1.), Atzel ‘Elster’ und Hinkel ‘Henne‘ (vgl. Karte 28.), wobei der diminu­ierende Charakter verlorengegangen ist.

In der Südpfalz kommt das Kompositum Seichameise – dialektal Sächims, Sächäms – vor. Das erste Wortglied ist aus dem Verb seichen ‘urinieren’ abgeleitet. Das Motiv für die Zusammensetzung liefert das Verhalten des In­sekts bei Bedrohung. Dann spritzt es Ameisengift aus, das in der Volksmei­nung für Urin gehalten wird. Das Verb seichen ist ein Kausativum zu seihen, das aus germanisch *seihwa- ‘seihen, tröpfeln’ hervorging. Die Ausgangsbedeu­tung von seichen ist also ‘rinnen lassen, tröpfeln lassen’.

Die sich zu einer Gruppe zusammenschließenden Ausdrücke Umbisser, Obisser, Opisser und Obitzer gehören etymologisch wohl nicht zu Ameise. Eine eindeutige Herleitung ist jedoch nicht möglich. Es bieten sich zwei Deutungsmöglichkeiten an:

1. Den Ausdrücken liegt Anpisser und somit das gleiche Benennungs­motiv wie bei Seichameise (s. o.) zugrunde. Die Wortbildung basiert auf dem im Dialekt nicht anstößigen Verb pissen ‘urinieren’, das eine seit dem 14. Jh. bezeugte Entlehnung aus gleichbedeutend französisch pisser ist. Den Ur­sprung des Wortes bildet Lautmalerei. Das Präfix an- (anpissen) bewirkt eine semantische Modifizierung. Mit dem Suffixer erfolgt die Bildung ei­nes Nomen Agentis. Im Dialekt fällt ‑n nach Langvokal im Silben- und Wortauslaut ab, was die Formen Obisser, Opisser usw. ergibt. Bei Umbisser liegt Assimilation von ‑n- zu ‑m- vor dem labialen Konsonanten ‑b- vor. Der Wandel von anlautendem A- zu O- bzw. U- ist bereits oben be­schrieben worden. Die Entwicklung von ‑p- zu ‑b- z. B. in Obisser ist mit Konsonan­tenschwächung zu erklären, vgl. auch dialektal aabasse ‘anpassen’ und butze ‘putzen’. Der Laut ‑tz- in Obitzer ist möglicherweise beeinflusst durch ‑z bzw. ‑s der Formen Aminz/‑s oder Ominz/‑s der Nachbardialekte. Viel­leicht spielt auch – mit offensichtlicher Motivation – das Verb bitzeln ‘ju­cken, kribbeln (von der Haut)’ hinein.

2. Statt Anpisser kommt Anbeißer als Grundlage in Frage. Bezeich­nungsmotiv könnte das Abtrennen von Pflanzenteilen durch die Ameise sein. Das Wort stellt eine Nomen-Agentis-Bildung auf ‑er zu dem Verb beißen, erweitert um das Präfix an‑, dar. Grundlage ist indogermanisch *bheid- ‘spalten, tren­nen’, das im Mittelhochdeutschen zu bīʒen ‘beißen, stechen’ führt. In den Dialekten des Untersuchungsgebietes bewirkt das Suffixer Kürzung des Vokals, so dass an Stelle des regulär zu erwartenden Anbeißer Anbisser vorliegt. Man ver­gleiche auch dialektal Siffer ‘Säufer’ und (Schere)schliffer ‘(Scheren)schleifer’ mit Kurzvokal. Für die übrigen Lautentwicklungen gelten die oben bei An­pisser gegebenen Erläuterungen.

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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