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Karte 69 ‘Murmel’, Georg Drenda: Wortatlas für Rheinhessen Pfalz und Saarpfalz, S. 268. [Bild: Georg Drenda (IGL)]

Murmel

Das Spielen mit Murmeln war noch in den 1960er Jahren sehr populär. Da­nach kam es immer mehr aus der Mode. Die Kügelchen gab es vor allem aus gebranntem Ton sowie aus Glas, aber auch anderes Material wie z. B. Mar­mor war üblich. Die bunt bemalten Tonmurmeln wurden nach und nach durch die attraktiveren Glaskugeln mit (mehr)farbigen Einlagen verdrängt. Heutzutage gibt es anscheinend nur noch diese.

Der Atlas fragte ganz allgemein nach der Murmel. Aus etlichen Erhe­bungsorten wurden zwei Belege gemeldet teilweise mit dem expliziten Hin­weis auf sprachliche Unterscheidung der Kugeln aus Ton und aus Glas. In der Karte sind die Fälle mit semantischer Spezialisierung indiziert.

Der Ausdruck mit der größten Verbreitung im Arbeitsgebiet ist Klicker (dialektal Gligger u. ä.). Wenn das Wort in einem Erhebungspunkt eine Variante hat, dann bezeichnet es zumeist die Murmel aus Ton. Zweimal wird das Kompositum Glasklicker (dialektal Glasgligger u. ä.) genannt. Das Substantiv Klicker gehört zu der Interjektion klick und dem Verb klicken, die auf Laut­malerei beruhen. Das Geräusch der beim Spiel aneinanderstoßenden Kugeln war offenbar das Motiv für die Wortbildung Klicker, die seit dem 16. Jh. be­zeugt ist.

Neben Achat gibt es die verkürzte Form Hart (dialektal Haard u. ä.) sowie die davon abgeleiteten Diminutive Achatchen (dialektal Ahaatsche u. ä.) und Hartchen (dialektal Hardche u. ä.). Die Dialektbelege für Hart(chen) transkri­bieren die Exploratoren teils mit ‑r- teils ohne. Das Pfälzische Wörterbuch (I, 118) bestätigt das lokale Vorkommen r-haltiger Formen. Möglicherweise ging der Sprach­gemeinschaft das Bewusstsein für die Herkunft von Hart aus Achat verloren, so dass die verkürzte Form mit dem Adjektiv hart volksetymologisch in Verbindung gebracht wurde. Die feste Konsistenz von Murmeln könnte bei der Umdeutung hineingespielt haben. In etlichen Fällen geben die Gewährs­personen für Achat(chen)/ Hart(chen) die Bedeutung ‘Glasmurmel’ an und unterscheiden davon die Klicker bezeichnete ‘Tonmurmel’ (s. o.). Achat ist eigentlich der Gattungsname für einen Halbedelstein. Die daraus hergestellte Spielkugel wurde mit der Materialbezeichnung benannt, die dann auch auf die Glasmurmel übertragen wurde. Das Wort ist aus lateinisch achātēs entlehnt, das wiederum aus dem Griechischen stammt.

Für den einmal vorkommenden Beleg Aule (dialektal Aul) gibt die Ge­währsperson die Bedeutung ‘Glasmurmel’ an. Die Etymologie des Worts lässt eine Bedeutungsverschiebung von ursprünglichem ‘Tonmurmel’ ver­muten. Aule ist für das Mittelhochdeutsche als ūle mit dem Sinn ‘Topf’ belegt, womit der Steintopf gemeint ist, wie aus der Berufsbezeichnung ūler ‘Töpfer’ zu schließen ist. Mittelhochdeutsch ūle führt zurück auf lateinisch olla ‘Gefäß aus Ton, irdener Topf’. Wahrscheinlich ist die Bedeutungsübertragung auf die Murmel durch die kugelförmige oder bauchige Form früherer Steintöpfe motiviert. Als nach den Tonmurmeln Glasmurmeln populär wurden, ist das angestammte Wort Aule auf ‘Glaskügelchen’ übertragen worden.

Brulle (dialektal Brull) hat als Grundlage die Wortwurzel brull-. Diese be­zeichnet ‘Schwellendes, Quellendes’. Auf der gleichen Basis beruhen wei­tere Dialektwörter, die etwas Rundlich-Dickes benennen wie z. B. Brulles ‘korpulenter Mann’ und Brullnase ‘klumpige Nase’.

Im Falle von Gläschen steht die Materialbezeichnung (in diminuierter Form) für den daraus gefertigten Gegenstand (vgl. auch oben Achat). Das Wort Glas ‘harter, transparenter, zerbrechlicher Stoff’, für das gleichbedeu­tend westgermanisch *glasa- erschlossen wurde, geht wahrscheinlich auf eine ad­jektivische Wurzel indogermansich *ghlē/ə- ‘hell, durchsichtig, rein’ zurück. Die Mate­rialbezeichnung steht für weitere aus Glas gefertigte Gegenstände wie die Brille oder das Trinkglas.

Das auch im Standarddeutschen vorkommende Wort Murmel ist im er­hobenen Areal einmal vertreten. Es ist anzunehmen, dass der Ausdruck aus der Hochsprache in den Dialekt diffundiert ist, sofern es sich nicht um einen Explorationsfehler handelt. Für das Althochdeutsche sind marmul und murmul belegt. Diese stellen Eindeutschungen von lateinisch marmor ‘Marmor’ dar, das aus griechisch mármaros zuerst: ‘Stein, Felsblock’ entlehnt wurde. Murmel ist also ursprünglich ’Kugel aus (Marmor‑)Stein’.

Wohl eher als scherzhafte Bezeichnungen sind Erdfurzer und Mehlfurz einzustufen. Die Bestimmungswörter weisen jeweils auf das Material hin, aus dem die Kugel gefertigt ist. Es handelt sich hier also um Bezeichnungen für die Tonmurmel. Im Mittelhochdeutschen hat mel nicht nur die Bedeutung ’Mehl’, son­dern auch ‘Staub, Erde’. Die Ausgangsbedeutung in germanisch *melwa- ist aber ‘Mehl’. Die dazugehörige indogermanische Wurzel *mel- bedeutet ‘zerreiben, mahlen’. Das Wort Furz(er) liegt bei den Komposita in übertragener Bedeutung vor. Der eigentliche Inhalt des seit dem 11. Jh. bezeugten Furz ist ‘Darmwind’.

Literatur- und Ortskürzel-Verzeichnis

Die im Text erwähnte Literatur (Literaturverzeichnis) sowie eine Aufschlüsselung der Ortskürzel (Belegorteverzeichnis) finden Sie unter den entsprechenden Links. 

Mehr zum Thema

Der obenstehende Inhalt ist entnommen aus Drenda, Georg (2014): Wortatlas für Rheinhessen, Pfalz und Saarpfalz. St. Ingbert.

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