Mainz in Rheinhessen

Die erzbischöflichen kurfürstlichen Residenzen in Mainz

von Wolfgang Stumme

Die Stadt Mainz bildete seit jeher den Ursprung und das Zentrum des späteren Erzbistums Mainz. Als Schlüsselfigur der Diözese gilt Erzbischof Willigis (975 – 1011), dem in der Geschichte des Erzbistums eine herausragende Bedeutung zukommt. Willigis baute die Kirchenprovinz aus, verband die Erzkanzlerwürde des Reiches dauerhaft mit dem Erzbistum Mainz, lenkte die Geschicke von Kirche und Reich und mit seiner Wahl im Jahre 975 zum Erzbischof sicherte ihm Papst Benedikt VII. die Vormachtstellung über alle anderen Bischöfe in kirchlichen Dingen zu. Nach dem Tod der Kaiserin Theophanu im Jahre 991 übernahm er wohl für drei Jahre faktisch die Regentschaft des Ottonischen Reiches [Anm. 1] für deren minderjährigen Sohn Otto III. Willigis ging außerdem als Baumeister des Mainzer Doms in die Geschichte der Stadt ein.
Der mächtigste Mann nach dem Kaiser und dem Papst musste auf eine verlässliche Verwaltung zurückgreifen können. Für die Bewältigung dieser Aufgaben und die Verwaltung des Erzbistums benötigte er eine Regierungszentrale in Mainz.

Die erzbischöfliche Pfalz

Während seiner Herrschaft errichtete Erzbischof Willigis unter anderem die erzbischöfliche Pfalz – an der Stelle, die wir heutzutage als „Höfchen“ (= erzbischöflicher Hof) kennen. Die Pfalz war eine wagenburgähnliche, aber unbefestigte Ansammlung von Wohn- und Verwaltungsgebäuden sowie von Stallungen. Sie lag nordwestlich der St. Gotthardkapelle [Anm. 2] und war mit dieser durch einen Gang verbunden. Die Kapelle ist das einzige bis heute erhaltene Gebäude der Pfalz. [Anm. 3]
Die erzbischöfliche Residenz war jedoch aufgrund des weitgehend unbefestigten Charakters kein sicherer Rückzugsort. Dies zeigte sich spätestens bei den städtischen Unruhen zwischen Mainzer Bürgern und Kurfürst Arnold von Selenhofen (1095 – 1160) im Jahr 1159. Während der Unruhen wurde zunächst die erzbischöfliche Pfalz zerstört; ein Jahr später erschlugen die Mainzer Bürger den Kurfürsten im Kloster St. Jakob.

Gut 100 Jahre später zog es Kurfürst Werner von Epstein (1259 – 1284) nach einer längeren Fehde mit den Mainzer Bürgern (1273 – 1276) vor, statt im Mainzer Bischofspalast in der Burg in Eltville oder in der Johannisburg in Aschaffenburg zu residieren. Auch Kurfürst Diether von Isenburg hatte während der Stiftsfehde (1459 – 1463) schmerzlich erfahren, wie wenig Schutz der Bischofshof in Krisenzeiten bot. [Anm. 4]

Martinsburg

Die Martinsburg vor 1631- Ausblick von Norden[Bild: Stadtarchiv Mainz]

Diether von Isenburg wurde 1475 erneut zum Kurfürsten gewählt. Aufgrund der kriegerischen Erfahrungen mit seinem Vorgänger entschloss sich Diether zum Bau einer starken Wohn- und Trutzburg [Anm. 5] innerhalb der Stadtmauern, die er nach dem Schutzpatron der Stadt und des Erzstiftes Martinsburg nannte. Hierfür wählte er die nordöstliche Ecke der Stadt, direkt am Rhein gelegen. Der dort bereits bestehende Grinsturm der Stadtbefestigung wurde in die Burg integriert. 1480 erfolgte der Umzug vom „Höfchen“ in die Martinsburg. Bei innerstädtischen Konflikten hatte der Kurfürst von hier aus Gelegenheit, über den Rhein nach Eltville, Höchst oder Aschaffenburg zu fliehen.
Während der nur zehntägigen Besetzung der Stadt im zweiten Markgrafenkrieg durch Markgraf Albrecht Alkibiades von Brandenburg-Kulmbach im Jahre 1552 wurde nicht nur der ehemalige Bischofshof am Höfchen abgerissen und die vor der Stadtmauer gelegenen kirchlichen Gebäude (Kartause, Viktorstift, Albanstift, Heiligkreuzstift) niedergebrannt, sondern auch die Martinsburg durch einen Brand zerstört. Anschließend wurde die Burg im Renaissancestil restauriert und bis 1581 wieder aufgebaut. Gleichzeitig entstanden südlich neben der Martinsburg die Reichskanzlei und die Schlosskapelle St. Gangolf. Mehr als 200 Jahre dienten diese drei Gebäude den Mainzer Kurfürsten [Anm. 6] als Residenz.
Im Vergleich zur außergewöhnlichen Machtfülle der Mainzer Kurfürsten, war dieser Amtssitz verhältnismäßig bescheiden: Das Amt umfasste am Ende des 16. Jahrhunderts:

  • die Erzkanzlerwürde im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und die erste Position unter den sieben Kurfürsten,
  • die Erzbischofswürde, damit eine der bedeutendsten Kirchenwürden nördlich der Alpen,
  • die Landesherrschaft im Kurmainzischen Territorium,
  • die Stadtherrschaft in Mainz.<ANM>Ring, Ludwig: Die Residenzen der Kurfürsten. In: Gillessen, Günther (Hg.): Wenn Steine reden könnten. Mainzer Gebäude und ihre Geschichten. Mainz 1991, S. 109 – 120.</ANM>

 

Das Kurfürstliche Schloss

Um den gestiegenen Repräsentationsbedürfnissen der Mainzer Kurfürsten zu entsprechen, wurde 1627 der Grundstein für das Kurfürstliches Schloss gelegt.

Baubeginn während des Dreißigjährigen Krieges
Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenklau (1626 – 1629) begann den Bau der nunmehr dritten Residenz trotz des Dreißigjährigen Krieges, der Mainz anfänglich verschonte. Mit dem Schloss wurde auf der Rheinseite die Lücke zwischen der Martinsburg und der Reichskanzlei geschlossen. Aufgrund des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) und des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1688 – 1697) verzögerte sich der Bau mehrmals und die möglicherweise geplante Drei- oder Vier-Flügelanlage wurde nie gebaut.
Als im Jahr 1631 schwedische Truppen unter König Gustav II. Adolf in Mainz einmarschierten, waren die ersten acht Fensterachsen des Rheinflügels noch nicht vollendet. Da der Kurfürst und sein Hof geflüchtet waren, war der Bau den Schweden schutzlos ausgeliefert. König Gustav II. Adolf wohnte während seines Aufenthaltes in Mainz in der Martinsburg und beschenkte seinen Kanzler Oxenstierna großzügig mit der kurfürstlichen Bibliothek. Diese Beute wurde auf zwei Schiffe verladen worden, von denen aber nur eines Schweden erreichte.

Richtfest nach 50 Jahren und Fertigstellung nach 125 Jahren
Erst unter Kurfürst Philipp von Schönborn (1647 – 1673) wurde der Bau merklich weitergefördert. In den 1670er Jahren wurde das bisherige Notdach auf dem Rohbau durch ein festes Dach ersetzt und der Rheinflügel wurde um weitere acht Fensterachsen verlängert. [Anm. 7] Endgültig fertiggestellt wurde der Rheinflügel unter Kurfürst Hartard von der Leyen (1675 – 1678) im Jahr 1678. Unter  Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim (1679 – 1695) wurde anschließend mit dem Bau des Nordflügels begonnen. Während der französischen Besatzung im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekrieges in den Jahren 1688 bis 1689 ruhte die Baustelle des Schlosses erneut.
Als Kurfürst Johann Friedrich von Ostein (1743 – 1763) den Nordflügel und damit den Bau des Kurfürstlichen Schlosses 1752 schließlich beendete, waren 125 Jahre seit Baubeginn vergangen. So lange hatte der Bau des Mainzer Domes nicht gedauert.
Nach Johann Friedrich von Ostein nutzten Kurfürst Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim (1763 – 1774) und Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal (1774 – 1802) dieses Schloss – insgesamt diente es gerade einmal 40 Jahre lang als Residenz.[Anm. 8]

Lustschloss Favorite

Kurfürstliche Gartenanlage der Mainzer Favorite[Bild: Stadtarchiv Mainz]

In der Blütezeit des Barock gewannen glanzvolle Prunkbauten immer mehr an Bedeutung und entsprechend dem Vorbild anderer barocker Fürsten musste auch in Mainz neben dem Schloss ein Lustschloss außerhalb der Residenzstadt her.
Mit aufwändigen Gartenanlagen und Wasserspielen hatte Kurfürst Lothar Franz von Schönborn (1695 – 1729), ein Neffe von Kurfürst Johann Philipp von Schönborn (1647 – 1673) ab 1700 eine bedeutende barocke Anlage am Rheinufer südlich von Mainz errichtet. Vorbild für die Favorite war das französische Lustschloss Marly-le-Roi des Sonnenkönigs Ludwig XIV. 1722 wurde die Favorite im Wesentlichen fertiggestellt.
Im Sommer 1792 fand das letzte Fest in der Favorite statt. Im Anschluss an die Krönung Franz II. in Frankfurt kamen der Kaiser und die deutschen Fürsten nach Mainz. In der Favorite wurde feierlich gespeist, bevor man durch die illuminierte Stadt fuhr.
Auf diesem Fürstenkongress wurde im Hinblick auf die Revolution in Frankreich ein Manifest verabschiedet, das den Franzosen für jeden Angriff auf ihre Königsfamilie ein exemplarisches Strafgericht androhte. Die revolutionären Kräfte Frankreichs verstanden die Erklärung jedoch als Beweis einer Kollaboration von Ludwig XV. mit den deutschen Fürsten. Das Schicksal Ludwig XVI. war damit besiegelt. Die daraufhin versuchte Invasion der deutschen Fürsten endete in der Champagne mit einem Patt auf dem Schlachtfeld und einem Rückzug. Die republikanischen Revolutionstruppen erreichten einen Monat später Mainz, das ihnen kampflos übergeben wurde.[Anm. 9]
Im Sommer 1793 lag das Lustschloss Favorite in Schutt und Asche und das kurfürstliche Schloss wurde als Lazarett genutzt. Die eigentliche Hauptstadt des Kurfürstentums war nun für eine kurze Zeit Aschaffenburg.

Verfasser: Wolfgang Stumme

Redaktionelle Bearbeitung: Sarah Traub

Verwendete Literatur:

  • Dumont, Franz: Mayence. Das französische Mainz (1792/98 – 1814). In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 319 - 376.
  • Durchhardt-Bösgen, Sigrid: Zeittafel zum Mainzer Dom. In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 137 – 142.
  • Falck, Ludwig: Die erzbischöfliche Metropole ( 1011 – 1244). In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 111 – 137.
  • Hartmann, Peter C.: Kleine Mainzer Stadtgeschichte. Regensburg 2005, S. 154)
  • Mainzer Denkmal Netzwerk (Hg.): Das Kurfürstliche Schloss in Mainz. Mainz o. J.

Aktualisiert am: 25.10.2016

Anmerkungen:

  1. Das Ottonische Reich erstreckte sich von Schleswig bis Mittelitalien. Zurück
  2. Die Gotthardkapelle erlitt nach der Fehde in den Jahren 1273 -1276, in denen der Erzbischof nicht mehr im alten Bischofshof residierte, einen Bedeutungsverlust. Mit dem Bau der Martinsburg im Jahre 1478 wurde die Gotthardkapelle endgültig nicht mehr als Hofkapelle benötigt. Zurück
  3. Erzbischof Adalbert I. von Saarbrücken hatte um 1130 den Bau dieser neuen Hof- und Palastkapelle (capella curtis nostrae in Moguncia) angeordnet. Die Gotthardkapelle wurde am 30. Juni 1137 geweiht. Zurück
  4. Falck, Ludwig: Die erzbischöfliche Metropole ( 1011 – 1244). In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 111 – 137. Sowie: Durchhardt-Bösgen, Sigrid: Zeittafel zum Mainzer Dom. In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 137 – 142. Zurück
  5. Bauzeit: 1476 – 1480 Zurück
  6. Die Mainzer Erzbischöfe waren ab 1198 gleichzeitig Kurfürsten (s. Hartmann, Peter C.: Kleine Mainzer Stadtgeschichte. Regensburg 2005, S. 154). Zurück
  7. Für den Bau des Rheinflügels mussten Teile der Martinsburg abgerissen werden. Ein großer Teil der Martinsburg blieb jedoch stehen; somit konnte man nicht aus allen Fenstern des Schlosses auf den Rhein blicken. Erst 1807 wurde die Martinsburg abgetragen, und die Steine wurden für die Errichtung der Kaimauer vor dem Schloss verwendet. Zurück
  8. Mainzer Denkmal Netzwerk (Hg.): Das Kurfürstliche Schloss in Mainz. Mainz o. J. Zurück
  9. Der französische General Adam Philippe de Custine zog in das Schloss ein und teilte das kurfürstliche Prunkbett mit der Frau eines Mainzer Wundarztes. (Dumont, Franz: Mayence. Das französische Mainz (1792/98 – 1814). In: Dumont, Franz, Scherf, Ferdinand, Schütz, Friedrich (Hrsg.): Mainz. Die Geschichte der Stadt. Mainz 1999, S. 325). Zurück